Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 23.10.2023 – W 8 K 23.30138
Titel:

Zuerkennung Flüchtlingseigenschaft für Homosexualität aus dem Iran

Normenkette:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Ein Bisexueller kann nicht darauf verwiesen werden, seine homosexuelle Orientierung in seinem Heimatland geheim zu halten (sog. Diskretionsgebot). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Homosexuellen droht im Iran flüchtlingsrelevante Verfolgung. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland, keine Aussetzung des Verfahrens, ergebnisoffene Prüfung und Entscheidungsbefugnis, Wehrdienstentziehung, Heirat einer Frau durch Kläger, gemeinsame Tochter, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Homosexualität, Bisexualität, Misshandlungen und Folterungen während der Untersuchungshaft, Freilassung aus der Haft gegen Kaution, glaubhafte Angaben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran, Vermutung erneuter Verfolgung mangels stichhaltiger gegenteiliger Gründe, Situation von Homosexuellen im Iran, flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung, Homosexueller in Iran, beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr, ernsthafte Gefahr für Homosexuelle, prägendes Bedürfnis, Bisexualität auszuleben, Verzicht auf Ausleben der Homosexualität bzw. Bisexualität nicht zumutbar, verheimlichen der Homosexualität bzw. Bisexualität in Vergangenheit unschädlich, fehlende interne Schutzmöglichkeit auf Dauer, Verstoß gegen Rückführungsrichtlinie
Fundstelle:
BeckRS 2023, 32371

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Februar 2023 werden aufgehoben.  Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.   
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger, iranischer Staatsangehöriger, reiste am 19. Dezember 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. Februar 2022 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylantrages gab er im Wesentlichen an: Er sei homosexuell und habe beim Militärdienst ein Verhältnis mit einem gleichaltrigen Mann gehabt. Er habe deshalb Probleme mit der Familie seines Freundes bekommen. Er sei festgenommen worden und auf Kaution wieder freigelassen worden. Gegen ihn sei ein Haftbefehl ergangen. Er habe psychische Probleme. In Griechenland habe er mit einem Mann zusammengewohnt. Er habe aber seine jetzige afghanische Frau geheiratet. Aus der Beziehung stamme eine Tochter. Außerdem sei er vom Islam abgefallen.
2
Mit Bescheid vom 15. Februar 2023 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Sachvortrag sei nicht glaubhaft. Die Angaben des Klägers seien arm an Details, vage und oberflächlich geblieben. Das ausreiseursächliche Geschehen sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger habe weder von sich aus noch auf Nachfrage erläutern können, wie die Familie seines Freundes in den Besitz kompromittierender Fotos bzw. Videos gekommen sein solle. Angesichts des erheblichen Zeitablaufs von Februar 2014 bis August 2017, in dessen Zeitraum sich der Kläger nach wie vor unbeschadet im Iran aufgehalten haben solle, und angesichts der Nachbarschaft der Familie seines Freundes hätte es mehr als nahegelegen, anschaulicher zum weiteren Schicksal seines Schicksalsgefährten vortragen zu können. Eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung aufgrund von Wehrdienstentziehung finde im Iran nicht statt. Eine drohende Strafverfolgung wegen Wehrdienstentziehung sei nicht unverhältnismäßig und habe keinen diskriminierenden Charakter. Die Sanktion beschränke sich auf ein verlängertes Ableisten des vollständigen Wehrdienstes. Tochter und Mutter seien im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Aufgrund der besonderen persönlichen Beziehungen erscheine im vorliegenden Falle eine im unteren Bereich des gesetzlichen Rahmens festgesetzte Fristlänge von zehn Monaten als sachgerecht.
3
Am 1. März 2023 ließ der Kläger Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben.
4
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 2. März 2023,
die Klage abzuweisen.
5
Die Kammer übertrug den Rechtstreit mit Beschluss vom 1. März 2023 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
6
Mit Beschluss vom 26. April 2023 bewilligte die Kammer dem Kläger Prozesskostenhilfe und ordnete ihm seinen Prozessbevollmächtigten bei.
7
In der mündlichen Verhandlung am 23. Oktober 2023 beantragte der Klägerbevollmächtigte für den Kläger,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Februar 2023 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
8
Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.
9
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Akten seiner Ehefrau und seiner Tochter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
11
Das Gericht musste das vorliegende Verfahren nicht im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens (BVerwG, B.v. 7.9.2022 – 1 C 26.21 – juris; siehe auch VG Stuttgart, B.v. 2.5.2023 – A 7 K 6645/22 – juris; Entscheiderbrief 06/2023 S. 4 ff.) gemäß § 94 VwGO Ruhend stellend bzw. wegen Vorgreiflichkeit aussetzen. Denn im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung konnte im vorliegenden Fall sowohl im Interesse an zügiger effektiver Rechtsgewähr als auch im Interesse der Prozessökonomie und nicht zuletzt auch aufgrund des konkreten Rechtschutzgesuchs im Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Entscheidung von einer Ruhendstellung bzw. Aussetzung abgesehen werden (VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 – A 8 K 2210/22 – juris Rn. 22; VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2022 – 17 K 4350/20.A – juris Rn. 2 ff.).
12
Vielmehr konnte das Gericht ebenso wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge trotz der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger schon in Griechenland aufgrund der dortigen Verhältnisse (vgl. nur SaarlOVG, U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris Rn. 18 ff.), die wegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unmöglich machten, ergebnisoffen über die in Deutschland gestellten Asylanträge entscheiden, ohne an die Entscheidung in Griechenland gebunden zu sein (VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 – A 8 K 2210/22 – juris Rn. 22). Ist wie hier eine Ablehnung des Asylantrages des Klägers nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verwehrt, ist eine materielle Prüfung geboten. Denn nach der Logik und Systematik des gemeinsamen europäischen Asylsystems kann ein Asylantrag nur dann unzulässig sein, wenn der Schutz tatsächlich noch besteht und die Person – anders als hier – Zugang zu diesem Schutz hat. Besteht ein Überstellungsverbot in den schutzzuerkennenden Staat, ist gerade ein volles Asylverfahren durchzuführen, um den Vorgaben des gemeinsamen europäischen Asylsystems und insbesondere von Art. 18 GrCh zu entsprechen (Hruschka/Mantel in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 60 AufenthG Rn. 8 mit Verweis auf EUGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17 – NVwZ 2019, 785 – Ibrahim u.a. sowie B.v. 13.11.2019 – C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 – Hamed und Omar).
