Titel:
Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters bei Rücktritt des Reisenden von einer Kreuzfahrt wegen der Corona-Pandemie
Normenkette:
BGB § 651a, § 651h Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 651t
Leitsätze:
1. Ein Vertrag über die Teilnahme an einer Kreuzfahrt ist regelmäßig als Pauschalreisevertrag iSd § 651a BGB anzusehen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die COVID-19-Pandemie ist als außergewöhnlicher Umstand iSv § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung beeinträchtigen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn der Reisebeginn nicht unmittelbar bevorsteht, ist es dem Reisenden jedoch grundsätzlich zumutbar, vorerst die weitere Entwicklung abzuwarten, bevor der Rücktritt ausgeübt wird. (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Reisende kann vom Reisevertrag entschädigungslos zurücktreten, wenn schon vor Beginn der Reise im Sinne einer ex ante-Prognose eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass außergewöhnliche Umstände auftreten werden, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen. Die COVID-19-Pandemie kann grundsätzlich einen solchen Umstand darstellen. (Rn. 45 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
5. Treten außergewöhnliche Umstände bei Kreuzfahrten nur an einem Reiseort auf, kommt es auf die Gesamtbedeutung für den Charakter der Reise an. Gegebenenfalls kann der Veranstalter solche Orte durch Vertragsänderung aussparen. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
6. Hat ein gegen Corona geimpfter Reisender eine 119-tägige Kreuzfahrt, im Rahmen derer insgesamt 50 Reiseziele, davon eines in China angelaufen werden sollen, zu einem Zeitpunkt gebucht, zu dem die COVID-19-Pandemie bereits seit längerer Zeit bestand, stellt sich ein bereits viereinhalb Monate vor Reiseantritt erklärter und mit der in Asien verschärften Pandemielage begründeter Rücktritt vom Vertrag als übereilt dar. Unerheblich ist dabei auch, ob der Reisende an einer chronischen Autoimmunerkrankungen leidet. (Rn. 58 – 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reise, Kreuzfahrt, Rücktritt, Anzahlung, Corona, Pandemie, außergewöhnliche Umstände, Lockdown, Vorerkrankung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 02.05.2023 – 31 O 15109/22
Fundstellen:
RRa 2023, 288
LSK 2023, 32009
BeckRS 2023, 32009
Tenor
I. Der Senat weist nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 02.05.2023, Az. 31 0 15109/22, gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Rückerstattung der Anzahlung für eine Kreuzfahrt.
2
Die Beklagte ist die Kreuzfahrt-Tochtergesellschaft einer Großreederei mit Sitz in ... .
3
Am 01.12.2020 buchte der Kläger für sich und seine Ehefrau eine Kreuzfahrt vom 05.01.2023 bis 03.05.2023 (119 Tage) auf dem Kreuzfahrtschiff „..." samt An- und Abreise mit dem Bus (s. Anlage K 1). Geplant war, dass etwa 50 Reiseziele in ca. 35 Ländern rund um die Welt angefahren werden sollten (s. Anlage B 1, S. 4 f.).
4
Der Gesamtreisepreis betrug - abzüglich eines Clubrabatts - 36.081 € zuzüglich 358 € für die An- und Abreise mit dem Bus. Der Kläger und seine Ehefrau zahlten hierauf einen Betrag in Höhe von 5.465 € in Form eines Gutscheins aus einer Altbuchung an (s. Anlagen K 1, B 1, jeweils S. 1 f.)
5
Gemäß der „Allgemeine(n) Reisebedingungen W. Cr. 2023" (Anlage B 1, S. 37 ff.; im Folgenden: AGB) der Beklagten gilt unter anderem Folgendes:
„3. ERMÄSSIGUNGEN, KABINENNUMMERN, LEISTUNGSÄNDERUNGEN
3.3. Für Änderungen wesentlicher unerheblicher und erheblicher Reiseleis- tungen gilt: a) Änderungen von Reiseleistungen von dem vereinbarten Inhalt des Rei- severtrages, die nach Vertragsabschluss notwendig werden und von MSC nicht wider Treu und Glauben herbeigeführt wurden, behält sich MSC aus- drücklich vor und sind gestattet, soweit diese Änderungen gern. § 651 f Abs. 2 BGB unerheblich sind und den Gesamtzuschnitt der Reise nicht beeinträchtigen. Dieser Vorbehalt gilt insbesondere auch für Änderungen der Fahrt- und Liegezeiten und/oder der Routen (insbesondere aus Sicher- heits- oder Witterungsgründen), über die allein der für das Schiff verant- wortliche Kapitän entscheidet.
