Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.10.2023 – 10 C 23.1526
Titel:

Nebenbestimmung zur Duldung

Normenkette:
AufenthG § 61 Abs. 1 lit. f, § 61 Abs. 1 lit. c S. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Eine Nebenbestimmung iSd § 61 Abs. 1 lit. f AufenthG, die zum Erlöschen der Duldung führt, entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie geeignet und erforderlich ist, den mit ihr verfolgten Zweck zu fördern, den Ausländer schon vor Ablauf der regulären Dauer der Duldung abschieben zu können, wenn die Abschiebungshindernisse weggefallen sind. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Nebenbestimmungen zur Duldung, auflösende Bedingung, räumliche Beschränkung, Nebenbestimmung zur Duldung, Abschiebungshindernis, Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 17.08.2023 – Au 6 K 23.1120
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31955

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage (Au 6 K 23.1120) und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (Au 6 S 23.1121) weiter.
2
Die Antragsteller sind eine Mutter und ihre zwei minderjährigen Kinder. Sie sind nigerianische Staatsangehörige und nach erfolglosen Asylverfahren ausreisepflichtig. Die ihnen mit Bescheid vom 16. Juni 2023 erteilten Duldungen enthielten jeweils u.a. die Nebenbestimmungen „Duldung erlischt mit der Bekanntgabe des Abschiebungs- oder Ausreisetermins“ (in Nr. 2) und „Der räumliche Aufenthalt wird auf den Freistaat Bayern beschränkt“ (Nr. 3).
3
Die Antragsteller erhoben hiergegen Klage und beantragten, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anzuordnen, sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für beide Verfahren.
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Mit Beschluss vom 17. August 2023 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Nr. I.) sowie die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (Nr. IV.) ab.
5
Die beiden gegenständlichen Nebenbestimmungen seien voraussichtlich rechtmäßig. Die auflösende Bedingung sei nach § 61 Abs. 1f AufenthG zulässig und ermessensfehlerfrei angeordnet und nicht unbestimmt. Sie sei auch nicht unverhältnismäßig und verstoße nicht gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Zwar bestehe trotz räumlicher Trennung und fehlender häuslicher Gemeinschaft eine familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Vater der Antragsteller zu 2 und 3. Jedoch besitze auch dieser derzeit kein Aufenthaltsrecht, da er ebenfalls nur eine Duldung besitze, und könne mit den Antragstellern nach Nigeria ausreisen. Ein Recht zum Familiennachzug bestehe derzeit ebenfalls nicht.
6
Die räumliche Beschränkung beruhe auf § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 3 AufenthG und sei ebenfalls nicht unverhältnismäßig. Ein Zusammenleben mit dem Vater der Kinder sei derzeit ohnehin nicht zu verwirklichen, da dieser über einen Ausbildungsplatz in Baden-Württemberg, aber keinen ausreichenden Wohnraum verfüge und den Lebensunterhalt der Familie nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen sichern könne.
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Zur Begründung der hiergegen erhobenen Beschwerden wurde im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass es sich bei den Antragstellern zu 2 und zu 3 um Kleinkinder handle, die auf das Zusammenleben mit ihrem in Baden-Württemberg lebenden Vater angewiesen seien. Dieser besitze ausreichenden Wohnraum, wofür ein Mietvertrag vorgelegt werde, und erhalte eine ausreichende Vergütung, wofür der Ausbildungsvertrag vorgelegt werde.
8
Die Beteiligten haben mittlerweile eine außergerichtliche Einigung erzielt und das Klageverfahren sowie das Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO übereinstimmend für erledigt erklärt. Das vorliegende Beschwerdeverfahren betreffend Prozesskostenhilfe haben die Antragsteller ausdrücklich aufrechterhalten.
II.
9
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
10
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
11
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
12
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klage ebenso wie der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Es hat ausführlich dargelegt, dass die streitgegenständlichen Nebenbestimmungen auf § 61 Abs. 1f bzw. § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 3 AufenthG gestützt werden konnten, weil die Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sind und die Anordnungen ermessensfehlerfrei ergingen und nicht unverhältnismäßig waren. Auch ist es zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die räumliche Beschränkung unstatthaft war, da insoweit bereits die Klage aufschiebende Wirkung hatte.
13
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass einer Duldung aufgrund von § 61 Abs. 1f AufenthG eine auflösende Bedingung, wonach sie mit der Bekanntgabe der Abschiebung erlischt, beigefügt werden kann. Sie entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie geeignet und erforderlich ist, den mit ihr verfolgten Zweck zu fördern, den Ausländer schon vor Ablauf der regulären Dauer der Duldung abschieben zu können, wenn die Abschiebungshindernisse weggefallen sind (siehe z.B. BayVGH, B.v. 9.5.2023 – 19 CS 23.535 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 C 14.117, 10 C 14.1341 – juris Rn. 20 ff.). Hier standen konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevor, da die Ausländerbehörde im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bereits beim Landesamt für Asyl und Rückführungen die Luftabschiebung der Antragsteller beantragt hatte, so dass eine Abschiebung schon vor dem regulären Ablauf der Dauer der Duldung in Betracht kam (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2019 – 10 CS 19.678 – juris Rn. 7).
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Auch im Hinblick auf die angeordnete räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf den Freistaat Bayern hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 3 AufenthG vorlagen, weil die Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sind und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstanden.
15
Beide Nebenbestimmungen waren auch nicht im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unverhältnismäßig, wie die Antragsteller vorbringen. Das Verwaltungsgericht ist durchaus davon ausgegangen, dass der Schutzbereich dieser Normen eröffnet ist, weil der Vater der Kinder (Antragsteller zu 2 und 3) mit diesen sowie auch mit der Antragstellerin zu 1 trotz räumlicher Trennung und mangels Umverteilung fehlender häuslicher Gemeinschaft eine familiäre Lebensgemeinschaft bzw. ihr Privatleben in Deutschland führten (BA Rn. 38), hat die Eingriffe in die genannten Rechte durch die streitgegenständlichen Nebenbestimmungen aber als gerechtfertigt angesehen. Hier ist darauf hinzuweisen, dass es hier nicht um eine Aufenthaltsbeendigung (Abschiebung) unmittelbar geht, sondern um Nebenbestimmungen zur Aussetzung der Abschiebung (Duldung, § 60a Abs. 2 AufenthG). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Vater der Kinder selbst kein gesichertes Aufenthaltsrecht besitzt und (derzeit) nur geduldet wird und dass für ein häusliches Zusammenleben (unter Genehmigung des Umzugs bzw. nach Umverteilung) schon die tatsächlichen Voraussetzungen ausreichenden Wohnraums und der Sicherung des Lebensunterhalts fehlen. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts (BA insbes. Rn. 55-59) Bezug. Dass offenbar insoweit in den persönlichen Verhältnissen des Kindsvaters Änderungen eingetreten sind, die zu einer – dem Senat inhaltlich nicht bekannten – außergerichtlichen Einigung unter den Beteiligten geführt haben, ist insoweit nicht entscheidungserheblich.
16
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
17
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
18
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).