Titel:
Anspruch des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster auf Ersatz des Differenzschadens
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Ein Thermofenster, welches bereits oberhalb von 12 °C zu einer Reduzierung der Wirksamkeit der Emissionsstrategie führt, war auch nach den Maßstäben des KBA zu keiner Zeit genehmigungsfähig. Da die Ausgestaltung des Thermofensters im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Typgenehmigung nicht offen gelegt werden musste, die konkrete Kenntnis des KBA aber Voraussetzung für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum ist, kann sich die Fahrzeugherstellerin insoweit nicht auf eine Genehmigungspraxis des KBA berufen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EG-Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Thermofenster, umfasste Temperaturzonen, Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 08.04.2022 – 31 O 3306/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 32990
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2022, Gz. 31 O 3306/21 Die, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.504,01 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.01.2022 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger 65% und die Beklagte 35%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.681,06 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatz wegen des Kaufs eines Dieselfahrzeugs geltend.
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Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Der Kläger erwarb am 11.10.2012 von der Autozentrum N. GmbH, einen von der Beklagten hergestellten Audi Q5 3.0 TDI Quattro, als Neufahrzeug zum Kaufpreis von 65.040,09 € brutto. Das am 18.10.2012 erstzugelassene Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten entwickelten und hergestellten V-TDI-Dieselmotor mit der Abgasnorm Euro 5. In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs abgeschaltet beziehungsweise reduziert wird (sogenanntes Thermofenster).
Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert kein Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA).
Im Rahmen einer freiwilligen Service-Maßnahme der Beklagten wurde am 13.05.2020 ein Software-Update zur Aufweitung der temperaturabhängigen Abgasrückführung durchgeführt.
Der Kilometerstand betrug am 24.09.2023 129.457 km.
2. Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 46.877,64 nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, zu bezahlen und hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte für die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultierenden Schäden dem Kläger gegenüber ersatzpflichtig sei, die Beklagte sich im Annahmeverzug befinde und dass der Schadenersatzanspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrühre. Weiter begehrte der Kläger von der Beklagten die Freistellung von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 3.196,34 €.
3. Das Landgericht Ingolstadt hat mit Endurteil vom 08.04.2022 die Klage mit der Begründung abgewiesen, die unter Mitwirkung des KBA veranlasste, freiwillige Servicemaßnahme „Software-Update-Dieselmotoren“ biete keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass geltende Normen zur Schadstoffemission unter Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen verletzt worden wären. Das im Fahrzeug integrierte Thermofenster vermöge mangels sittenwidriger Handlung der Beklagten einen Anspruch nach § 826 BGB nicht zu begründen.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er hat zunächst den Anspruch aus §§ 826, 31 BGB wegen des Einsatzes eines sog. Thermofensters weiterverfolgt. In die Motorsteuerungssoftware sei ein Thermofenster integriert, das eine vollständige Leistung des Emissionskontrollsystems nur zwischen 15 °C und 33 °C und unterhalb von 1.000 Metern gewährleiste. Außerhalb dieses Temperaturbereichs werde die Abgasreinigung erheblich reduziert bzw. komplett zurückgefahren, so dass sie in Deutschland bei normalen Nutzungsbedingungen in der Regel nicht funktioniere. Dabei handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Motorschutzgründe könnten der Beklagten offensichtlich nicht als Rechtfertigung dienen. Der Kläger habe das Fahrzeug in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware erworben. Dies hätte er nicht getan, hätte er gewusst, dass das Fahrzeug zwar formell über eine Typgenehmigung verfügte, diese aber nicht hätte erhalten dürfen und daher Maßnahmen bis zur Stilllegung drohten.
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Nunmehr richtet sich sein Begehren in der Berufungsinstanz auf den Differenzschaden gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 27 Abs. 1, 6 Abs. 1 EG-FGV. Aufgrund der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung habe im Zeitpunkt des Kaufs keine ordnungsgemäße Übereinstimmungserklärung vorgelegen. Der Beklagten sei insoweit auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum könne sie sich bei einer Abschalteinrichtung, die die meiste Zeit des Jahres aktiv sei, nicht berufen.
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Der Differenzschaden belaufe sich auf 10% des Brutto-Kaufpreises. Um diesen Betrag habe der Kläger das Fahrzeug zu teuer erworben. Die Nutzungsvorteile, die sich auf 27.458,63 € (Basis 300.000 km) beliefen und der Restwert über 11.400,00 € überstiegen den um den Differenzschaden geminderten Kaufpreis nicht. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei eine 2,0 Geschäftsgebühr angemessen.
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Der Kläger hat zunächst beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 40.681,06 € nebst Zinsen seit 05.09.2019 zu verurteilen, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren, Schadenersatz zu zahlen. Weiter beantragte der Kläger festzustellen, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet und dass dieser Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt. Ferner begehrte er, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 3.196,34 freizustellen.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
- 1.
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs der Marke Audi mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …651 dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens EUR 6.504,01 betragen muss, zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
- 2.
