Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.11.2023 – 3 ZB 23.1559
Titel:

Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mangels anderweitiger Verwendungsmöglichkeit

Normenketten:
BeamtStG § 26
BayBG Art. 65, Art. 66
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die körperlichen und gesundheitlichen Anforderungen des jeweiligen Dienstpostens legt der Dienstherr fest. Hierbei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der Ämter der Laufbahn zu orientieren hat. Der Dienstherr setzt damit den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung kommt es materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an. Es ist deshalb ohne Belang, ob danach geeignete Stellen für die wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte Beamtin vakant gewesen sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
1. Die körperlichen und gesundheitlichen Anforderungen des jeweiligen Dienstpostens legt der Dienstherr fest. Hierbei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der Ämter der Laufbahn zu orientieren hat. Der Dienstherr setzt damit den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung kommt es materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an. Es ist deshalb ohne Belang, ob danach geeignete Stellen für die wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte Beamtin vakant gewesen sind. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vermessungsamtsrätin (Besoldungsgruppe A 12), Ruhestandsversetzung, Dienstunfähigkeit, Leistungseinschränkungen keine anderweitige Verwendbarkeit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 05.07.2023 – M 5 K 22.2975
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31973

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 5. Juli 2023 – M 5 K 22.2975 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 40.189,61 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
2
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen können. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
3
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die seit 21. Oktober 2016 durchgängig dienstunfähig erkrankte Klägerin (Vermessungsamtsrätin; Besoldungsgruppe A 12) zu Recht wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde. Unter Berücksichtigung der allgemeinen wie tätigkeitsbezogenen krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen der Klägerin (insbes. Gesundheitszeugnis v. 14.9.2020) sei eine anderweitige – auch geringwertigere – Verwendung der Klägerin im Bereich der Beklagten nicht möglich. Die Beklagte habe insgesamt vier Abfragen zur Ermittlung einer geeigneten Stelle innerhalb der gesamten Stadtverwaltung erfolglos durchgeführt (26.9.2018, 22.5.2019, 15.10.2020 und 17.2.2022). Dabei seien auch – entsprechend der Anregung der Klagepartei – nicht nur technische Aufgabenbereiche abgefragt worden.
4
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung im Wesentlichen mit der Begründung, die Beklagte sei ihrer Suchverpflichtung nach § 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BeamtStG nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.
5
Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe sich nicht (ausdrücklich) mit den ihr am 18. April 2018 bzw. 18. Juni 2019 angebotenen Stellenausschreibungen „Fachliche Anwendungsbetreuer/innen eVergabe“ (Verfahrensnummer 6129 – VGH-Akte S. 19 f.) bzw. „Ingenieurinnen und Ingenieure Verkehrssteuerung“ (Verfahrensnummer 9447 – VGH-Akte S. 21 f.) auseinandergesetzt, verfängt schon deshalb nicht, weil hierfür kein Anlass bestand. Das Verwaltungsgericht führte aus (UA Rn. 57), dass die der Klägerin von der Beklagten konkret vorgeschlagenen Stellen, für die die Beklagte eine Stellenausschreibung vorgenommen hatte (darunter auch die Stellen mit den Verfahrensnummern 6129 und 9447 – vgl. Behördenakte S. 19 bis 23), von der Beamtin (insbesondere wegen ihrer Leistungseinschränkungen) nicht haben besetzt werden können. In den weiteren Entscheidungsgründen ging das Verwaltungsgericht sodann in rechtlich nicht zu beanstandender Weise (nur) auf die exemplarisch in der mündlichen Verhandlung (Protokoll S. 2 ff. „Wenn man etwa die Stelle Nr. 6196 betrachtet“) erörterten Stellen (Nrn. 6196, 6553, 7232) näher ein. Das Gericht war nicht verpflichtet, sich mit sämtlichen der Klägerin vorgeschlagenen 17 Stellen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere bestand hinsichtlich der beiden erstmals in der Zulassungsbegründung erwähnten Stellen (Nr. 6129 und 9447) kein Anlass zu weitergehenden Ausführungen des Gerichts, wenn die Klägerin weder in ihrer Klagebegründung noch – ausweislich des Protokolls – in der mündlichen Verhandlung diese zuvor ausdrücklich thematisiert hat. Zumal aus der Behördenakte (S. 19 bis 23) hinreichend deutlich wird, aus welchen Gründen die beiden Stellen für die Klägerin nicht in Betracht kamen. So erteilte die Klägerin zum Stellenangebot Nr. 6129 mit E-Mail vom 22. April 2018 eine Absage (Behördenakte S. 22). Ihrer Ansicht nach würde die Stelle als KeyUser für die eVergabe eine Rückkehr in eine Vergabestelle bedeuten. Daher solle die Beklagte bitte nicht um eine Erweiterung des Bewerberkreises nachfragen. Dass die Beklagte dieser Bitte nachkam, ist vor dem Hintergrund der vorliegenden Gesundheitszeugnisse (v. 18.7.2017, v. 2.5.2019 unter 1.1 und v. 14.9.2020 unter 1.2), die die Tätigkeit der Durchführung von Vergabeverfahren für die Klägerin ausschlossen, nachvollziehbar. Auch die Stelle mit der Verfahrensnummer 9447 kam aufgrund der Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht in Betracht (vgl. Behördenakte S. 22). Nach Ausführungen des zuständigen Fachbereichs komme es bei Ortsterminen oder am Telefon mit Interessenvertretern immer wieder zu Konflikten und konfliktbehafteten Gesprächen, sodass Konfliktfähigkeit unbedingt erforderlich sei. Nachdem das Sachgebiet nur zu etwa 1/3 besetzt sei, könne eine häufige Vertretungstätigkeit nicht ausgeschlossen werden. Auch eine gewisse Stresstoleranz werde benötigt. Bei Ortsbesichtigungen sei die Bewegung im laufenden Verkehr erforderlich, gleichzeitig seien dienstliche Gesichtspunkte zu erfassen und zu erkennen. Es liege ein erhöhtes Verletzungsrisiko vor, zudem sei Multitasking erforderlich.
6
Entgegen der Zulassungsbegründung hat die Beklagte die Nichtberücksichtigung der Klägerin für die Stellenausschreibung mit der Verfahrensnummer 7232 (VGH-Akte S. 23) sachlich ausreichend begründet (vgl. UA Rn. 58). Die Klägerin hat im persönlichen Gespräch mit den Vertretern des Fachbereichs selbst Zweifel geäußert, ob sie den Anforderungen der neuen Stelle angesichts ihres gesundheitlich noch „sehr angeschlagenen“ Zustands und des weiten Fahrwegs zum neuen Standort gewachsen sei („Feedbackformular – Dispositionsvorschlag“ v. 19.12.2018 – VG-Akte S. 93). Die darauf basierende Einschätzung des Dienstherrn, es stehe zu befürchten, dass das erhöhte Stresspotential verbunden mit kritischen und wiederholten Anfragen der Vergabestelle nicht förderlich für den angeschlagenen Gesundheitszustand der Klägerin sei, hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Die körperlichen und gesundheitlichen Anforderungen des jeweiligen Dienstpostens legt der Dienstherr fest. Hierbei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der Ämter der Laufbahn zu orientieren hat. Der Dienstherr setzt damit den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist. Die Einschätzung des Dienstherrn, bei der Stelle könne es zu kritischen und wiederholten Anfragen der Vergabestelle und dadurch bedingt zu Stresssituationen kommen, beruht auf nachvollziehbaren sachlichen Gründen und ist nicht etwa nur vorgeschoben. Denn laut Feedbackformular waren in dem Fachbereich von den 6,5 Stellen zum Zeitpunkt der Bewerbung der Klägerin nur zwei besetzt, was zu einer hohen Arbeitsbelastung geführt habe. Dies war auch der Klägerin bewusst, die in ihrer E-Mail vom 10. Dezember 2018 mitteilte, dass die Aufgabe der Key-User auf wenige Schultern verteilt sei, so dass hierfür nur voll belastbare und extrem resiliente Kolleginnen und Kollegen eingesetzt werden sollen (Behördenakte S. 21). Als bloßes Befähigungsmerkmal brauchte das mit dieser Stelle verknüpfte „erhöhte Stresspotential verbunden mit kritischen und wiederholten Anfragen der Vergabestelle“ (UA S. 15) in der Stellenausschreibung indes nicht eigens Erwähnung zu finden. Die auf beiden Seiten hinsichtlich dieser Stelle bestehenden gesundheitlichen Eignungszweifel stehen zudem – wie das Verwaltungsgericht zu Recht feststellte – in Einklang mit den Leistungseinschränkungen, die in den Gesundheitszeugnissen festgehalten sind und von der sachverständigen Zeugin geschildert wurden. Die Amtsärztin wies in der mündlichen Verhandlung (Protokoll S. 5) insbesondere darauf hin, dass mit dem Auftreten von erneuten Krankheitszeiten aufgrund der verringerten psychischen Belastbarkeit zu rechnen sei, wenn herausfordernde oder ungewohnte Situationen aufträten. Die Amtsärztin führte in ihrer Zeugeneinvernahme zwar aus, dass eine Heranführung der Klägerin an neue Sachverhalte und auch Kenntnisse durchaus zu bewältigen sei, wenn dies langsam erfolge. Sie ergänzte hierzu aber auch, dass mit einem Rückfall und erneuten Erkrankungssituationen zu rechnen sei, sobald die neu zu bewältigenden Aufgaben zu – wie in Bezug auf die Stelle mit der Verfahrensnummer 7232 nicht ausgeschlossen werden kann – „Drucksituationen“ führten. Hohe Anforderungen, die die Klägerin nicht bewältigen könne, könnten eine psychische Belastung darstellen und zu erneuten Krankheitszeiten führen (Protokoll S. 6 – VG-Akte S. 87).
7
Fehl geht darüber hinaus die lediglich ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung, es habe „mit Sicherheit“ auch weitere Positionen gegeben, die der Klägerin hätten angeboten werden können und müssen. Im Hinblick darauf, dass es für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – hier die angegriffene Ruhestandsversetzungsverfügung vom 2. Mai 2022 – ankommt (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10; U.v. 16.10.1997 – 2 C 7.97 – juris Ls), ist es ohne Belang, ob geeignete Stellen für die Klägerin „während der letzten Jahre“ oder zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung am 5. Juli 2023 – wie eine Recherche der Klägerin ergeben habe – vakant gewesen wären (insbes. Stellenausschreibungen Verfahrensnummer 1656 und 2054 – VGH-Akte S. 24 bis 27).
8
Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 54) kam auch zutreffend zu dem Schluss, dass vor der zuletzt am 17. Februar 2022 durchgeführten stadtweiten Abfrage keine neue Begutachtung der Klägerin stattfinden musste. Zur Begründung verwies es auf die nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der Amtsärztin in der mündlichen Verhandlung und ihrem Gesundheitszeugnis (v. 14.9.2020, S. 2), wonach die von ihr beschriebenen Leistungseinschränkungen bei der Klägerin dauerhaft vorlägen. Zwar gab die Amtsärztin auch an, dass eine weitere Stabilisierung des Gesundheitszustandes der Klägerin bei Fortführung der Behandlung und einem stabilen Umfeld zu erwarten gewesen sei, gleichwohl lagen für die Beklagte zum Zeitpunkt der Ruhesetzungsverfügung weder Anhaltspunkte dafür vor, ob eine Behandlung in einem stabilen Umfeld fortgeführt wurde, noch ob es über eine Stabilisierung der Klägerin hinaus tatsächlich auch zu einer Verbesserung ihrer gesundheitlichen Konstitution gekommen ist. Da insoweit der Dienstherr auf entsprechende Hinweise des Beamten angewiesen ist, wäre die Klägerin gehalten gewesen, bei einer entsprechenden positiven Veränderung ihrer gesundheitlichen Situation, die Beklagte darüber zu informieren, um gegebenenfalls eine Erweiterung des infrage kommenden Stellenpools bei einer erneuten stadtweiten Abfrage zu erreichen. Ohne jeglichen Hinweis der Klägerin und sonstiger Anhaltspunkte musste sich der Beklagten aber die Notwendigkeit einer Abänderung des (gesundheitlichen) Anforderungsprofils nicht aufdrängen. Aus welchem Grund von einer (weiteren) Verbesserung des Gesundheitszustandes hätte ausgegangen werden können, legt die Zulassungsbegründung nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dar. Mit dem Klammerzusatz „(wie im Verhältnis aus dem Gesundheitszeugnis von 2019 zu 2020)“ geht die Antragsbegründung nicht näher darauf ein, welche konkreten Leistungseinschränkungen nun nicht mehr bestünden und weshalb sich daraus für den Dienstherrn aufdrängen müsste, dass auch nach dem Gesundheitszeugnis vom 14. September 2020 sich ein solcher Trend fortgesetzt haben müsste. Daran bestehen auch angesichts der Ausführungen im Gesundheitszeugnis (v. 14.9.2020, S. 2 unter 4.1) Zweifel, wonach zwar mit Fortführung der fachärztlichen Behandlung eine weitere Stabilisierung des allgemeinen Gesundheitszustandes und eine Verringerung der Fehlzeiten, jedoch nicht die Beseitigung der Leistungseinschränkungen erreicht werden könnte.
9
Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 6 GKG (vgl. Schr. v. 21.6.2023 zur Höhe der Jahresbezüge für 2023 – VG-Akte S. 67 ff.).
10
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).