Titel:
Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung trotz zuvor ergangener Zubilligung erneuter Bewährung
Normenkette:
StGB § 56f
Leitsätze:
1. Bei der Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung muss das Gericht sich insbesondere dann nicht der Prognose des letzten Tatrichters anschließen, wenn die Prognoseentscheidung inhaltlich nicht nachvollziehbar oder nur formelhaft begründet worden ist (Anschluss an OLG Hamm BeckRS 2014, 4747). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit ist nur dann unzulässig, wenn der Verurteilte mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen braucht, wobei der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft berücksichtigen muss (Anschluss an KG BeckRS 2014, 13287). (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafaussetzung zur Bewährung, Widerruf, letzte Prognoseentscheidung, Ablauf der Bewährungszeit, Vertrauensgrundsatz
Vorinstanz:
LG Augsburg, Beschluss vom 13.04.2023 – 2 NöStVK 272/18
Fundstelle:
BeckRS 2023, 33026
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten B. Ö. gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen vom 13. April 2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
1
1. Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 01.04.2016, Az.: 842 Ls 111 Js 201346/15, rechtskräftig seit 09.04.2016, wurde der Verurteilte wegen versuchter schwerer Körperverletzung mit gefährlicher Körperverletzung und mit Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung mit vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 9 Monaten verurteilt (BZR Ziff. 6.).
2
Der Verurteilte hat die Freiheitsstrafe unter Anrechnung von 153 Tagen Auslieferungs- bzw. Untersuchungshaft vom 09.04.2016 bis 16.08.2016 sowie – nach Zwischenvollzug einer widerrufenen Restfreiheitsstrafe – vom 13.01.2017 bis zu seiner vorzeitigen Entlassung am 21.09.2018 teilweise verbüßt, zuletzt in der Justizvollzugsanstalt K.
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Die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen hat mit Beschluss vom 11.09.2018 die Vollstreckung des letzten Drittels der Freiheitsstrafe von 3 Jahren 9 Monaten zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit auf vier Jahre – bis zum 17.09.2022 – festgesetzt, den Verurteilten für zwei Jahre der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihm verschiedene Weisungen, u.a. eine Alkoholabstinenz- und Kontrollweisung (Ziff. 4.c.), erteilt. Zudem wurde er angewiesen, jeden Wohnungswechsel binnen einer Woche dem Gericht unaufgefordert mitzuteilen (Ziff. 4.d.).
4
2. Mit Urteil des Landgerichts München II vom 15.12.2022, Az.: 3 KLs 44 Js 6774/19, rechtskräftig seit 15.12.2022, wurde der Verurteilte wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte mit vorsätzlicher Körperverletzung (Tatzeit: 15.02.2019) zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt (BZR Ziff. 7.; Bl. 140/149), nachdem zwei vorangegangene Urteile anderer Strafkammern des Landgerichts München II vom 03.03.2020 (Bl. 75/95 VH) und 09.11.2021 (vgl. Bl. 141 RS) vom Bundesgerichtshof jeweils teilweise aufgehoben worden waren.
5
Der Verurteilte wurde diesbezüglich am 15.02.2019 vorläufig festgenommen und befand sich vom 16.02.2019 bis zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 16.02.2019 durch Beschluss des Landgerichts München II vom 09.10.2020 in Untersuchungshaft (Bl. 144). Die Strafvollstreckung ist durch Anrechnung der Untersuchungshaft erledigt (Bl. 137).
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3. Zudem wurde der Verurteilte erstinstanzlich vom Amtsgericht München mit Urteil vom 14.02.2023, Az.: 813 Ds 276 Js 127711/22, wegen vorsätzlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung mit Beleidigung und mit versuchter Nötigung, Hausfriedensbruchs mit Sachbeschädigung, mit Beleidigung, mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und versuchter Nötigung (Tatzeiten: 20.03.2021 und 29.03.2022) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilte räumte in der Hauptverhandlung die ihm in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München I vom 08.07.2022 zur Last gelegten Gewalt- und Aggressionstaten vollumfänglich ein. Der Verurteilte und sein Verteidiger erklärten nach Urteilsverkündung, dass auf die Einlegung eines Rechtsmittel verzichtet wird (S. 10 d. Protokolls).
