Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 07.09.2023 – W 6 S 23.30483
Titel:

Erfolgloser isolierter Folgeschutzantrag bezogen auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten – Leukämieerkrankung einer armenischen Staatsangehörigen 

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 71
EMRK Art. 3
AufenthG § § 60a Abs. 2c S. 1, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Dass das Niveau der medizinischen Versorgung in Armenien unter Umständen hinter dem in Deutschland zurückbleibt, führt bereits von Gesetzes wegen nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes (vgl. § 60 Abs. 7 S. 4 AufenthG). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Armenien, einstweiliger Rechtsschutz, isolierter Folgeschutzantrag, Leukämie, vorläufiger Rechtsschutz, Feststellung nationaler Abschiebungsverbote, Wiederaufgreifen des Verfahrens, allogene Stammzellentransplantation
Fundstelle:
BeckRS 2023, 32368

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung ihres isolierten Folgeschutzantrages hinsichtlich der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote.
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1. Die Antragstellerin ist armenische Staatsangehörige. Sie reiste erstmals am 9. März 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25. April 2017 einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für ... vom 11. Oktober 2017 abgelehnt. Eine hiergegen gerichtete Klage wurde durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Dezember 2018 (Az.: W 8 K 18.31172) abgewiesen. Ein Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Februar 2021 (Az.: 2 ZB 19.31292) abgelehnt.
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Am 4. Mai 2021 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
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Der Antrag wurde am 8. Juni 2021 zurückgenommen und gegenüber der Ausländerbehörde die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland erklärt.
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Am 16. Juli 2021 verließ die Antragstellerin die Bundesrepublik Deutschland freiwillig.
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Am 4. September 2022 reiste die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Kläger im Verfahren W 6 K 23.50211, aus Frankreich kommend erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27. September 2022 mit anwaltlichem Schreiben einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
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Zur Begründung ließ sie unter Vorlage diverser ärztlicher Atteste im Wesentlichen ausführen: Die Antragstellerin leide an einer sehr schweren Form der Leukämie und sei deswegen im vorigen Jahr in Deutschland bereits nichtoperativ behandelt worden. Nach dieser Therapie sei man zunächst der Ansicht gewesen, die gefährliche Krankheit der Antragstellerin sei eingedämmt worden und sie sei nach Armenien zurückgekehrt. Es sei in diesem Jahr aber zu einem erneuten schweren Ausbruch der Erkrankung gekommen. Es liege ein Krankheitsrezidiv vor, welches eine allogene Knochenmarkstransplantation notwendig mache, welche in Armenien derzeit nicht durchgeführt werde.
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Mit Bescheid vom 24. August 2023 stellte das Bundesamt für ... fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bei der Antragstellerin nicht vorliegen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG seien zwar gegeben, jedoch lägen keine Abschiebungsverbote vor. Der Antragstellerin drohe in Armenien keine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Auch die gesundheitliche Situation der Antragstellerin führe nicht zur Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Es sei kein Behandlungsbedarf erkennbar, der nicht auch in Armenien erfolgen könne. Insbesondere sei dort im Juni 2021 erstmals eine allogene Knochenmarkstransplantation durchgeführt worden. Für die Behandlung von Krebserkrankungen würden zudem kostenlose onkologische Leistungen angeboten. Aufgrund der Ausreise der Antragstellerin sei die mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 erlassene Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden. Für den Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung sei das Bundesamt im vorliegenden Fall nicht zuständig, da es hierzu an einer entsprechenden Rechtsgrundlage fehle. § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG finde keine Anwendung, da er sich nur auf Folgeanträge beziehe.
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2. Am 2. September 2023 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 6 K 23.30482 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin könne in ihrem Zustand nicht abgeschoben werden. Sie sei am 27./28. Dezember 2022 wegen der schweren Leukämie operiert worden und werde ständig weiter von Ärzten behandelt. Es sei wichtig, dass nach der Operation die lange Nachbehandlung mit Medikamenten und Kontrollen erfolge. Die Antragstellerin könne in Armenien nicht behandelt werden, da es für den komplizierten Fall der ungewöhnlich schweren Form der Leukämie dort weder erforderliche gute Medikamente gebe noch eine Operation möglich sei. Es sei bereits einmal von der Heilung ausgegangen worden und es dennoch zu einem lebensgefährlichen Rezidiv gekommen.
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Das Bundesamt für ... beantragt für die Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen.
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3. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich des Verfahrens W 6 K 23.30482 und des Erstverfahrens W 8 K 18.31172) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg, da er bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet ist.
