Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 17.10.2023 – 1 K 23.498
Titel:

Erfolgreiche Klage eines deutschen Staatsangehörigen auf Ausstellung eines zweiten Reisepasses wegen einer geplanten, aber noch nicht vollständig gebuchten Weltreise

Normenketten:
PassG § 1 Abs. 3
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. Ein berechtigtes Interesse stellt es regelmäßig dar, wenn einer Person die Einreise in einen Staat verweigert wird, weil sie sich zuvor in einem anderen Staat aufgehalten hat und dieser Voraufenthalt aus dem Reisepass der Person ersichtlich ist. Dies betrifft typischerweise die Einreise in bestimmte arabische Staaten, wenn zuvor eine Reise nach Israel stattgefunden hat. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Um dem Ausnahmecharakter des § 1 Abs. 3 PassG Rechnung zu tragen, ist es dann aber erforderlich, dass diese Gefahr der Einreiseverweigerung hinreichend konkret ist. Ein berechtigtes Interesse verlangt daher den schlüssigen Nachweis, dass die beantragende Person konkret und zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhat, sowohl die Reise in den Staat, aufgrund derer später andere Staaten die Einreise verweigern werden, als auch die Reise in diese anderen Staaten anzutreten. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweitpass, berechtigtes Interesse, Reisepass, Verweigerung der Einreise, Israel, konkrete Planung der Reise, berechtigtes Interesse gegeben
Fundstelle:
BeckRS 2023, 32267

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger einen Zweitpass auszustellen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, begehrt die Ausstellung eines zweiten Reisepasses.
2
Am 3. Februar 2023 beantragte der Kläger bei der Beklagten mündlich die Ausstellung eines zweiten Reisepasses für eine von ihm geplante Weltreise. Die Beklagte lehnte den Antrag mündlich ab. Dies wurde damit begründet, dass eine Ausstellung eines zweiten Passes nur aus beruflichen Gründen in Betracht käme. Sinngemäß führte die Beklagte aus, dass ein Privatreisender damit leben müsse, wenn ihm aufgrund eines Stempels eines bestimmten Landes die Einreise in ein anderes Land versagt würde. Der Beklagten seien im Übrigen keine Fälle bekannt, in denen es zu einer derartigen Ablehnung der Einreise käme. Der Kläger habe darüber hinaus keine konkreten Reisepläne nachgewiesen. Sie verwies des Weiteren auf eine Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg zu einem vergleichbaren Fall.
3
Am 8. Februar 2023 stellte der Kläger schriftlich einen Antrag auf die Ausstellung eines zweiten Passes und legte dem eine Aufstellung der geplanten Reiseziele seiner Weltreise bei. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Februar 2023 ab und begründete dies damit, dass der Kläger keine konkreten Nachweise für ein berechtigtes Interesse erbracht habe. Der Kläger habe keine Buchungsunterlagen vorgelegt, aus denen hervorgehe, welche Länder er bereisen wolle und welche Visumverfahren dort durchzuführen seien. Die vom Kläger vorgelegte Aufstellung der voraussichtlich zu besuchenden Länder sei nicht ausreichend. Ein berechtigtes Interesse entstünde auch nicht dadurch, dass die Beantragung eines Visums mit einer gewissen Bearbeitungsdauer verbunden sei, da die entsprechende Reiseroute rechtzeitig vorauszuplanen sei, damit es nicht zu Verzögerungen bei der Visabeantragung und Einreise in den jeweiligen Staat käme. Mit Schreiben vom 21. Februar 2023 legte der Kläger hiergegen „Widerspruch“ ein. Darin führt er im Wesentlichen aus, dass er anders als im Fall des OVG Berlin-Brandenburg konkrete Reisepläne nach Israel habe. Er habe konkrete Reisepläne unter Angabe konkreter Daten vorgelegt. Auch habe er angeboten, ein Flugticket vorzulegen, was die Beklagte jedoch abgelehnt habe. Er sehe sich in seiner Reisefreiheit erheblich eingeschränkt. Er wolle sowohl nach Israel als auch in die arabischen Staaten und danach in die USA reisen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes könne sich eine Reise nach Iran auf die spätere Einreise in die USA auswirken. Dies führe zu einem Ausschluss vom USA Visa Waiver Program und mache die Beantragung eines Visums in der US-Botschaft oder einem Konsulat in Deutschland notwendig, zwänge den Kläger also zur Unterbrechung seiner Reise, um das Visum zu beantragen. Dieses Visum würde dann aber im Zweifel nicht notwendig genehmigt. Zudem sei in der Ablehnung nicht berücksichtigt worden, dass dem Kläger aufgrund eines Stempels im Pass die Einreise in bestimmte Staaten verweigert werden könne, so etwa bei einer Reise in arabische Länder bei einem Voraufenthalt in Israel oder bei einer Reise in die USA bei einem Voraufenthalt im Iran. Ausweislich eines Schreibens des Deutschen Bundestages müsse der Antragsteller sein berechtigtes Interesse möglichst durch Vorlage etwa eines Flugtickets nachweisen. Gefordert sei dies nur „möglichst“, sei also nicht unbedingt erforderlich. Der Kläger fügte dem Widerspruch ein Flugticket für den 28. und 29. April 2023 von Memmingen nach Tel Aviv mit Zwischenstopp in Suceava (Rumänien) bei.