4. RÜCKTRITT DES KUNDEN VOR REISEBEGINN
4.1. Der Kunde kann jederzeit vor Reisebeginn von der Reise zurücktreten. Der Rücktritt ist gegenüber MSC zu erklären. Falls die Reise über ein Reisebüro gebucht wurde, kann der Rücktritt auch diesem gegenüber erklärt werden. Der Rücktritt sollte im Interesse des Kunden zu Beweiszwecken auf einem dauerhaften Datenträger erklärt werden.
4.2. Tritt der Kunde vor Reisebeginn zurück oder tritt er die Reise nicht an, verliert MSC den Anspruch auf den Reisepreis. Stattdessen kann MSC, soweit der Rücktritt nicht von ihr zu vertreten ist, eine angemessene Entschädigung für die bis zum Rücktritt getroffenen Reisevorkehrungen und ihre Aufwendungen in Abhängigkeit von dem jeweiligen Reisepreis verlangen.
4.3. MSC hat bei der Berechnung der gesetzlich zulässigen pauschalierten Entschädigung gewöhnlich ersparte Aufwendungen und gewöhnlich mögliche anderweitige Verwendungen der Reiseleistungen berücksichtigt. Die Entschädigung wird nach dem Zeitpunkt des Zugangs der Rücktrittserklärung des Kunden im Verhältnis zum Reisebeginn und nach der Art der gebuchten Reise differenziert und pauschaliert wie folgt berechnet:
|
W. Cr.
118Tage
|
Bis 120 Tage vor Reiseantritt
|
15%
|
119-60 Tage vor Reiseantritt
|
25%
|
59-15 Tage vor Reiseantritt
|
50%
|
14-10 Tage vor Reiseantritt
|
75%
|
Ab 9 Tage vor Reiseantritt und Nichtantritt der Reise
|
95%
|
6
Mit Schreiben vom 16.08.2022 erklärten der Kläger und seine Ehefrau, beide zu diesem Zeitpunkt bereits gegen COVID-19 geimpft, den Rücktritt von der genannten Kreuzfahrt und forderten die Rückzahlung der Anzahlung.
7
Mit Rechnung vom 18.08.2022 rechnete die Beklagte über die Anzahlung ab, behielt einen Betrag in Höhe von 15% des Gesamtreisepreises, mithin 5.412,15 €, ein. Dazu berechnete die Beklagte Stornierungsgebühren für die Bus-An- und -Abreise in Höhe von 53,70 €.
8
Die Ehefrau des Klägers hat ihre streitgegenständlichen Ansprüche an den Kläger abgetreten, der diese Abtretung angenommen hat.
9
Die Beklagte hat bei Durchführung der streitgegenständlichen Kreuzfahrt keine Häfen in China angelaufen und stattdessen die Reiseroute mit Destinationen in Vietnam und Thailand ergänzt (s. Anlage K 9)
10
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe keinen Entschädigungsanspruch nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB, weshalb er wegen § 651h Abs. 1 S. 2 BGB die vollumfängliche Erstattung der geleisteten Anzahlung begehrt. Im Zeitpunkt des Rücktritts habe es so ausgesehen, dass die Durchführung der Kreuzfahrt erheblich beeinträchtigt sein würde. Der Kläger behauptet, er sei bei der Buchung Ende 2020 zunächst davon ausgegangen, dass sich die pandemische Lage bis zum Zeitpunkt des Reiseantritts Anfang 2023 entspannen würde. Zum Zeitpunkt des Rücktritts Mitte 2022 habe dann aber eine verschärfte Pandemielage in Asien geherrscht. Er verweist insoweit auf Meldungen im Internet (s. Anlagen K 6a, K 6b, K 6c, K 8a, K 8b). Der im Rahmen der Kreuzfahrt beabsichtigte Besuch von Japan und China sei für ihn und seine Ehefrau ausschlaggebend für die Buchung der gegenständlichen Reise gewesen. Gerade in China sei die Lage Mitte 2022 aber besonders angespannt gewesen. So hätten sich einige chinesische Städte im Lockdown befunden. Teilweise sei die Ausreise für Touristen aus China nur dann wieder möglich gewesen, wenn sie über sieben Tage hinweg fünf negative PCR-Testergebnisse hätten vorlegen können. Bestimmte chinesische Regionen seien von einer Ausgangssperre betroffen gewesen. Von nicht notwendigen Reisen nach China sei damals abgeraten worden. Individuelle Reisen in Japan seien am 06.08.2022 noch nicht möglich gewesen (s. Anlage K 7). Im Weiteren sei das Ansteckungsrisiko an Board unkalkulierbar gewesen. Es sei zu berücksichtigen, dass er und seine Ehefrau jeweils an Autoimmunerkrankungen litten (Rheuma bzw. Hashimotosyndrom) und bei geplantem Reisebeginn fortgeschrittenen Alters waren (der Kläger 66 Jahre, seine Ehefrau 58 Jahre).