13
Weder das Völkerrecht, noch das Europarecht, noch das nationale Recht stehen der vorliegenden Ansicht entgegen. Weder in der Genfer Flüchtlingskonvention noch im Recht der Europäischen Union findet sich die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Entscheidung. Insbesondere ist eine solche auch nicht europarechtlich unmittelbar angeordnet oder vorgeschrieben (siehe im Einzelnen VG Karlsruhe, U.v. 18.10.2022 – A 8 K 2210/22 – juris Rn. 22 ff., 26 ff. sowie VG Potsdam, U.v. 21.3.2023 – 16 K 1551/20.A – juris Rn. 25 ff.). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist ebenso wie das Gericht nicht auf die Feststellung des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG beschränkt, sondern ist gehalten ergebnisoffen eine Vollprüfung vorzunehmen (VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2022 – 17 K 4350/20.A – juris Rn. 19 ff.). Insoweit ist § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ebenso wie Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG einschränkend auszulegen (vgl. VG Aachen, U.v. 3.6.2022 – 10 K 2844/20.A – juris Rn. 99 ff.; VG Stuttgart, U.v. 18.2.2022 – A 7 K 3174/21 – juris Rn. 46 und 55, teleologische Reduktion; jeweils m.w.N.). Das nationale Recht kennt keine weitergehende Bindung an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch einen anderen Mitgliedsstaat, da die von entsprechenden Entscheidungen anderer Staaten ausgehenden Rechtswirkungen in § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abschließend geregelt sind (VG Minden, U.v. 2.3.2022 – 1 K 194/21.A – juris Rn. 29; vgl. zum Ganzen auch noch zusätzlich zu den in den vorstehenden Absätzen zitierten Gerichtsentscheidungen VG Regensburg, U.v. 17.3.2023 – RO 13 K 22.31542 – juris Rn. 18 ff.; VG Göttingen, U.v. 2.11.2022 – 3 A 115/20 – juris; VG Trier, U.v. 10.8.2022 – 2 K 1824/22.TR, 7937593 – juris; VG Osnabrück, U.v. 14.2.2022 – 5 A 512/20 – juris; alle m.w.N.). Der Kläger begehrt indes gerade einen weitergehenden Ausspruch über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
14
Nach alledem ist das Gericht weder an einer eigenen Vollprüfung noch an einer eigenständigen Sachentscheidung gehindert (vgl. auch Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 19.10.2023 – C-352/22 – juris, wonach keine Bindungswirkung besteht, sondern unter Berücksichtigung der Grundrechtecharta sowie unter Berücksichtigung der Entscheidung des anderen Mitgliedsstaates als besonders gewichtigen Gesichtspunkt eine eigenständige aktualisierte Prüfung vorzunehmen ist).
15
Die zulässige Klage ist begründet.
16
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Februar 2023 ist in seinen Nummern 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) und zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
17
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
18
Unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens sowie unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisquellen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Iran flüchtlingsrelevante Verfolgungsmaßnahmen drohen. Nach der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung und insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks des Gerichts vom Kläger hat der Kläger sein Heimatland aus begründeter Furcht vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung verlassen. Gleichermaßen besteht für den Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran. Die Würdigung der Angaben des Klägers ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO.
19
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die sexuelle Orientierung (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie bzw. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie (§ 3a AsylG) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dabei ist es nicht zumutbar, von homosexuellen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 bis C-201/12 – ABl. EU 2014, Nr. C 9 S. 8 – NVwZ 2014, 132; EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612; vgl. auch Markart, EUGH zur sexuellen Orientierung als Fluchtgrund, Asylmagazin 12/2013, 402; Titze, Sexuelle Orientierung und die Zumutung der Diskretion, ZAR 2012, 93).
20
Ergänzend wird angemerkt, dass dem soeben zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 (C-199/12 bis C-201/12) ein Übersetzungsfehler zugrunde lag und bei wörtlicher Übersetzung die Formulierung tatsächlich lauten müsste: Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden vernünftiger Weise nicht erwarten, dass der Asylbewerber (statt: … von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er …) seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden. Den Betreffenden ist danach nicht zuzumuten, gefahrträchtige Verhaltensweisen zu unterlassen, um eine Verfolgung zu vermeiden, die andernfalls wegen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität drohen würde. Damit wollte der Europäische Gerichtshof offensichtlich klarstellen, dass Behörden und Gerichte ein solche Diskretion auch nicht – etwa aufgrund einer bisher sexuellen zurückhaltenden Lebensweise – unterstellen oder prognostisch vermuten und daraus Schlüsse ziehen dürfen (vgl. VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris Rn. 48; siehe auch Reiß in Entscheiderbrief 12/2021, S. 5, nach der es anders lediglich ausnahmsweise in Einzelfällen sein kann, in denen Antragstellende die diskrete Lebensweise „aus eigenem, freien Willen“ akzeptieren, siehe dazu auch VG Ansbach, U.v. 1.2.2023 – AN 17 K 17.34351 – juris Rn. 31 mit dem Hinweis auf die geänderte Dienstanweisung der Beklagten, wonach davon auszugehen ist, dass die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität im Herkunftsland offen gelebt wird).
21
Das Vorstehende gilt auch im Blick auf Bisexuelle. Denn das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt, dass die Annahme, einer Bisexueller könne darauf verwiesen werden, seine homosexuelle Orientierung in seinem Heimatland geheim zu halten (sog. Diskretionsgebot) vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schlechthin unvertretbar wäre und die Willkürschwelle überschreiten würde (BVerfG, B.v. 22.1.2020 – 2 BvR 1807/19 – Asylmagazin 2020, S. 80 f. m. Anm. von Braun/Dörr/Träbert, S. 81 ff.).
22
Umgekehrt kann der betreffenden Person nicht als Nachteil entgegengehalten werden, wenn aus Furcht vor Verfolgung auf eine homosexuelle Betätigung verzichtet wird, sofern die verfolgungsrelevante homosexuelle Betätigung die sexuelle Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet (vgl. so zur religiösen Betätigung BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit juris PR-BVerwG 22/2015 Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx Anm., InfAuslR 2013, 308).
23
Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377) liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylG Nr. 1).
24
Nach Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU ist hierbei die Tatsache, dass ein Betroffener bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Betreffenden vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betreffende erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr Begünstigten eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird derjenige, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377 – juris Rn. 23).
25
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180).
26
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Vorfluchtschicksals und seiner sexuellen Orientierung eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, weil der iranische Staat, bezogen auf den Kläger, schon in der Vergangenheit sein Verfolgungsinteresse bekundet hat. Ins Gewicht fällt, dass der Kläger schon vor seiner Ausreise verfolgt wurde, sodass gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU die Vermutung dafürspricht, dass dem Kläger bei einer Rückkehr erneut Verfolgung droht, ohne dass stichhaltige Gründe dagegensprechen.
27
Dem Kläger ist es gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der glaubhaften Angaben des Klägers ist eine begründete Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger, davon überzeugt, dass das Vorbringen des Klägers sowohl zu den Umständen und den Folgen seiner Inhaftierung im Iran und seiner deswegen erlittenen starken Depressionen, einschließlich der erlittenen Misshandlungen und Folterungen, im Iran glaubhaft ist. Gerade durch die persönlichen glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung über sein Schicksal im Zusammenhang mit seiner Homosexualität bzw. Bisexualität hat das Gericht keine Zweifel, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung (erneut) droht.