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Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft München I Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Der für 28.06.2023 bestimmte Termin zur Berufungshauptverhandlung wurde kurzfristig wegen Verhinderung der Vorsitzenden aufgehoben. Neuer Termin zur Hauptverhandlung ist bestimmt auf 15.11.2023.
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Der Verurteilte befand sich für dieses Verfahren nach seiner vorläufigen Festnahme am 29.03.2022 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 30.03.2022 bis zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls am 20.04.2022 in Untersuchungshaft.
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4. Die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen hat mit Beschluss vom 24.08.2022 die Entscheidung über den Erlass des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 9 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 01.04.2016 oder weitergehende Maßnahmen hinsichtlich der Strafaussetzung zur Bewährung bis zum Abschluss des Verfahrens 813 Ds 276 Js 127711/22 zurückgestellt (Bl. 136). Der Beschluss wurde an die der Strafvollstreckungskammer seit April 2021 bekannte Wohnanschrift des Verurteilten in der … Str. .. in … (Bl. 116) durch Einwurf in den Briefkasten am 01.09.2022 zugestellt (zu Bl. 136).
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Mit Verfügung vom 06.03.2023 hat die Staatsanwaltschaft München I beantragt, die Strafaussetzung im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht München II vom 15.12.2022 zu widerrufen (Bl. 151). Die Strafvollstreckungskammer hat den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 15.03.2023 zur Stellungnahmemöglichkeit für den Verurteilten formlos übersandt (Bl. 153). Das an die Anschrift … Str. … in … adressierte Schreiben vom 17.03.2023 kam bei der Strafvollstreckungskammer am 15.05.2023 ohne Rückkuvert und ohne Stellungnahme in Rücklauf (Bl. 159/161).
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Mit Beschluss vom 13.04.2023 hat die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen die mit Beschluss vom 11.09.2018 bewilligte Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung im Hinblick auf das Urteil des Landgerichts München II vom 15.12.2022 widerrufen (Bl. 154).
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Auch dieser Beschluss wurde unter der Adresse … Str. … in … durch Einwurf in den Briefkasten am 22.04.2023 zugestellt (zu Bl. 155).
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Gegen den Beschluss vom 13.04.2023 wendet sich der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 01.06.2023 (Bl. 163, 168/170). Der Verteidiger wies unter Vorlage einer Meldebestätigung vom 19.07.2022 (Bl. 164 RS) darauf hin, dass der Verurteilte seit dem 01.07.2022 unter der Anschrift … Straße …, …, c/o …, wohnhaft und der Widerrufsbeschluss deshalb nicht (wirksam) zugestellt worden sei, und kündigte eine ergänzende Begründung an. Mit weiterem Schriftsatz vom 01.06.2023 an die Staatsanwaltschaft München I teilte der Verteidiger mit, dass die Ladung zum Strafantritt vom 23.05.2023 verwundere, zumal weder ihm noch dem Verurteilten ein entsprechender Widerrufsbeschluss vom 13.04.2023 vorliege. Der Verteidiger bat um unverzügliche Übersendung des Widerrufsbeschlusses (Bl. 164).
14
Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Verfügung vom 15.06.2023 die Vollstreckung einstweilen eingestellt und dem Verteidiger mitgeteilt, dass einer etwaigen Beschwerdebegründung binnen zwei Wochen entgegengesehen werde (Bl. 171).
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Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Zuleitungsbericht vom 21.06.2023 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
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Der Senat hat dem Verteidiger am 29.06.2023 den Widerrufsbeschluss vom 13.04.2023 und den Zuleitungsbericht der Generalstaatsanwaltschaft München vom 21.06.2023 per beA zugeleitet. Der Verteidiger begründete die sofortige Beschwerde – nach antragsgemäßer Fristverlängerung – mit Schriftsatz vom 19.07.2023.
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die genannten Schriftsätze, Verfügungen und Entscheidungen Bezug genommen.
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1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist statthaft (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO).