4
Am 6. März 2023 stellte der Kläger einen Neuantrag auf Ausstellung eines zweiten Reisepasses. Er legte das Flugticket für den 28. und 29. April 2023 von Memmingen nach Tel Aviv mit Zwischenstopp in Suceava (Rumänien) vor und erläuterte, dass Israel die erste Station seiner Weltreise sei. Er reichte zudem eine Auflistung seiner vorläufigen Reiseroute ein (Deutschland – Israel – Ägypten – Sudan – Iran – Pakistan – Indien – Sri Lanka – Bangladesch – Myanmar – Thailand – Laos – Vietnam – Kambodscha – Malaysia – Indonesien – Australien – Neuseeland – USA – Kanada – Deutschland). Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Schreiben vom 21. Februar 2023.
5
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22. März 2023 ab. Die vorgelegten Nachweise genügten nicht, um ein berechtigtes Interesse für die Ausstellung eines Zweitpasses nachzuweisen. Dass Probleme bei der Einreise in arabische Länder entstehen könnten, wenn im Pass ein israelischer Reisestempel vorhanden sei, sei keine Rechtfertigung für einen Zweitpass, ebenso wenig, dass bei einer voraussichtlichen Einreise in die USA mit Stempeln vom Iran oder arabischen Ländern Schwierigkeiten aufkommen könnten. Derzeit sei völlig unspezifiziert, ob und wann der Kläger in die USA einreisen wolle. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, im Bedarfsfall jederzeit bei einer deutschen Auslandsvertretung einen zweiten Reisepass zu beantragen. Probleme bei der Einreise in verschiedene Länder hätten mit der grundgesetzlichen Reisefreiheit nichts zu tun. Komme es zu Problemen bei der Einreise, liege dies in der Verantwortung des Betroffenen. Denn es liege im Ermessen der jeweiligen Länder, ob und welche Personen einreisen dürften.
6
Mit Schreiben vom 27. März 2023 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 22. März 2022.
7
Das vorgelegte Flugticket nach Tel Aviv, Israel, das den Beginn seiner Weltreise darstelle, genüge als Nachweis für ein berechtigtes Interesse. Es sei ihm nicht möglich, weitere Nachweise vorzulegen. Denn die weiteren Etappen der Reise werde er erst unterwegs buchen, wenn er genauer wisse, wie lange er sich in den vorhergehenden Ländern aufhalten wolle. Dies könne er nicht von vorneherein abschätzen, es hänge von verschiedenen Faktoren ab. Darüber hinaus werde er, wenn es sinnvoll sei, auch auf dem Landweg reisen und das notwendige Busticket dann am Tag der Reise oder am Tag zuvor kaufen. Auch die notwendigen Visa der Reise beantrage er nicht vorab, da er die meisten Visa bei Einreise bekäme oder kurzfristig elektronisch buchen könne. Notfalls könne er vor Ort durch Hinterlegung des Reisepasses bei der zuständigen Auslandsvertretung im vorhergehenden Reiseland noch ein Visum für das nachfolgende Land beantragen. Er könne ein berechtigtes Interesse an einem Zweitpass vorweisen, wie er bereits im Schreiben vom 6. März 2023 dargelegt habe. Seine Einreise in die USA sei nicht unspezifiziert, er habe seine Reisepläne dargelegt. Den genauen Zeitpunkt der Einreise könne er nicht angeben, zudem werde dies gesetzlich auch nicht gefordert. Mit der Vorlage des Flugtickets habe er hinreichend dargelegt, dass er die Weltreise nach den vorgelegten Reiseplänen antreten werde. Dass er auch im Ausland einen Zweitpass beantragen könne, sei kein überzeugender Grund, weshalb er diesen nicht auch bereits vorab in Deutschland erlangen könne. Seine Reisefreiheit sei beschränkt, da er ohne einen Zweitpass in einige Länder nicht reisen könne. Der Betroffene könne Probleme bei der Einreise mittels eines Reisepasses umgehen; die Verantwortung des Betroffenen im Hinblick auf Einreiseprobleme liege daher allein darin, dass er einen Zweitpass beantragen könne, wie dies auch gesetzlich vorgesehen sei. Es liege zwar im Ermessen eines jeden Landes, welche Personen einreisen dürften, aber ein Zweitpass ermögliche gerade, Einreisebeschränkungen zu umgehen.