28
Der Kläger hat im Gerichtsverfahren, insbesondere im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung sein Schicksal als Homosexueller bzw. Bisexueller glaubhaft geschildert. Dazu ist zu anzumerken, dass im Lichte der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 2.12.2014 – C-148/13 bis 150/13 – ABl. EU 2015, Nr. C 46 S. 4 – NVwZ 2015, 132) zum einen darauf zu achten war, zu zudringliche, diskriminierende und menschenunwürdige Fragen gerade zum Intimbereich und zu Einzelheiten der sexuellen Erlebnisse zu vermeiden. Zum anderen ist bei der Würdigung der Aussagen des Klägers auch im Vergleich zu seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu bedenken, dass angesichts des sensiblen Charakters der Informationen, die die persönliche Intimsphäre einer Person, insbesondere ihrer Sexualität, betreffen, allein daraus, dass diese Person, weil sie zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren und gewisse Sachverhalte gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht so deutlich bzw. anders angegeben hat, nicht geschlossen werden kann, dass sie deshalb unglaubwürdig ist (vgl. EuGH, U.v. 2.12.2014 – C-148/13 bis 150/13 – ABl. EU 2015, Nr. C 46 S. 4 – NVwZ 2015, 132; siehe auch Gärlich, Anmerkung, DVBl. 2015, 165, 167 ff.). Weiter ist zu bedenken, dass die homosexuelle Entwicklung des Einzelnen und das Offenbaren sowie das Ausleben der Homosexualität individuell sehr unterschiedlich verlaufen und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seiner kulturellen, gesellschaftlichen und auch religiösen Prägung sowie seiner intellektuellen Disposition abhängen (vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6). Die geschlechtliche Identität, die sexuelle Ausrichtung sowie das Sexualleben gehören zu der von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Privatsphäre (Hofmann in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 38. Edition Stand: 1.7.2023, Art. 8 EMRK Rn. 20).
29
Das Gericht hat bei der gebotenen richterlichen Beweiswürdigung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger tatsächlich homosexuell bzw. bisexuell veranlagt ist und diese homosexuelle bzw. bisexuelle Veranlagung schon in der Vergangenheit sowohl im Iran und Griechenland ausgelebt hat, als auch hier in der Bundesrepublik Deutschland nicht aufgegeben hat, sondern die Ehe mit einer Frau geschlossen hat, um in der Gesellschaft als normal angesehen zu werden. Er hat gleichgeschlechtliche Beziehungen zu anderen Männern unterhalten. Das Gericht hat nicht den Eindruck, dass der Kläger die Bisexualität nur aus asyltaktischen Gründen vorgibt. Vielmehr sprechen seine Schilderungen von einem wirklich erlebten Schicksal und Werdegang als Bisexueller.
30
Der Kläger hat bei seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht bloß abstrakt von einem ausgedachten, flüchtlingsrelevanten Sachverhalt berichtet, sondern – wenn auch teilweise erst auf gerichtliche Nachfrage – durchaus in umfangreichen Ausführungen detailreich sein Schicksal als Bisexueller geschildert. Anders als bei einem erfundenen Schicksal erwähnte der Kläger dabei auch immer wieder nebensächliche Details und lieferte so eine anschauliche Schilderung seiner Erlebnisse. Hinzu kommen die dabei gebrauchte Wortwahl sowie die gezeigte Mimik und Gestik, auch verbunden mit einem Einblick in seine Gefühlslage und Gedankenwelt, ohne dass er den Eindruck erweckte, ein erdachtes Ereignis künstlich emotional aufbauschen zu wollen. Der Kläger betonte sein Anliegen, seine Bisexualität konkret seine Homosexualität insbesondere im Iran sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb der Familie und auch in der Schule zu verheimlichen. Dies ist aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zum gesellschaftlichen und familiären Umgang mit homosexuellen Menschen im Iran plausibel. Der Kläger zeigte sich persönlich berührt und emotional betroffen. Gerade die nicht verbalen Elemente bei der Aussage (Körpersprache, Gestik, Mimik usw.) sprechen gewichtig für die Ehrlichkeit des Klägers und für den wahren Inhalt seiner Angaben. Dabei kommt das Auftreten des Klägers in der mündlichen Verhandlung und die Art und Weise seiner Aussage im Protokoll über die mündliche Verhandlung nur ansatzweise zum Ausdruck. Erwähnenswert ist, dass es dem Kläger aus Scham bzw. aus Angst teilweise sichtlich schwerfiel, über seine homosexuellen Erlebnisse bzw. einzelne Handlungen konkret zu berichten, und seine Äußerungen teilweise auch deshalb erst auf ausdrücklich Nachfrage erfolgten. Dieser Umstand spricht aufgrund seiner Herkunft und Prägung nicht gegen, sondern für ihn.
31
Der Kläger schilderte in der mündlichen Verhandlung – im Kerngeschehen übereinstimmend mit seinen Ausführungen beim Bundesamt, wenn auch in Details abweichend – ausführlich und glaubhaft, dass er schon circa 13 Jahre alt gewesen sei, als er gemerkt habe, dass er homosexuell sei. Dies sei während seiner Schulzeit gewesen. Er habe bemerkt, dass er es angenehm finde, wenn er andere Schüler berühre. Auch beim Anschauen von gewissen Filmen sei ihm diese Erkenntnis gekommen. Außerdem ergänzte der Kläger, wobei er einräumte, dass er sich schäme, gewisse Dinge preiszugeben, dass, als er 14/15 Jahre alt gewesen sei, ein Mann versucht habe, ihn anzufassen bzw. gewisse Teile von ihm anzufassen und er – der Kläger – habe es genossen. Er räumte dabei ehrlich ein, er habe es bisher nicht gesagt, weil es etwas sei, das ihm schwer über die Lippen gehe. Er habe sexuellen Kontakt während der Schulzeit mit einem anderen Jungen auf der Toilette gehabt. Sie hätten sich umarmt und geküsst. Er sei dadurch auch sexuell gereizt worden.
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Der Kläger erklärte aufrichtig weiter ein, dass er dies persönlich genossen habe, auch wenn es gegen die Regeln der Gesellschaft gewesen sei. Er habe sich natürlich geschämt, weil es gegen die Familie und gegen die Gesellschaft gewesen sei, da er sich nämlich auch hingezogen gefühlt habe.
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Er habe dann mit 17 Jahren die Schule verlassen, mit 18 Jahren sei er zum Wehrdienst. Er habe aber nach den Erfahrungen mit den Jungs in der Schule überhaupt kein Interesse gehabt, in dieser Zeit etwas mit Frauen zu unternehmen. Er habe, wenn der andere Mitschüler ihn angefasst habe, ganz anders empfunden, als etwa Mitschüler in der Schule, die sich für Mädchen interessiert hätten. Es sei klar gewesen, dass die Familie dagegen gewesen sei. Er habe seine Homosexualität keinesfalls preisgeben wollen.
34
So richtig klar, dass er homosexuell sei, sei es ihm geworden, als er die Beziehung mit seinem Freund während der Wehrdienstzeit eingegangen sei. Es sei zu sexuellen Handlungen gekommen, bei denen sie auch Fotos gemacht hätten.