11
Der Kläger hatte die Klage zunächst gegen MSC C. GmbH in M. erhoben. Mit Schriftsatz vom 14.02.2023 (BI. 20 f. d. LGeAkte) erklärt er, die Klage werde nunmehr stattdessen gegen die Beklagte gerichtet.
12
Mit Schriftsatz vom 28.02.2023 (BI. 28 ff. d. LGeAkte) erklärte die Beklagte, dass sie auf eine Zustellung der Schriftsätze verzichte, das Verfahren in seinem aktuellen Zustand übernehme und fortsetze und sich vor dem Landgericht rügelos einlasse.
13
Das Landgericht wies mit Urteil vom 02.05.2023 (BI. 47 ff. d. LGeAkte), berichtigt durch Beschluss vom 24.05.2023 (BI. 63, 63R d. LGeAkte), auf dessen tatsächliche Feststellungen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO) und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage ab. Der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises sei erloschen, da die Beklagte erfolgreich mit ihrem Entschädigungsanspruch aufgerechnet habe. Das Landgericht habe nicht die erforderliche Überzeugung bilden können, dass der Reise unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände entgegengestanden seien, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigt hätten, und der Kläger zum Zeitpunkt des Rücktritts am 16.08.2022 von solchen ausgehen konnte und musste.
14
Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 19.05.2023 (BI. 1 f. d. OLGeAkte) eingelegte und mit Schriftsatz vom 26.03.2023 (BI. 6 ff. d. OLGeAkte) begründete Berufung des Klägers.
15
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und zu erkennen wie folgt:
„1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 5.465 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.8.2022 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 325,47 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.11.2022 zu bezahlen.“
16
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
17
Ergänzend und wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 26.03.2023 (BI. 6 ff. d. OLGeAkte), die Berufungserwiderung vom 07.07.2023 (BI. 19 ff. d. OLGeAkte) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien verwiesen.
18
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung des Klägers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
19
Das verfahrensrechtlich bedenkenfreie und somit zulässige Rechtsmittel des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
20
Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts ist richtig. Dessen Urteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, keine andere Entscheidung. Die Ausführungen der Klagepartei in der Berufungsinstanz vermögen dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, da sie das Ersturteil, auf das Bezug genommen wird, nicht erschüttern.
21
1. Der vom Kläger vorgenommene Beklagtenwechsel war zulässig und wirksam.
22
Die Auswechslung des Beklagten ist nach § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO analog bis zur Rechtskraft des Urteils gegen die Altpartei möglich (Foerste in: MusielakNoit, ZPO, 20. Aufl., § 263 Rz. 14).
23
Der Kläger erklärte vorliegend mit Schriftsatz vom 14.02.2023, die Klage nur noch gegen die neue Beklagte zu richten. Mit Zustellung an diese begann das neue Prozessrechtsverhältnis und die bisher beklagte MSC C. GmbH schied aus dem Rechtsstreit aus (Foerste in: MusielakNoit, ZPO, 20. Aufl., § 263 Rz. 18).
24
Nur falls die Altpartei schon mündlich verhandelt hat, ist ihre Zustimmung hierzu - dem Rechtsgedanken des § 269 Abs. 1 ZPO folgend - nötig (BGH, Urteil v. 16.12.2005, Az. V ZR 230/04, Rz. 24; Urteil v. 10.11.1980, Az. II ZR 96/80, juris Rz. 19; Becker-Eberhard in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 263 Rz. 77). Dies war vorliegend noch nicht der Fall.