8
Zuletzt beantragt der Kläger:
9
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger einen zweiten Reisepass auszustellen,
10
hilfsweise,
11
über seinen Antrag unter Beachtung der Auffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
12
Es läge ein berechtigtes Interesse vor. Es komme ausweislich der Verwaltungsvorschrift zu § 1 Abs. 3 PassG und den Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages für die Ausstellung eines Zweitpasses entscheidend und lediglich darauf an, dass ein Einreisestaat einem Deutschen vermutlich die Einreise verweigern könnte, da aus dem Pass der Aufenthalt in einem anderen Staat ersichtlich ist. Um das berechtigte Interesse schlüssig zu belegen, bedürfe es einer konkretisierten Beschreibung von Reisezweck und Route und der Vorlage von Unterlagen. Das berechtigte Interesse rühre daher, dass der Kläger Einreise- und Ausreiseverweigerungen schon vorab mithilfe eines Zweitpasses entgegenwirken wolle. Das Visumverfahren erfordere teilweise die Vorlage des Originalpasses und das Abwarten von Bearbeitungszeiten. Manche Länder erlaubten einen Visumsantrag nur recht kurzfristig, sodass der Kläger während seiner Reise einen Visumsantrag stellen müsse. Manchmal müsse hierfür der Originalpass zur Bearbeitung abgegeben werden und verbliebe dort während längerer Bearbeitungszeiten. Mit einem Zweitpass könne der Kläger seine Ausweispflicht im Ausland erfüllen, während der andere Pass bei der Botschaft liege. Der Zweitpass diene als Backup. Ein Zweitpass erlaube dem Kläger zudem, während der Bearbeitungszeit des Visums für ein bestimmtes Land in ein anderes Land weiterzureisen und bei seiner Rückkehr das fertige Visum abzuholen. Darüber hinaus bestünde ein berechtigtes Interesse, da israelische Einreisestempel bei der Einreise in arabische bzw. muslimisch geprägte Staaten Probleme verursachten. Viele muslimisch geprägte Länder verweigerten dann die Einreise. Zu diesen Ländern zählten unter anderem der Iran und der Sudan. Zwar könne man an der israelischen Kontrolle fragen, ob man einen Sichtvermerk auf einem Zettel bekomme, was häufig getan werde, trotzdem sei man auf der sicheren Seite, wenn man einen Zweitpass mitführe. Im Übrigen sei auch aus dem Einreisestempel des Staates, in den der Kläger nach seinem Aufenthalt in Israel weiterreise, etwa nach Ägypten, erkenntlich, dass er sich zuvor in Israel aufgehalten habe. Auch die USA könnten aufgrund eines arabischen Stempels kritische Fragen stellen und den Reisenden zum Verhör bitten. Ein Zweitpass erspare extrem viel Zeit und Nerven. Auch die Einreisebestimmungen in die USA erforderten den Vorhalt eines Zweitpasses. Auch seien bei der Weltreise andere Unwägbarkeiten, etwa ein Verlust oder Diebstahl von Unterlagen, der Ausbruch einer Pandemie, eine Erkrankung des Klägers oder ein Vulkanausbruch denkbar, die ihn zum Abbruch seiner Reise zwingen. Es ist denkbar, dass der Kläger, der per low-budget-Verbindungen reise, über solche Staaten ausreisen müsse, in denen er mit einem durch ungünstige Einreisestempel „belasteten“ Reisepass nicht weiterkäme.
