Titel:
Erfolgloses Berufungszulassungsverfahren: Keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, falls eine weitere, nichtangegriffene Begründung vorliegt
Normenketten:
BayBO Art. 6, Art. 76 S. 1
BauNVO § 22 Abs. 2 S. 2, § 23 Abs. 1 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 1
BayVwVfG Art. 40
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
Leitsatz:
Ist die Frage, „darf § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO dahingehend umgangen werden, wenn eine Erweiterung des Bebauungsplans zu einer Überschreitung der 50-m-Grenze führt“, nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung bezüglich einer baurechtlichen Beseitigungsanordnung auch selbständig tragend auf einen anderen Grund gestützt hatte (vorliegend: einen Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften), welcher im Berufungszulassungsverfahren nicht angegriffen wurde, hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung Terrassenüberdachung, Überschreitung der festgesetzten Baugrenze, Bauweise, Abstandsflächenverstoß, Ermessensausübung, Beseitigungsanordnung, Terrassenüberdachung, Berufungszulassung, Berufung, Zulassungsverfahren
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 15.06.2023 – RN 2 K 21.2070
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31969
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine vom Landratsamt P. verfügte Beseitigungsanordnung vom 30. September 2021 betreffend eine auf der Westseite ihres Reihenmittelhauses errichtete Terrassenüberdachung. Die Klage der Klägerin hiergegen hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 15. Juni 2023 abgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Terrassenüberdachung die wirksam festgesetzte Baugrenze überschreite sowie gegen das Abstandsflächenrecht verstoße. Die Erteilung von Abweichungen oder Befreiungen käme nicht in Betracht. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügen. Es liegen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch hat die Rechtssache die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin als Rechtsmittelführerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts allerdings nicht.
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a) Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung zwei selbständig tragende Gründe für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beseitigungsanordnung angeführt. Es hat einerseits eine Überschreitung der Baugrenze und andererseits einen Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften festgestellt (UA S. 8). In derartigen Fällen ist die Berufung nur zuzulassen, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 25.6.2021 – 3 B 1.21 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 13.7.2023 – 15 ZB 23.832 – juris Rn. 10). Dies ist hier nicht der Fall.
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Soweit die Klägerin umfangreich die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Wirksamkeit des Bebauungsplans „Am Steinkart“ im Zusammenhang mit der Deckblatt-Änderung Nr. 11 angreift, kommt es hierauf nicht entscheidungserheblich an. Denn das Verwaltungsgericht hat ferner darauf abgestellt, dass die zu beseitigende Terrassenüberdachung die zur nördlichen Grundstücksgrenze einzuhaltenden Abstandsflächen verletzt und unter Berücksichtigung der sogenannten „Doppelhausrechtsprechung“ – unabhängig von der Bauweise – das wechselseitige Austauschverhältnis erheblich stört (UA S. 13 f.). Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Das Verwaltungsgericht führt ferner aus, dass die Erteilung einer Abweichung nicht in Betracht komme (UA S. 14 f.). Auch hierauf geht das Zulassungsvorbringen nicht weiter ein. Die bloße Behauptung, es sei eine Abweichung möglich, da der Nachbar weiterhin uneingeschränkte Belichtung und Besonnung habe sowie der Wohnfrieden nicht gestört werde, genügt nicht, zumal keine Anhaltspunkte für die erforderliche Atypik i.R.d. Art. 63 Abs. 1 BayBO (vgl. BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 26; B.v. 19.9.2023 – 15 CS 23.1208 – juris Rn. 22) dargelegt werden.
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b) Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich auch keine willkürliche Behandlung der Klägerin.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Anordnung der Beseitigung keine Ermessensfehler aufweise (UA S. 16) und zutreffend darauf abgestellt, dass das Ermessen nicht ohne erkennbaren Grund unterschiedlich, systemwidrig oder planlos ausgeübt werden darf (vgl. BVerwG, B.v. 24.7.2014 – 4 B 24.14 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 9.8.2021 – 15 CS 21.1536 – juris Rn. 30). Hierbei ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt den Ausgang dieses Verfahrens für die Entscheidung über das weitere Vorgehen abwarten will. Denn zum einen gibt es keine allgemeingültige zeitliche Grenze für ein unterschiedliches Vorgehen gegen baurechtswidrige Zustände (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2016 – 9 ZB 16.308 – juris Rn. 6 m.w.N.) und zum anderen hat das Landratsamt unwidersprochen ausgeführt, von den weiteren Baurechtsverstößen erst im Zusammenhang mit der Mitteilung des Baurechtsverstoßes der Klägerin und der folgenden Ermittlung von Bezugsfällen erfahren zu haben.
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2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 13.7.2023 – 15 ZB 23.832 – juris Rn. 16).
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Die Frage, „darf § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO dahingehend umgangen werden, wenn eine Erweiterung des Bebauungsplans zu einer Überschreitung der 50-m-Grenze führt“, ist nicht entscheidungserheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat selbständig tragend auch auf einen Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften abgestellt (UA. S. 8, 13), hinsichtlich dessen eine Zulassung der Berufung nicht in Betracht kommt (s.o.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).