Titel:
Anspruch des Eigentümers eines privaten Grundstücks auf Beseitigung eines Oberflächenwasserkanals
Normenkette:
BGB § 905 S. 2, § 1004 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. In der unberechtigten Inanspruchnahme privater Grundstücke durch einen Kanal liegt eine Eigentumsbeeinträchtigung, deren Beseitigung der Grundstückseigentümer nach § 1004 BGB verlangen kann. Das Gesetz knüpft die Rechtsfolge des § 1004 BGB an jegliche Beeinträchtigung, die der Eigentümer zu dulden nicht verpflichtet ist; nicht die Rechtswidrigkeit des Eingriffs, sondern der dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechende Zustand begründet den Abwehranspruch. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach § 905 S. 2 BGB kann der Eigentümer nur solche Einwirkungen auf das Grundstück nicht verbieten, die in einer solchen Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat oder haben kann. Dabei ist nicht nur die gegenwärtige Nutzung maßgebend, es sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, die erst in Zukunft eine Behinderung besorgen lassen. Versorgungsleitungen in einer Tiefe von 2 bis 3 m berühren grundsätzlich die bauliche Nutzbarkeit eines innerstädtischen Grundstücks und können einer späteren Bebauung hinderlich sein. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigung, privates Grundstück, hoheitliche Maßnahme, Oberflächenwasserkanal, Duldungspflicht, Ausschließungsinteresse, Versorgungsleitungen, 2 bis 3 m Tiefe, innerstädtischer Bereich
Vorinstanz:
LG Bayreuth, Endurteil vom 21.11.2022 – 23 O 868/20
Fundstelle:
BeckRS 2023, 32179
Tenor
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bayreuth vom 21.11.2022, Aktenzeichen 23 O 868/20, abgeändert:
a) Die Beklagte wird verurteilt, den Oberflächenentwässerungskanal, der auf der als Flur-Nr. 374/1 bezeichneten Teilfläche durch die Grundstücke mit den Flur-Nr.: 339/1 (Imkersteig 25a, 9... K1.), 339 (Imkersteig 25, 9... K1.) und 379 (Pressecklein) verläuft, vollständig und fachgerecht zu beseitigen und die vorgenannten Grundstücke fachgerecht in den Zustand vor der Kanalverlegung zurückzuversetzen.
b) Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 1.192,86 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 30.12.2020 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklage.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
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(abgekürzt – ohne Tatbestand – nach § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)
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Die zulässige Berufung der Kläger hat Erfolg und führt unter Abänderung des angegriffenen Ersturteils zur Klagestattgabe.
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Die Klage ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig. Der Senat ist nach § 17 a Abs. 5 GVG an die Entscheidung des Landgerichts, der Rechtsweg zu den Zivilgerichten sei eröffnet, gebunden. Eine inhaltliche Überprüfung dieser Entscheidung findet im Berufungsverfahren daher nicht mehr statt.
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Die Klage ist auch vollumfänglich begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht einen Anspruch der Kläger auf Beseitigung des Kanals nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog verneint.
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1. Rechtsgrundlage für das Begehren der Kläger, den Oberflächenwasserkanal aus ihren Grundstücken zu entfernen, ist § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, der bei Eigentumsstörungen durch (schlicht) hoheitliche Tätigkeit entsprechend anzuwenden ist (BayVGH BayVBl 2010, 629 Rn. 19 m.w.N.; BayVGH BayVBl 2007, 307 Rn. 12). Die Verlegung des Kanals diente dem Schutz des Neubaugebiets „Schieferberg III“ vor der Überschwemmung mit Oberflächenwasser und ist daher als hoheitliche Maßnahme zu qualifizieren. In der unberechtigten Inanspruchnahme privater Grundstücke durch einen Kanal liegt eine Eigentumsbeeinträchtigung, deren Beseitigung der Grundstückseigentümer nach § 1004 BGB verlangen kann (vgl. BGH NJW 1994, 999 Rn. 19). Das Gesetz knüpft die Rechtsfolge des § 1004 BGB an jegliche Beeinträchtigung, die der Eigentümer zu dulden nicht verpflichtet ist; nicht die Rechtswidrigkeit des Eingriffs, sondern der dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechende Zustand begründet den Abwehranspruch.
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2. Der Anspruch der Kläger auf Beseitigung des Kanals ist nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, denn die Kläger sind nicht verpflichtet, den Kanal nebst Nebenanlagen auf ihren Grundstücken zu dulden.
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a) Insoweit noch zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die Kläger nicht ihre Einwilligung zur Verlegung des Oberflächenabwasserkanals erteilt haben.