25
Zwar ist die Zustimmung des neuen Beklagten entbehrlich, falls sein Eintritt in den Prozess sachdienlich ist, § 263 ZPO analog (BGH, Urteil v. 13.11.1961, Az. II ZR 202/60, juris Rz. 13 f.). Hier hat die Beklagte indes mit Schriftsatz vom 28.02.2023 deutlich zu erkennen gegeben, dass sie mit dem Parteiwechsel einverstanden ist.
26
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückgewähr der an die Beklagte geleisteten Anzahlung in Höhe von 5.465 €.
27
a) Ein derartiger Anspruch des Klägers ist zwar zunächst entstanden.
28
aa) Zwischen dem Kläger, seiner Ehefrau und der Beklagten ist ein Pauschalreisevertrag i.S.d. § 651a BGB geschlossen worden.
29
Ein Vertrag über die Teilnahme an einer Kreuzfahrt ist regelmäßig als ein solcher anzusehen (BGH, Urteil v. 18.12.2012, Az. X ZR 2/12, juris Rz. 14 ff.; Staudinger in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2016, § 651a Rz. 15, 42; Steinrötter in: jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: 01.02.2023, § 651a Rz. 29, 41; Rodegra, NJW 2011, 1766; Führich, MDR 2011, 1209 1211.).
30
bb) Mit Schreiben vom 16.08.2022 erklärten der Kläger und seine Ehefrau wirksam den Rücktritt von dem Pauschalreisevertrag.
31
Nach § 651h Abs. 1 S. 1 BGB und Ziffer 4.1 S. 1 AGB konnten sie vor Reisebeginn jederzeit vom Vertrag zurücktreten.
32
Es handelt sich hierbei um ein voraussetzungsloses gesetzliches Rücktrittsrecht vor Reisebeginn, das nach § 349 BGB durch formfreie Erklärung gegenüber dem Veranstalter oder seinem Empfangsbevollmächtigten auszuüben ist (Steinrötter in: jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: 01.02.2023, § 651h Rz. 2, 12 ff.; Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 651h Rz. 3). Insbesondere ist ein Rücktrittsgrund nicht erforderlich (Harke in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2023, § 651h Rz. 19).
33
cc) Der Kläger und seine Ehefrau hatten daher einen Anspruch auf Rückgewähr der kompletten geleisteten Anzahlung von 5.465 €.
34
Nach § 651h Abs. 1 S. 2 BGB und Ziffer 4.2 S. 1 AGB verliert der Reiseveranstalter im Falle des Rücktritts des Reisenden den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis.
35
Durch den ex nunc wirkenden Rücktritt des Reisenden entfallen die beiderseitigen Leistungspflichten und der Reisevertrag wandelt sich in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis um (Steinrötter in: jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: 01.02.2023, § 651h Rz. 57; Geib in: BeckOK BGB, 67. Ed., Stand: 01.08.2023, § 651h Rz. 7; Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 651h Rz. 3). Es gelten die §§ 346 ff. BGB, soweit sich aus § 651h BGB nicht etwas anderes ergibt (Steinrötter in: jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: 01.02.2023, § 651h Rz. 57; Harke in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2023, § 651h Rz. 21).
36
Hat der Reisende auf den Reisepreisanspruch des Reiseveranstalters bereits eine Vorauszahlung i.S.v. § 651t BGB erbracht, so ist diese vom Reiseveranstalter infolge des Rückabwicklungsverhältnisses, welches durch den Rücktritt entsteht, zu erstatten (AG Hannover, Urteil v. 23.04.2021, Az. 539 C 12352/20, BeckRS 2021, 24845, Rz. 12).
37
Ob der Rückzahlungsanspruch direkt aus § 651h Abs. 5 BGB (so Staudinger/Achilles-Pujol in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl., § 7 Rz. 18) oder nur im Zusammenspiel mit § 346 Abs. 1 BGB (so LG Frankfurt a.M., Urteil v. 17.11.2020, Az. 2-24 O 189/20, juris Rz. 13; AG Duisburg, Urteil v. 14.12.2020, Az. 506 C 2377/20, juris Rz. 3; AG Stuttgart, Urteil v. 13.10.2020, Az. 3 C 2559/20, juris Rz. 12; Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 651h Rz. 3) oder aus § 812 Abs. 1 BGB (so Führich, NJW 2020, 2137 2140.) folgt, bedarf mangels rechtlicher Auswirkung im hiesigen Fall keiner Erörterung.
