Titel:
Keine Zuständigkeit der Beschwerdekammer für Widerrufsentscheidungen in Strafvollstreckungssachen
Normenkette:
StPO § 462 Abs. 3, § 462a Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Hat im Fall des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das Amtsgericht als Gericht des ersten Rechtszugs die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, kann die dagegen angerufene Beschwerdekammer nicht in der Sache über den Widerruf entscheiden, sondern muss sich auf die Aufhebung der Erstentscheidung beschränken. (Rn. 7 – 8)
Schlagworte:
Beschwerde, Zuständigkeit, Widerruf, Strafaussetzung zur Bewährung, Strafvollstreckungskammer, Beschwerdekammer
Vorinstanz:
AG Fürth, Beschluss vom 02.10.2023 – BwR 471 Ds 951 Js 164536/21
Fundstellen:
StV 2025, 196
BeckRS 2023, 33235
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 2. Oktober 2023, BwR 471 Ds 951 Js 164536/21, wird aufgehoben.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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Die Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Fürth am 30. September 2022 wegen Diebstahls mit Betrug zu einer ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das Urteil ist seit 8. Oktober 2022 rechtskräftig. Das Amtsgericht Fürth widerrief die Strafaussetzung mit Beschluss vom 2. Oktober 2023 wegen gröblicher und beharrlicher Verstöße gegen die Bewährungsauflagen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verteidigers.
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1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 462 Abs. 3 Satz 1 StPO) und auch im Übrigen zulässig.
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a) Sie ist insbesondere in zulässiger Weise per Fax eingelegt worden. Zwar „soll“ der Verteidiger Anträge und Erklärungen dem Gericht als elektronisches Dokument übermitteln (§ 32d Satz 1 StPO). Für die sofortige Beschwerde besteht jedoch kein Zwang, dies zu tun. So heißt es, übereinstimmend mit dem Wortlaut des § 32d Satz 2 StPO, in der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, dass die Vorschrift eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte, dort genannte Verfahrenserklärungen vorsehe, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die in § 32d Satz 2 StPO abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden solle (BR-Drs. 236/16, S. 49 f.).
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b) Wegen der Versäumung der Einlegungsfrist für die sofortige Beschwerde war der Verurteilten Wiedereinsetzung zu gewähren, weil die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
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2. Die sofortige Beschwerde hat Erfolg, weil – wie auch die Staatsanwaltschaft zu Recht sieht – der angegriffene Beschluss nicht durch das Amtsgericht Fürth hätte gefasst werden dürfen. Als das Amtsgericht die Bewährung widerrief, saß die Verurteilte nämlich gerade eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, weshalb die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth für die Widerrufsentscheidung zuständig war (§ 462a Abs. 1 Satz 1 StPO). Aktuell befindet sie sich in Strafhaft.
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3. Nicht zu folgen vermag die Kammer allerdings dem weiteren Antrag der Staatsanwaltschaft, sie solle als Beschwerdekammer selbst über den Bewährungswiderruf entscheiden, denn hierfür ist sie nicht zuständig.
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Die Staatsanwaltschaft beruft sich für ihre Sicht auf die Kommentierung von A. in KK-StPO (9. Aufl., § 462 Rn. 4 mit § 462a Rn. 20), der meint, dass wenn im Ausgangspunkt statt der zuständigen Strafvollstreckungskammer das Gericht des ersten Rechtszuges entschieden habe, das Beschwerdegericht in der Sache selbst entscheide (aaO, § 462 Rn. 4). Das geben aber die dort zum Beleg angegebenen Fundstellen so nicht her. Vielmehr betreffen sie allein den Fall, dass es sich bei dem Beschwerdegericht um das der Strafvollstreckungskammer und dem Gericht des ersten Rechtszuges übergeordnete Gericht handelt (KG, Beschluss vom 5. Januar 1994 – 5 Ws 4/94, NStZ 1994, 255; Beschluss vom 26. September 2005 – 5 Ws 430/05, NStZ 2007, 422; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2000 – 3 Ws 395/00, NStZ-RR 2001, 111, 112; Beschluss vom 22. Januar 2002 – 3 Ws 530/01, juris Rn. 7 = JMBlNW 2002, 114 f.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 462 Rn. 5; auch Bockemühl in der Neukommentierung in KMR-StPO, 123. EL 01.10.2023, § 462 Rn. 11; so wohl auch Appl selbst aaO Rn. 4 a.E.), also um das für beide Vordergerichte zuständige Oberlandesgericht – in dieser Position befindet sich die Kammer im Verhältnis zum Amtsgericht Fürth und zur Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth gerade nicht. Die weiter für die Auffassung angeführte Kommentierung von Graalmann-Scheerer (in LR-StPO, 27. Aufl., § 462 Rn. 13) behauptet das glatte Gegenteil, indem sie eine eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts ausschließt, wenn entgegen § 462a Abs. 1 StPO nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das Gericht des ersten Rechtszugs über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung entschieden hat.
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Nachdem die von der Staatsanwaltschaft angeführte Kommentarstelle als Rechtfertigung für eine eigene Sachentscheidung der Kammer ausfällt, verbleibt es bei der von der StPO vorgesehenen Zuständigkeitszuweisung an die Strafvollstreckungskammer. Zwar wäre, würde die Kammer selbst zur Sache entscheiden – möglicherweise – im Ergebnis ein Instanzverlust nicht zu besorgen, denn eine Beschwerdeentscheidung der Kammer wäre bei Einlegung eines Rechtsmittels beim Oberlandesgericht als erstinstanzliche Entscheidung zu behandeln und würde entsprechend verbeschieden (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2000 – 3 Ws 395/00, NStZ-RR 2001, 111, 112). Allerdings hätte eine solche Lösung neben der Zuständigkeitsfrage auch den Gedanken der Rechtsmittelklarheit gegen sich, denn die StPO sieht gegen eine „Beschwerdeentscheidung“ hier keine weitere Beschwerde vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.