Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.10.2023 – 21 ZB 20.2575
Titel:

Widerruf der Approbation als Arzt

Normenketten:
BÄO § 3, § 5, § 8
VwGO § 124, § 124a
GG Art. 12
Leitsätze:
1. Ein schwerwiegendes Fehlverhalten eines Arztes kann auch dann geeignet sein, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den ärztlichen Berufsstand nachhaltig zu erschüttern, wenn sich das Fehlverhalten außerhalb des klassischen Arzt-Patienten-Verhältnisses ereignet. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausreichend ist, wenn das Fehlverhalten unter Ausnutzung des zuvor aufgebauten Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient erfolgt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Widerruf der Approbation ist nicht im Hinblick auf ein fortgeschrittenes Lebensalter des Arztes unverhältnismäßig, weil es möglicherweise einem endgültigen Berufsverbot gleichkommt und eine Abmilderung der Folgen des Eingriffs in die Berufsfreiheit durch eine spätere Wiedererteilung der Approbation faktisch nicht mehr in Betracht kommt. Bei der Beurteilung der Unwürdigkeit eines Arztes für die weitere Berufsausübung kann bei älteren Ärzten kein anderer Maßstab angelegt werden als bei jüngeren Kollegen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4. Sind die Voraussetzungen der Berufsunwürdigkeit im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens erfüllt, ist der mit dem Widerruf der Approbation verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit gerechtfertigt, ohne dass es einer zusätzlichen Abwägung mit den persönlichen Lebensumständen des Betroffenen und den Vollzugsfolgen des Approbationswiderrufs bedarf. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufsrecht der Ärzte, Widerruf der Approbation als Arzt, Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs, Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Schwangerschaftsabbruch, jeweils in mittelbarer Täterschaft begangen, Freiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung, Persönliche Lebensumstände (z.B. fortgeschrittenes Lebensalter), Berufsrecht, Ärzte, Widerruf, Approbation, Unwürdigkeit, Verurteilung, gefährliche Körperverletzung, Tateinheit, versuchter Schwangerschaftsabbruch, mittelbare Täterschaft, Freiheitsstrafe, Bewährung, persönliche Lebensumstände, Lebensalter, Ausnutzung, Vertrauensverhältnis, Berufsfreiheit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.09.2020 – M 16 K 19.5386
Fundstellen:
LSK 2023, 31972
BeckRS 2023, 31972
MedR 2024, 742

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der im Jahr … geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Approbation als Arzt. Er erhielt die Approbation als Arzt im Jahr … und praktiziert als selbständiger niedergelassener Arzt.
2
Mit seit 4. Juni 2016 rechtskräftig gewordenem Strafbefehl verhängte das Amtsgericht Weilheim i.OB. gegen den Kläger eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von elf Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Schwangerschaftsabbruch, jeweils in mittelbarer Täterschaft begangen.
3
Der Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Anfang 2014 begab sich Frau K. (Geschädigte) aufgrund eines von ihr vermuteten Burnouts in die Allgemeinarztpraxis des Klägers. Im Laufe der Behandlung, die eine Hypnosetherapie einschloss, entwickelte sich zwischen Frau K. und dem Kläger eine Liebesbeziehung. Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Mai 2016, vor dem 17. Mai 2016, teilte Frau K. dem Kläger mit, dass ihre Monatsblutung ausgeblieben sei und sie vermutlich von ihm schwanger sei. Im Rahmen eines privaten Treffens am 19. Mai 2016 in der Wohnung der Frau K. gab der Kläger dieser gegenüber bewusst wahrheitswidrig vor, er sei auf einer Fortbildung in London auf ein Magnesiumpulver gestoßen, welches Verspannungen löse, und bat Frau K. dieses unter Hypnose mit heißem Wasser einzunehmen. Dem kam Frau K. im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Angaben nach. Tatsächlich handelte es sich bei dem Pulver – wie der Kläger wusste – um das Abtreibungsmittel Cytotec. Im Anschluss an die Einnahme des Medikaments durch die ahnungslose Frau K. stellten sich bei dieser starke, wehenartige Unterleibsschmerzen ein, die in einer Blutung mündeten. Ob Frau K. tatsächlich schwanger war ließ sich nicht klären. Der Kläger handelte jedoch in der Absicht, bei Frau K. einen Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen, wobei ihm bewusst war, gegen den Willen von Frau K. zu handeln.
4
Mit Bescheid vom 30. September 2019 widerrief die Regierung von Oberbayern die Approbation des Klägers als Arzt wegen Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs.
5
Das Verwaltungsgericht München hat die Klage mit Urteil vom 7. September 2020 abgewiesen.
6
Der Kläger hat gegen das am 5. Oktober 2020 zugestellte Urteil am 3. November 2020 die Zulassung der Berufung beantragen lassen.
II.
7
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das von dem Kläger innerhalb der Begründungsfrist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf, noch ist den Darlegungsanforderungen an eine grundsätzliche Bedeutung Genüge getan (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO).
8
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
9
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen dessen Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 und B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – jeweils juris). Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
10
Der Senat teilt in vollem Umfang die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass nach der im Zeitpunkt des Bescheidserlasses maßgebenden Sach- und Rechtslage die dem Kläger erteilte Approbation als Arzt gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 BÄO (zwingend) zu widerrufen war, weil sich der Kläger eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt, und so nachträglich die für die Erteilung der Approbation nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO erforderliche Voraussetzung weggefallen ist. Das Verwaltungsgericht hat dabei unter Beachtung der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung die tatsächlichen Feststellungen in dem Strafbefehl rechtsfehlerfrei zur Grundlage seiner eigenen Beurteilung gemacht und ausführlich und überzeugend dargelegt, weshalb der Kläger aufgrund seines schwerwiegenden Fehlverhaltens als unwürdig zur weiteren Ausübung des Arztberufes anzusehen ist. Der Senat nimmt in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug und sieht insoweit von einer eigenen Begründung ab (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
11
1.1 Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufes sei. Gerade im Hinblick auf den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und das Verhältnismäßigkeitsgebot seien an den Widerruf der ärztlichen Approbation wegen Berufsunwürdigkeit besonders hohe Voraussetzungen zu stellen. Im vorliegenden Fall sei insbesondere unberücksichtigt geblieben, dass der Widerruf der Approbation im Lichte der grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit als „vorübergehende“ Sanktion angelegt sei, d.h. auch ein Arzt, dem ein Verhalten vorgeworfen werde, welches im Zeitpunkt der Entscheidung die weitere Berufsausübung als untragbar erscheinen lasse, müsse jedenfalls die Chance haben, nach Bewährung und angemessener Zeitspanne seinen erlernten und praktizierten Beruf als Arzt wieder auszuüben. Die Zeitspanne, nach welcher ein Arzt einen erneuten Antrag auf Wiedererteilung der Approbation nach vorangegangenem Approbationsentzug stellen könne, sei gesetzlich nicht geregelt. Nach der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten betrage sie jedoch nach schwerwiegenden beruflichen Verfehlungen regelmäßig mindestens fünf, tatsächlich eher acht Jahre. Stelle ein Arzt nach Verlust der Approbation nach diesem Zeitraum den Antrag auf Wiedererteilung der Approbation, werde ihm regelmäßig zunächst für zwei Jahre nur eine beschränkte Erlaubnis (sog. Berufsausübungserlaubnis, die lediglich die nicht selbständige ärztliche Tätigkeit unter Aufsicht fremder Verantwortung ermögliche) erteilt. Somit betrage der tatsächliche realistische Zeitraum bis zur Wiedererteilung einer (Voll-) Approbation nach der Verwaltungspraxis der Beklagten regelmäßig zwischen sieben und zehn Jahren. Der im … … geborene Kläger sei mittlerweile … Jahre alt. Eine Wiedererteilung der Approbation sei nach der gefestigten Verwaltungspraxis der Beklagten somit faktisch bereits aus Altersgründen ausgeschlossen. Damit komme der Approbationswiderruf im Fall des Klägers einem endgültigen Berufsverbot gleich, weshalb vorliegend eine Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht mehr gegeben sei. Damit hätte sich das Verwaltungsgericht auseinandersetzen müssen. Da die Altersrentenbezüge des Klägers nicht ausreichten, hätte der Entzug der Approbation eine Vernichtung der wirtschaftlichen wie persönlichen Existenz des Klägers zur Folge.