38
dd) Da die Ehefrau unbestritten ihre Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Vertrag an den Kläger nach § 398 S. 1 BGB abtrat, ist dieser alleiniger Inhaber des Rückzahlungsanspruchs, § 398 S. 2 BGB.
39
b) Der Anspruch des Klägers ist aber - was das Landgericht zutreffend angenommen hat - durch wirksame Aufrechnung der Beklagten wieder erloschen, § 389 BGB.
40
aa) Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung vom 28.02.2023 (S. 2 = BI. 29 d. LGeAkte) die Aufrechnung erklärt, § 388 BGB.
41
bb) Die Beklagte hat nach § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1 BGB einen Gegenanspruch auf Entschädigung gegen den Kläger in Höhe von insgesamt 5.465,85 €.
42
aaa) Anhaltspunkte dafür, dass die Höhe der insoweit von der Beklagten in ihren AGB festgeleg-ten Pauschale von 15% des Reisepreises bei Rücktritt bis 120 Tage vor Reiseantritt nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 651h Abs. 2 S. 1 BGB entspricht, liegen nicht vor und wurden von den Parteien auch nicht vorgetragen (vgl. hierzu die Rspr.-Übersicht bei Tonner in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 651h Rz. 18 f.).
43
bbb) Der Entschädigungsanspruch der Beklagten entfällt auch in Übereinstimmung mit der Ansicht des Landgerichts nicht aufgrund § 651h Abs. 3 BGB.
44
Danach kann der Reiseveranstalter abweichend von § 651h Abs. 1 S. 3 BGB keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich in diesem Sinne, falls sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
45
a) Die COVID-19-Pandemie ist als außergewöhnlicher Umstand i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB zu bewerten, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung einer Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (BGH, Urteil v. 28.03.2023, Az. X ZR 78/22, Rz. 18; Urteil v. 13.10.2022, Az. X ZR 1/22, Rz. 21; Beschluss v. 13.10.2022, Az. X ZR 80/21, Rz. 20; Beschluss v. 30.08.2022, Az. X ZR 3/22, Rz. 21; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 66/21, Rz. 24; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 84/21, Rz. 23).
46
Der Tatbestand von § 651h Abs. 3 BGB ist erfüllt, wenn schon vor Beginn der Reise (lt. LG Rostock, Urteil v. 30.09.022, Az. 1 O 51/22, juris Rz. 24: bei einer Kreuzfahrt der Zeitpunkt, indem der Reisende an Bord eincheckt und seine Kabine bezieht) eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass eine solche Beeinträchtigung am Reiseziel gegeben ist, was eine ex ante-Prognose vor Reisebeginn erfordert (BGH, Urteil v. 28.03.2023, Az. X ZR 78/22, Rz. 24; Urteil v. 13.10.2022, Az. X ZR 1/22, Rz. 26; Beschluss v. 13.10.2022, Az. X ZR 80/21, Rz. 23; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 66/21, Rz. 44; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 84/21, Rz. 25). Die Frage, von welchem Gefährdungsgrad an insoweit eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, lässt sich dabei nicht in Form einer festen Größe, sondern nur fallweise unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrags beantworten (BGH, Urteil v. 15.10.2002, Az. X ZR 147/01, juris Rz. 12).
47
Da der Reisende seinen Entschluss zum Rücktritt nur unter den ihm in diesem Moment zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten fassen kann, kann es für die Wirksamkeit seiner Erklärung keine Rolle spielen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Reise doch ohne Beeinträchtigung durchgeführt wird oder durchgeführt hätte werden können (Harke in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2023, § 651h Rz. 48).
48
Wenn der Reisebeginn nicht unmittelbar bevorsteht, ist es dem Reisenden jedoch grundsätzlich zumutbar, vorerst die weitere Entwicklung abzuwarten, bevor der Rücktritt ausgeübt wird (AG München, Urteil v. 21.05.2021, Az. 113 C 20625/20, juris Rz. 25; AG Düsseldorf, Urteil v. 25.01.2021, Az. 54 C 483/20, juris Rz. 20; AG Frankfurt a.M., Urteil v. 25.11.2020, Az. 31 C 2574/20 (15), juris Rz. 29; vgl. auch ÖstOGH, Urteil v. 26.08.2004, Az. 6 Ob 145/04y [RRa 2004, 277]; Urteil v. 27.11.2001, Az. 1 Ob 257/01b [RRa 2002, 131]; ebenso Binger, RRa 2021, 207 [211 f.]; Führich, NJW 2020, 2137 2139.). Je kürzer die verbleibende Zeit bis zum Reisebeginn ist, desto verlässlicher ist grundsätzlich die Prognose des Reisenden, ob die Reise durch unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände beeinträchtigt sein wird (AG Duisburg, Urteil v. 15.03.2021, Az. 51 C 2411/20, juris Rz. 21).