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Das Rechtsmittel wurde rechtzeitig eingelegt, da die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO mangels wirksamer Ersatzzustellung des Beschlusses noch gar nicht zu laufen begonnen hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 31.08.2020 – StB 23/20, BeckRS 2020, 22801 Rn. 10). Eine wirksame Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO wird nur dann bewirkt, wenn im Zustellungszeitpunkt der Adressat auch unter der Zustelladresse wohnhaft ist (BeckOK StPO/Larcher, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 37 Rn. 29). Ausweislich der mit der sofortigen Beschwerde vorgelegten Meldebestätigung vom 19.07.2022 (Bl. 165 RS) und den Feststellungen des Landgerichts München II im Urteil vom 15.12.2022 (Bl. 140, 144 RS) wohnt der Verurteilte seit Juni/Juli 2022 nicht mehr bei seinem Vater in der … Str. … in …, sondern in der … Str. … in … Nach § 189 ZPO wurde der Zustellungsmangel zwischenzeitlich geheilt, da der Senat den Widerrufsbeschluss vom 13.04.2023 dem Verteidiger per beA am 29.06.2023 zugeleitet hat und diesem der Beschluss tatsächlich zugegangen ist (KK-StPO/Schneider-Glockzin, 9. Aufl. 2023, StPO § 37 Rn. 27).
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2. Das Rechtsmittel des Verurteilten hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
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Das Gericht widerruft nach §§ 57 Abs. 5 Satz 1, 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine neue Straftat begeht und hierdurch zeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.
22
a) Ausweislich der Feststellungen des Landgerichts München II in den Urteilen vom 03.03.2020 und 15.12.2022 hat der Verurteilte am 15.02.2019 – nicht einmal fünf Monate nach seiner bedingten Entlassung am 21.09.2018 – einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und zugleich eine vorsätzliche Körperverletzung begangen. Er wurde wegen dieser einschlägigen Gewalttat zum Nachteil eines Polizeibeamten rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt.
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Zudem beging der Verurteilte nach den Feststellungen des Amtsgerichts München im Urteil vom 14.02.2023 – nach zwischenzeitlicher Verbüßung von Untersuchungshaft vom 16.02.2019 bis 09.10.2020 – innerhalb der Bewährungszeit und abermals nur rund fünf Monate nach seiner Entlassung am 20.03.2021 sowie rund ein Jahr später am 29.03.2022 weitere einschlägige Gewalt- und Aggressionstaten; er wurde deshalb wegen vorsätzlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung mit Beleidigung und mit versuchter Nötigung, Hausfriedensbruchs mit Sachbeschädigung, mit Beleidigung, mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und versuchter Nötigung zu einer bedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt.
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Zwar ist das Urteil des Amtsgerichts München noch nicht rechtskräftig. Grundsätzlich steht erst nach rechtskräftiger Aburteilung der neuen Straftaten ihre Begehung i.S.d. § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB fest. Der Widerruf der Strafaussetzung wegen einer neuen Straftat ist ohne rechtskräftige Aburteilung der Anlasstat ausnahmsweise – ohne Verletzung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK – jedenfalls dann zulässig, wenn der Verurteilte die neue Straftat glaubhaft vor einem Richter eingestanden und das Geständnis auch nicht widerrufen hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2003 – III-3 Ws 469/03; NJW 2004, 790; Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 56f Rn. 7 mwN).
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Vorliegend räumte der Verurteilte in der Hauptverhandlung am 14.02.2023 vor dem Amtsgericht München die ihm vorgeworfenen Taten vollumfänglich ein. Das Geständnis wurde bestätigt durch die Angaben der polizeilichen Sachbearbeiterin (S. 6 d. Urteils). Unabhängig davon, ob dieses Geständnis glaubhaft ist – der Verurteilte erklärte, er habe zu den Vorfällen keinerlei Erinnerung mehr, Hintergrund der Auseinandersetzung mit seinem Vater und seinem Bruder seien familien- und erbrechtliche Streitigkeiten gewesen, er habe aufgrund erheblichen Alkoholkonsums einen Filmriss gehabt (S. 2/3 d. Protokolls) –, hat die Staatsanwaltschaft München I ihre Berufung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, so dass nach dem Rechtsmittelverzicht des Verurteilten der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist und die Gewalt- und Aggressionstaten somit rechtskräftig festgestellt sind.