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Eine Einwilligung der Kläger lässt sich, anders als die Beklagte meint, nicht der Anlage B 5 entnehmen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts, die durch das Vorbringen in der Berufungserwiderung nicht entkräftet werden, kann der Senat daher zunächst Bezug nehmen. Schon dem Wortlaut der Anlage lässt sich eine Einwilligung nicht entnehmen, wenn es dort heißt, dass alle Anwesenden „prinzipiell mit der Maßnahme unter folgenden Voraussetzungen einverstanden“ seien. Die dann aufgezählten (drei) Voraussetzungen sind unstreitig nicht von der Beklagten erfüllt worden.
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Soweit die Beklagte – losgelöst von der Anlage B 5 – eine (weitergehende) mündliche Einwilligung der Kläger behauptet, kann der Senat zu Gunsten der Beklagten unterstellen, dass eine solche zunächst erteilt wurde. Allerdings haben die Kläger die – unterstellte – Einwilligung jedenfalls mit Schreiben vom 20.11.2019, das am 22.11.2019 bei der Beklagten eingegangen ist, widerrufen. In dem Schreiben heißt es ausdrücklich: „Wir als Grundstückseigentümer ziehen bis zur offiziellen Klärung unsere Zustimmung für den Baubeginn zurück!!!“. Weshalb die Beklagte gleichwohl am 25.11.2019 mit dem Bau des Kanals begonnen hat, obwohl weder eine Einwilligung der Kläger vorlag noch eine vertragliche Übereinkunft mit diesen erzielt worden war, erschließt sich dem Senat nicht.
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Der Widerruf der – unterstellten – Einwilligung war auch wirksam, denn eine einmal erteilte Einwilligung ist frei widerruflich (BGH NJW-RR 2014, 1043 Rn. 21). Der Senat kann insoweit auch nicht der Argumentation der Beklagten folgen, das Verhalten der Kläger, insbesondere der Widerruf ihrer Einwilligung, sei widersprüchlich und daher nach Treu und Glauben unbeachtlich (§ 242 BGB), weil zunächst der Verlegung des Kanals zugestimmt worden sei, später dann dessen Beseitigung verlangt werde. Dieser Vortrag liegt schon deshalb neben der Sache, weil die Kläger ihre – unterstellte – Einwilligung bereits am 22.11.2019 und damit vor Beginn der Bauarbeiten widerrufen haben. Es ist daher nicht ersichtlich, wie auf Seiten der Beklagten ein Vertrauenstatbestand dafür geschaffen worden sein soll, dass der einmal verlegte Kanal nicht wieder beseitigt werden müsse.
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b) Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht in seiner Annahme, die Kläger hätten den Oberflächenwasserkanal nach § 905 Satz 2 BGB zu dulden, da kein Ausschließungsinteresse erkennbar sei. Richtig ist zwar, dass wegen der Widmung des „Schieferbergwegs“ als Feld- und Waldweg die Nutzung dieser Teilfläche für die Kläger bereits erheblich eingeschränkt ist. Nach § 905 Satz 2 BGB kann der Eigentümer jedoch nur solche Einwirkungen auf das Grundstück nicht verbieten, die in einer solchen Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat oder haben kann. Dabei ist nicht nur die gegenwärtige Nutzung maßgebend, vielmehr sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, die erst in Zukunft eine Behinderung besorgen lassen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Versorgungsleitungen in einer Tiefe zwischen 2 und 3 m grundsätzlich die bauliche Nutzbarkeit eines innerstädtischen Grundstücks berühren und daher einer späteren Bebauung hinderlich sein können (BayVGH BayVBl 2010, 629 Rn. 25 m.w.N.).
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Das Landgericht hat – neben diesen grundsätzlichen Erwägungen – nicht in den Blick genommen, dass die Kläger unter Bezugnahme auf das Privatgutachten des Privatsachverständigen Sch... (Anlage K 13, dort Seite 21) vorgetragen haben, durch die Verlegung des Kanals sei das Gefälle des „Schieferbergwegs“ verändert worden. Während das Gefälle früher in Richtung des nicht zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks Flur-Nr. 379 gelaufen sei, verlaufe es nun in Richtung der mit Wohnhäusern bebauten Grundstücke. Durch die gleichzeitige Schotterung des Weges erhöhe sich die Gefahr von Wassereintritten auf den Grundstücken erheblich (vgl. Bl. 64). Diesen qualifizierten Parteivortrag hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten. Hinzu kommt, dass sich die Beklagte einen Schutzstreifen von 1,50 Meter links und rechts der Kanalmitte zusichern lassen möchte, der nicht bebaut und indem nichts angepflanzt werden darf (vgl. Anlage K 5, K 6). Diese Auswirkungen der Kanalverlegung, die sich bis zur Oberfläche der Fläche Flur-Nr. 374/1 erstrecken, hat das Landgericht nicht berücksichtigt. Bereits unter diesen Gesichtspunkten lässt sich ein Ausschließungsinteresse nicht verneinen, ohne dass der Senat die tatsächliche Verlegungstiefe des Kanals weiter aufklären müsste.