13
Von Israel aus wolle der Kläger über den Landweg nach Ägypten weiterreisen und könne daher weder ein Ticket noch eine Buchung für die Weltreise vorlegen. Die im Schreiben angefügte Reiseroute konkretisiere das berechtigte Interesse des Klägers. Der Kläger legte seinem Schreiben eine Auflistung der geplanten Route über 18 Länder mit ungefährem zeitlichen Rahmen der geplanten Aufenthalte vor, auf die verwiesen wird. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, dass er aktuell noch keine konkrete Buchung vorgenommen habe, jedoch beabsichtige, die Weltreise anzutreten und entsprechende Buchungen vorzunehmen, sobald er den Zweitpass in Händen halte. Er erklärte sich grundsätzlich bereit, den Zweitpass unverzüglich nach Beendigung seiner Weltreise zurückzugeben oder ungültig stempeln zu lassen.
14
Die Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Die Flugbuchung für die erste Etappe und die voraussichtliche Reiseroute genügten nicht, um ein berechtigtes Interesse nach § 1 Abs. 3 PassG darzulegen. Ungefähre, jedoch noch nicht hinreichend konkretisierte und nachgewiesene Reiseabsichten bzw. Reiserouten könnten ein berechtigtes Interesse nicht begründen. Das Bestehen eines konkreten berechtigten Interesses sei ohne Buchungsnachweise fraglich. Nach Kenntnis der Beklagten würde Israel keine Sichtvermerke in einem Pass anbringen, sondern hierfür Einlegeblätter verwenden. Im Übrigen werde auf den Bescheid vom 22. März 2023 verwiesen.
17
Am 17. Oktober 2023 fand mündliche Verhandlung statt. Auf das dabei gefertigte Sitzungsprotokoll wird ergänzend ebenso Bezug genommen wie auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Behördenakte.

Entscheidungsgründe

18
Die Klage hat Erfolg, sie ist zulässig und begründet. Die Ablehnung des Antrags des Klägers vom 22. März 2023 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines Zweitpasses nach § 1 Abs. 3 PassG.
19
1. Nach § 1 Abs. 3 PassG darf niemand mehrere Pässe der Bundesrepublik Deutschland haben, sofern nicht ein berechtigtes Interesse an der Ausstellung mehrerer Pässe nachgewiesen ist. Auf diese Weise soll einem Missbrauch durch Weitergabe von Pässen entgegengewirkt werden (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD 3 – 3000 – 067/17, 13. März 2017, S. 3; Beimowski/Gawron/Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PassG § 1 Rn. 9). Der Begriff des berechtigten Interesses ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich umfassend überprüfbar ist. Da die Erteilung eines Zweitpasses einen Ausnahmefall darstellt, ist die Vorschrift eng auszulegen (so auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 3.4.2020 – OVG 5 N 59.16 –, juris Rn. 6). Für das berechtigte Interesse reicht die bloße Glaubhaftmachung nicht aus. Notwendig ist vielmehr, dass das berechtigte Interesse schlüssig nachgewiesen wird (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD 3 – 3000 – 067/17, 13. März 2017, S. 3; Beimowski/Gawron/Beimowski/Gawron, 1. Aufl. 2018, PassG § 1 Rn. 11). Die Beweislast trifft den Antragsteller.
20
Nach Überzeugung des Gerichts hat der Kläger ein solches berechtigtes Interesse nachgewiesen.
21
a) Ein berechtigtes Interesse stellt es regelmäßig dar, wenn einer Person die Einreise in einen Staat verweigert wird, weil sie sich zuvor in einem anderen Staat aufgehalten hat und dieser Voraufenthalt aus dem Reisepass der Person ersichtlich ist (BT-Drs. 10/3303, S. 11; Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD 3 – 3000 – 067/17, 13. März 2017, S. 3). Dies betrifft typischerweise die Einreise in bestimmte arabische Staaten, wenn zuvor eine Reise nach Israel stattgefunden hat.
22
Um dem Ausnahmecharakter des § 1 Abs. 3 PassG Rechnung zu tragen, ist es dann aber erforderlich, dass diese Gefahr der Einreiseverweigerung hinreichend konkret ist (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 3.4.2020 – OVG 5 N 59.16 – juris Rn. 9; Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD 3 – 3000 – 067/17, 13. März 2017, S. 3). Der Beantragung eines Zweitpasses ohne näheren Reisewunsch, gleichsam ins Blaue hinein, um sich zukünftig etwaige Reisemöglichkeiten offenzuhalten, steht die klare gesetzgeberische Wertung entgegen, dass im Grundsatz niemand mehrere Pässe haben soll. Ein berechtigtes Interesse verlangt daher den schlüssigen Nachweis, dass die beantragende Person konkret und zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhat, sowohl die Reise in den Staat, aufgrund derer später andere Staaten die Einreise verweigern werden, als auch die Reise in diese anderen Staaten anzutreten. Dies ist eine Tatsachenfrage, die im Einzelfall zu prüfen ist.
