Inhalt

ArbG Weiden, Beschluss v. 16.06.2023 – 2 Ca 20/23
Titel:

Einigungs- und Terminsgebühr aus Vergleichsmehrwert

Normenketten:
RVG § 49
RVGVV Nr. 1003, Nr. 3104
ZPO § 278 Abs. 6
Leitsätze:
1. Wird Prozesskostenhilfe auch für einen Vergleich gewährt und der Anwalt beigeordnet, so fällt jedenfalls seit der Neufassung der Anm. 1 zu Nr. 1003 RVGVV mit Geltung vom 1.1.2021 eine 1,5-Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert an (Anschluss an LAG Nürnberg BeckRS 2022, 43506; BeckRS 2021, 26554). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwalt kann eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert verlangen (s. auch LAG München BeckRS 2022, 6890; Abgrenzung zu LAG Nürnberg BeckRS 2009, 67007). (Rn. 10 – 14 und 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Vergleich, Terminsgebühr, Einigungsgebühr, Vergleichsmehrwert, Nurprotokollierungsvergleich
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2023 – 4 Ta 88/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31951

Tenor

1. Der Erinnerung vom 10.05.2023 wird abgeholfen.
2. Die der Rechtsanwaltssozietät B. aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wird auf 1.031,25 € festgesetzt.
3. Für die Staatskasse wird die sofortige Beschwerde zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Parteien im vorliegenden Verfahren stritten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Der Kläger begehrte gleichzeitig mit Klageerhebung die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie die Erstreckung einer solchen auf einen möglichen Vergleich.
2
Nach Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien sendete der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 20.03.2023 (Bl. 16 ff. d. A.) einen abgestimmten Vergleichsvorschlag an das Gericht, welches diesen zur Stellungnahme an die Beklagte weiterleitete. Der Schriftsatz enthielt erneut einen Antrag auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleich. Die Beklagte stimmte mit Schriftsatz vom 27.03.2023 (Bl. 19 d. A.) dem Vergleichsvorschlag zu.
3
Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 20.04.2023 (Bl. 32 d. A.) ab dem 23.01.2023 Prozesskostenhilfe für die I. Instanz bewilligt und die o.g. Sozietät beigeordnet. Die Bewilligung wurde auf den Vergleich erstreckt. Der Streitwert für das Verfahren wurde auf 708,00 € festgesetzt, überschießend wurden für den Vergleich 1.626,00 € festgesetzt, d. h. ein Vergleichswert von insgesamt 2.406,00 €, siehe Bl. 22 d. A.
4
Am 21.04.2023 ging bei Gericht der Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Festsetzung der Prozesskostenhilfevergütung ein. Dabei wurde beantragt, eine 1,2 Terminsgebühr gemäß VV RVG Nr. 3104 aus 2.406,00 € in Höhe von 266,40 € zu erstatten. Die 1,0 Einigungsgebühr gemäß VV RVG Nr. 1003, 1000 wurde in Höhe von 222,00 € zur Festsetzung beantragt. Insgesamt wurden 899,16 € als Vergütung beantragt.
5
Mit Beschluss vom 28.04.2023 wurde eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem überschießenden Vergleichswert (= nicht rechtshängiger Gegenstand) festgesetzt, da das Gericht als reines Protokollierungsorgan den Vergleich lediglich protokolliert und den Vergleich incl. erhöhtem Vergleichswert nur zur Kenntnis genommen habe, dies unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des LAG Nürnberg (Az. 4 Ta 26/09) zum „Nurprotokollierungsvergleich“. Zugleich wurde eine 1,2 Terminsgebühr aus den Verfahrenswert (708,00 €) in Höhe von 105,60€ festgesetzt. Insgesamt wurde die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 839,90 € festgesetzt.
6
Mit Schreiben vom 10.05.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, legten die Prozessbevollmächtigten des Klägers als Rechtsbehelf die Erinnerung gegen den Beschluss vom 28.04.2023 gemäß §§ 33, 56 RVG ein. Sie beantragen unter Aufrechterhaltung der 1,5- Einigungsgebühr hinsichtlich des überschießenden Vergleichswertes ausschließlich die Korrektur der Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) und Festsetzung aus dem Vergleichswert (2.406,00 €).