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die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 3.196,34 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts. Bei dem Thermofenster handele es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, sondern um einen in allen Dieselfahrzeugen integrierten Industriestandard. Im streitgegenständlichen Fahrzeug setze nach Durchführung des angebotenen Software-Updates am 13.05.2020 die Wirkung des Thermofensters erst bei einer Umgebungstemperatur noch unterhalb von 12 °C und damit unterhalb der durchschnittlichen Umgebungstemperatur im Unionsgebiet ein. Ein solches Thermofenster sei regulatorisch zulässig, wenn es dazu diene, plötzliche und unvorhersehbare Motorschäden zu vermeiden und einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Diese Anforderungen erfülle das Thermofenster im streitgegenständlichen Fahrzeug, da es vor Verlackung und Versottung des Abgasrückführungs-Ventils, vor einem Durchbrand des Dieselpartikelfilters und vor daraus folgenden Motorschäden schütze. Der Einsatz eines Thermofensters aus Motorschutzgründen sei dem KBA auch bekannt und von diesem gebilligt worden. Eine Nutzungseinschränkung des Fahrzeugs infolge des Einsatzes eines Thermofensters drohe nicht. Die Beklagte bestreitet die Kausalität einer angeblichen deliktischen Handlung der Beklagten für den Abschluss des Vertrages. Im Übrigen sei ein etwaiger Differenzschaden des Klägers bereits mangels Schadens nicht gegeben. Die Restwertentwicklung der V-TDI-Fahrzeuge, die bereits Gegenstand gutachterlicher Überprüfung gewesen sei, belege, dass sich dort keine Auswirkungen auf den Kaufpreis gezeigt hätten. Eine Schadenschätzung nach § 287 ZPO wäre eine unzulässige, vorweggenommene Beweiswürdigung. Selbst wenn man sie zuließe, müssten der Vortrag und das Beweisangebot der Beklagten zum fehlenden Schaden Gehör finden. Überdies sei der Beklagten kein Verschulden vorzuwerfen, weil die Beklagte wegen der Einhaltung des jeweils geltenden Stands der Technik und wegen der Verwaltungspraxis des Kraftfahrtbundesamts nicht habe erkennen können, dass die Übereinstimmungsbescheinigung in Bezug auf das Thermofenster unrichtig sein könnte.
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Ein unterstellter Differenzschaden des Klägers wäre jedenfalls im Rahmen des Vorteilsausgleichs entfallen. Das durchgeführte Software-Update lasse einen Schaden komplett entfallen. Der Restwert des Fahrzeugs sowie eine Nutzungsentschädigung, ausgehend vom Brutto-Kaufpreis und auf der Basis einer Gesamtlaufleistung von 120.000 km für 10 Jahre Gesamtnutzungsdauer, seien mit insgesamt 86.092,97 € anzurechnen.
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4. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Klägers als Partei in der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2023. Umfassende rechtliche Hinweise ergingen mit Beschluss zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2023.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Hinweisbeschluss vom 11.08.2023, hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 08.11.2023 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
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Einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts bedarf es vorliegend nicht, da nach der Klageänderung ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Senats mangels Überschreitung einer Beschwer in Höhe von 20.000,00 € (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) unzweifelhaft nicht zulässig ist (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO).
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Die zulässige Berufung erweist sich nach der Antragsumstellung als überwiegend begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV in Höhe von 6.504,01 €, weil er durch den Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug wegen eines Verstoßes der Beklagten als Fahrzeughersteller gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat.
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1. Die Umstellung von dem „großen Schadensersatz“ auf den Differenzschaden durch Schriftsatz der Klägervertreter vom 01.09.2023 erweist sich als auch in der 2. Instanz stets zulässige Klageänderung nach §§ 525 S. 1, 264 Nr. 2 ZPO, denn dem vom Kläger in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten „großen Schadensersatz“ einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 45). Wechselt der Kläger nur die Art der Schadensberechnung, ohne seinen Antrag auf einen abgewandelten Lebenssachverhalt zu stützen, liegt keine Klageänderung i. S. d. § 263 ZPO vor (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2015, XI ZR 536/14, juris Rdnr. 33).
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2. Die Beklagte hat eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt.
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a) Unzutreffend ist eine Übereinstimmungsbescheinigung, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, weil die Bescheinigung dann eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ausweist. Auf den Inhalt der zugrundeliegenden EG-Typgenehmigung kommt es dabei nicht an, weil sich die Tatbestandswirkung nicht über eine seitens der befassten Genehmigungsbehörde getroffene Feststellung der Rechtmäßigkeit des zur Beurteilung unterbreiteten Fahrzeugtyps hinaus erstrecken kann. Die Übereinstimmungsbescheinigung weist hingegen gemäß der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH (Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit dem genehmigten Typ aus, sondern auch die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit allen Rechtsakten, also auch mit Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweist nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die aber im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 34; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 26 f.).