12
1.2 Daraus ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils.
13
Die Entscheidung der Beklagten ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Widerruf der Approbation im Hinblick auf das fortgeschrittene Lebensalter des Klägers möglicherweise einem endgültigen Berufsverbot gleichkommt und eine Abmilderung der Folgen des Eingriffs in die Berufsfreiheit durch eine spätere Wiedererteilung der Approbation faktisch nicht mehr in Betracht kommt. Bei der Beurteilung der Unwürdigkeit eines Arztes für die weitere Berufsausübung kann bei älteren Ärzten kein anderer Maßstab angelegt werden als bei jüngeren Kollegen (vgl. VGH BW, B.v. 28.7.2003 – 9 S 1138/03 – juris Rn. 9). Liegt Berufsunwürdigkeit vor, so lässt das Gesetz für die zusätzliche Berücksichtigung individueller Umstände wie eines relativ hohen Lebensalters keinen Raum. Hiergegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Nach allgemeiner Auffassung ist ein Arzt zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufs unabdingbar nötig ist (BVerwG, B.v. 14.4.1998 – 3 B 95/97 – juris Rn. 11). Das ist vorliegend der Fall (vgl. auch OVG Lüneburg, B.v. 2.5.2012 – 8 LA 78/11 – juris Rn. 22).
14
Es trifft insbesondere nicht zu – wie der Kläger rügt –, dass vom Verwaltungsgericht seine persönlichen Lebensumstände (Alter, Vermögensverhältnisse etc.) im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nicht berücksichtigt wurden (vgl. UA Rn. 30). Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Rechtsprechung, auf die das Verwaltungsgericht verwiesen hat, davon aus, dass es einer solchen zusätzlichen Abwägung nicht bedarf. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO ist der Widerruf der Approbation zwingend („ist zu widerrufen“), wenn der Betroffene sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Die Feststellung der Unwürdigkeit verlangt ein schwerwiegendes Fehlverhalten, bei dessen Würdigung alle Umstände der Verfehlung(en) zu berücksichtigen sind. Sind die Voraussetzungen der Berufsunwürdigkeit im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens erfüllt, ist der mit dem Widerruf der Approbation verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit gerechtfertigt, ohne dass es einer zusätzlichen Abwägung mit den persönlichen Lebensumständen des Betroffenen und den Vollzugsfolgen des Approbationswiderrufs bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.2019 – 3 B 7/18 – juris Rn. 11 f. m.w.N.).
15
Davon zu trennen ist die Frage der Wiedererteilung der Approbation oder der Erteilung einer Erlaubnis zur Ausübung des Berufs nach § 8 BÄO. In diesen Verfahren gilt, dass neben der Art und Schwere des Fehlverhaltens sowie dem zeitlichen Abstand zu den die Unwürdigkeit begründenden Verfehlungen auch alle sonstigen individuellen Umstände zu berücksichtigen sind, die nach Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens eingetreten sind (BVerwG, B.v. 15. 11.2012 – 3 B 36/12 – juris Rn. 6 f.).
16
Abweichend von den Ausführungen des Klägers kann darüber hinaus nicht pauschalisiert angegeben werden, ob und ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen zur Wiedererteilung der Approbation im Falle des Klägers vorliegen, d.h. die Würdigkeit wiederhergestellt ist. Dies beurteilt sich nach den Umständen im konkreten Einzelfall (BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36/12 – juris Rn. 7 f.):
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Grundsätzlich kann auch bei einem im Zeitpunkt des Approbationswiderrufs im Lebensalter fortgeschrittenen Arzt eine Wiedererteilung der Approbation in Betracht kommen. Während als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Approbation auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens abzustellen ist, sieht das Gesetz die Möglichkeit der Wiedererteilung der Approbation vor. Der Widerruf bildet deshalb eine Zäsur, durch die eine Berücksichtigung nachträglicher Umstände dem Wiedererteilungsverfahren zugewiesen wird.
18
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Arzt unwürdig im Sinn von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO, wenn er ein Fehlverhalten gezeigt hat, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist, und er daher nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig ist (st.Rspr, vgl. z.B. B.v. 27.1.2011 – 3 B 63/10 – juris Rn. 4). Entsprechend setzt die Wiederherstellung der Würdigkeit voraus, dass sich die Sachlage „zum Guten geändert hat“, nämlich der Arzt das erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt hat (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.1996 – 3 PKH 4/96 – juris Rn. 3). Das ist der Fall, wenn bei Würdigung aller Umstände nicht mehr zu besorgen ist, dass dessen selbständige Berufstätigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig erschüttern könnte. Im Wiedererteilungsverfahren sind daher im Rahmen einer Gesamtbetrachtung Art und Schwere des Fehlverhaltens sowie der zeitliche Abstand zu den die Unwürdigkeit begründenden Verfehlungen zu berücksichtigen, des Weiteren alle Umstände, die nach Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens eingetreten sind (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36/12 juris Rn. 7 m.w.N.). Ein beanstandungsfreies Verhalten, insbesondere eine nachträgliche berufliche Bewährung, fällt hiernach positiv ins Gewicht, während umgekehrt etwaige neue Verfehlungen negativ zu Buche schlagen. Ein Wohlverhalten nach Widerruf der Approbation ist bei einer späteren Entscheidung über die Wiedererteilung unabhängig davon berücksichtigungsfähig, ob es vor oder nach Stellung eines Antrags auf Wiedererteilung erfolgt ist (BVerwG, B.v. 27.10.2010 – 3 B 61/10 – juris Rn. 8).
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Ob als Bewährungszeit für eine spätere Wiedererteilung nur der Zeitraum ab Bestandskraft des Widerrufs in Betracht kommt mit der Folge, dass ein Betroffener durch die Inanspruchnahme von Rechtsschutz „bestraft“ werde, betrifft nicht die Rechtmäßigkeit des Widerrufs (BVerwG, B.v. 27.10.2010 – 3 B 61/10 – juris Rn. 8). Im Hinblick auf den für den Beginn des Reifeprozesses maßgeblichen Zeitpunkt dürfte (vgl. aber BayVGH, U.v. 15.2.2000 – 21 B 96.1637 – juris Rn. 59) eine Anknüpfung an den Zeitpunkt, in dem der Widerruf der ärztlichen Approbation bestandskräftig bzw. rechtskräftig geworden ist, nicht sachgerecht sein (vgl. OVG Bautzen, U.v. 13.3.2012 – 4 A 18/11 – juris Rn. 39).
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1.3 Der Kläger rügt weiter, bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei auch unberücksichtigt geblieben, dass er das ärztliche Berufsrecht mehr als … Jahre gewissenhaft und verantwortungsvoll ausgeübt habe. Das Verwaltungsgericht habe das vom Kläger eingeräumte und mit Strafbefehl abgeurteilte Fehlverhalten des Klägers im Rahmen der Abwägung einseitig überbewertet. Es habe sich um ein einmaliges außergewöhnliches Fehlverhalten in einer „emotional aufgewühlten und ausweglosen Situation“ gehandelt, in der der Kläger in das manipulative und zielgerichtete Verhalten einer anderen Person geraten war, welches keinen Rückschluss auf die grundsätzliche Persönlichkeit und Lebenshaltung des Klägers zulasse. Auch seien seit der Rechtskraft des Strafbefehls und dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens zwei untadelige Jahre des Klägers vergangen.
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1.4 Auch aus diesen Einlassungen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel.
22
Der Widerruf der dem Kläger erteilten ärztlichen Approbation wegen Unwürdigkeit ist, anders als der Kläger meint, auch unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Berufswahlfreiheit nicht unverhältnismäßig. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Verwaltungsgerichts (vgl. UA Rn. 19-22) in vollem Umfang an. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt schwer. Der Kläger hat gegen seine gesetzliche Berufspflicht verstoßen, dem ihm im Zusammenhang mit seinem ärztlichen Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (Art. 17 des Heilberufe-Kammergesetzes-HKaG), seine in der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns konkretisierte berufsrechtliche Pflicht verletzt, das ungeborene Leben zu erhalten (Art. 19 Nr. 1, Art. 20 HKaG, § 14 Abs. 1 Satz 1 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns – BO) sowie das u.a. im ärztlichen Gelöbnis zum Ausdruck kommende Berufsbild des Arztes missachtet, sein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen, den höchsten Respekt vor menschlichem Leben zu wahren und vor allem sein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten anzuwenden (vgl. BO, „Das ärztliche Gelöbnis“). Auch steht das Fehlverhalten des Klägers im Widerspruch zu den Aufgaben eines Arztes, der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes zu dienen (§ 1 Abs. 1 BÄO), das Leben zu erhalten und die Gesundheit zu schützen (§ 1 Abs. 2 BO). Der Kläger hat mit seiner Tat dem Ansehen des Arztberufes geschadet.
23
Das Fehlverhalten des Klägers steht auch in Zusammenhang mit der Ausübung des Arztberufs. Dahinstehen kann, ob im Zeitpunkt der Tat noch eine klassische Arzt-Patienten-Beziehung bestanden hat, denn der Kläger hat, um einen von ihm beabsichtigten Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen, ein ärztliches Umfeld geschaffen, das der Geschädigten aus den vorangehenden ärztlichen Behandlungen vertraut gewesen ist. Der Kläger hat das im Rahmen des früheren Arzt-Patienten-Verhältnisses aufgebaute Vertrauen der Geschädigten ausgenutzt, indem er die Geschädigte unter Berufung auf seine ärztliche Expertise veranlasst hat, ein vorgebliches Entspannungsmittel einzunehmen. Die Geschädigte hat das vom Kläger unter dem Vorwand zubereitete Mittel, dass es ein verspannungslösendes Magnesiumpulver sei, im Vertrauen auf dessen ärztliche Ethik, auf dessen Heilkunde und in die Richtigkeit seiner medizinischen Angaben eingenommen. Dass die ahnungslose Geschädigte nach Einnahme des Abtreibungsmittels mit den objektiv zu erwartenden und tatsächlich eingetretenen Schmerzen und Ängsten vom Kläger allein gelassen wurde, zeigt jedenfalls einen mit dem Arztberuf nicht zu vereinbarenden charakterlichen Mangel auf, der über das vom Kläger verfolgte Ziel einer Abtreibung gegen den Willen der Geschädigten und der damit einhergehenden Verletzung des Körpers hinausgeht. Dieses schwerwiegende Fehlverhalten des Klägers ist geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den ärztlichen Berufsstand nachhaltig zu erschüttern. Das planvolle Vorgehen des Klägers beim Versuch, eine von ihm nicht gewollte Schwangerschaft gegen den Willen seiner vormaligen Patientin und nunmehrigen Geliebten unter Ausnutzung des aus dem Arzt-Patienten-Verhältnisses aufgebauten Vertrauens abzubrechen, ist mit dem Bild des helfenden und heilenden Arztes gänzlich unvereinbar. Das schuldhafte Fehlverhalten des Klägers lässt nicht nur dessen Gleichgültigkeit gegenüber der körperlichen Unversehrtheit der Geschädigten und dem ungeborenen Leben zu erkennen. Es zeigt auch die Bereitschaft des Klägers das Vertrauen in seinen ärztlichen Stand zur Verfolgung seines eigennützigen Ziels einzusetzen, um Dritte über die wahren Absichten seines Tuns zu täuschen. Das rücksichtslose und eigennützige Handeln des Klägers unter Außerachtlassung selbst grundlegender Prinzipien ärztlicher Ethik erschüttert aus Sicht des Gerichts das für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unabdingbare Vertrauen zwischen Patienten und Arzt, bliebe das Verhalten des Klägers für den Fortbestand seiner Approbation als Arzt folgenlos (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.2019 – 3 B 7/18 – juris Rn. 9 m.w.N.).
24
Dabei ist unerheblich, dass der Kläger die Taten nicht im Rahmen der typischen Behandlung eines Patienten begangen hat. Der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO erstreckt sich nicht nur auf das Verhalten eines Arztes bei der Behandlung von Patienten, also auf den Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit. Er erfasst darüber hinaus alle berufsbezogenen, d.h. mit der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit in nahem Zusammenhang stehenden Handlungen und Unterlassungen, und abhängig von der Schwere des Deliktes, auch Straftaten außerhalb des beruflichen Wirkungskreises (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1995 – 3 B 7/95 – juris Rn. 10). Vorliegend hat der Kläger, wie bereits ausgeführt, die Taten in Zusammenhang mit der ärztlichen Berufsausübung begangen.
25
Auch die weiteren Einwände des Klägers hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil behandelt, so dass auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen wird (zu: …-jährige tadelfreie Berufsausübung, Einmaligkeit seines Fehlverhaltens – UA Rn. 33.; die zeitlich bis zum Bescheidserlass zurückliegende Tatbegehung – UA Rn. 31; keine öffentliche Berichterstattung – UA Rn 24; zeitgemäße Vorstellungen vom Berufsbild eines Arztes – UA Rn. 25; Fehlverhalten im Zusammenhang mit ärztlicher Berufsausübung – UA Rn. 22).
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2. Ein Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.
27
2.1 Der Kläger macht weiter geltend, die bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigenden individuellen Umstände begründeten eine besondere Schwierigkeit. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Unwürdigkeit sei hier im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, die eine subtile Abwägung der Einzelfallumstände unter Berücksichtigung der Person und der persönlichen Umstände des Klägers erfordere, auszulegen und zu interpretieren, so dass die Rechtssache besondere Schwierigkeiten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht aufweise. Auch das gesamte Procedere der Wiedererteilung der Approbation auf Antrag müsse im Rahmen der Verhältnismäßigkeit abgewogen werden.
28
2.2 Die Rechtssache weist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten auf, und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen Sachverhalt. Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Die Frage, ob die Voraussetzungen der Wiedererteilung der Approbation vorliegen, wird ggf. in einem Wiedererteilungsverfahren zu beantworten sein.
29
3. Der Kläger macht ohne Erfolg eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend.
30
Um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dem Darlegungsgebot genügend zu begründen, hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und darzulegen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72).
31
Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob ein Arzt durch eine im Privatbereich vorgenommene strafbare Handlung unter Berücksichtigung eines bis dahin …-jährigen untadeligen Berufs- und Privatlebens tatsächlich unwürdig i.S. der BÄO ist.
32
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Anlass für den Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit nur ein schwerwiegendes Fehlverhalten sein kann, das geeignet ist, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos. Ob ein solches gravierendes Fehlverhalten vorliegt, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer fallübergreifenden Klärung (BVerwG, B.v. 20.9.2012 – 3 B 7/12 – juris Rn. 4; B.v. 31.7.2019 – 3 B 7/18 – juris Rn. 10; B.v. 18.8.2011 – 3 B 6/11 – juris Rn. 8).
33
Weiter ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der für die Annahme der Unwürdigkeit erforderliche Ansehens- und Vertrauensverlust auch durch Straftaten bewirkt werden kann, die nicht im Arzt-Patienten-Verhältnis angesiedelt sind oder die ein außerberufliches Fehlverhalten betreffen, wenn es sich dabei um gravierende Verfehlungen handelt (BVerwG, B.v. 31.7.2019 – 3 B 7/18 – juris Rn. 9; vgl. auch HessVGH, B.v. 13.11.2018 – 7 A 786/17.Z – juris Rn 33; OVG NRW, B.v. 15.1.2003 – 13 A 2774/01 – juris Rn. 6). Das Verwaltungsgericht hat ergänzend dargelegt, dass angesichts der gravierende Verfehlung des Klägers ein Ansehens- und Vertrauensverlust in den ärztlichen Berufsstand selbst dann eingetreten wäre, wenn das Fehlverhalten des Klägers nicht im Arzt-Patienten-Verhältnis angesiedelt wäre (UA Rn. 26).
34
Im Übrigen war die aufgeworfene Frage für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich und würde sich so auch nicht in einem Berufungsverfahren stellen. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei den vom Kläger begangenen Straftaten um eindeutig berufsbezogene Taten handelt, die – wenn sie auch nicht den Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit im typischen Arzt-Patienten-Verhältnis erfassen – so doch mit der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit in so engem Zusammenhang stehen, dass es sich um Taten handelt, die nicht außerhalb des beruflichen Wirkungskreises stehen (s.o.).
35
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
36
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG, wobei sich der Senat an Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit orientiert hat.
37
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
38
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).