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b) Durch die innerhalb der Bewährungszeit wiederholt und mit großer Rückfallgeschwindigkeit verübten einschlägigen Gewalt- und Aggressionstaten hat der Verurteilte gezeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.
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c) Mildere Maßnahmen nach § 56f Abs. 2 StGB wie die Erteilung weiterer Auflagen und Weisungen und/oder die Verlängerung der Bewährungszeit kommen nicht in Betracht.
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Zwar hat das Amtsgericht München im noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 14.02.2023 die Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten – anders als das Landgericht München II im Urteil vom 15.01.2022 nur rund zwei Monate vorher – wegen einer angenommenen günstigen Legalprognose zur Bewährung ausgesetzt. Auch liegt es in der Regel nahe, sich der sach- und zeitnäheren Prognose des (letzten) Tatrichters anzuschließen. Dies gilt indes dann nicht, wenn die Prognoseentscheidung inhaltlich nicht nachvollziehbar oder nur formelhaft begründet worden ist (OLG Hamm, Beschluss vom 06.02.2014 – 1 Ws 36/14, BeckRS 2014, 4774; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.12.1997 – 1 Ws 970/97, NZV 1998, 163).
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So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht München hat – in Kenntnis der abweichenden Prognose des Landgerichts München II im Urteil vom 15.12.2022 – die positive Legalprognose und die damit verbundene Bewährungsaussetzung maßgeblich auf die „geänderte Lebenssituation“ des Verurteilten gestützt. Dieser sei vollumfänglich geständig gewesen und habe seinem Vater und seinem Bruder ein Auftreten vor Gericht erspart. Er habe ein festes soziales Umfeld und zudem eine feste Erwerbstätigkeit. Nach seiner letzten Haftentlassung habe er sich eigenständig um eine Wohnung und eine Arbeitsstelle bemüht. Auch konsumiere er keinen Alkohol und keine Betäubungsmittel mehr; er habe sich freiwillig und aus eigenem Antrieb in eine Drogenberatung begeben und diese abgeschlossen, wobei auch weitere persönliche Problembereiche des Verurteilten aufgearbeitet worden seien. Trotz der wiederholten einschlägigen Vorstrafen und der Verbüßung mehrerer Freiheitsstrafen gehe das Gericht im Hinblick auf die geänderte Lebenssituation von einer positiven Sozialprognose aus (S. 8 d. Urteils vom 14.02.2023).
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aa) Das Amtsgericht München hat bei seiner Prognoseentscheidung nahezu ausschließlich (vorgeblich) positive Aspekte gewürdigt. Die einschlägigen Vorstrafen und der wiederholte Strafvollzug werden nur formelhaft erwähnt, ohne diese einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Das krasse Bewährungsversagen, die enorme Rückfallgeschwindigkeit, die wiederholte Straffälligkeit nur rund fünf Monate nach der Haftentlassung innerhalb der Bewährungszeit und die dadurch gezeigte völlige Unbeeindrucktheit von vorangegangener Straf- bzw. Untersuchungshaft wurden in die Gesamtabwägung überhaupt nicht einbezogen.
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bb) Aber auch die vom Amtsgericht angenommene „geänderte Lebenssituation“ des Verurteilten ist nicht nachvollziehbar und hält einer kritischen Prüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat sich insbesondere nicht mit den Lebensverhältnissen des Verurteilten im Zeitpunkt seiner früheren Gewalttaten und dem Vollstreckungs- und Bewährungsverlauf im hiesigen Vollstreckungsverfahren auseinandergesetzt.
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(1) Ein fester Wohnsitz und ein Arbeitsplatz haben den Verurteilten schon in der Vergangenheit nicht von der Begehung von Gewalt- und Aggressionstaten abgehalten.