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Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 verbietet grundsätzlich die Verwendung von Abschalteinrichtungen.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein sogenanntes Thermofenster appliziert, das jedenfalls dazu führt, dass in Abhängigkeit der Umgebungstemperatur die AGR-Rate moduliert und damit im Wirksamkeitsbereich des Thermofensters die Abgasreinigung reduziert wird. Das sog. Thermofenster unterfällt auch nach der von der Beklagten beschriebenen Funktionsweise Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007. Danach ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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Zwar trägt grundsätzlich die Klagepartei für die Existenz der behaupteten Abschalteinrichtung die Darlegungs- und Beweislast. Soweit jedoch, wie hier, die Existenz der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters an sich unstreitig ist, hat die Beklagte vorzutragen und zu beweisen, dass diese ausnahmsweise zulässig ist (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 53 f, beck-online). Vor diesem Hintergrund obliegt es der Beklagten, konkret zur Ausgestaltung des sog. Thermofensters vorzutragen. Seiner Darlegungs- und Beweislast genügt der Fahrzeughersteller nicht, wenn er pauschal vorbringt, in dem Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut oder die tatsächliche Funktionsweise des Thermofensters entspreche nicht den Behauptungen der Klagepartei. Denn damit lässt er offen, ob die behauptete Abschalteinrichtung vorhanden ist und beschränkt sich auf eine ohne weiteres nicht überprüfbare rechtliche Würdigung in Bezug auf Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, Rdnr. 54, juris).
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Die Klagepartei behauptet, die Abgasreinigung sei lediglich in einem Temperaturbereich von + 15 °C bis + 33 ° C aktiv. Die Beklagte bestreitet dies, hat aber trotz entsprechender Hinweise des Senats (vgl. Hinweisbeschluss vom 11.08.2023) zur Bedatung des streitgegenständlichen Thermofensters lediglich vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug nach Durchführung des angebotenen Software-Updates am 13.05.2020 die Wirkung des Thermofensters erst bei einer Umgebungstemperatur unterhalb von 12 °C und damit unterhalb der durchschnittlichen Umgebungstemperatur im Unionsgebiet einsetze. Weder wird ein hinreichend konkreter Temperaturbereich vorgetragen noch die genaue Funktionsweise der Steuerung der AGR-Rate außerhalb dieses bedateten Temperaturbereichs dargestellt. Es fehlen auch jegliche Angaben zur Bedatung des Thermofensters vor Durchführung des Software-Updates im Zeitpunkt des Kaufvertrages, welcher hier maßgebend für die Frage des Schadenseintritts ist. Damit gilt die Behauptung der Klagepartei als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO. Im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 08.11.2023 hat die Beklagte nunmehr ausdrücklich zugestanden, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der ursprünglichen Typgenehmigung ein Thermofenster aufwies, welches in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur eine Veränderung der AGR-Rate bereits bei einer Temperatur vornimmt, die oberhalb von 12 °C liegt.
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Auf eine Kompensation der verminderten Wirksamkeit durch andere Abgasreinigungssysteme hat sich die Beklagte nicht berufen. Damit ist eine durchgehende Wirksamkeit der Emissionskontrolle unter normalen Betriebsbedingungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht gewährleistet. Normale Betriebsbedingungen schließen lediglich seltene, außergewöhnliche Fahr- und Umgebungssituationen wie extreme Kälte oder Hitze, große Höhe etc. aus. Die Durchschnittstemperatur in Mitteleuropa ist in diesem Zusammenhang irrelevant.
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b) Auf eine Ausnahme gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 kann sich die Beklagte nicht berufen. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung aus Gründen des Motorschutzes liegen nicht vor.
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Die Ausnahmen gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 sind grundsätzlich eng auszulegen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21. Rdnr. 60 – beck-online), also auch der Rechtfertigungsgrund des Motorschutzes. Allein auf die Schonung von Anbauteilen kann sich die Beklagte dabei nicht berufen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128-20 Rn. 70).
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Die Beklagte behauptet, außerhalb des bedateten Temperaturbereichs bestehe das Risiko plötzlicher und außergewöhnlicher Motorschäden sowie eines nicht sicheren Fahrbetriebs, das jeweils nicht durch Wartung verhindert werden könne. Mit diesem Argument kann eine Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nicht gerechtfertigt werden. Zum einen zeigt die spätere Aufweitung des Thermofensters im Wege des Software-Updates, dass Alternativen möglich sind. Zum anderen greift hier die Kontrollüberlegung des EUGH (Urteil vom 14.07.2022, Rs. C-134/20, Rdnr. 75 – juris), wonach eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet wäre, offensichtlich dem mit der VO (EG) Nr. 715/2007 verfolgten Ziel zuwiderliefe. Hierbei handelt es sich nicht etwa um eine weitere Anforderung, welche vor der Entscheidung des EuGH unbekannt gewesen wäre, sondern um ein Kriterium zur Auslegung der Motorschutzausnahme gemäß Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 VO (EG) 715/2007. Es liegt dabei auf der Hand, dass eine Abschalteinrichtung nicht unter dem Gesichtspunkt des Motorschutzes zulässig sein kann, wenn sie im Jahr überwiegend aktiv ist. Aus dieser Überlegung kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, der Motorschutz rechtfertige die Abschalteinrichtung stets, wenn er nicht die überwiegende Zeit des Jahres aktiv ist. Es verbleibt vielmehr bei dem Grundsatz aus Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007, wonach die Abgasreinigung unter normalen Fahrbedingungen wirksam sein muss. Im Übrigen kann nicht auf die Durchschnittstemperatur in Europa abgestellt werden, da sich auf diese Weise höhere Temperaturen in Südeuropa und niedrigere Temperaturen in Nordeuropa ausgleichen. Maßgeblich wäre allenfalls ein Perzentil, welches die unterschiedlichen Klimazonen berücksichtigt.