35
Die Fotos seien von der Familie seines Freundes entdeckt worden. Er könne sich nicht erklären, wie und warum. Die Familie habe ihn angezeigt. Ihm sei daraufhin von den staatlichen Behörden der Vorwurf der Vergewaltigung gemacht worden. Die andere Familie habe die Polizei informiert. Sie habe ihn unter Druck gesetzt und habe ihn erpressen und Geld verlangen wollen. Darauf sei er aber nicht eingegangen.
36
Der Kläger schilderte weiter bildhaft und anschaulich, dass er festgenommen, inhaftiert und gefoltert worden sei. Er sei auf Kaution freigekommen, nachdem sein Vater eine Besitzurkunde hinterlegt habe. Er sei zunächst auf einer Polizeiwache einige Tage vernommen worden, dann sei er der Kripo überstellt worden, von da aus sei er ins Gefängnis gekommen. Bei der Kripo sei er verhört und gefoltert worden.
37
Der Kläger schilderte die einzelnen Misshandlungen. Seine Schilderungen wurden körpersprachlich begleitet von Gesten. Als er von einer Ohrfeige aufs rechte Ohr berichtete und angab, dass er immer noch schwerhörig sei, deutete der Kläger gleichzeitig auf sein rechtes Ohr. Des Weiteren deutete er auf seine Zähne, als er berichtete, dass man ihm diese ausgeschlagen habe. Bei seinen Aussagen zum Schlagen (Auspeitschen mit einem Schlauch) stellte der Kläger körpersprachlich dar, wie der Schläger (Auspeitscher) den Koran unter dessen rechte Achsel geklemmt habe, und erläuterte, dass dadurch bewirkt werden solle, dass die Schläge nicht zu heftig ausfielen. Denn, wenn der Schläger zu weit aushole und der Koran deshalb beim Schlagen herunterfalle, bedeute dies, dass es nicht mehr in Ordnung sei und deshalb beendet werden müsse.
38
Die Schläge mit dem Schlauch seien auf seinen Rücken erfolgt. Er sei gefesselt gewesen und habe am Boden gelegen. Die Zähne habe man ihm mit der Faust ausgeschlagen. Des Weiteren habe es bei allen möglichen Gelegenheiten dauernd Tritte und Schläge seitens des Wachpersonals sowie der Kriminalpolizei gegeben. So habe er einmal um ein Stück Kuchen gebeten. Dies habe ein Offizier gesehen, dann seien sie gekommen und hätten alle zusammengeschlagen. Heute noch sei sein Kiefer verschoben. Wenn er sein linkes Ohr nicht zuhalte, könne er auf dem rechten Ohr nichts hören, wie er ebenfalls körpersprachlich veranschaulichte.
39
Der Kläger schilderte auch weiter, dass er zunächst bei der Verhaftung mit 25 Personen in einem Raum gewesen sei, dass sie nachts nebeneinandergelegen hätten. Sie hätten zunächst kein Essen, sondern zu trinken bekommen. Nach drei Tagen hätten sie Brot bekommen, dessen Größe er mit den Händen wieder bildlich vorzeigte.
40
Der Kläger erklärte weiter plausibel, dass er ein Geständnis habe unterschreiben müssen. Aufgrund des Vorwurfes sei es dann erst recht schlimm gewesen, da sie ihn so misshandelt hätten. Man habe ihn der Vergewaltigung bezichtigt. Es habe auch eine Gerichtsverhandlung dazu gegeben, später ein Urteil.
41
Der Kläger schilderte weiter, die psychischen Misshandlungen. Man habe seine Familie beschimpft, er habe sie nicht sehen dürfen. Die psychischen Probleme seien auch der Grund gewesen, dass er später nach seiner Freilassung zu Drogen gegriffen habe. Er habe mehrere Drogentherapien in entsprechenden Camps hinter sich gebracht.
42
Weiter berichtete der Kläger, dass er in Griechenland eine sexuelle Beziehung zu einem Mann gehabt habe. In Griechenland habe er nicht nur mit einem Mann zusammengewohnt, sondern es sei eine homosexuelle Beziehung gewesen.
43
Er habe dann seine Frau kennengelernt. Der Kläger erklärte dazu plausibel, dass die Eheschließung mit seiner Frau kein Grund sei, dass er jetzt nicht homosexuell sei. Vielmehr sei die Eheschließung deshalb erfolgt, damit er in der Gesellschaft als normal angesehen werde. Er fühle sich eher zu Männern als zu Frauen hingezogen. Aber nachdem ihm von der Familie jahrelang ins Ohr geflüstert worden sei, dass er heiraten solle, habe er schon deswegen heiraten müssen. Der Kläger gab dazu aber auch aufrichtig an, dass seine Ehefrau nicht nur seine Ehefrau sei, sondern eine sehr gute Freundin von ihm, die die ganze Zeit zu ihm gehalten habe. Deshalb wolle er sich auch nicht von ihr trennen. Er habe nicht so oft sexuellen Kontakt mit seiner Frau. Es sei auch keine normale sexuelle Beziehung, sondern es gebe sonst Mittel und Wege, wie er sie befriedigen könne. Im Übrigen sei es ein gutes Verhältnis. Sie würden sich gegenseitig sehr gut verstehen. Insofern ist es weiter nachvollziehbar, dass der Kläger einräumte, in Deutschland – auch mit Rücksicht auf seine Ehefrau und das Kind – keine Beziehung zu anderen Männern zu haben. Er erklärte, er befriedige sich ab und zu selbst durch Masturbieren.
44
Insoweit ist anzumerken, dass dem – nach Überzeugung des Gerichts – bisexuellen Kläger nicht angesonnen werden kann, auf die Ausübung seiner Sexualität, die seine Persönlichkeit prägt, teilweise dadurch zu verzichten, dass er lediglich sexuelle Kontakte zu Menschen des weiblichen Geschlechtes (innerhalb einer Ehe) aufnimmt. Der bisexuelle Kläger könnte sich vielmehr – auch im Iran – wieder zu einem Mann derart hingezogen fühlen, dass er mit diesem auch sexuelle Kontakte hat. Die Geheimhaltung der sexuellen Ausrichtung und Zurückhaltung kann bei deren Ausleben nicht verlangt werden (vgl. VG Köln, U.v. 18.8.2023 – 12 K 3944/20.A – juris Rn. 64). Der Kläger gab in dem im Zusammenhang plausibel an, dass er sich einerseits zu seiner Ehefrau zwar auch emotional hingezogen fühle. Aber er könne sich ebenfalls vorstellen, in Zukunft wieder etwas mit Männern anzufangen, wenn er sich vorstellen könnte, dass seine Frau keine Probleme damit habe.
45
Zusammenfassend hat der Kläger seine homosexuelle bzw. bisexuelle Entwicklung mit homosexuellen bzw. bisexuellen Kontakte im Iran und in Griechenland bis hin nach Deutschland geschildert und glaubhaft dargelegt, dass er seine homosexuelle Neigung nicht aufgegeben habe und auch weiterhin bei einer Rückkehr in den Iran – wenn auch unter Rücksichtnahme auf seine jetzige Familie – wieder homosexuelle Kontakte suchen könnte.