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Ausweislich der Feststellungen des Amtsgerichts München im Urteil vom 01.04.2016 absolvierte der Verurteilte eine Ausbildung zum Koch und arbeitete dann auch in diesem Beruf, zuletzt im Juli 2015. Nachdem das Arbeitsverhältnis auf beidseitigen Wunsch beendet worden war, beging der Verurteilte nur wenige Wochen später am 05.09.2015 die im Urteil vom 01.04.2016 festgestellten Gewalttaten (Bl. 4/6). Im Urteil vom 14.02.2023 stellte das Amtsgericht München insoweit ergänzend fest, dass der Verurteilte eine Ausbildung zum Koch erfolgreich abschloss und anschließend für etwa zehn Jahre in diesem Beruf arbeitete. Derzeit arbeitet der Verurteilte als Hausmeister (S. 2 d. Urteils vom 14.02.2023).
34
Zu den persönlichen Verhältnissen stellte das Landgericht München II im Urteil vom 09.11.2021 fest, dass der Verurteilte seit 2020 mit seiner (damaligen) Lebensgefährtin liiert war. Er wohnte im Jahr 2021 wieder in der väterlichen Wohnung in der … Str. … in … und arbeitete als Koch sowie für einen Sicherheitsdienst, wobei er zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigte, die Beschäftigung als Koch zugunsten einer umfangreicheren Beschäftigung im Sicherheitsgewerbe aufzugeben. Zudem sollte der Verurteilte die Wohnung als Hauptmieter von seinem Vater übernehmen (Bl. 142). Trotz des festen Wohnsitzes und der Arbeitstätigkeit beging der Verurteilte am 20.03.2021 und 29.03.2022 massive Gewalt- und Aggressionstaten gegenüber seinem Vater und seinem Bruder.
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Unter Zugrundelegung der früheren Wohn- und Arbeitsplatzverhältnisse und der in dieser Zeit verübten Gewalttaten kann nicht angenommen werden, dass der Verurteilte, der seit Sommer 2022 eine neue Wohnung hat und im dortigen Anwesen auch als Hausmeister arbeitet, künftig keine Gewalt- und Aggressionstaten mehr begehen wird. Vielmehr erscheint es in Übereinstimmung mit der Prognose des Landgerichts München II im Urteil vom 15.12.2022 wahrscheinlicher, dass der Verurteilte, der bei den vergangenen gravierenden Gewalttaten ebenfalls in festen Strukturen verankert war, aufgrund der hohen Rückfallgeschwindigkeit, der Unbelehrbarkeit und seines hohen Aggressionspotentials, das er in der Vergangenheit wiederholt nicht kontrollieren konnte, erneut Gewalt- und Aggressionstaten begehen wird (vgl. Urteil vom 15.12.2022, Bl. 148).
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(2) Auch soweit das Amtsgericht München im Urteil vom 14.02.2023 ausführt, der Verurteilte konsumiere keinen Alkohol und keine Betäubungsmittel mehr und habe sich freiwillig in eine Drogenberatung begeben und diese abgeschlossen, kann nicht von einer nachhaltigen Änderung seiner Lebensführung ausgegangen werden.
37
Zwar hat das Landgericht München II im Urteil vom 15.12.2022 ebenfalls festgestellt, dass der Verurteilte mittlerweile weder Alkohol trinke noch Drogen nehme (Bl. 144 RS). Jedoch beging der Verurteilte in der Vergangenheit wiederholt Gewalt- und Aggressionstaten unter Alkoholeinfluss. Das Amtsgericht München ist im Urteil vom 01.04.2016 davon ausgegangen, dass der Verurteilte bei den Taten vom 05.09.2015 leicht alkoholbedingt enthemmt war (Bl. 6). Bei den Taten vom 29.03.2022 war der Verurteilte – trotz der Alkoholabstinenzweisung im Bewährungsbeschluss vom 11.09.2018 – erheblich alkoholisiert. Das Amtsgericht München hat insoweit eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen, da nach den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden konnte (S. 5/7 d. Urteils vom 14.02.2023).
38
Der Sachverständige Dr. R. ist im Prognosegutachten vom 06.08.2018 zum Ergebnis gekommen, dass der Verurteilte bisweilen übermäßig Alkohol trinke, wobei hierbei jedoch kein durchgängiger Konsum ersichtlich sei. Unter Berücksichtigung eines Alkoholkonsums während einer Wochenendbeurlaubung aus der Strafhaft im Sommer 2018 zeige sich die Tendenz, dass der Verurteilte Alkohol trinke, um abzuschalten. Unter Berücksichtigung seines Konsumverhaltens in der Biographie ergebe sich der Verdacht auf einen missbräuchlichen Alkoholkonsum (Bl. 21 ff., S. 24/25 d. Gutachtens).