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3. Die Beklagte hat bei der Inverkehrgabe der Übereinstimmungsbescheinigung zumindest fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt.
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a) Gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung für die Haftung. Der subjektive Tatbestand des Schutzgesetzes ist auch für die Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB maßgebend. § 37 Abs. 1 EG-FGV sanktioniert sowohl den vorsätzlichen als auch den fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 38; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 30).
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Zwar trifft hinsichtlich des Verschuldens als anspruchsbegründende Voraussetzung gemäß § 823 Abs. 2 BGB gewöhnlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung. Dementsprechend muss der Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV verletzt hat, Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 59).
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b) Das setzt zunächst die Darlegung und erforderlichenfalls den Nachweis eines Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 = WM 2023, 1514 = NJW 2023, 2259 Rdn. 63). Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 a.a.O. Rdn. 62) im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2018 = BGHZ 220, 162 = WM 2019, 265 Rdn. 17 ff.). Eine Entlastung scheitert insbesondere dann, wenn sich der Hersteller mit Rücksicht auf eine nicht in seinem Sinn geklärte Rechtslage erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 a.a.O. Rdn. 69). Eine Entlastung ohne Rücksicht auf die aus den vorstehenden Erwägungen folgenden Sorgfaltspflichten, etwa mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass nach den vorgelegten Auskunftsschreiben des KBA auch nach umfangreichen Untersuchungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen durch das KBA festgestellt worden seien, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 a.a.O. Rdn. 70). Im Hinblick auf die Annahme eines rechtlichen Grenzbereichs ist auch zu berücksichtigen, dass die Bedeutung der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht höchstrichterlich und insbesondere nicht durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt war (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, 2066).
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Die Beklagte hat erst im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 08.11.2023 unter Vorlage eines Organigramms die Behauptung aufgestellt, alle Experten der Organisationseinheiten Technische Entwicklung bei der Beklagten, welche für die Einhaltung der regulatorischen Vorschriften bei den jeweiligen Entwicklungsschritten selbständig und eigenverantwortlich zuständig gewesen seien, seien einem Irrtum über die Zulässigkeit unterlegen. Dies sei der Beklagten zuzurechnen. Dieser neue Vortrag gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Es reicht nicht aus, ohne Namensnennung auf die Mitarbeiter der technischen Abteilungen Bezug zu nehmen, da maßgeblich das Vorstellungsbild der Vorstandsmitglieder und diesen als Repräsentanten gleichgestellten Personen abzustellen ist. Diese haben die Einhaltung der regulatorischen Vorschriften durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen.
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Ein – weiterer – Hinweis hierzu war nicht zu erteilen. Der Senat hat den Parteien durch die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung mit Beschluss vom 11.08.2023 unter Hinweis auf die Darlegungs- und Beweislast zum Verbotsirrtum Gelegenheit gegeben, auf die Entscheidungen des BGH vom 26.06.2023 zu reagieren und hierzu am 25.09.2023 mündlich verhandelt. Im Urteil des BGH vom 25.09.2023 VIa ZR 1/23, Rn. 17 wiederum wird auf ältere Rechtsprechung Bezug genommen. Soweit sich die Beklagte zu dem neuen Vortrag im Schriftsatz vom 08.11.2023 veranlasst sah, war sie gehalten, ohne weitere Hilfestellung des Gerichts umfassend und vollständig nach den Erfordernissen der Rechtsprechung vorzutragen.
33
c) Schließlich lässt sich aus dem insoweit zu unterstellenden Vortrag der Beklagten nicht auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum schließen. Ein Thermofenster, welches bereits oberhalb von 12 °C zu einer Reduzierung der Wirksamkeit der Emissionsstrategie führt, war auch nach den Maßstäben des KBA zu keiner Zeit genehmigungsfähig. Da die Ausgestaltung des Thermofensters im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Typgenehmigung nicht offen gelegt werden musste, die konkrete Kenntnis des KBA aber Voraussetzung für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Iva ZR 335/22, Rn. 66), kann sich die Beklagte insoweit nicht auf eine Genehmigungspraxis des KBA berufen. Konkrete Entscheidungen, wonach das KBA ein identisches oder jedenfalls vergleichbares Thermofenster in Kenntnis aller Umstände zu einem späteren Zeitpunkt genehmigt hat, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Vielmehr räumt die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 08.11.2023 ein, dass das KBA mittlerweile bei dem hier streitgegenständlichen Motor-Typ das vor dem Software-Update implementierte Thermofenster, bei welchem die Abrampung der umgebungslufttemperaturabhängigen Abgasrückführung oberhalb von 12 °C Umgebungstemperatur beginnt, im Rahmen eines förmlichen Verwaltungsverfahrens als unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt hat. Soweit die Beklagte insofern darauf abstellt, dass sich die Rechtslage und die Prüfungskriterien des KBA nach der Entscheidung des EuGH vom 14.07.2022 wesentlich geändert haben, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Für eine solche Änderung der Genehmigungspraxis bringt die Beklagte keine Belege. Daher war das Verfahren auch insoweit nicht wieder zu eröffnen, etwa um die gerichtsbekannte und gemäß § 292 ZPO offenkundige Stellungnahme des KBA zum EuGH-Urteil vom 14.07.2022 einzuführen, worin betont wird, das KBA habe bei seinen Einzelfallprüfungen bereits vor dieser Entscheidung die nunmehr im Urteil des EuGH vertretenen Kriterien zur Unzulässigkeit von temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen für Außentemperaturen zwischen 15 °C und 33 °C angewandt und sei je nach verfügbarer Technologie deutlich darüber hinausgegangen (aufgerufen am 09.11.2023 über die Webseite: https://www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/abgasthematik_node.html). Von einer hypothetischen Genehmigung des hier in Rede stehenden Thermofensters vor dem Software-Update kann unter Würdigung auch des neuen Vortrags der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 08.11.2023 nicht ausgegangen werden.