46
Nach dem Gesamteindruck bestehen für das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu seiner Bisexualität und seiner darauf fußenden sexuellen Prägung. Das Gesamtbild der umfassenden und auch vielschichtigen klägerischen Aussagen ist letztlich in sich stimmig. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger aus seiner Sicht die Wahrheit gesagt hat und homosexuell bzw. bisexuell geprägt ist. Das Gericht ist weiter davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit – auch schon aufgrund seiner Vorverfolgung – mit repressiven Maßnahmen von Vertretern des iranischen Staates rechnen müsste, sofern er seine Homosexualität/Bisexualität und deren Ausleben nicht aus Angst vor Verfolgung unterdrücken und verheimlichen würde. Vor diesem Hintergrund ist es dem Kläger angesichts der im Iran herrschenden Verhältnisse nicht zuzumuten, in sein Heimatland zurückzukehren.
47
Denn Homosexuellen droht im Iran nach den Informationen aus den vorliegenden Erkenntnisquellen flüchtlingsrelevante Verfolgung.
48
Im Iran ist die Homosexualität im Gegensatz zur Transsexualität nicht legalisiert. Die Homosexualität ist eine krankhafte Todsünde. Die Transsexualität ist im Iran eine heilbare Krankheit. Dies ist auf einen entsprechenden Rechtsspruch des früheren Ayatollah Khomeini zurückzuführen, der zu Geschlechtsumwandlungen feststellte: „Die sexuelle Identität jeder Person beruht auf ihrer Wahrnehmung von sich selbst“ (Die Welt vom 13.2.2014 „Iranische Nationalspielerinnen als Männer entlarvt“; Handelsblatt vom 7.9.2009 „Iran: Wo die Geschlechtsumwandlung boomt“ – vgl. näher zur Verfolgung Transsexueller VG Würzburg, U.v. 17.12.2014 – W 6 K 14.30391 – juris – m.w.N.).
49
Homosexualität ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes im Iran strafbar. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches „Coming Out“ selten. Das iranische Strafgesetzbuch sieht für sexuelle Handlungen unter Männern die Todesstrafe vor. Allerdings sind die Beweisanforderungen hierfür sehr hoch (vier männliche Zeugen, Ermittlungsverbot in Fällen, in denen zu wenige Zeugenaussagen vorliegen, hohe Strafen für Falschbeschuldigungen). Bei Minderjährigen, in weniger schwerwiegenden Fällen sowie bei sexuellen Handlungen, die die Beweisanforderung für die Todesstrafe nicht erfüllen, sind Peitschenhiebe vorgesehen (auch hierfür sind zwei männliche Zeugen erforderlich). Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden mit bis zu 100 Peitschenhieben, bei der vierten Verurteilung mit der Todesstrafe geahndet. Aufgrund der mangelnden Transparenz des Gerichtswesens lässt sich der Umstand der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität jedoch nicht eindeutig bestimmen. Dennoch werden homosexuelle Beziehungen im entsprechenden soziokulturellen westlich beeinflussten, liberalen Umfeld in Einzelfällen auch de facto geduldet bzw. ignoriert. Homosexuelle werden – wie auch der Kläger selbst dargelegt hat – gedrängt, eine Person des anderen Geschlechts zu heiraten. Geschlechtsumwandlungen gelten häufig als Weg, um eine von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierung oder Identität in die Legalität zu bringen. Zuletzt wurde im Januar 2022 von einer Messerattacke gegen eine transsexuelle Person berichtet. Im Juli und August 2022 sind vier Aktivisten bzw. Aktivistinnen für LGBTI-Rechte zum Tode verurteilt worden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 30.11.2022, Stand: 18.11.2022, S. 14). Häufig wird der Vorwurf der Homosexualität zusätzlich zu anderen Delikten erhoben, um die Verhafteten moralisch zu diskreditieren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 9.12.2015, Stand: November 2015, S. 24; Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 6.2.2008).
50
Auch das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beschreibt die Situation der sexuellen Minderheiten und insbesondere die Repressalien gegen Homosexuelle im Iran (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 13.2.2023, S. 117 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Danach erfahren sexuelle Minderheiten im Iran regelmäßig Diskriminierungen, Belästigungen und Missbrauch – auch durch nichtstaatliche Akteure, wie Familienmitglieder, und durch die Gesellschaft. Homosexualität gilt als Krankheit, kann also angezeigt werden, befreit auf Antrag vom Militärdienst und sperrt Betroffene von der Ausübung der Beamtenfunktionen aus. Aus Furcht vor Bestrafung werden Missbrauchsfälle Homosexueller nicht angezeigt. Über Belästigungen und Diskriminierung durch Angehörige sexueller Minderheiten wird aufgrund der Kriminalisierung und Verborgenheit dieser Gruppen nicht ausreichend berichtet. Die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist nicht verboten. Verboten ist im Iran, unabhängig von der Religionsangehörigkeit, jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen. Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als „Verbrechen gegen Gott“ gelten, steht offiziell Auspeitschung; sie können auch mit dem Tod bestraft werden. Dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden. Die Beweisanforderungen sind allerdings sehr hoch. Bei minderjährigen und weniger schwerwiegenden Fällen sind Peitschenhiebe vorgesehen. Im Fall von „Lavat“ (Sodomie unter Männern [auch: Livat]) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe für den passiven Partner, falls der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfindet, ansonsten für den Vergewaltiger. Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden bis zu 100 Peitschenhieben bestraft, bei der vierten Verurteilung mit der Todesstrafe. Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist zumeist schwerwiegender als jene für Frauen. Die Todesstrafe für Homosexualität wurde in den letzten Jahren nur punktuell und meist in Verbindung mit anderen Verbrechen verhängt. Iran soll zwischen 2015 und 2020 mindestens sechs Männer wegen „Lavat“ gehängt haben. Aufgrund der mangelnden Transparenz des Gerichtswesens lässt sich der Umfang der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität nicht eindeutig bestimmen. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches „Coming Out“ selten. Die Regierung zensiert alle Materialien, die sich auf den Status oder das Verhalten von Sexuellen beziehen. Im Juli und August 2022 sind Aktivisten und Aktivistinnen für die Rechte sexueller Minderheiten zum Tode verurteilt worden. Hintergrund der Verurteilungen waren die tatsächliche oder vermeintliche sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität der beiden Frauen sowie ihre Aktivitäten zur Unterstützung von sexuellen Minderheiten in sozialen Medien.