23
Bei einer Weltreise, bei der die Person zunächst noch offenhalten möchte, welche Länder sie zu welchem Zeitpunkt bereisen wird, kann sie daher einen Zweitpass erst dann beantragen, wenn sich ihre Reisepläne konkretisiert haben. Sie kann den Zweitpass dann an einer deutschen Auslandsvertretung beantragen. Die Ausstellung eines Zweitpasses zu Beginn der Weltreise, wenn diese Reisepläne noch völlig offen sind, ist ihr dagegen verwehrt (siehe die Informationen des Bundesministerium des Inneren, BMI – Reisepass – Häufige Fragen und Antworten zu Pässen (bund.de), zuletzt aufgerufen am 19. Oktober 2023).
24
b) Nach diesem Maßstab hat der Kläger nach der Überzeugung des Gerichts hinreichend ein berechtigtes Interesse nachgewiesen. Der Kläger möchte seine Weltreise in Israel beginnen und hiernach in die Staaten Sudan und Iran weiterreisen. Ausweislich der Informationen des Auswärtigen Amtes verweigern diese Staaten Personen die Einreise, die sich zuvor in Israel aufgehalten haben (siehe Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zum Iran, Iran: Reise- und Sicherheitshinweise – Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de), zuletzt aufgerufen am 19. Oktober 2023, und Sudan, Sudan: Reise- und Sicherheitshinweise – Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de), zuletzt aufgerufen am 19. Oktober 2023). Die aktuelle politische Lage seit Oktober 2023 legt nahe, dass sich die Beziehung zwischen Israel und diesen Staaten in absehbarer Zeit verschlechtern und sich die Einreisebestimmungen im Sudan und Iran entsprechend weiter verschärfen werden.
25
Zwar mag es gängige Praxis israelischer Behörden sein, Sichtvermerke nicht in den Pass selbst, sondern in ein Einlegeblatt einzutragen. Dies steht jedoch in deren Ermessen. Es erscheint nicht zumutbar, den Kläger auf diese Praxis zu verweisen. Im Übrigen hält das Gericht den Vortrag des Klägers für plausibel, dass sich der Voraufenthalt in Israel auch aus einem Einreisestempel bei der Weiterreise, etwa nach Ägypten, ergeben kann.
26
c) Nach Überzeugung des Gerichts hat der Kläger sowohl die Reise nach Israel als auch die Weiterreise in den Sudan und in den Iran konkret geplant.
27
Der Kläger hat als Nachweise Flugtickets vom April 2022 nach Israel sowie seine Reiseplanung mit konkreten Daten (siehe Schreiben vom 8. Februar 2023, dort noch ohne den Sudan, sowie die Klageschrift vom 19. Juli 2023) vorgelegt. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung versichert, dass er, sobald er über den Zweitpass verfüge, die Weltreise entsprechend dieses Reiseplans antreten werde. Diese Nachweise sind nach Auffassung des Gerichts ausreichend.
28
Zum Nachweis des berechtigten Interesses ist, wie ausgeführt, eine Glaubhaftmachung nicht ausreichend. Notwendig ist vielmehr eine schlüssige Darlegung, dass das berechtigte Interesse vorliegt. Nach § 108 VwGO würdigt das erkennende Gericht vorgelegte Beweisstücke nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Demnach ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Für die richterliche Überzeugung bedarf es keiner absoluten Gewissheit und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen (vgl. BGHZ 53, 245 (256), (BVerwG, U.v. 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, juris Rn. 16). Nach diesem Maßstab steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger konkret vorhat, sowohl nach Israel als auch in den Sudan und in den Iran zu reisen, die ihm aufgrund des Voraufenthalts in Israel die Einreise verweigern könnten und mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch werden. Ein berechtigtes Interesse ist damit hinreichend nachgewiesen.
29
aa) Der Kläger plant die Weltreise bereits seit längerer Zeit. Er hat in einem Schreiben an die Beklagte vom Februar 2023 sowohl die Weltreise, die er im April 2023 beginnen wollte, als auch die konkrete Reiseroute angekündigt. Der Kläger hat darin die Reiseziele im Einzelnen auf 18 Staaten spezifiziert. In seiner Klageschrift vom 19. Juli 2023 hat er diese Reiseroute nochmals detaillierter ausgeführt, den Sudan als Reiseziel hinzugefügt, und Zeiträume für die geplanten Aufenthalte in den jeweiligen Staaten angeführt. Die geplante Route ebenso wie die hierfür veranschlagten Zeiten erscheinen dem Gericht realistisch. Sowohl die Absicht, eine Weltreise zu unternehmen, als auch die Planung der Reiseroute haben sich über die Zeit nicht verändert. Für den ersten Reiseabschnitt nach Israel hat der Kläger überdies ein Flugticket von Memmingen über Suceava nach Tel Aviv für den 28. und 29. April 2023 vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, dass er die Reise entsprechend der vorgelegten Reiseroute antreten und den Flug nach Israel buchen werde, sobald er den Reisepass in Händen hält. Dieser Vortrag erscheint dem Gericht glaubhaft. Nach Überzeugung des Gerichts ist nach alldem hinreichend belegt, dass der Kläger die Weltreise nach der vorgelegten Route antreten wird, und dass er insbesondere als erstes Reiseziel nach Israel und danach über Ägypten in den Sudan und den Iran reisen wird. Die Reisepläne des Klägers sind hinreichend spezifiziert. Den Zweitpass beantragt er damit nicht für unspezifische Reisen in der Zukunft, sondern für eine ganz konkrete Reisesituation. Ihm drohen für seine konkret geplanten Reisen in den Sudan und Iran aufgrund seines Voraufenthalts in Israel Einreiseverweigerungen. Nach Auffassung des Gerichts hat er daher ein berechtigtes Interesse nach § 1 Abs. 3 PassG schlüssig nachgewiesen.
30
bb) Ein aktuelles Flugticket nach Israel hat der Kläger zwar nicht vorgelegt. Dem Gericht erscheint es aber nicht zumutbar, den Kläger, der den Antritt seiner Weltreise vom Erhalt eines Zweitpasses abhängig macht, zu einer vorsorglichen Buchung eines Flugs zu verpflichten, die er dann aufgrund der Verweigerung der Beklagten, einen Zweitpass auszustellen, wieder stornieren müsste, dies gegebenenfalls unter Hinnahme von Stornierungsgebühren. Bereits aus den vorgelegten Unterlagen und dem Vortrag des Klägers ergibt sich nach Ansicht des Gerichts hinreichend, dass der Kläger nach Israel und danach entsprechend der vorgelegten Reiseroute weiterreisen wird.
31
cc) Dass der Kläger keine Tickets bzw. Rechnungen für die einzelnen Stationen seiner Weltreise, etwa Flug- oder Bustickets oder Belege für die Unterkünfte vorgelegt hat, steht dem nicht entgegen. Bereits aus den vorgelegten Unterlagen steht nach Ansicht des Gerichts fest, dass der Kläger konkrete Reisepläne nach Israel und im Anschluss in den Sudan und in den Iran hat. Einer Vorlage derartiger Einzelbuchungsbestätigungen bedarf es daher nicht. Derartige Nachweise bedeuteten überdies, dass der Kläger seine gesamte Weltreise, sowohl die Einzelreisen als auch die Unterkünfte, vorab buchen müsste. Dies ist nach Auffassung des Gerichts weder umsetzbar noch zumutbar. Aufgrund der Eigenart einer Weltreise, die sich über einen langen Zeitraum streckt und der eine gewisse Spontanität immanent ist, ist es dem Reisenden unmöglich, vorab sämtliche Umstände, die zum Aufenthalt in einem Land oder zur Weiterreise motivieren, etwa die politische Lage, Naturbedingungen, Gesundheitszustand, Interessen oder sonstige persönliche Gründe, vorherzusehen und entsprechend vorab in seiner Reiseplanung zu berücksichtigen. Eine Weltreise fordert ihrer Natur nach vom Reisenden ein gewisses Maß an Flexibilität. Dem steht es entgegen, wenn der Reisende vorab sämtliche Einzelreisen und Unterkünfte buchen müsste. Er wäre gezwungen, bei etwaigen Veränderungen seiner Reisepläne, mit denen gerade zu rechnen ist, gebuchte Reisen und Unterkünfte zu stornieren und die hierfür anfallenden Gebühren zu tragen. Dies erscheint nicht zumutbar. Da sich Einzelreisen und Unterkünfte wenige Tage im Voraus oder sogar am Tag selbst buchen lassen, ist eine derartige vorherige Buchung auch gar nicht notwendig, um eine Weltreise durchführen zu können. Dies gilt vor allem für Reisen über den Landweg mittels Bus sowie für Unterkünfte im low-budget-Bereich, wie sie der Kläger vorhat. Eine derartige Buchung sämtlicher Stationen einer Weltreise vorab ist nach Kenntnis des Gerichts auch nicht üblich, zumindest nicht bei Personen, die die Weltreise selbst organisieren. Wenn die Beklagte vom Kläger verlangt, für die gesamte Weltreise Nachweise in Form von Flug- und Unterkunftstickets vorzulegen, überdehnt sie die Anforderungen, die an den Nachweis des berechtigten Interesses, hier der konkreten Reisepläne, zu stellen sind.