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4. Zur Überzeugung des Senats hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erworben, hätte er von der unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung Kenntnis gehabt.
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a) Zum einen streitet bereits der Erfahrungssatz für den Kläger, nach dem auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 49).
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Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob dem Käufer beim Erwerb des Kraftfahrzeugs die vom Fahrzeughersteller ausgegebene unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegen und ob er von deren Inhalt Kenntnis genommen hat. Erwirbt ein Käufer ein zugelassenes oder zulassungsfähiges Fahrzeug auch zur Nutzung im Straßenverkehr, wird er regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen, zu denen nach § 6 Abs. 3 S. 1 FZV die Übereinstimmungsbescheinigung gehört, vorliegen und dass außerdem keine ihn einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV mit Rücksicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen erfolgen können. Auch ohne Kenntnisnahme der vom Fahrzeughersteller ausgegebenen Übereinstimmungsbescheinigung geht der Käufer typischerweise davon aus, dass der Hersteller für das erworbene Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat und dass diese die gesetzlich vorgesehene Übereinstimmung mit allen maßgebenden Rechtsakten richtig ausweist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 56).
37
b) Darüber hinaus hat der Kläger, vom Senat in der Beweisaufnahme als Partei vernommen, nachvollziehbar bekundet, er hätte das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gekauft, hätte er gewusst, dass es von der Diesel-Problematik betroffen gewesen sei oder es auch nur Zweifel daran gegeben hätte. Die von der Beklagten ins Feld geführten Gesichtspunkte gegen die Anwendbarkeit des oben genannten Erfahrungssatzes können daher dahingestellt bleiben. Der Senat hat sich aufgrund der persönlichen Vernehmung des Klägers als Partei die Überzeugung von der Kausalität zwischen dem Pflichtenverstoß der Beklagten und dem Schaden des Klägers gebildet.
38
5. Der Schutz der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erstreckt sich nicht auf das Interesse des Klägers, nicht an dem Kaufvertrag über das Fahrzeug festgehalten zu werden. Vielmehr hat ihm die Beklagte lediglich einen sog. Differenzschaden in Höhe von 6.504,01 € zu erstatten.
39
a) Das Unionsrecht verlangt nicht, den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Diese Rechtsprechung trägt dem unterschiedlichen Unwertgehalt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung einerseits und einer schuldhaften Schutzgesetzverletzung andererseits Rechnung. Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 schützen (lediglich) das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 19 ff.; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 20).
40
b) Dem Kläger ist ein Vermögensschaden entstanden, der auf der Verringerung des objektiven Werts des von ihm erworbenen Fahrzeugs infolge der Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung beruht.
41
aa) Das Bestehen eines Schadens ist nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Ein Vermögensschaden des Käufers im Sinne der Differenzhypothese liegt vor, wenn der Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt bzw. der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt. Der Geschädigte wird durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens so behandelt, als wäre es ihm in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden liegt daher in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat. Insofern unterscheidet sich der Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht von dem unter den Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB zu gewährenden „kleinen“ Schadensersatz (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 40).
42
Festgemacht hat der Bundesgerichtshof diese Wertdifferenz daran, dass die zweckentsprechende Nutzung eines Fahrzeugs, das dem Gebrauch als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr diene, durch drohende Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung infolge unzulässiger Abschalteinrichtungen in Frage stehe. Die damit einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Kraftfahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setze den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liege (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 41; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 31).
43
bb) Die Einwendungen der Beklagten im Hinblick auf die Tatsache, dass das streitgegenständliche Thermofenster bislang durch das KBA ohne Beanstandung geblieben und deshalb gar kein Schaden entstanden sei, greifen nicht durch. Im Fahrzeug des Klägers war – wie bereits dargestellt – eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die die Gefahr einer nachträglichen Anordnung von Nebenbestimmungen oder gar einer Stilllegung durch das KBA beinhaltet. Diese Gefahr war bereits im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses angelegt, der für die Schadensentstehung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 42). Gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV kann das Kraftfahrtbundesamt die Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen oder zurücknehmen, insbesondere wenn festgestellt wird, dass Fahrzeuge mit einer Übereinstimmungsbescheinigung oder selbstständige technische Einheiten oder Bauteile mit einer vorgeschriebenen Kennzeichnung nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmen (Nr. 1), dass von Fahrzeugen, selbstständigen technischen Einheiten oder Bauteilen ein erhebliches Risiko für die Verkehrssicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt ausgeht (Nr. 2), dass der Hersteller nicht über ein wirksames System der Überwachung der Übereinstimmung der Produktion verfügt oder dieses System nicht in der vorgesehenen Weise anwendet (Nr. 3) oder dass der Inhaber der Typgenehmigung gegen die mit der Typgenehmigung verbundenen Auflagen verstößt (Nr. 4).