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c) Entgegen der Auffassung der Beklagten, der sich das Landgericht wohl mit seinen Überlegungen zu einer „öffentlich-rechtlichen Versorgungsaufgabe“ angeschlossen hat, ergibt sich eine Duldungspflicht auch nicht aus Art. 6 Abs. 5, 22 Abs. 2 BayStrWG. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist, dass die Verlegung eines Oberflächenwasserkanals unter einem Feld- und Waldweg eine Sondernutzung dieses Weges darstellt. Diese Wertung zieht keine der Parteien in Zweifel. Wenn es sich aber um eine Sondernutzung des Wegs handelt, kann die Beklagte aus der öffentlichen Widmung des Weges an sich nichts zu ihren Gunsten herleiten. Die öffentliche Widmung als Feld- und Waldweg berechtigt die Beklagte gerade nicht zur Verlegung eines Kanals unter dem Weg.
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Zu Gunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass die Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 2 BayStrWG vorliegen, denn aus der Vorschrift lässt sich ebenfalls keine Duldungspflicht herleiten. Aus ihr folgt nur, dass für die in der Verlegung des Kanals liegende Sondernutzung des Wegs keine öffentlich-rechtliche Genehmigung erforderlich ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, wie offenbar die Beklagte annimmt, dass damit jegliche Sondernutzung zulässig wäre. Vielmehr verweist die Vorschrift auf das bürgerliche Recht, setzt also eine Einwilligung des Eigentümers oder eine vertragliche Vereinbarung mit diesem voraus. An beidem fehlt es im Streitfall.
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d) Weiter ist auch die Annahme des Landgerichts, die Kläger seien „aus § 242 BGB“ zur Duldung verpflichtet, nicht tragfähig. Dies ist zwar grundsätzlich denkbar (vgl. BayVGH BayVBl 2010, 629 Rn. 28). Schon aufgrund der vorstehend dargestellten Beeinträchtigungen der Grundstücke der Kläger kann das Beseitigungsverlangen jedoch nicht als von vornherein rechtsmissbräuchlich oder schikanös angesehen werden.
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e) Eine Duldungsverpflichtung ergibt sich schließlich nicht aus § 19 Abs. 1 der Entwässerungssatzung (EWS) der Beklagten. Dies kommt zwar theoretisch in Betracht (vgl. BayVGH BayVBl 2007, 307 Rn. 22). Die in der Satzung genannten Voraussetzungen liegen allerdings nicht vor. Der verfahrensgegenständliche Kanal ist unstreitig nicht an die Grundstücke der Kläger oder das sonstige Entwässerungs- und Abwassersystem der Beklagten angeschlossen. Vielmehr verläuft er direkt vom Grundstück Flur-Nr. 342 zu einem Vorfluter. Daher liegen die in § 19 Abs. 1 Satz 2 EWS genannten Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor.
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Abweichender tatsächlicher Vortrag der Beklagten – sollte ihr Vorbringen insbesondere im Schriftsatz vom 13.10.2023 so zu verstehen sein – wäre jedenfalls präkludiert (§ 530, § 296 Abs. 1 ZPO).
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3. Die Kläger können nach alledem von der Beklagten verlangen, dass der Oberflächenentwässerungskanal, der auf der als Flur-Nr. 374/1 bezeichneten Teilfläche durch die Grundstücke mit den Flur-Nr.: 339/1, 339 und 379 verläuft, vollständig und fachgerecht beseitigt wird. Zudem hat die Beklagte die vorgenannten Grundstücke fachgerecht in den Zustand vor der Kanalverlegung zurückzuversetzen (vgl. hierzu das Lichtbild Anlage K 12, Seite 26), insbesondere den aufgebrachten Schotter zu entfernen und das Gefälle des Weges wieder in Richtung des Grundstücks Nr. 379 herzustellen.
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4. Gegen Grund und Höhe der geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren bringt die Beklagte nichts Durchgreifendes vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 Satz 1 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Oberlandesgerichts ab. Zudem ist der Streitfall von den tatsächlichen Besonderheiten im konkreten Einzelfall geprägt, etwa dem Wortlaut der Anlage B 5 und den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort (Kanal, Feldweg, Gefälle etc.).