39
Gemäß dem Schreiben der Externen Drogenberatung der Caritas vom 21.02.2020 nahm der Verurteilte während der damaligen Untersuchungshaft seit 07.03.2019 an Beratungsgesprächen teil, zeigte sich hierbei sehr ehrlich, offen und selbstreflektiert und nahm eigenständig Kontakt zur Drogenberatung auf. Die Caritas befürwortete eine stationäre Drogentherapie (Bl. 99/102). Dementsprechend stellte das Landgericht München II im Urteil vom 09.11.2021 fest, dass der Verurteilte mehrfach die Drogenberatung besuchte, auf seine Initiative hin zweimal eine Kostenzusage für eine stationäre Suchtentwöhnungsbehandlung erlangte, diese jedoch während der Untersuchungshaft nicht antreten konnte, dennoch auch weiterhin an einer Vielzahl von Einzel- und Gruppenterminen bei der Drogenberatung teilnahm und – da er auf der Sozialtherapeutischen Station untergebracht war – auch die dortigen Angebote wahrnahm (Bl. 144 RS).
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Trotz der Therapiemotivation, seiner Eigeninitiative und der regelmäßigen Teilnahme an Drogenberatungsgesprächen in der Untersuchungshaft beging der Verurteilte am 29.03.2022 Gewalt- und Aggressionstaten unter erheblichem Alkoholeinfluss. Soweit das Amtsgericht München im Urteil vom 14.02.2023 hervorhebt, der Verurteilte habe sich in eine Drogenberatung begeben und diese abgeschlossen, fehlen hierzu konkrete Feststellungen zu Art, Zeitpunkt, Dauer und Erfolg dieser Drogenberatungsgespräche. Das Landgericht München II hat im Urteil vom 15.12.2022 derartige Feststellungen zu Drogenberatungsgesprächen, die der Verurteilte nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft am 09.10.2020 durchgeführt habe, gerade nicht getroffen. Gemäß dem Protokoll vom 14.02.2023 gab der Verurteilte in der Hauptverhandlung an, er habe eine Beratungsstelle – eine Drogenberatung – aufgesucht, seither trinke er keinen Alkohol und nehme nichts mehr. Alkoholprobleme habe er gar nicht mehr, er habe zwar mal was getrunken, aber ganz normal. Der Verteidiger ergänzte, die Drogenberatung habe bei einer Frau M. stattgefunden, nur diese könne eine Bestätigung ausstellen, sie sei aber derzeit nicht zu erreichen (S. 7 d. Protokolls).
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Unter Würdigung aller Umstände hat der Senat berechtigte Zweifel, dass der Verurteilte künftig dauerhaft keinen Alkohol mehr trinken wird. Schon nach seiner eigenen Einlassung trinkt er gelegentlich Alkohol („ganz normal“). Die Externe Drogenberatung der Caritas regte im Februar 2020 eine stationäre Suchtentwöhnungstherapie an. Eine solche absolvierte der Verurteilte schon nach seinem eigenen Vortrag nicht. Es erscheint insoweit nicht wahrscheinlich, dass er willens und in der Lage ist, künftig dauerhaft abstinent zu bleiben. Es besteht daher die nicht unerhebliche Gefahr, dass der Verurteilte künftig – etwa in krisenhaften Situationen – unter Alkoholeinfluss impulsiv und leicht reizbar erneut Gewalt- und Aggressionstaten begehen wird.
42
(3) Auch soweit das Amtsgericht München – ohne jedwede Bestätigung einer Beratungsstelle oder sonstige konkrete Feststellungen – anführt, während der Drogenberatung seien weitere persönliche Problembereiche des Verurteilten aufgearbeitet worden, kann dies eine positive Legalprognose nicht begründen.