51
Auch Human Rights Watch (HRW, World Report 2022, 2023 Iran) berichtet, dass das iranische Gesetz gleichgeschlechtliche Beziehungen als Verbrechen behandelt, das mit dem Tod bestraft werden kann oder auch durch die unmenschliche Strafe der Auspeitschung. Nach iranischem Recht wird außerehelicher Sex mit Auspeitschung bei Unverheirateten oder Tod bei Verheirateten unter Strafe gestellt. Auch gleichgeschlechtliches Verhalten wird mit Auspeitschung und bei Männern mit der Todesstrafe geahndet. Obwohl der Iran Operationen zur Geschlechtsumwandlung für Transgender-Personen erlaubt und subventioniert, verbietet kein Gesetz ihre Diskriminierung.
52
Nach Amnesty International (AI – Amnesty International, Report 2021 und Report 2022; Länderbericht Iran) litten lesbische, schwule, bisexuelle, trans-und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) unter systematischer Diskriminierung und Gewalt. Für einvernehmliche, gleichgeschlechtliche Beziehungen drohten Strafen, die von Auspeitschung bis hin zur Todesstrafe reicht. Sogenannte Konvertierungsbehandlungen, die Folter und anderen Misshandlungen gleichkommen, waren staatlich anerkannt und wurden nach wie vor häufig angewandt, auch bei Minderjährigen. Nicht geschlechtskonforme Personen liefen Gefahr, kriminalisiert und von Bildung und Beschäftigung ausgeschlossen zu werden, es sei denn sie strebten eine legale Geschlechtsangleichung an, die eine entsprechende Operation und die Sterilisation erforderte. Im August 2022 verurteilte ein Revolutionsgericht in Urmia LGBTI-Aktivistinnen zum Tode. Hintergrund war die tatsächliche oder vermeintliche sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität der beiden Frauen sowie ihre Aktivitäten zur Unterstützung von LGBTI+ in den sozialen Medien. Im Mai 2021 wurde ein Mann ermordet, der sich selbst als nichtbinären schwulen Mann bezeichnete. Die Tat machte deutlich, dass die Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen und geschlechtlicher Nichtkonformität durch Strafen, die von Auspeitschen bis zur Todesstrafe reichten, Gewalt und Diskriminierung von LGBTI+ Vorschub leistete. Die Militärbehörden stuften Homosexualität weiterhin als „Perversion“ ein. Vom Militär ausgestellte Bescheide, die homosexuelle und transgeschlechtliche Personen vom Militärdienst ausnahmen, enthüllten indirekt die sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität der Betreffenden, ohne dass sie dem zugestimmt hätten, und setzten sie damit der Gefahr von Gewalt aus.
53
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge legt ebenfalls dar, dass ein öffentliches „Coming Out“ homosexueller Personen aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung in seltenen Fällen erfolgt. Kontrolle, Schikane und diskriminierende Verhaltensweisen erfolgen durch staatliche aber auch nichtstaatliche Dritte. Das Bekanntwerden homosexueller Handlungen kann neben strafrechtlichen Konsequenzen auch zu Repressalien im familiären Umfeld führen, ohne dass es Schutzmöglichkeiten gibt. Nach der Quellenlage ist unstrittig, dass LGBTIQ-Personen im Iran landesweiten Belästigungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind, wobei betroffene Personen aufgrund der Kriminalisierung homosexueller Handlungen eher versteckt leben und dadurch eine hinreichende Dokumentation erschwert wird. Jede sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe ist verboten. Das iranische Strafgesetzbuch kriminalisiert dezidiert gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen. Diese können mit dem Tod, Auspeitschen oder einer anderen Strafe geahndet werden. LGBTIQ-Personen, die offen ihre sexuelle Orientierung ausdrücken, sind einem erhöhten Risiko staatlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, einschließlich möglicher Verhaftung und strafrechtlicher Verfolgung. Sie bleiben aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität anfällig für Gewalt und Verfolgung. Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist mit der Todesstrafe bedroht, aber auch weitere sexuelle Handlungen sind strafbewehrt. Zwischen 2015 und 2020 sind mindestens sechs Männer aufgrund gleichgeschlechtlichen Analsexes hingerichtet worden. Schätzungen gehen seit 1979 von 4.000 hingerichteten Personen aus. Auch gesellschaftlich gilt Homosexualität als Anomalie. Ein gemeinsames Leben von zwei Homosexuellen im Iran wird weder innerhalb der Familie noch innerhalb der Gesellschaft noch seitens des Staates akzeptiert. Am 4. Mai 2021 ist ein Homosexueller laut Auslandsmedien von männlichen Angehörigen seiner Familie ermordet worden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Kurzinformation Iran, Februar 2022, zur Situation von LGBTIQ-Personen im Iran; Briefing Notes vom 10. Mai 2021)
54
Strafrechtliches Vorgehen mit Bezug zur Homosexualität wurde auch schon zuvor vom Deutschen Orient-Institut, dem UNHCR sowie weiteren Stellen, Quellen und Medien bestätigt. Danach gibt es Berichte über Straftäter, die wegen gravierender Delikte wie Vergewaltigung, Prostitution oder Mord angeklagt oder verurteilt wurden und bei denen zusätzlich mitgeteilt wurde, dass es sich um Homosexuelle gehandelt hat, wobei die Homosexualität nicht im Vordergrund gestanden hat (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 15.4.2004 an das VG Köln). Nach Erkenntnissen des UNHCR im Jahre 2002 (vgl. Stellungnahme zur Verfolgungssituation Homosexueller in der islamischen Republik Iran, Januar 2002) stammte eine bekannt gewordene Hinrichtung durch Steinigung wegen wiederholter homosexueller Handlungen und Ehebruch aus dem Jahr 1995. Auch insoweit konnte allerdings nicht geklärt werden, ob die betroffenen Personen allein aufgrund homosexueller Handlungen verurteilt wurden oder ob zusätzliche Anklagen erhoben wurden. Nach Auffassung des UNHCR ist es jedoch nicht angebracht, nur von einer theoretischen Gefährdung auszugehen. Diskriminierende Gesetze und entsprechendes politisches Vorgehen gegen Homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten im Iran erhöhen das Risiko, Opfer von Belästigungen oder sogar tödlicher Gewalt zu werden; sexuelle Minderheiten im Iran werden sowohl von staatlichen als auch privaten Akteuren schikaniert (vgl. VG Bayreuth, U.v. 5.3.2012 – B 3 K 11.30113 – juris, mit Bezug auf einen Bericht von Human Rights Watch vom Dezember 2010 „Diskriminierung und Gewalt gegen sexuelle Minderheiten im Iran“).
55
Sexuelle Minderheiten werden im öffentlichen Raum häufig Opfer von verbalen, gewalttätigen oder gar sexuellen Übergriffen durch Polizisten oder Sicherheitskräfte sowie von Familienmitgliedern oder anderen Privatpersonen. Sie haben dabei keine Möglichkeit gegen diese Übergriffe Schutz zu suchen, was zu einer Straflosigkeit der Täter führt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nufer/Lipp, Zulässigkeit der Wegweisung eines homosexuellen Iraners, Newsletter 30.5.2011).