44
Da sich der Schaden nach der uneingeschränkten Nutzbarkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr für den Käufer wie auch für Dritte definiert, welcher Geldwert zukommt, reicht die Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007, Ziffern 2.16, 5.1.2.1 der UNECE-Regelung Nr. 83 aus, um den objektiven Wert des betroffenen Fahrzeugs im Vergleich zu einem Fahrzeug der gleichen Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung zu mindern.
45
c) Bezüglich der Schätzung des Differenzschadens in den Fällen des Vertrauens eines Käufers auf die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung bei Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs hat der Bundesgerichtshof Vorgaben des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) für die Anwendung des nationalen Rechts sowohl in Bezug auf die Untergrenze als auch auf die Obergrenze des nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu gewährenden Schadensersatzes gesehen, die das Schätzungsermessen innerhalb einer Bandbreite zwischen 5% und 15% des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzen. Maßgebliche Faktoren für die Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind unter anderem die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, der Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände, das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 73 ff.; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 34).
46
Der Differenzschaden unterliegt dem Schätzermessen nach § 287 ZPO. Nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung über die Schadenshöhe. Die Entstehung des Schadens dem Grunde nach folgt hier aus dem Umstand, dass der geldwerte jederzeitige Gebrauch des Fahrzeugs infolge des Risikos einer behördlichen Anordnung beeinträchtigt ist. Die Schätzung erfolgt auf der Grundlage von Anknüpfungstatsachen unter Würdigung des Vortrags der Parteien. Die Entwicklung des Marktes für gebrauchte Dieselfahrzeuge ist dagegen keine Anknüpfungstatsache, da es hierauf nicht ankommt. Folglich war hierzu auch kein Beweis zu erheben (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 79). Daher geht auch der Einwand, eine Rechtsprechung im Anschluss an die Vorgaben des BGH verletze das rechtliche Gehör, ins Leere.
47
d) Der Senat legt seiner Entscheidung einen Differenzschaden in Höhe von 10% des Kaufpreises zugrunde. Unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Bemessungskriterien erfolgt diese Schätzung ausgehend von der unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines sog. Thermofensters. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH Urteil vom 14.07.2022, C-128-20) erscheint damit das Risiko von behördlichen Auflagen nicht fernliegend, wenngleich eine unmittelbare Stilllegung nicht zu erwarten war. Unter Würdigung des konkreten Pflichtenverstoßes, des Grades des Verschuldens sowie aller Umstände des Einzelfalles erscheint ein Differenzschaden von 10% angemessen.
48
6. Nutzungsvorteil, Restwert und Software-Update sind hingegen nicht vorteilsausgleichend zu berücksichtigen, weil sie in der Summe den Kaufpreis abzüglich des Differenzschadens nicht übersteigen.
49
a) Der Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV unterliegt der Vorteilsausgleichung (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, juris Rdnr. 12).
50
Es können daher nach den im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen sein, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Allerdings sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d. h. bei denen dem Geschädigten die Anrechnung zumutbar ist und die den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 17 f.; BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, MDR 2021, 1261, juris Rdnr. 28; BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041, juris Rdnr. 23).
51
Die Voraussetzungen für eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände hat der Fahrzeughersteller darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80). Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594, juris Rdnr. 29; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 23). Die Bemessung der Höhe der anzurechnenden Vorteile ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, juris Rdnr. 12).
52
b) Der Nutzungsvorteil aus dem Gebrauch des Fahrzeugs beträgt 33.679,58 €.
53
aa) Der Senat schätzt den Nutzungsvorteil gemäß § 287 ZPO grundsätzlich unter Zugrundelegung der linearen Formel „Kaufpreis multipliziert mit der seit Erwerb gefahrenen Strecke geteilt durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796, juris Rdnr. 12; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 24; BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, MDR 2021, 1261, juris Rdnr. 33).
54
bb) Für den streitgegenständlichen Audi Q5 3.0 TDI Quattro geht der Senat unter Würdigung aller Umstände von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus, die solche Fahrzeuge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit i. S. d. § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO erreichen werden (vgl. zum Schätzungsermessen BGH, Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534, juris Rdnr. 11; BGH, Urteil vom 27.07.2021, VI ZR 480/19, VersR 2022, 115, juris Rdnr. 23 ff.; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 23).