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Gemäß der Stellungnahme der JVA K. vom 27.03.2018 wurde der Verurteilte am 11.11.2016 in der Sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter aufgenommen und nahm dort motiviert und diskussionsfreudig am gesamten Behandlungsprogramm teil. Es sei ihm zunächst in den wöchentlichen Einzelgesprächen gelungen, persönliche Einstellungen und Lebensereignisse zu reflektieren und sowohl Verhaltensalternativen zu entwickeln als auch seine emotionalen Kompetenzen zu erweitern. Im März 2018 habe er engagiert an der deliktspezifischen Gruppe teilgenommen, in der spezielle Lebensumstände wie auch persönliche Defizite erarbeitet worden seien, die schließlich zu Straftaten führten. Im Anschluss daran sei beabsichtigt gewesen, mit ihm im Gruppensetting konkrete Strategien einer individuellen Rückfallprävention zu entwickeln (Bl. 9/11).
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Auch während der Untersuchungshaft in den Jahren 2019/2020 nahm der Verurteilte die Angebote der Sozialtherapeutischen Station, auf der er untergebracht war, wahr (Bl. 144 RS).
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Obwohl der Verurteilte während seiner letzten Strafhaft in der JVA K. über rund zwei Jahre an einer Sozialtherapie für Gewaltstraftäter teilgenommen und sich dort hochmotiviert gezeigt hatte, verübte er nur knapp fünf Monate nach seiner Entlassung am 15.02.2019 eine einschlägige Gewalttat. Auch die Wahrnehmung von Angeboten der Sozialtherapeutischen Station während der Untersuchungshaft in den Jahren 2019/2020 führte zu keinem nachhaltigen Erfolg. Wiederum nur rund fünf Monate nach seiner Entlassung beging er am 20.03.2021 die nächste Gewalttat. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass durch eine etwaige Aufarbeitung weiterer persönlicher Problembereiche des Verurteilten während der Drogenberatungsgespräche nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft das Rückfallrisiko signifikant reduziert wurde.
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(4) Schließlich lässt auch das Geständnis des Verurteilten in der Hauptverhandlung vom 14.02.2023 nicht auf ein Umdenken beim Verurteilten und eine künftige Straffreiheit hoffen. Der Verurteilte war in seinen früheren Strafverfahren ebenfalls weitgehend geständig (Teilgeständnis hinsichtlich der Taten vom 05.09.2016, S. 5 d. Urteils vom 01.04.2016; Geständnis hinsichtlich der Gewalttat vom 15.02.2019, S. 26 d. Urteils vom 03.03.2020, Bl. 87 RS). Gleichwohl wurde er jeweils alsbald nach seinen Haftentlassungen wieder einschlägig straffällig.
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cc) Unter nochmaliger Würdigung aller Umstände, insbesondere der völligen Unbeeindrucktheit des Verurteilten von früherer Untersuchungs- bzw. Strafhaft, des krassen und wiederholten einschlägigen Bewährungsversagens, der enormen Rückfallgeschwindigkeit und der nicht erkennbaren nachhaltigen Änderung der Lebensführung des Verurteilten kommen mildere Maßnahmen nach § 56f Abs. 2 StGB nicht in Betracht.
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d) Dem Bewährungswiderruf vom 13.04.2023 steht nicht entgegen, dass dieser erst sieben Monate nach Ablauf der Bewährungszeit am 17.09.2022 erfolgt ist.
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Der Widerruf ist grundsätzlich auch nach Ablauf der Bewährungszeit zulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verurteilte mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte. Der dafür maßgebliche Zeitpunkt lässt sich nicht allgemein festlegen; es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Maßgebend ist, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte oder ob das Verfahren ungebührlich verzögert wurde. Die Vertrauensbildung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft berücksichtigen muss (KG, Beschluss vom 22.01.2014 – 2 Ws 17/14 – 141 AR 13/14, BeckRS 2014, 13287; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 57. Ed. 1.5.2023, StGB § 56f Rn. 24).
