Titel:
Aufschiebende Wirkung, Vorläufiger Rechtschutz, Zwangsgeldandrohung
Normenketten:
VwZVG Art. 21a
VwGO § 80 Abs. 5
Schlagworte:
Aufschiebende Wirkung, Vorläufiger Rechtschutz, Zwangsgeldandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 32545
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22. September 2023 gegen Buchst. B des Bescheids des Antragsgegners vom 4. September 2023 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 500 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen eine Zwangsgeldandrohung.
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Mit Bescheid vom 24. Juli 2012 erteilte der Antragsgegner den Antragstellern eine Baugenehmigung zum Abbruch des bestehenden Gebäudes und zur Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. ... Gem. … Unter Punkt B.3 des Bescheids wurde u.a. Folgendes beauflagt:
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„Die Fenster aller Gaststättenräume müssen mindestens als Fenster der Schallschutzklasse 3 nach VDI 2719 ausgeführt werden. Die Fenster sind während der Öffnungszeiten der Gaststätte geschlossen zu halten.“
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Mit Bescheid vom 7. August 2015 erteilte der Antragsgegner den Antragstellern eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Verkaufsräumen zu Gast- bzw. Küchennebenräumen sowie zum Anbau eines Ausstellungsraums für das o.g. Grundstück. Die Fortgeltung der unter Ziffer B.3 des Bescheids vom 24. Juli 2012 beauflagten Auflagen wurde erklärt und weitere Auflagen hinzugefügt.
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Mit Bescheid vom 4. September 2023 erließ der Antragsgegner gegenüber den Antragstellern einen Änderungs- bzw. Ergänzungsbescheid und änderte Punkt B.3 des Bescheids vom 24. Juli 2012 wie folgt (A.):
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„Die Fenster aller Gaststättenräume (inklusive Küchen und sonstigen Funktionsräumen wie Kühlraum und Vorratsraum) müssen mindestens als Fenster der Schallschutzklasse 3 nach VDI 2719 ausgeführt sein. Die Fenster, Türen und sonstigen Fassadenöffnungen sind während der nächtlichen Betriebszeiten (22:00 Uhr bis 06:00 Uhr) der Gaststätte geschlossen zu halten.“
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Ferner drohte der Antragsgegner für den Fall, dass „die Nr. 1 dieses Bescheids“ nicht eingehalten werde, ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR an (B.). Zur Begründung ist ausgeführt, dass sich Nachbarn darüber beklagt hätten, dass während der Öffnungszeiten der Gaststätte Fenster und Türen geöffnet gewesen seien. Der Antragsgegner habe die Antragsteller auf die Einhaltung der entsprechenden Auflagen hingewiesen. Die tenorierte Auflage zum Immissionsschutz diene dazu, die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen für den rechtmäßigen Betrieb und Erlass der Baugenehmigung sicherzustellen. Das angedrohte Zwangsgeld habe seine Grundlage in Art. 29, 31 und 36 VwZVG. Die Höhe orientiere sich am wirtschaftlichen Interesse am Nichtnachkommen der Nummer 1 des Bescheids. Es werde nach pflichtgemäßem Ermessen auf den tenorierten Betrag geschätzt.
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Mit am 22. September 2023 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten haben die Antragsteller Klage gegen den Bescheid erhoben. Dies ist Gegenstand des Verfahrens M 1 K 23.4646, über das noch nicht entschieden worden ist. Mit gleichem Datum beantragen sie zudem,
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die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22.09.2023 der Antragsteller gegen die Androhung eines Zwangsgelds in dem Bescheid vom 04.09.2023, Az. … …, anzuordnen.
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Der Bescheid sei formell rechtswidrig, weil er unbestimmt sei. Die Zwangsgeldandrohung beziehe sich auf Nr. 1 des Bescheids. Der Bescheid habe jedoch keine Nr. 1. Sofern die Androhung mit Punkt A. zusammenhänge, sei unklar, auf welche der dort genannten beiden Verpflichtungen sie sich beziehe. Sofern sie sich auf beide Punkte beziehe, sei sie fehlerhaft, weil eine Fristsetzung zur Ausführung als Schallschutzfenster fehle. Ferner komme das geforderte Geschlossenhalten aller Türen der Gaststätte nach 22:00 Uhr einem Betriebsverbot gleich. Es sei fraglich, wie die Gäste in die Gaststätte gelangen sollten bzw. wie sie diese wieder verlassen könnten. Die zugehörige Grundverfügung sei rechtswidrig.