56
Seit der iranische Revolution 1979 sollen vermutlich bereits 5.000 Schwule und Lesben hingerichtet worden seien. Im Jahr 2019 ist ein Mann wegen verschiedener Anschuldigungen, darunter Sodomie, öffentlich hingerichtet worden, ebenso zwei Männer im Jahr 2014. In Haftanstalten sind homosexuelle Männer im besonderen Maße Misshandlungen ausgesetzt (vgl. VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris Rn. 31 ff. m.w.N.).
57
Betreffend die Homosexualität ist man im Iran noch weit davon entfernt, an Homosexuelle auch nur zu denken. Homophobie, Diskriminierung und drakonische Strafen für homosexuelle Handlungen sind Gründe, warum Iraner auch nach Deutschland fliehen, um hier zu einem selbstbewussten Umgang mit ihrer sexuellen Identität zu finden. Gemäß den Lehren des Islams gelten homosexuelle Handlungen als sündhaft. Homosexuellen Personen bleibt aus Furcht vor Strafe und Repressalien oftmals nur die Flucht ins Exil. Im Iran wissen, wenn überhaupt, oftmals nur enge Familienmitglieder und gute Freunde von der Homosexualität ihrer Verwandten oder Freunde (Iran Journal vom 29.6.2015 „Der lange Weg zum ‚Proud to be Gay‚“).
58
Die Behörden im Iran verfolgen Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität. Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen gleichen Geschlechts sind verboten. Homosexuelle sind Schikanen und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. In einigen Fällen wurden von Sicherheitskräften Razzien in Häusern durchgeführt und auch Websites überwacht. Nicht nur der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist kriminalisiert, sondern auch andere Handlungen, darunter Berühren und intimes Küssen, die mit Peitschenhieben bestraft werden können. Darüber hinaus haben Regierungsvertreter, Mitglieder der Bassidsch-Milizen und Vertreter der Strafverfolgung und der Geheimdienste die Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichem Verhalten als Vorwand benutzt, um eine Überwachung und Regulierung privater einvernehmlicher Beziehungen zwischen Menschen zu etablieren und grundlegende Rechte von Menschen zu verletzen, die beschuldigt wurden, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu unterhalten. Es kam zu Massenverhaftungen von Männern, die man verdächtigte, schwul zu sein (Amnesty International, Report 2015 Iran; queeramnesty, Offener Brief von internationalen NGOs an den Präsidenten der islamischen Republik Iran vom 29.12.2013 – http://www.queeramnesty.de/laender/artikel/kategorie/iran/view/offener-brief-an-den-praesidenten-der-islamischen-republik-iran.html).
59
Die vorstehend zusammenfassend skizzierte Auskunftslage belegt, dass offen gelebte Homosexualität – insbesondere von Männern – im Iran ein erhebliches Gefährdungspotenzial für (vornehmlich auch) staatliche Verfolgung in sich birgt und sich dieses Potenzial im Einzelfall – soweit sie nicht verheimlicht, sondern ausgelebt wird – zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit asyl- bzw. flüchtlingsrelevanter Bedrohung verdichtet (vgl. zur Verfolgung Homosexueller zuletzt etwa VG Köln, U.v. 18.8.2023 – 12 K 3944/20.A – juris; VG Leipzig, U.v. 23.2.2023 – 5 K 1773/20.A, 8179528 – juris, VG Ansbach, U.v. 1.2.2023 – AN 17 K 17.34351 – juris; U.v. 29.7.2022 – AN 10 K 17.30440, 6284512 – juris; VG Darmstadt, U.v. 6.1.2023 – 5 K 466/17.DA.A, 6575692 – juris; VG Stuttgart, U.v. 12.1.2022 – A 11 K 4437/19, 7717038 – juris; VG Trier, U.v. 11.1.2022 – 8 K 2761/21.TR – Milo; VG Bayreuth, U.v. 15.11.2021 – B 10 K 19.30077 – juris; VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris; vgl. auch BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 14 ZB 20.31647 – juris; B.v. 20.1.2020 – 14 ZB 19.30324 – juris; siehe im Übrigen die Nachweise bei VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 – W 8 K 22.30051 – juris Rn. 48 ff., 62; VG Würzburg U.v.15.2.2017 – W 6 K 16.31039 – juris Rn. 43 ff., 50; U.v. 13.12.2015 – W 6 K 15.30648 – juris Rn. 34 ff., 40).
60
Nach dieser Erkenntnislage droht dem Kläger bei einer Rückkehr flüchtlingsrelevante Verfolgung.
61
Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er sexuelle Handlungen vorgenommen hat, die die skizzierten Straftatbestände des iranischen Strafrechts erfüllen. Der Kläger hat überzeugend dargelegt, dass er schon seit seiner Jugendzeit bisexuelle Neigungen hat und auch entsprechend bisexuell bzw. homosexuell geprägt ist. Vor diesem Hintergrund kann es ihm nicht verwehrt werden, seine Bisexualität, einschließlich der Homosexualität auszuleben, wie er dies auch schon in der Vergangenheit praktiziert hat. Zwar hat er bisher seine Homosexualität im Privaten und Verborgenen bzw. im Ausland ausgelebt, weil er seine Homosexualität zum einen mit Rücksicht auf seine Familie wegen der fehlenden Akzeptanz und der damit verbundenen Folgen sowie auch aus Furcht vor Strafverfolgung und wegen der sozialen und gesellschaftlichen Ächtung im Iran verheimlicht hat. Der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf ein Ausleben der Homosexualität bzw. die Unterdrückung und Verheimlichung der eigenen Homosexualität kann dem Kläger jedoch nicht zu seinem Nachteil angelastet werden. Ein unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf homosexuelle Betätigung hindert die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Aus der gleichen Erwägung ist unschädlich, dass der Kläger neben der Angst vor der Verfolgung durch staatliche Behörden bzw. aus Angst vor Repressalien seitens der Gesellschaft, auch aus Angst vor seiner Familie im Iran von einem Ausleben der Homosexualität abgesehen hat und absieht bzw. dies tunlichst verheimlicht (hat). Das Gleiche gilt – wie bereits ausgeführt –, wenn und soweit der Kläger auch mit Rücksicht auf seine Ehefrau und seine zweijährige Tochter Zurückhaltung übt. Dem Kläger kann darüber hinaus nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr weiter seine sexuelle Identität zeitweise oder gar auf Dauer zu verheimlichen oder Zurückhaltung zu üben. Der Kläger droht bei einer Rückkehr vielmehr verfolgt zu werden, wenn er sich seiner Sexualität entsprechend verhalten würde, wie dies bei dem zwei von ihm geschilderten Vorfällen auch schon passiert ist. Im Übrigen wäre selbst – anders als hier – eine bisher fehlende Verfolgung wegen Verheimlichung der Homosexualität im Iran unschädlich. Vielmehr sind in der Person des Klägers die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben.
