Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.08.2023 – 20 CS 23.1436
Titel:

Nachweis zum Impfschutz gegen Masern  

Normenkette:
IfSG § 20 Abs. 12 S. 1, Abs. 9 S. 1, Abs. 12 S. 7
Leitsatz:
Zweifel an der Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe gegen Masern stellen die Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises einer erfolgten Impfung gegen das Masernvirus nicht in Frage. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anforderung zur Vorlage eines Nachweises zum Impfschutz gegen Masern, Kombinationsimpfstoffe
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 20.07.2023 – M 26b 23.564
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31967

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die mit der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die begehrte Abänderung des Beschlusses.
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1. Nach Änderung des § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG mit dem Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 vom 16. September 2022 (BGBl. I S. 1454-1472) ist die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung zur Beibringung eines Nachweises aus § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG durch Bundesgesetz vorgeschrieben (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Da die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nur im Hinblick auf Verwaltungsakte in Betracht kommt (vgl. etwa Schoch in Schoch/Schneider, VerwR, Stand August 2022, § 80 VwGO Rn. 37), dürfte es sich bei der Anordnung zur Beibringung eines Nachweises im Sinne des § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG (jedenfalls) seit der o.g. Gesetzesänderung aus systematischen Gründen um einen selbständig angreifbaren Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handeln (anders dagegen noch BayVGH, B.v. 29.12.2021 – 20 CE 21.2778 – BeckRS 2021, 43061 zur vorherigen Rechtslage).
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2. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines die Nachweisvorlagepflicht begründenden Verwaltungsaktes in der Person der Antragsteller (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG) vor. Dies wird mit der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen.
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3. Sofern geltend gemacht wird, die zwangsweise Durchsetzung der Anordnung sei aufgrund der am 12. Oktober 2023 eintretenden Volljährigkeit des Sohnes der Antragsteller unverhältnismäßig, kann dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Anordnung ist der Zeitpunkt ihres Erlasses am 4. Januar 2023 (vgl. hierzu ausführlich BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651- BeckRS 2021, 18582 Rn. 11f.). Zu diesem Zeitpunkt stand der Eintritt der Volljährigkeit des Sohnes nicht unmittelbar bevor. Außerdem hatten die Antragsteller spätestens seit dem 25. August 2022 (Aufforderung des Antragsgegners zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises) Kenntnis vom Bestehen der Nachweisvorlagepflicht nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG. Maßgeblich für den Erfolg des Beschwerdeverfahrens sind im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Zum Zeitpunkt der Entscheidung im Beschwerdeverfahren werden die Antragsteller mit der Anfechtungsklage gegen die Anordnung des Antragsgegners aller Voraussicht nach unterliegen, da die gesetzlichen Voraussetzungen zur Anforderung der Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.Vm. Abs. 9 Satz 1 IfSG vorliegen. Daran vermag der bevorstehende Eintritt der Volljährigkeit des Sohnes der Antragsteller als in der Zukunft liegendes Ereignis nichts zu ändern.
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4. Die mit der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage, ob der vom Antragsgegner empfohlene Impfstoff „Priorix“ wirksam ist und zur angestrebten Immunisierung der Bevölkerung beitragen kann, ist in diesem Beschwerdeverfahren ohne Bedeutung. Gegenstand des vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist lediglich die Verpflichtung zur Vorlage des Nachweises einer erfolgten Impfung gegen das Masernvirus bzw. zum Nachweis von Gründen i.S. des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG, die einer Impfung entgegenstehen. Dieser – rein formalen – Vorlagepflicht sind die Antragsteller nicht nachgekommen. Soweit die Antragsteller Zweifel an der Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe vorbringen, wenden sie sich der Sache nach nicht gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners, sondern gegen die Eignung und damit Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 8 ff. IfSG, die das Bundesverfassungsgericht in der von den Antragstellern zitierten Entscheidung vom 21. Juli 2022 (1 BvR 469/20 u.a. – BVerfGE 162, 378-454) aber nicht durchgreifend in Frage gestellt hat. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht darauf abgestellt, dass es der Verfassungsmäßigkeit von § 20 IfSG grundsätzlich nicht entgegensteht, wenn zur Erlangung des Masernimpfschutzes ausschließlich Kombinationsimpfstoffe (wie „Priorix“) zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 93 ff.). Zweifel an der Eignung der zugelassenen Impfstoffe zum Schutz vulnerabler Personen vor einer Masernerkrankung und damit gegebenenfalls einhergehenden schweren Krankheitsverläufen erkennt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht (vgl. vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 114 f.). Es verweist in diesem Zusammenhang auf die Dringlichkeit des Gesundheitsschutzes denjenigen Personen gegenüber, die sich nicht durch Impfung schützen können, mittels Gemeinschaftsschutz. Der Gesetzgeber verfolge mit der Nachweispflicht aus § 20 IfSG unter anderem auch die Stärkung der Impfbereitschaft in der Bevölkerung, um die Lücken im Impfschutz in Deutschland zu schließen (vgl. auch BT-Drs. 19/13452 S. 16).
6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 in Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
7
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.