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Der Antragsgegner legte die Behördenakte vor und verweist auf den Bescheid vom 4. September 2023. Einen gesonderten Antrag im Eilverfahren stellte er nicht.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte, auch im zugehörigen Hauptsacheverfahren M 1 K 23.4646, Bezug genommen.
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Der Antrag hat Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Buchst. B des Bescheids vom 4. September 2023 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Die Klage hat insoweit gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung, weil es sich bei der Zwangsgeldandrohung um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung handelt, Art. 21a VwZVG.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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Das Gericht der Hauptsache kann gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn die vorzunehmende, eigene Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Maßgeblich dafür sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt nach gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, so ist die Vollziehung regelmäßig auszusetzen, weil an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erscheint der Verwaltungsakt nach vorläufiger Betrachtung hingegen als voraussichtlich rechtmäßig, so ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen, sofern ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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Ausgehend davon ergibt die im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes vorzunehmende summarische Prüfung, dass die Klage gegen Buchst. B des Bescheids voraussichtlich erfolgreich sein wird, weil der angefochtene Verwaltungsakt – der Bescheid des Antragsgegners vom 4. September 2023 – insoweit rechtswidrig ist und die Antragsteller in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen sind nicht gegeben. Gemäß Art. 19 Abs. 1 VwZVG kann ein Verwaltungsakt vollstreckt werden, wenn er nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angefochten werden kann (Nr. 1), der förmliche Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat (Nr. 2) oder die sofortige Vollziehung angeordnet ist (Nr. 3). Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben: Die Fälligkeit des Zwangsgelds ist nicht an die Unanfechtbarkeit des Vollstreckungstitels geknüpft worden, Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG. Die Klage gegen die Anordnung der Auflage hat zudem aufschiebende Wirkung, Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG. Insoweit bleibt es bei dem in § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO genannten Grundsatz. Der Antragsgegner hat ferner nicht die sofortige Vollziehung der Verfügung in Buchst. A angeordnet, Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG. Eine Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist nicht getroffen worden.
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b) Die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen des Zwangsmittels Zwangsgeld sind ebenfalls nicht gegeben.
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Nach Buchst. A des Bescheids haben die Antragsteller die Fenster aller Gaststättenräume als Fenster der Schallschutzklasse 3 nach VDI 2719 auszuführen. Ferner sind sämtliche Fenster, Türen und sonstige Fassadenöffnungen während der nächtlichen Betriebszeiten geschlossen zu halten. Der Antragsgegner hat folglich zwei Anordnungen getroffen. Die zugehörige Zwangsgeldandrohung für den Fall, dass die „Nr. 1“ des Bescheids – nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen wohl als „Buchst. A“ zu verstehen – nicht eingehalten wird, ist nicht hinreichend bestimmt. Sollte sich die Zwangsgeldandrohung auf beide Verpflichtungen gemeinsam beziehen, ist dies unzulässig, weil eine Zwangsgeldandrohung für jede einzelne Verpflichtung getrennt ergehen muss. Sollte die Androhung dergestalt zu verstehen sein, dass sie sich nur auf eine der beiden Auflagen bezieht, ist sie ebenfalls unzulässig, weil unklar ist, für welche Auflage genau sie gelten soll.
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Im Übrigen mangelt es – jedenfalls für die Auflage bzgl. der Ausführung der Fenster als Handlungspflicht – an einer Erfüllungsfrist, innerhalb welcher die Antragsteller der Verpflichtung nachzukommen haben, Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
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Ob die Auflagen rechtswidrig sind, kann somit dahinstehen.
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c) Die Zwangsgeldandrohung ist demnach rechtswidrig. Die Klage wird folglich insoweit voraussichtlich erfolgreich sein, sodass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiegt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs.