Titel:
Kein Antrag in der mündlichen Verhandlung
Normenkette:
VwGO § 82 Abs. 1 S. 2, § 92, § 103 Abs. 3, § 161 Abs. 2
Leitsätze:
1. Durch Rücknahme des Antrags auf Erteilung eines Vorbescheides wird die Hauptsache erledigt, jedoch nicht der Rechtsstreit. Denn es ist zu unterscheiden zwischen der Erledigung der Hauptsache des Rechtsstreits und der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblich für die gerichtliche Entscheidung ist allein der Sachantrag, wie er gem. § 103 Abs. 3 VwGO in der mündlichen Verhandlung gestellt wird. Die in den vorbereitenden Schriftsätzen gestellten Anträge sind bis zur förmlichen Antragstellung in der mündlichen Verhandlung rechtlich lediglich als Ankündigung zu werten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erklärt der Kläger oder sein Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich, keinen Antrag stellen zu wollen, ohne dass hierfür ein besonderer Grund ersichtlich ist, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erledigung eines Rechtsstreits ohne Erledigterklärung, fehlende Antragstellung in der mündlichen Verhandlung trotz Nachfrage, Unzulässigkeit der Klage, Klageantrag, vorbereitender Schriftsatz, Rechtsschutzbedürfnis, Erledigung, Sachantrag, Hauptsache, Rücknahme, Vorbescheid
Fundstellen:
UPR 2024, 152
RÜ2 2024, 69
BayVBl 2024, 414
BeckRS 2023, 31976
LSK 2023, 31976
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin erstrebte die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids.
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1. Unter dem 29. März 2021 beantragte die Klägerin beim Landratsamt M. die Erteilung eines Vorbescheides nach § 9 Abs. 1 BImSchG in Bezug auf die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage vom Typ Siemens SG 170 auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung G. … … mit einer Nennleistung von 6 MW, einer Nabenhöhe von 165 m, einem Rotordurchmesser von 170 m und einer Gesamthöhe von 250 m. Der Vorhabenstandort befindet sich in einem im Flächennutzungsplan der Stadt G. … …, bekannt gemacht am 30. April 2020, ausgewiesenen „Sondergebiet Windkraft“. Der Standort liegt ca. 10 km südwestlich des Flughafens M. und ca. 7 km nordöstlich des Hubschraubersonderlandeplatzes OSH (HSLP OSH) der Bundespolizei.
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Der Antrag zielte auf folgende Feststellungen ab:
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„1. Es wird festgestellt, dass die im Vorbescheidsantrag dargestellte Windenergieanlage aus luftverkehrsrechtlicher Sicht – inklusive Belangen der Flugsicherung – zulässig ist.
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2. Es wird festgestellt, dass die im Vorbescheidsantrag dargestellte Windenergieanlage Belange der Bundeswehr nicht berührt.“
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Die Klägerin führte im Antrag weiter aus, darüber hinaus gehende Rechtsmaterien seien ausdrücklich nicht Gegenstand des Vorbescheidsantrages. Dem Antrag waren ein Lageplan der Planung, die Standortkoordinate, Höhen und Außenabmessungen sowie eine Übersichtszeichnung der Windenergieanlage beigefügt.
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Die Regierung von Oberbayern – Luftamt Südbayern – verweigerte gegenüber dem Landratsamt M. mit Schreiben vom 14. Mai 2021 auf der Grundlage einer Stellungnahme der Deutschen F. GmbH die Zustimmung nach § 14 LuftVG zur Errichtung der geplanten Windenergieanlage. Nach der Stellungnahme verursache die Windenergieanlage eine Anhebung der Mindestflughöhe im Zwischenanflugsegment zwischen den Wegpunkten MX023 und EDELO des RNP-Anflugverfahrens in Richtung 254° am HSLP OSH von aktuell 2.500 Fuß auf dann 2.900 Fuß ü. NN; dieses Anflugverfahren sei bei Errichtung der Anlage nicht mehr nutzbar.
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Mit Bescheid vom 10. November 2021 lehnte das Landratsamt M. den Vorbescheidsantrag vom 29. März 2021 ab. Voraussetzung für die Erteilung des Vorbescheides sei, dass die Auswirkungen der geplanten Anlage anhand von Unterlagen und Nachweisen ausreichend beurteilt werden könnten. Dies sei hier mit Blick auf die eingereichten Antragsunterlagen nicht der Fall. Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass die Regierung von Oberbayern – Luftamt S... – die Zustimmung nach § 14 LuftVG zur Errichtung der Windenergieanlage verweigert habe. Der Bescheid wurde der Klägerin am 13. November 2021 zugestellt.
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2. Unter dem 13. Dezember 2021, am gleichen Tag beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, erhob die Klägerin Klage. Sie beantragte schriftsätzlich, den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheids vom 10. November 2021 den mit Antrag vom 29. März 2021 begehrten Vorbescheid zu erteilen. Zur Begründung trug die Klägerin vor, jede Abwägungsentscheidung müsse das öffentliche Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes berücksichtigen. Eine ausreichende Beurteilung des Vorhabens gemäß § 9 BImSchG sei aufgrund der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen möglich. Der Inhalt des Vorbescheides hänge maßgeblich vom Antragsinhalt ab. Ein Rückgriff auf die Voraussetzungen des Teilgenehmigungsverfahrens sei unzulässig; im Rahmen des § 9 Abs. 1 BImSchG müssten neben den zur Verbescheidung gestellten Genehmigungsvoraussetzungen die Auswirkungen der Anlage lediglich in überschlägiger Art beurteilt werden. Darüber hinaus seien die Errichtung und der Betrieb der gegenständlichen Windenergieanlage zulässig im Hinblick auf Belange des Luftverkehrs. Die für das Zwischenanflugsegment vorgesehene Mindestflughöhe von 2.500 Fuß vermöge keine konkrete Gefahr zu begründen. Anfliegende Helikopter, die am Wegpunkt MX023 eine Höhe von 3.000 Fuß hätten, legten die Differenz von 500 Fuß üblicherweise in einem kontinuierlichen Sinkflug von ca. 4,58° zurück. Auch der laterale Abstand zwischen der geplanten Windenergieanlage und dem Wegpunkt MX023 sowie zu dem Zwischenanflugsegment spreche gegen die Verursachung einer konkreten Gefahr. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit müsse zudem geprüft werden, ob eine Änderung des Anflugverfahrens in der Weise möglich sei, dass bei Errichtung der Windenergieanlage keine Gefahren für den Luftverkehr entstünden. Ein Lösungsvorschlag bestehe darin, einen Stepdown-Fix einzuführen.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nahm die Klägerin ihren Antrag beim Landratsamt vom 29. März 2021 zurück. Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärte auf Nachfrage durch das Gericht, er gebe keine Erledigterklärung ab, nehme die Klage nicht zurück und stelle keinen Klageantrag.
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Der Beklagte beantragt,
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Über die Klage ist durch Urteil zu entscheiden, da klägerseits keine verfahrensbeendende Erklärung abgegeben wurde. Der Klägerbevollmächtigte nahm zwar in der mündlichen Verhandlung den beim Landratsamt gestellten Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides vom 29. März 2021 zurück. Dadurch dürfte die Erledigung der Hauptsache eingetreten sein (so bei Rücknahme eines Bauantrags während des gerichtlichen Verfahrens BVerwG, U.v. 20.3.1974 – IV C 78.71 – juris Rn. 8; U.v. 14.4.1989 – 4 C 22.88 – juris Ls. 3, Rn. 9; B.v. 19.5.1995 – 4 B 247.94 – juris Rn. 19), die jedoch als bloßer außerprozessualer Vorgang den Rechtsstreit nicht beendet. Denn es ist zu unterscheiden zwischen der Erledigung der Hauptsache des Rechtsstreits und der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Die Hauptsache des Rechtsstreits ist erledigt, wenn ein nach Klageerhebung eingetretenes außerprozessuales Ereignis (hier die Rücknahme des Vorbescheidsantrags gegenüber dem Landratsamt) dem Klagebegehren die Grundlage entzieht (vgl. BVerwG, B.v. 6.8.1987 – 3 B 18.87 – juris Rn. 7 ff.; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 26 f.). § 161 Abs. 2 VwGO meint aber nicht diesen Fall, sondern denjenigen der Erledigung des Rechtsstreits durch übereinstimmende Erledigungserklärungen von Kläger und Beklagtem (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 161 Rn. 6). Dadurch erledigt sich der Rechtsstreit, ohne dass zwingend die Hauptsache erledigt ist.
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Vorliegend hat der Klägerbevollmächtigte keine das gerichtliche Verfahren beendende Erklärung abgegeben, insbesondere keine Erledigterklärung, die bei Zustimmung durch den Beklagten die Rechtsfolge des § 161 Abs. 2 VwGO ausgelöst hätte. Schließlich wurde die Klage auch nicht zurückgenommen (§ 92 VwGO).
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2. Die Klage hat keinen Erfolg, da sie unzulässig ist.
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2.1 Gemäß § 103 Abs. 3 VwGO muss der Kläger spätestens am Schluss der mündlichen Verhandlung einen Klageantrag stellen, damit es dem Gericht möglich ist, über sein Klagebegehren zu entscheiden (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 103 Rn. 13; s. auch BVerwG, U.v. 26.2.2015 – 5 C 5.14 D – juris Rn. 15). Unabhängig davon, dass die Klageschrift nach § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO einen bestimmten Antrag enthalten soll, ist maßgeblich für die gerichtliche Entscheidung allein der Sachantrag, wie er gemäß § 103 Abs. 3 VwGO in der mündlichen Verhandlung gestellt wird. Die in den vorbereitenden Schriftsätzen gestellten Anträge sind demgegenüber bis zur förmlichen Antragstellung in der mündlichen Verhandlung rechtlich lediglich als Ankündigung zu werten (vgl. BayVGH, U.v. 26.6.2012 – 10 BV 09.2259 – juris Rn. 43; Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 103 Rn. 13; Brüning in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2023, § 103 Rn. 13). Erklärt der Kläger oder sein Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich, keinen Antrag stellen zu wollen, ohne dass hierfür ein besonderer Grund ersichtlich ist, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 28.2.2022 – OVG 4 N 64.20 – juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 27.9.2018 – 7 S 1875.15 – juris Rn. 36; SächsOVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 385/14.NC – juris Rn. 7, 9; BayVGH, B.v. 28.1.2009 – 15 ZB 08.3062 – juris Rn. 12; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand März 2023, § 103 Rn. 49; Brüning in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, § 103 Rn. 13; Bamberger in Wysk, VwGO, § 103 Rn. 15; Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 47).
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So liegt der Fall hier. Nachdem der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof den bei der Verwaltungsbehörde gestellten Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides zurückgenommen hatte, erklärte er auf Nachfrage, weder eine Erledigterklärung abgeben noch die Klage zurücknehmen noch einen Klageantrag stellen zu wollen. An dem schriftsätzlich angekündigten Antrag auf Verpflichtung der Behörde zur Erteilung des Vorbescheides hielt der Klägerbevollmächtigte insoweit ausdrücklich nicht fest. Die Gründe für dieses prozessuale Verhalten erläuterte der Klägerbevollmächtigte nicht; sie sind dem Gericht auch nicht ersichtlich.
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Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage besteht insoweit schon mangels Antragstellung in der mündlichen Verhandlung nicht.
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2.2 Darüber, ob die Klage mit dem schriftsätzlich angekündigten Verpflichtungsantrag Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, ist angesichts der fehlenden Antragstellung am Ende der mündlichen Verhandlung nicht mehr zu entscheiden. Dazu ist das Gericht aufgrund des ausdrücklich erklärten Willens des Bevollmächtigten der Klägerin, einen Klageantrag nicht stellen zu wollen, nicht befugt (vgl. SächsOVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 385/14.NC – juris Rn. 10; OVG Berlin, U.v. 21.7.1967 – OVG II B 58.66 – NJW 1968, 1004; Brüning in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.4.2023, § 103 Rn. 13). Auf die Frage, ob für die Klage auf Verpflichtung zur Erteilung des Vorbescheids nach Rücknahme des erforderlichen Antrags bei der Behörde (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BImSchG) noch ein Rechtsschutzbedürfnis bestand, kommt es mithin nicht mehr an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit im Sinn des § 162 Abs. 3 VwGO, auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der unterlegenen Klägerin aufzuerlegen, da die Beigeladene einen Klageabweisungsantrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegt.