Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 29.06.2023 – 203 VAs 120/23
Titel:

Rechtsschutz bei Einwendungen gegen die dem Vollstreckungshaftbefehl zugrundeliegende Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe – Zuständigkeit

Normenketten:
EGGVG § 23
StPO § 459e, § 459o
Leitsätze:
1. Die Zuständigkeit nach §§ 23 ff. EGGVG ist nicht eröffnet, wenn der Antragsteller vornehmlich geltend macht, dass bereits die Voraussetzungen für die förmliche Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe (§ 459e Abs. 2 StPO) nicht vorgelegen hätten. (Rn. 2)
2. Einwendungen gegen die dem Vollstreckungshaftbefehl zugrundeliegende Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 459e StPO unterliegen der gerichtlichen Überprüfung nach Maßgabe des § 459o StPO. (Rn. 2)
3. Die Zuständigkeit für die Überprüfung von Einwendungen wird durch die Erledigung der zur Überprüfung gestellten Entscheidung oder Maßnahme nicht berührt. (Rn. 2)
Schlagworte:
Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe, Rechtsschutz, Zuständigkeit
Fundstellen:
LSK 2023, 32199
BeckRS 2023, 32199
StV 2025, 49

Tenor

Das Verfahren wird an das Amtsgericht Neustadt an der Aisch – Strafrichter – abgegeben.

Gründe

I.
1
Mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 28. Februar 2023 hat der Antragsteller beim Oberlandesgericht Nürnberg beantragt, die Rechtswidrigkeit des Vollstreckungshaftbefehls der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 6. Juli 2022 festzustellen. Zur Begründung führt er aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die mit Urteil des Amtsgerichts Neustadt an der Aisch vom 28. Februar 2022 im Verfahren 4 Cs 953 Js 163020/20 rechtskräftig verhängte Geldstrafe im Wege der Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken und einen Haftbefehl zu erlassen, nicht vorgelegen hätten. Denn er lebe in Großbritannien und hätte keine der Anordnung zwingend vorausgehende Zahlungsaufforderung erhalten. Die Staatsanwaltschaft hätte es zudem versäumt, zunächst die Zustellung der Zahlungsaufforderung bei der Verteidigung zu bewirken. Der Antragsteller war am 6. November 2022 festgenommen und nach der Zahlung der Geldstrafe noch am selben Tage entlassen worden. Mit Verfügung vom 28. März 2023 hat der Vorsitzende des Strafsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg das Verfahren mit der Bitte um weitere Veranlassung an das Bayerische Oberste Landesgericht formlos weitergeleitet.
II.
2
Eine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG i.V.m. Art. 12 Nr. 3 BayAGGVG ist nicht eröffnet. Der Antragsteller macht hier vornehmlich geltend, dass bereits die Voraussetzungen für die förmliche Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe (§ 459e Abs. 2 StPO) nicht vorgelegen hätten (zu den Voraussetzungen im einzelnen Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 459e Rn. 3; OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. August 2007 – 1 Ws 472/07, BeckRS 2007, 16103; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Juli 2013 – 3 Ws 557/13 juris Rn. 11). Einwendungen gegen die dem Vollstreckungshaftbefehl zugrundeliegende Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe gemäß § 459e StPO unterliegen jedoch der gerichtlichen Überprüfung nach Maßgabe des § 459o StPO (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. März 2005 – 3 VAs 1/05 –, juris Rn. 13 zu der Vorgängervorschrift § 459h StPO in der bis zum 24. Juli 2015 geltenden Fassung vom 7. April 1987). Werden also – wie hier – gegen vollstreckungsbehördliche Entscheidungen nach § 459e StPO i.V.m. §§ 33, 49, 50 StVollstrO Einwendungen erhoben, entscheidet darüber gemäß § 459o i. V. m. § 462a Abs. 2 Satz 1 StPO grundsätzlich das Gericht des ersten Rechtszuges, vorliegend folglich das Amtsgericht Neustadt an der Aisch (vgl. Kaestner in BeckOK Strafvollstreckungsordnung 11. Ed. § 21 StVollstrO Rn. 30, Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 6 jeweils bezogen auf § 459h a.F.; Appl in KK-StPO, 9. Aufl., § 459e Rn. 7; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. § 459e Rn. 12 und § 459o Rn. 19). Die Zuständigkeit für die Überprüfung von Einwendungen wird durch die Erledigung der zur Überprüfung gestellten Entscheidung oder Maßnahme nicht berührt (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 11. April 2018 – 2 BvR 2601/17 –, juris zur Beschwerde gegen einen Sitzungshaftbefehl; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 31. Oktober 2005 – 2 BvR 2233/04 –, BVerfGK 6, 303 ff., juris zur Beschwerde gegen einen Haftbefehl; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. Dezember 2002 – 2 BvR 1660/02 –, juris zur Beschwerde gegen einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss). Nur wenn die sonstigen Gesetze keinen gerichtlichen Schutz vor einem sachnäheren Gericht eröffnen, gebietet Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsweg nach § 23 EGGVG.
3
Das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG scheidet damit nach § 23 Abs. 3 EGGVG aus (vgl. Kissel/Mayer, GVG 10. Auflage 2021, § 23 EGGVG Rn. 159; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 459o Rn. 1 m.w.N.). Die Sache ist daher ungeachtet der Verfügung des Oberlandesgerichts Nürnberg, der keine Bindungswirkung zukommt, an das Amtsgericht Neustadt an der Aisch weiterzuleiten (vgl. auch OLG Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2014 – 2 VAs 9/14 –, juris zu § 98 Abs. 2 S. 2 StPO). Eines Verweisungsbeschlusses nach § 17a Abs. 2 GVG bedarf es innerhalb des Rechtsweges der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2020 – 1 ARs 3/20-, juris Rn. 20, 22, 34).