32
2. Nach dem strengen Maßstab des § 1 Abs. 3 PassG kann dagegen nicht jedes Interesse an einem Zweitpass für die Ausstellung eines Zweitpasses angeführt werden. Insbesondere muss die Person typische, mit einer Reise und deren Organisation verbundene Risiken und Unannehmlichkeiten hinnehmen, etwa die Gefahr des Verlusts des Passes, Wartezeiten für das Durchlaufen eines Visumverfahrens oder organisatorischen Aufwand. Soweit der Kläger vorträgt, er bedürfe eines Zweitpasses als allgemeinen „Backup“ zur Absicherung vor Diebstahl, Krankheit oder sonstigen unvorhersehbaren Risiken der Reise wie Pandemien oder Naturkatastrophen, ist dies kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 1 Abs. 3 PassG. Auch kann er kein berechtigtes Interesse geltend machen, soweit er sich darauf beruft, die Einreise in den Iran würde ihn aus dem Free Waiver Programm der USA ausschließen und zum Durchlaufen des Visumverfahrens und den damit verbundenen Organisationslasten zwingen. Denn auch hierbei handelt es sich um bloße einer jeden Reise innewohnende Unannehmlichkeiten. Schließlich hat der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass sich auf seiner Weltreise ein notwendig werdendes Visumverfahren und die Durchführung der (Weiter-)Reise gegenseitig ausschließen werden (siehe zu diesem anerkannten berechtigten Interesse nach § 1 Abs. 3 PassG OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 3.4.2020 – OVG 5 N 59.16 –, juris Rn. 12, Informationen Bundesministerium des Inneren, BMI – Reisepass – Häufige Fragen und Antworten zu Pässen (bund.de), zuletzt aufgerufen am 19. Oktober 2023). Grundsätzlich ist es dem Reisenden zuzumuten, erforderliche Visumverfahren so zu organisieren, dass es nicht zu derartigen Kollisionen kommt, und notwendige Wartezeiten hinzunehmen. Aus den vorgelegten Reisezielen und Aufenthaltszeiten des Klägers ergibt sich nicht, dass es zu derartigen unvermeidbaren Kollisions- bzw. Blockadekonstellationen kommen könnte, zumal bei den meisten der zu bereisenden Länder Visa über den elektronischen Weg beantragt werden können.
33
3. Nachdem der Kläger ein berechtigtes Interesse nach § 1 Abs. 3 PassG nachgewiesen hat, hat er einen Rechtsanspruch auf die Erteilung eines Zweitpasses (Hornung/Möller/Möller, 1. Aufl. 2011, PassG § 1 Rn. 10). Ein weiteres Ermessen sieht die Vorschrift nicht vor. Da die Reise konkret geplant ist und zudem die Reisen nach Israel, in den Sudan und in den Iran unmittelbar bevorstehen, kann der Kläger auch nicht zulässigerweise auf die Möglichkeit der Beantragung eines Zweitpasses im Expressverfahren bei einer deutschen Auslandsvertretung verwiesen werden.
34
Das Gericht hatte nicht darüber zu entscheiden, unter welchen Bedingungen die Beklagte den Zweitpass erteilt. So steht es der Beklagten frei, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen den Zweitpass befristet auszustellen oder zurückzufordern, sobald der Kläger ein berechtigtes Interesse nicht mehr vorweisen kann.
35
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.