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Danach musste der Verurteilte jedenfalls noch im ersten Halbjahr 2023 mit dem Bewährungswiderruf rechnen. Zwar ist davon auszugehen, dass der Verurteilte den an seinen früheren Wohnsitz in der … Str. … zugestellten Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 24.08.2022, mit dem die Entscheidung über den Erlass des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe bis zum Abschluss des Verfahrens 813 Ds 276 Js 127711/22 zurückgestellt wurde, nicht erhalten hat. Dies hatte jedoch in erster Linie der Verurteilte zu verantworten, da er entgegen der Bewährungsweisung seinen Wohnsitzwechsel zum 01.07.2022 der Strafvollstreckungskammer nicht mitgeteilt hatte. Im Übrigen musste der Verurteilte im Hinblick auf die beiden anhängigen Strafverfahren vor dem Landgericht München II und dem Amtsgericht München mit dem Bewährungswiderruf bis zum rechtskräftigen Abschluss zumindest eines der beiden Verfahren rechnen. In den Hauptverhandlungen vom 15.12.2022 und 14.02.2023 wurde der jeweils aktuelle Bundeszentralregisterauszug verlesen. Da zu diesen Zeitpunkten – trotz des Ablaufs der Bewährungszeit am 17.09.2022 – die Reststrafe noch nicht erlassen war, musste der anwaltlich vertretene Verurteilte auch nach dem 14.02.2023 mit einem Bewährungswiderruf rechnen, zumal das einschlägige Bewährungsversagen in den jeweiligen Hauptverhandlungen sowie in den Urteilen vom 15.12.2022 (Bl. 147/148) und 14.02.2023 (S. 7) erörtert worden war. Das rechtskräftige Urteil des Landgerichts München II vom 15.12.2022 ging nach dessen Absetzung zeitnah am 24.02.2023 bei der Strafvollstreckungskammer ein (Bl. 139). Nach Antragstellung der Staatsanwaltschaft München I am 06.03.2023 und (versuchter) schriftlicher Anhörung des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer ohne Verzögerung mit Beschluss vom 13.04.2023 die Bewährung widerrufen. Der Verurteilte erlangte hiervon mit der Ladung zum Strafantritt vom 23.05.2023 Kenntnis.
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Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung kommt es insoweit nicht darauf an, dass der Schuldspruch des Urteils der 2. Strafkammer des Landgerichts München II vom 09.11.2021 im Verfahren 44 Js 6774/19 wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte mit vorsätzlicher Körperverletzung bereits mit Ablauf des 22.03.2022 rechtskräftig war. Denn mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22.03.2022 wurde auf die Revision des Verurteilten das Urteil vom 09.11.2021 im Strafausspruch – die 2. Strafkammer hatte den Verurteilten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 1 Jahr 9 Monaten verurteilt – aufgehoben und die weitergehende Revision als unbegründet verworfen (BGH, Beschluss vom 22.03.2022 – 1 StR 62/22, BeckRS 2022, 756). Da der Strafausspruch – die Höhe der Freiheitsstrafe und eine etwaige Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 StGB – nach dem 22.03.2022 gerade noch nicht feststand, musste der Verurteilte davon ausgehen, dass die Strafvollstreckungskammer den rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens abwartet und eine Entscheidung über den Widerruf der Vollstreckung der Reststrafe erst im Anschluss daran trifft.
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Hinzu kommt, dass der Verurteilte am 29.03.2022 – nur wenige Tage nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.03.2022 – erneut einschlägig in Erscheinung getreten ist, die Staatsanwaltschaft München I insoweit unter dem 08.07.2022 Anklage erhoben hat (Bl. 131/135) und das Amtsgericht München die Anklageschrift mit Eröffnungsbeschluss vom 17.10.2022 zur Hauptverhandlung zugelassen hat (S. 2 d. Protokolls vom 14.02.2023). Schon deshalb musste der Verurteilte nach Ablauf der Bewährungszeit am 17.09.2022 noch mit einem Bewährungswiderruf rechnen.
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e) Soweit der Verurteilte vor Erlass des Beschlusses vom 13.04.2023 entgegen § 453 Abs. 1 Satz 2 StPO zum Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft aufgrund der fehlerhaften Zuleitung an die frühere Wohnanschrift nicht wirksam angehört worden war, wurde dieser Anhörungsmangel im Beschwerdeverfahren geheilt (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, Einl. Rn. 34, § 33 StPO Rn. 18, jeweils mwN).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.