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Der gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht statthaft, da in der Hauptsache allein eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage statthaft ist und auch eine Umdeutung des anwaltlich formulierten Antrags im Wege der Auslegung (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) vorliegend nicht zulässigerweise in Betracht kommt.
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Im Übrigen ist der Antrag jedenfalls unbegründet, da die Antragstellerin derzeit keinen Anordnungsanspruch dahingehend glaubhaft gemacht hat, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung bis zum Abschluss des Klageverfahrens in der Hauptsache auszusetzen wäre.
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Im Einzelnen:
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unzulässig, da er nicht statthaft ist.
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Die Antragsgegnerin hat den isolierten Folgeschutzantrag der Antragstellerin bezogen auf die Feststellung hinsichtlich des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG als zulässig behandelt, in der Sache geprüft und abgelehnt. Die im Verfahren W 6 K 23.30482 erhobene Klage ist darauf gerichtet unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für ... vom 24. August 2023 festzustellen, dass bei der Antragstellerin Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Insoweit handelt es sich in der Hauptsache um eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage nach § 42 Abs. 1 Hs. 2 1. Alt. VwGO. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung scheidet damit aus.
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Der Bescheid enthält darüber hinaus keine Abschiebungsandrohung, welche in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage anzugreifen und hinsichtlich derer einstweiliger Rechtsschutz im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nachzusuchen wäre. Ferner ist die im Erstverfahren gegenüber der Antragstellerin ergangene Abschiebungsandrohung aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Ausreise nach Armenien verbraucht. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob § 71 Abs. 5 und 6 AsylG, wonach ein Verbrauch der Abschiebungsandrohung in Asylfolgeverfahren auch bei einer zwischenzeitlichen Ausresie nicht eintritt, mit europarechtlichen Vorgaben, insbesondere aus der RL 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungs-RL) vereinbar ist (ablehnend: VG Würzburg, B.v. 27.4.2023 – W 4 E 23.30232 – juris Rn. 36 ff. m.w.N.). Denn diese Regelungen sind auf isolierte Folgeschutzanträge, wie hier, die keine Asylanträge sind, nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar, zumal im vorliegenden Fall auch keine Ablehnung des Antrags als unzulässig erfolgt ist (vgl. VG Münster, B.v. 20.1.2021 – 8 L 793/20 – juris Rn. 11).
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Einstweiliger Rechtsschutz ist daher vorliegend im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verfolgen. Auch wenn derzeit keine vollziehbare Abschiebungsandrohung betreffend die Antragstellerin vorliegt, ist die insoweit zuständige Ausländerbehörde alleine aufgrund des gestellten isolierten Folgeschutzantrags grundsätzlich nicht gehindert, die Abschiebung der Antragstellerin nach Erlass einer entsprechenden Abschiebungsandrohung zu vollziehen. § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG, wonach die Abschiebung erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nicht vorliegen, vollzogen werden darf, steht dem nicht entgegen, da die Antragsgegnerin zum einen im vorliegenden Verfahren vom Vorliegen der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ausgegangen ist und im Übrigen auch diese Vorschrift auf isolierte Folgeschutzanträge keine Anwendung findet (vgl. NdsOVG, B.v. 26.2.2018 – 13 ME 438/17 – juris Rn. 19; OVG NW, B.v. 11.9.2017 – 18 B 1033/17 – juris Rn. 5; OVG RhPf, B.v. 20.7.2017 – 7 B 11085/17 – juris Rn. 7; HessVGH, B.v. 14.12.2006 – 8 Q 2642/06.A – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 29.11.2005 – 24 CE 05.3107 – juris Rn. 11; a.A. VGH BW, B.v. 29.5.2017 – 11 S 2493/16 – juris Rn. 8).
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Eine Umdeutung des anwaltlich ausdrücklich auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gerichteten Antrags in den statthaften Antrag nach § 123 VwGO mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben werden darf, kommt vorliegend nicht in Betracht, da weder der gestellte Antrag noch die Antragsbegründung ansatzweise Anhaltspunkte für ein derartiges Rechtsschutzziel der Antragstellerin enthalten. Auch unter Berücksichtigung von § 88 VwGO würde eine derartige Auslegung über das erkennbare Antragsbegehren hinausgehen.