49
Fehlt es an ausreichend belastbaren Fakten für das Risiko eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstands, so vermag ein voreiliger Rücktritt nicht den § 651h Abs. 3 BGB zu aktivieren (Staudinger/Busse, NJW 2022, 2807 2808.; NJW 2022, 909 910.; s. auch Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 651h Rz. 11: „Angstkündigung“). Das Risiko insoweit liegt beim Reisenden (AG Frankfurt a.M., Urteil v. 25.11.2020, Az. 31 C 2574/20 (15), juris Rz. 29; Rodegra, NJW 2021, 1781 1783.); ein vorschnell erklärter Rücktritt geht zu seinen Lasten (LG Stuttgart, Urteil v. 09.12.2021, Az. 5 S 28/21, juris Rz. 24; Löw, NJW 2020, 1252 1253.).
50
Die Beurteilung der Frage, ob die Durchführung der Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken verbunden ist, bedarf einer Würdigung aller für den Einzelfall relevanten Umstände und ist aus Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden im Rücktrittszeitpunkt vorzunehmen (BGH, Urteil v. 28.03.2023, Az. X ZR 78/22, Rz. 25; Urteil v. 13.10.2022, Az. X ZR 1/22, Rz. 28; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 66/21, Rz. 46, 67; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 84/21, Rz. 28).
51
Zu berücksichtigen sein können insbesondere (Teil-)Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für den betreffenden geographischen Raum und die Reisezeit (s. speziell hierzu LG Rostock, Urteil v. 21.08.2020, Az. 1 O 211/20, juris Rz. 13), Stellungnahmen fachkundiger Stellen wie etwa des R.-K.-Instituts oder der Weltgesundheitsorganisation, aber auch sonstige Äußerungen und Meldungen, die hinreichend zuverlässig Aufschluss über zu erwartende Gefahren und Beeinträchtigungen geben (BGH, Urteil v. 28.03.2023, Az. X ZR 78/22, Rz. 28 f.; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 84/21, Rz. 29 f.; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 66/21, Rz. 47 f.).
52
Treten außergewöhnliche Umstände bei Reisen mit mehreren Stationen - namentlich Kreuzfahrten - nur an einem Reiseort auf, kommt es auf die Gesamtbedeutung für den Charakter der Reise an (AG Frankfurt a.M., Urteil v. 09.12.2020, Az. 31 C 3331/20 (83), juris Rz. 22; AG Rostock, Urteil v. 15.07.2020, Az. 47 C 59/20, juris Rz. 18; Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 651h Rz. 10). Gegeben falls kann der Veranstalter solche Orte durch Vertragsänderung aussparen (Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 651h Rz. 10).
53
Individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden sind zu berücksichtigen, wenn die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben (BGH, Urteil v. 28.03.2023, Az. X ZR 78/22, Rz. 42; Urteil v. 30.08.2022, Az. X ZR 66/21, Rz. 63).
54
Ein wichtiges Momentum ist die Tatsache, ob zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ein Impfstoff zur Verfügung stand oder seine Verfügbarkeit bis zum Reiseantritt wahrscheinlich war (OLG Koblenz, Urteil v. 02.02.2022, Az. 9 U 634/21, juris Rz. 50; LG Kassel, Urteil v. 02.11.2021, Az. 5 O 459/21, juris Rz. 43; LG Düsseldorf, Urteil v. 25.10.2021, Az. 22 S 77/21, juris Rz. 20; AG Stuttgart, Urteil v. 13.10.2020, Az. 3 C 2559/20, juris Rz. 19).