55
Die Erholung eines Sachverständigengutachtens ist entbehrlich. Der Bundesgerichtshof hat Laufleistungen zwischen 200.000 km und 300.000 km für angemessen erachtet. Dass es vereinzelt Fahrzeuge gibt, die eine geringere oder höhere Laufleistung aufweisen, ändert daran nichts. Die Rechtsprechung stellt bei der Beurteilung der voraussichtlichen Gesamtlaufleistung nicht auf die minimal oder maximal von einzelnen Fahrzeugen des fraglichen Typs erreichte Laufleistung ab, sondern darauf, mit welcher Laufleistung in der Regel zu rechnen ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 82; BGH, Urteil vom 27.04.2021, VI ZR 812/20, NJW-RR 2021, 1388, juris Rdnr. 15 ff.; BGH, Urteil vom 18.05.2021, VI ZR 720/20, NJW-RR 2021, 1386, juris Rdnr. 13; BGH, Beschluss vom 21.07.2021, VII ZR 56/21, juris Rdnr. 1). Der Senat bewegt sich mit seiner Bemessung innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung, und zwar nicht am unteren Rand (vgl. Übersicht bei Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage 2020, Rdnr. 3574).
56
Ausgehend von den Parametern 65.040,09 € (Brutto-Kaufpreis), 0 km (Kilometerstand bei Erwerb), 129.457 km (Kilometerstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung), 250.000 km (Gesamtlaufleistung) ergibt sich für die Nutzungsentschädigung ein Betrag in Höhe von 33.679,58 €.
57
c) Desweiteren ist beim Vorteilsausgleich auch ein Restwert zu berücksichtigen. Zum Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs trägt die Klagepartei ohne weitere Erläuterungen vor, dieser betrage 11.400,00 €, wohingegen die Beklagte unter Vorlage einer DAT-Bewertung vom 07.05.2023 von einem Wert von 15.099,00 € ausgeht. Diesen höheren Restwert unterstellt, wäre keine Vorteilsanrechnung vorzunehmen.
58
Entsprechendes gilt auch für das Aufspielen des Software-Updates, das wie die Nutzungen und der Restwert ein dem Schadensfall zeitlich nachgelagerter Vorteil sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 24.1.2022 – VIa ZR 100/21 – NJW-RR 2022, 1033 Rn. 18, beck-online). Das Software-Update lässt den Schaden als solchen nicht entfallen, da dieser im Zeitpunkt des Kaufes bereits eingetreten ist und spätere Wertverbesserungen nur im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2022 – VIa ZR 371/21 – BeckRS 2022, 41431, Rn. 11).
59
Der Vermögensschaden ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits mit dem Vertragsschluss eingetreten und entfällt nicht für sich genommen durch ein nachträgliches Software-Update. Dieses Plus ist allein beim Vorteilsausgleich heranzuziehen, da es wie der Nutzungsersatz und der Restwert eine Position ist, die dem Kläger aus der Benutzung des Fahrzeugs zugute kommt und die ihn gegenüber der Beklagten als Schädigerin nicht besser stellen soll. Demgegenüber verkennt das Oberlandesgerichts Zweibrücken im Beschluss vom 12.07.2023, 7 U 127/22, juris Rdnr. 16, die vom Bundesgerichtshof aufgestellte Vorgabe, wonach die (nur) mittelbar auf dem schädigenden Ereignis beruhenden Vorteile sich erst dann schadensmindernd auswirken, wenn und soweit sie den um den Differenzschaden verringerten Kaufpreis übersteigen. Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat ausschließlich darauf abgestellt, dass eine Gefahr von Betriebsbeschränkungen aufgrund des in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt entwickelten Software-Updates nicht erkennbar und deswegen auch ein weiterbestehender Differenzschaden nicht ersichtlich sei.
60
d) Auch unter Berücksichtigung eines Vorteils, der in dem Software-Update liegen kann, wird der Schwellenwert für eine Anrechnung des Vorteils nicht erreicht. Dabei kann offen bleiben, ob für die bloße Aufweitung des Thermofensters, ohne vollständige Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung, ein Vorteil angesetzt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 6.7.2021 – VI ZR 40/20 – NJW 2021, 3041 Rn. 24, beck-online). Der Vorteil durch das Software-Update kann jedenfalls nicht größer sein als der Differenzschaden, hier also 10 Prozent des Kaufpreises.
61
e) Die Vorteile übersteigen nach folgender Berechnung den verringerten Kaufpreis nicht:
Tatsächlicher Wert des Fahrzeugs bei Kauf:
Kaufpreis brutto 65.040,09 €
- Differenzschaden 6.504,01 € (10%)
+ Nutzungsvorteil 33.679,58 €
+ Software-Update 6.504,01 €
62
Im Ergebnis kann der Kläger von der Beklagten einen Betrag in Höhe von 6.504,01 € als Differenzschaden verlangen.
63
Ein Anspruch auf Freistellung des Klägers von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung besteht nicht.
64
Es fehlt bereits an hinreichenden Darlegungen und am Nachweis, dass der Kläger seine Prozessbevollmächtigten zunächst nur mit der außergerichtlichen Wahrnehmung seiner Rechte beauftragt hat.
65
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung im Innenverhältnis des Mandanten zum Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (BGH, Urteil vom 24.02.2022, VII ZR 320/21, NJW-RR 2022, 707, juris Rdnr. 24; BGH, Urteil vom 22.06.2021, VI ZR 353/20, NJW-RR 2021, 1070, juris Rdnr. 7).