7
Mit Beschluss vom 05.06.2023 wurde der Erinnerung nicht abgeholfen und der Vorsitzenden der Kammer des Arbeitsgerichts Weiden zur Entscheidung vorgelegt.
II.
8
Den Erinnerungsführern war im Ergebnis und der Begründung zu folgen.
9
Nach neuerer Rechtsprechung in Folge der Neufassung der Anm. 1 zu Nr. 1003 VV RVG mit Geltung vom 01.01.2021 war im vorliegenden Fall eine Einigungsgebühr für den überschießenden Wert in Höhe einer 1,5-Gebühr festzusetzen, da Prozesskostenhilfe auch für den Vergleich gewährt und eine Anwaltssozietät beigeordnet wurde, vgl. u. a. LAG Nürnberg, 5 Ta 24/22; 3 Ta 68/21.
10
Darüber hinaus war in dem Verfahren indes auch eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, § 49 RVG für den Vergleichswert (2.406,00 €) in Höhe von 266,40 € anzusetzen, nicht lediglich für den Verfahrenswert.
11
Die Terminsgebühr entsteht auch – wie vorliegend – für die außergerichtlichen Besprechungen zur Herbeiführung einer Einigung (u.a. nach § 278 Abs. 6 ZPO) mit dem gegnerischen Prozessbevollmächtigten, vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV von Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses i. V. m. Abs. 1 Nr. 3 der Anmerkungen zu Nr. 3104 VV RVG.
12
Die 1,2-Terminsgebühr war auch aus dem vollen Vergleichswert in Höhe von 2.406,00 € angefallen, nicht lediglich aus dem Verfahrenswert in Höhe von 708,00 €. Die Ausnahme aus Abs. 3 der Anmerkungen zu Nr. 3104 VV RVG greift vorliegend nicht ein.
13
Nach dieser Ausnahmevorschrift entsteht die Terminsgebühr nicht, wenn lediglich beantragt ist, eine Einigung der Parteien über nicht rechtshängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen.
14
Zu beachten ist aber, dass Abs. 3 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV nur besagt, dass die nicht rechtshängigen Ansprüche bei der Bestimmung der Gebühr für den Gerichtstermin, in dem die Einigung über diese Ansprüche protokolliert wurde, nicht berücksichtigt werden. Dies schließt nicht aus, dass in einem anderen Termin die Terminsgebühr aus diesem Wert bereits entstanden ist; gerade wenn die Parteien im gerichtlichen Termin die Einigung über nicht rechtshängige Ansprüche lediglich zu Protokoll geben, liegt es nahe, dass die Verfahrensbevollmächtigten die Einigung in einer Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts herbeigeführt haben (HK-RVG/Hans-Jochem Mayer, 8. Aufl. 2021, RVG VV 3104 Rn. 59).
15
Vorliegend wurde die Einigung gerade nicht in einem Gerichtstermin, sondern aufgrund von Einigungsbemühungen außerhalb der Verhandlung nach § 278 Abs. 6 ZPO protokolliert; die Gebühr ist aus Sicht der Vorsitzenden bereits mit diesem Einigungsgespräch auch hinsichtlich der nicht rechtshängigen Ansprüche angefallen.
16
Die Rechtsprechung des LAG Nürnberg zum „Nurprotokollierungsverlgeich“ (Az. 4 Ta 26/09) greift vorliegend nach Dafürhalten der Vorsitzenden nicht. Hiernach würde der beigeordnete Rechtsanwalt dann keine Terminsgebühr (VV-RVG Nr. 3104) aus dem Vergleichsmehrwert erhalten, wenn der endgültige Vergleichsinhalt bereits zwischen den Parteien bzw. ihren Prozessvertretern ausgehandelt worden war, bevor er den Antrag bei Gericht eingereicht hat, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss zu erstrecken. Diese Situation ist vorliegend schon nicht gegeben, da die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Erstreckung auf den Vergleich bereits mit Klageerhebung beantragt und vor der Protokollierung sogar wiederholt hatten.
17
Im Übrigen ist im Hinblick auf die Rechtsprechungsänderung zur Einigungsgebühr in Prozesskostenhilfefällen (VV-RVG Nr. 1000) unklar, ob die zitierte Rechtsprechung des LAG Nürnberg von 2009 noch Bestand haben kann.
18
Die sofortige Beschwerde für die Staatskasse wurde zugelassen, da das Gericht vorliegend von einer Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts (Az. 4 Ta 26/09) abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.
19
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende alleine ergehen, §§ 128 Abs. 3, 572 Abs. 1 ZPO, 53 Abs. 1 ArbGG.