55
Ein gewichtiger Faktor bei der Beurteilung muss nach Ansicht des Senats auch sein, ob die unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstände erst nach der Reisebuchung aufgetreten sind oder jedenfalls für den Reisenden erkennbar wurden. Der Reisende ist dann deutlich weniger schutzwürdig, wenn er die Reise bereits in Kenntnis der Pandemie bucht, denn er hat die damit verbundenen Risiken bewusst in Kauf genommen (so auch AG München, Urteil v. 11.07.2022, Az. 159 C 2718/22, juris Rz. 23; Tonner in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 651h Rz. 43; Retzlaff in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 651h Rz. 10 a.E.; Führich, NJW 2022, 1641 [1644 f.]; Bergmann/Tonner, RRa 2021, 3 [5 f.]; Löw, NJW 2020, 1252 1253.).
56
Macht der Reisende den Ausschluss einer Entschädigung geltend, muss er das Vorliegen der außergewöhnlichen, unvermeidbaren Umstände und einer daraus resultierenden erhebliche Beeinträchtigung darlegen und beweisen (Tonner in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 651h Rz. 85; Harke in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2023, § 651h Rz. 66; Blankenburg in: Erman, BGB, 17. Aufl., § 651h Rz. 19; Steinrötter in: jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: 01.02.2023, § 651h Rz. 82).
57
f3) Gemessen an den vorstehenden Maßstäben ist das Vorliegen der Voraussetzungen von § 651h Abs. 3 BGB vom Kläger nicht hinreichend dargetan.
58
Zunächst ist in die Beurteilung des hiesigen Einzelfalles einzustellen, dass der Kläger am 01.12.2020 die streitgegenständliche Kreuzfahrt buchte. Zu diesem Zeitpunkt dauerte die Pandemie bereits knapp neun Monate an. Die Weltgesundheitsorganisation stufte den Ausbruch der COVID-19-Krankheit am 11.03.2020 als Pandemie ein. Bereits seit diesem Zeitpunkt war weltweit ein dynamisches Infektionsgeschehen mit stets auf die aktuelle Situation angepassten Einschränkungen und Auflagen zu beobachten. Der Kläger musste daher bereits bei Reisebuchung damit rechnen, dass die Kreuzfahrt durch COVID-19-bedingte Einschränkungen beeinträchtigt wird. Wenn der Kläger in seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht am 04.04.2023 (Prot. S. 3 = BI. 41 d. LGeAkte) angab, er und seine Ehefrau seien bei der Buchung 2020 ziemlich sicher gewesen, dass Corona im Jahr 2023 keine Rolle mehr spielen werde, so ist dies unbehelflich. Er selbst räumte ein, dass dies aber „ein Lesen im Kaffeesatz zu diesem Zeitpunkt“ und „eine reine Vermutung“ gewesen sei.
59
Die individuell erhöhte Gefährdung des Klägers und seiner Ehefrau im Falle einer COVID-19-Erkrankung durch ein fortgeschrittenes Alter bei Reiseantritt und chronische Autoimmunerkrankungen sowie ein gegebenenfalls höheres Ansteckungsrisiko an Bord eines Kreuzfahrtschiffes waren beiden im Buchungszeitpunkt ebenfalls bereits bewusst.
60
Der Kläger und seine Ehefrau waren zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bereits gegen COVID-19 geimpft. Fürderhin war jedenfalls ab Juli 2022 aus Medienberichten bekannt, dass laut zwei namhaften Impfstoffherstellern ab Herbst 2022 an die Omikron-Variante angepasste Impfstoffe verfügbar sein würden.
61
Weiterhin ist zu sehen, dass der Kläger und seine Ehefrau am 16.08.2022 und damit rund viereinhalb Monate vor Reisebeginn den Rücktritt erklärten. Gemäß ihrem Vortrag stützen sie ihre Prognose einer verschärfte Pandemielage in Asien vornehmlich auf Meldungen im Internet davon, das sich chinesische Städte im Lockdown befunden hätten, teilweise sei die Wiederausreise für Touristen aus China nur unter erschwerten Bedingungen möglich gewesen sei und bestimmte chinesische Regionen von einer Ausgangssperre betroffen gewesen seien. Von nicht notwendigen Reisen nach China sei damals abgeraten worden. Dabei ist zu sehen, dass - wie das Landgericht zutreffend ausführt - im August 2022 aufgrund der nach über zwei Jahren Pandemie allgemein bekannt rasanten und unvorhersehbaren Entwicklung des Infektionsgeschehens eine Prognose lange vor dem Reisebeginn im Januar 2023 äußerst ungewiss, wenn nicht zu diesem Zeitpunkt sogar überhaupt unmöglich war. Auch angesichts der nach Ziffer 4.3 AGB mit Zeitablauf steigenden - jedoch nur im Falle eines unbegründeten Rücktritts fällig werdenden - Entschädigungspauschale war es daher dem Kläger und seiner Ehefrau grundsätzlich zumutbar, zunächst die weitere Entwicklung abzuwarten. Mit zunehmende Zeitnähe zum Reisebeginn stieg die Verlässlichkeit einer Prognose des Geschehens. Das klägerische Vorgehen ist damit als übereilter Rücktritt zu werten.