66
Der Kläger hat erstinstanzlich umfangreiche Ausführungen zur Schwierigkeit der Rechtsangelegenheit und damit lediglich zur Höhe der beantragten 2,0 Geschäftsgebühr gemacht. Es fehlt jedoch sowohl an einem hinreichenden Sachvortrag zur konkreten Auftragserteilung als auch an entsprechenden Beweisangeboten.
67
Der Zinsausspruch folgt aus §§ 291 BGB, 261 ZPO. Da es sich bei der Umstellung von „großem Schadenersatz“ auf den Differenzschadenersatzanspruch nicht um einen neuen Anspruch im Sinne einer Klageerweiterung (§ 264 Nr.2 und Nr.3 ZPO) oder Klageänderung (§ 263 ZPO) handelt (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 261 Rn. 30), sondern nur um eine stets zulässige Klageänderung, die den Klageanspruch nicht quantitativ erhöht (siehe unter Ziff. II.1.), sind Rechtshängigkeitszinsen ab der Zustellung der ursprünglichen Klage zuzusprechen.
68
Die Kostenentscheidung für die erste Instanz beruht auf § 91 Abs. 1 analog, § 92 Abs. 1 ZPO, für die Berufungsinstanz zusätzlich auf § 97 Abs. 1 ZPO. Dadurch, dass der Kläger die Klage und die Berufung zunächst mit einem höheren Streitwert verfolgt hat, hat er Kosten verursacht, die in dieser Höhe nicht entstanden wären, hätte er sogleich lediglich den Differenzschaden geltend gemacht. Aus dem hohen Streitwert sind nämlich neben den Gerichtskosten die Verfahrensgebühren wie auch die Terminsgebühren der Prozessbevollmächtigten angefallen. Andererseits obsiegt der Kläger mit seinem zuletzt gestellten Antrag weit überwiegend, nachdem er das ihm uneingeschränkt zustehende Recht des Wechsels der Schadensberechnung ausgeübt hat.
69
Die kostenrechtliche Behandlung dieser Fallgestaltung ist nicht eindeutig geregelt. Der Senat schließt diese Lücke durch entsprechende Anwendung der Rechtsprechung zur einseitigen Teilerledigterklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 13.07.1988, VIII ZR 289/87, NJW-RR 1988, 1465, juris Rdnr. 4; BGH, Beschluss vom 09.05.1996, VII ZR 143/94, NJW-RR 1996, 1210, juris Rdnr. 5). Der dort zugrundeliegende prozessuale Vorgang ist mit der vorliegenden Situation vergleichbar. Zudem erscheint es nicht angemessen, die vom Kläger ausgelösten Mehrkosten überhaupt nicht zu berücksichtigen. Der Senat hat deshalb – für jede Instanz gesondert – die Mehrkosten, die auf den „erledigten“/„zurückgenommenen“ Teil entfallen, errechnet, zu den Kosten addiert, die der Kläger aufgrund seines Unterliegens in Bezug auf den reduzierten Klageantrag zu tragen hat, und diese in das Verhältnis zu den tatsächlich entstandenen Kosten gesetzt (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.04.2022, 7 W 10/22, NJW-RR 2022, 718, juris Rdnr. 5; Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 81. Auflage 2023, § 92 Rdnr. 53 f.; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 20. Auflage 2023, § 92 Rdnr. 4).
70
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711, 713 ZPO.
71
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung des Gebührenstreitwerts ist nach § 40 GKG der Zeitpunkt der Antragstellung, die den Rechtszug einleitet, in der ersten Instanz also der Klageantrag, in der Berufungsinstanz die Einreichung der Berufungsanträge. Später eingetretene wertreduzierende Antragsänderungen (z. B. teilweise Berufungsrücknahme, teilweise Klagerücknahme, teilweise Erledigterklärung etc.) bleiben in Bezug auf den Gebührenstreitwert außer Betracht (OLG München, Beschluss vom 13.12.2016, 15 U 2407/16, NJW-RR 2017, 700, juris Rdnr. 16). Ursprünglich hatte der Kläger mit seiner Berufung Zahlung in Höhe von 40.681,06 € (Brutto-Kaufpreis abzüglich Nutzungsvorteil) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs beantragt. Die weiter gestellten Anträge auf Feststellung, dass der Anspruch aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt und dass sich die Beklagte mit der Annahme der Zug um Zug-Leistung in Verzug befindet, erhöhen den Streitwert nicht. Wegen der wirtschaftlichen Identität der Streitgegenstände (§ 45 Abs. 1 GKG) wirkt sich auch der ursprünglich hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte für die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultierenden Schäden dem Kläger gegenüber ersatzpflichtig sei, hier nicht streitwerterhöhend aus.
72
Es besteht kein Anlass zur Zulassung der Revision. Die Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen hier nicht vor. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich vielmehr – wie in den Gründen näher ausgeführt – auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zweifelsfrei beantworten. Im Übrigen handelt es sich um einzelfallbezogene, tatrichterliche Würdigungen.