62
Im Übrigen ist anzumerken, dass mittlerweile geklärt ist, dass homosexuelle und auch bisexuelle Personen asylrechtlich als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind und dass bei der Prüfung des Asylantrags nicht erwartet werden darf, dass homosexuelle Asylbewerber ihre Homosexualität im Herkunftsstaat geheim halten oder sich bei deren Auslebung zurückhalten (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 14 ZB 20.31647 – juris Rn. 10 mit Bezug auf EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2013:720 Rn. 41 ff., 70 ff.). Auch im Iran bilden homosexuelle bzw. bisexuelle Menschen eine bestimmte soziale Gruppe gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Schon wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe droht homosexuellen bzw. bisexuellen Personen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 AsylG (VG Köln, U.v. 18.8.2023 – 12 K 3944/20.A – juris Rn. 51 ff.; VG Leipzig, U.v. 23.2.2023 – 5 K 1773/20.A – juris Rn. 10 f.; VG Ansbach, U.v. 1.2.2023 – AN 17 K 17.34351 – juris Rn. 29; VG Stuttgart, U.v. 12.1.2022 – A 11 K 4437/19, 7717038 – juris S. 10 f.; VG Bayreuth, U.v. 15.11.2021 – B 10 K 19.30077 – juris S. 10 und S. 16; VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 – 2 A 77/18 – juris Rn. 26 ff., 36).
63
Denn die dem Kläger bei einer Rückkehr drohende Verfolgung hat die Qualität einer relevanten Verfolgung im Sinne von § 3 ff. AsylG. Die drohenden Verfolgungshandlungen knüpfen an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG an, konkret an § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Die homosexuelle Ausrichtung des Klägers ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung so bedeutsam und prägend für seine Identität, dass er nicht gezwungen werden kann, darauf zu verzichten. Die befürchteten Verfolgungsmaßnahmen knüpfen an seine geschlechtliche Identität unmittelbar an (vgl. auch Marx, AsylG, 11. Aufl. 2022, § 3b Rn. 37 ff.).
64
Ergänzend wird angemerkt, dass die vom Kläger vorgebrachten Verfolgung durch staatliche Akteure, wozu auch die Bassidsch gehören, nicht auf diese beschränkt ist. Denn nach § 3c Nr. 3 AsylG kann eine Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der iranische Staat wie hier nicht in der Lage und nicht willens ist, hinreichend Schutz vor Verfolgung zu bieten. Homosexuelle bzw. Bisexuelle haben indes im Iran keinen Anspruch auf staatliche Schutzgewährleistung. Im Gegenteil, der iranische Staat würde den Kläger als Homosexuellen bei einem Bekanntwerden seiner sexuellen Orientierung vielmehr selbst verfolgen.
65
Da dem Kläger seitens staatlicher Akteure gemäß § 3c Nr. 1 AsylG Verfolgung droht scheidet ein Verweis auf staatliche oder anderweitige Schutzakteure (§ 3d AsylG) aus. Auch kommt die Inanspruchnahme internen Schutzes (§ 3e AsylG) wegen der landesweit drohenden staatlichen Verfolgung nicht in Betracht.
66
Gesamtbetrachtet wäre der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran aufgrund seiner Homosexualität bzw. Bisexualität der ständigen Gefahr einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt. Dem Kläger kann weiter nicht zugemutet werden, auf das Ausleben seiner Homosexualität zu verzichten. Ein Schutz durch den iranischen Staat ist nicht gegeben. Eine Rückkehr in den Iran ist dem Kläger unter diesem Vorzeichen nicht zumutbar.
67
Vor diesem Hintergrund sind auch die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU erfüllt, wonach bei einer gegebenen Vorverfolgung eine wirkliche tatsächliche Vermutung steht, dass sich die früheren Handlungen und Bedrohungen – wie sie der Kläger in der mündlichen Verhandlung durchaus glaubhaft geschildet hat – bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen würden, sofern nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Betreffende erneut vor solcher Verfolgung bedroht würde.
68
Nach alledem war dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen und der angefochtene Bundesamtsbescheid insoweit in seinen Nummern 1 und 3 bis 6 aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) sowie zur nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG).
69
Neben der Aufhebung der entsprechenden Antragsablehnung im Bundesamtsbescheid sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und Ausreisefristbestimmung rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
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Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidung entfallen sind (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
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Abgesehen davon und ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt, sind die Nummern 5 und 6 des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheides zur Abschiebungsandrohung und zum Einreise- und Aufenthaltsverbot auch wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 Buchst. a) und b) RL 2008/115 EG (Rückführungsrichtlinie) rechtswidrig, weil schon im Asylverfahren das Kindeswohl und die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind. Dies gilt gerade auch im Verfahren des Vaters einer/eines Minderjährigen und erst recht in der vorliegenden Konstellation, da der Kläger verheiratet ist und in einer familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seiner zweijährigen Tochter lebt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung zum einen glaubhaft dargelegt, dass er ein gutes Verhältnis zu seiner Ehefrau habe, und zum anderen betont, dass er auch eine enge Beziehung zu seiner Tochterpflege. Er wohne mit seiner Ehefrau und mit dem zwei Jahre alten Kind zusammen. Er helfe seiner Frau daheim beim Waschen, Putzen und dergleichen. Wenn seine Frau nicht da sei, kümmere er sich alleine um das Kind. Er mache alles, was dazu gehöre, wie etwa Windeln wechseln usw. Er sei der Vater des Kindes und das Kind sage Papa zu ihm. Bei dieser Sachlage ist die von der Beklagten getroffene Rückkehrentscheidung wegen Verstoßes gegen die zitierte Rückführungsrichtlinie rechtswidrig, weil das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sind entsprechend europarechtskonform auszulegen bzw. anzuwenden (vgl. jeweils ausführlich und mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung des EuGH und BVerwG, zuletzt etwa VG Hannover, B.v. 17.10.2023 – 1 B 2537/23 -juris Rn. 4 ff.; VG Bremen, U.v. 4.10.2023 – 4 K 891/23 – juris Rn. 16 ff.; VG Augsburg, B. v. 29.9.2023 – Au 9 S 23.30872 – juris Rn.32 ff.; HessVGH, B.v. 4.9.2023 – 3 D 1144/23 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, B.v. 1.8.2023 – 2 ZB 23.30551 – juris Rn. 3 ff; VG Würzburg, B.v. 25.7.2023 – W 8 S 23.30389 – juris Rn. 27 ff.; VG Hamburg, U.v. 14.7.2023 – 8 A 490/21 – juris Rn. 86 ff.; VG SH, U.v. 11.7.2023 – 11 A 229/21, 8299735 – juris S. 9 ff.; VG Aachen, B.v. 4.7.2023 – 4 L 408/23.A – juris Rn. 5 ff.; U.v. 17.5.2023 – 4 K 1665/20.A – juris Rn. 134 ff.; VG München, U.v. 19.6.2023 – M 9 K 18.33247 – juris Rn. 47 ff.; U.v. 26.4.2023 – M 27 K 22.31189 – juris Rn. 19 ff.; VG Leipzig, U.v. 19.6.2023 – 1 K 496/22.A – juris Rn. 34 ff.; VG Regensburg, U.v. 19.5.2023 – RO 14 K 22.30745 – juris Rn. 72 ff.).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.