62
Rein subjektive Unwohl- oder Angstgefühle eines Reisenden vor einer Krankheit stellen keine außergewöhnlichen Umstände nach § 651h Abs. 3 BGB dar (LG Frankfurt a.M., Urteil v. 24.02.2022, Az. 2-24 S 113/21, juris Rz. 22; LG Hannover, Urteil v. 27.09.2021, Az. 1 S 52/21, juris Rz. 8; AG Duisburg, Urteil v. 15.03.2021, Az. 51 C 2411/20, juris Rz. 20; Binger, RRa 2021, 207 209.).
63
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass als einziges Reiseziel in Festlandchina ein zweitägiger Besuch in Shanghai geplant war. Angesichts des Kreuzfahrprogramms von etwa 50 Reisezielen in ca. 35 Ländern in 119 Tagen rund um die Erde war dies aus objektiver Sicht von völlig untergeordneter Bedeutung. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts, wenn Kläger in seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht am 04.04.2023 (Prot. S. 2 = BI. 40 d. LGeAkte) angab, für ihn und seine Ehefrau sei der Besuch von China (subjektiv) von „besonderer Bedeutung“ gewesen. Dazu kommt, dass dieser Besuch aus dem Reiseprogramm gestrichen und stattdessen Destinationen in Vietnam und Thailand angefahren wurden. Zu dieser Ver13 - tragsänderung war die Beklagte nach § 651f Abs. 2 BGB i.V.m. Ziffer 3.3 lit. a) AGB auch befugt. Damit wurde das - aus Sicht des Klägers - kritische Reiseziel China überhaupt nicht angefahren.
64
Die Tatsache, dass individuelle Reisen in Japan zum Rücktrittszeitpunkt noch nicht möglich waren - dafür aber von Reisegruppen -, ist hier evident in keiner Weise geeignet, außergewöhnliche Umstände i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB zu begründen. Ausweislich der Buchungsbestätigung vom 10.12.2020 (Anlage B 1, S. 1 ff.) hatten der Kläger und seine Ehefrau ausdrücklich einen Gruppenreise-Tarif gebucht.
65
3. Verzugszinsen und außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten sind somit von der Beklagten demgemäß ebenso nicht zu ersetzen.
66
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht oder die Zulassung der Revision (§§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
67
Es handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung (vgl. BGH, Beschluss v. 14.08.2013, Az. XII ZB 443/12, Rz. 6), über welche hinaus die Interessen der Allgemeinheit nicht nachhaltig berührt werden, weswegen eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig wäre (s. dazu BGH, Beschluss v. 25.05.2003, Az. VI ZB 55/02, juris Rz. 8; Beschluss v. 29.05.2002, Az. V ZB 11/02, juris Rz. 10).
68
Dazu ist keine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO), da keine besonderen Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, bei denen nur die Durchführung einer mündlichen Verhandlung der prozessualen Fairness entspräche.
69
Bei dieser Sachlage wird schon aus Kostengründen empfohlen, die Berufung zurückzunehmen, was eine Ermäßigung der Gebühren für das „Verfahren im Allgemeinen“ von 4,0 (Nr. 1220 GKG-KV) auf 2,0 (Nr. 1222 GKG-KV) mit sich brächte.
70
Zu diesen Hinweisen besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, falls sich Änderungen nicht ergeben. Mit einer einmaligen Verlängerung dieser Frist um maximal drei weitere Wochen ist daher nur bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe zu rechnen (vgl. OLG Rostock, Beschluss v. 27.05.2003, Az. 6 U 43/03, juris Rz. 7 ff.). Eine Fristverlängerung um insgesamt mehr als einen Monat ist daneben entsprechend § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO nur mit Zustimmung des Gegners möglich.