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2. Selbst wenn man zulässigerweise eine Auslegung dahingehend vornehmen würde, dass die Antragstellerin im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO begehrt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht nach Armenien abgeschoben werden darf, wäre ein solcher Antrag jedenfalls unbegründet, da kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurde.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass für die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 129 Abs. 2 ZPO sind das Bestehen eines zu sichernden Rechtes (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
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Gemessen hieran hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch in Bezug auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht.
27
Das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wurde nicht glaubhaft gemacht. Der Antragstellerin droht bei einer Rückkehr keine Behandlung, die gegen die Garantien des Art. 3 EMRK verstößt.
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Insbesondere hat das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid vom 24. August 2023 die derzeitige humanitäre Situation in Armenien ausführlich gewürdigt und ist auf etwaige Hilfsmöglichkeiten eingegangen. Darauf wird im Einzelnen verwiesen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Im gerichtlichen Verfahren wurde nichts vorgetragen, was eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würde.
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Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz AufenthG aufgrund der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin wurde ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.
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Auch diesbezüglich ist zunächst auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zu verweisen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
31
Ergänzend ist auszuführen:
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Erkrankungen rechtfertigen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer bzw. die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Gemessen hieran liegen die Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei der Antragstellerin nicht vor.
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Zwar geht das Gericht aufgrund der vorgelegten ärztlichen Atteste, auch im Erstverfahren W 8 K 18.31172 davon aus, dass bei der Antragstellerin eine Leukämieerkrankung vorliegt, welche grundsätzlich als schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankung im obigen Sinne anzusehen ist.
34
Gleichwohl ist den beim Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Attesten kein aktueller Behandlungsbedarf zu entnehmen, der nicht auch im Heimatland durchgeführt werden könnte. Ausweislich des aktuellsten vorgelegten Attestes des Universitätsklinikums W* … vom 7. Juni 2023 (Bl. 89 ff. der Behördenakte) wurde bei der Antragstellerin am 27. und 28. Dezember 2022 eine allogene Stammzellentransplantation durchgeführt. Diesem Attest sind keine konkreten Behandlungen zu entnehmen, welche nur in der Bundesrepublik Deutschland und nicht auch im Heimatland durchgeführt werden könnten.
35
Das Bundesamt hat in seinem Bescheid schon ausführlich die Situation der medizinischen Versorgung in Armenien gewürdigt, worauf im Einzelnen Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 3 AsylG). Dass das Niveau der medizinischen Versorgung in Armenien unter Umständen hinter dem in Deutschland zurückbleibt, führt bereits von Gesetzes wegen nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Im Übrigen ist die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet und erfolgt auf primärer Ebene auch kostenlos (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, Lagebericht, Stand: Mai 2022, S. 19 f.). Die Dienste von Onkologen stehen in Polikliniken kostenlos zur Verfügung (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Armenien, Stand: 17.3.2020, S. 36 f.).
36
Atteste neueren Datums, welche zu einer abweichenden Beurteilung führen würden, wurden nicht vorgelegt, sodass die Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung der Antragstellerin nicht entgegenstehen, nicht entkräftet wurde. Es wurde zum derzeitigen Zeitpunkt nicht glaubhaft gemacht, dass sich die Leukämieerkrankung der Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Armenien unmittelbar wesentlich verschlechtern würde.
37
Das Gericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass nach der Erkenntnislage die bei der Antragstellerin durchgeführte allogene Stammzellentransplantation und einige damit zusammenhängende Behandlungen in Armenien nicht durchgeführt werden, obgleich eine grundsätzliche Nachsorge verfügbar ist (vgl. MedCOI, Auskunft vom 2.2.2023, AVA-16483; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Armenien vom 2.7.2020, Myelodysplastisches Syndrom). Es fehlt jedoch an aktuellen aussagekräftigen Attesten, welche konkreten (Nachsorge-)behandlungen bei der Antragstellerin durchgeführt werden müssen und welche (negativen) Folgen eine etwaige Nichtdurchführung hätte. Im Hinblick auf den summarischen Charakter des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist im vorliegenden Verfahren keine weitere Sachaufklärung seitens des Gerichts veranlasst (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 80 Rn. 125 m.w.N.).
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Die Vorlage aktueller aussagekräftiger Atteste, welche den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG genügen, obliegt der Antragstellerin (vgl. § 60a Abs. 2d Satz 1 AufenthG) und ist ihr im noch laufenden Klageverfahren ebenso unbenommen, wie das etwaige Nachsuchen einstweiligen Rechtsschutzes.
39
Die Frage, ob die Antragstellerin derzeit reisefähig ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht von Relevanz, sondern ggf. gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend zu machen.
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3. Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.