Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.09.2023 – 22 ZB 22.2089
Titel:

Gewerbeuntersagung wegen Steuerhinterziehung

Normenketten:
GewO § 35
AO § 370
Leitsätze:
1. Maßgeblich für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit ist nicht die strafrechtliche Verurteilung, sondern die dieser zugrunde liegenden Taten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gerichte und Behörden dürfen in der Regel von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters ausgehen und diese regelmäßig ohne eigene Ermittlungen zugrunde legen; eine Ausnahme hiervon greift nur, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sprechen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die gem. § 359 Nr. 5 StPO eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer erheblichen Straftat eines Gewerbetreibenden bedarf es im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses aussagekräftiger, zweifelsfrei erwiesener und über eine lange Zeit hinweg vorliegender Tatsachen, um den erforderlichen tiefgreifenden Einstellungs- und Verhaltenswandel und damit eine Wiedererlangung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit bejahen zu können; ein bloßes rechtstreues Verhalten über einen längeren Zeitraum nach Begehung der Straftaten bis zum Bescheiderlass genügt dafür nicht, weil ein rechtstreues Verhalten als solches von jedem Gewerbetreibenden ohne Weiteres erwartet werden kann. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung wegen Steuerhinterziehung, länger zurückliegende Straftat, Schadenswiedergutmachung, tiefgreifender Bewusstseinswandel (verneint), tatsächliche Feststellungen des Strafgerichts, Gewerbeuntersagung, Steuerhinterziehung, Strafbefehl, gewerberechtliche Zuverlässigkeit, Feststellungen, Strafgericht, Verhaltenswandel, rechtstreues Verhalten, Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 10.05.2022 – M 16 K 21.5091
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31908

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 10. Mai 2022 – M 16 K 21.5091 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 30. August 2021 weiter.
2
Der Kläger zeigte zum 24. Oktober 1995 bei der Beklagten die Ausübung der gewerblichen Tätigkeit „Durchführung von Bühnendekorationen“ an. Zudem wurde ihm am 24. Dezember 1996 durch die Beklagte eine Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft „… …“ in der R.-str. …, M., sowie am 13. Februar 2013 eine weitere Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft mit regelmäßigen Musikdarbietungen „… …“ am O. M., erteilt; die Ausübung des Betriebs beider Gaststätten wurde der Beklagten angezeigt. Der Kläger war zudem in den Jahren 2008 – 2010 Gesellschafter und Geschäftsführer der … … Gastronomie GmbH, die eine Diskothek betrieb.
3
Ein zunächst im Jahr 2020 wegen Steuerrückständen eingeleitetes Gewerbeuntersagungsverfahren gegen den Kläger wurde vor dem Hintergrund der Aussetzung der Vollziehung der Steuerschuld durch das Finanzamt München von der Beklagten zunächst nicht weiter betrieben.
4
Mit Strafbefehl vom 22. März 2021, rechtskräftig seit dem 13. April 2021, wurde der Kläger durch das Amtsgericht München wegen Steuerhinterziehung in 14 tatmehrheitlichen Fällen gemäß § 369 Abs. 1 Nr. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 53 StGB zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 450 Tagessätzen à 15 € verurteilt. Dem lag nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls zugrunde, dass der Kläger in seinen Steuererklärungen bezüglich der gastronomischen Betriebe für die Jahre 2009 – 2013 Umsätze und Einkünfte in erheblicher Höhe nicht erklärt hatte. Dabei verkürzte er zu seinen eigenen Gunsten insgesamt Steuern in Höhe von 120.956,43 €.
5
Mit Bescheid vom 30. August 2021 untersagte die Beklagte dem Kläger die Ausübung des Gewerbes „Durchführung von Bühnendekorationen“ als selbstständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbstständigen gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe. Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger strafrechtlich wegen Steuerhinterziehung verurteilt und am 10. Dezember 2019 wegen einer Ordnungswidrigkeit (Betrieb einer Freischankfläche ohne Erlaubnis, unerlaubte Sondernutzung vor Gaststättenbetrieb) mit einer Geldbuße von 250 € belegt worden sei.
6
Das Verwaltungsgericht München wies die Klage gegen den Bescheid mit Urteil vom 10. Mai 2022 ab; das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 26. August 2022 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 21. September 2022, am gleichen Tag beim Verwaltungsgericht eingegangen, beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung und begründete den Antrag mit am 26. Oktober 2022 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz sowie einem weiteren Schriftsatz vom 16. Januar 2023.
7
Die Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
9
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung des Klägers (vgl. zu deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass einer der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.
10
Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, die jedoch nicht vorliegen.
11
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
12
1. Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht den Strafbefehl als alleinige Begründung für die Rechtmäßigkeit des Bescheids herangezogen und verkannt, dass nur das im Gesamten zu bewertende Verhalten des Gewerbetreibenden zu einer rechtmäßigen Gewerbeuntersagung führen könne.
13
1.1 Der Kläger sei seit über 25 Jahren in München als Gastronom untadelig und erfolgreich tätig. Die Schadenshöhe von rund 120.000 € sei am steuerlichen Gesamtbetrag und in der Relation zum Umsatz zu messen, was das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt habe. Auch habe es sich nicht um eine erhebliche wiederholte Tatbegehung gehandelt, sondern eine während des damaligen Prüfungszeitraums fehlerhafte Kassenführung, die als ein Lebenssachverhalt zu werten sei. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht berücksichtigt, dass die Verurteilung im Strafbefehl wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung erfolgt sei. Entscheidungserheblich sei nicht die Verurteilung selbst, sondern die zugrunde liegende Straftat. Es komme insoweit allein darauf an, ob und wie das dem Gewerbetreibenden vorgeworfene Verhalten einen Straftatbestand objektiv erfülle. Der Kläger habe in der betreffenden Zeit ohne digitales Kassensystem gearbeitet, wodurch es zu mangelhaften Kassenaufzeichnungen gekommen sei. Dass er wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung verurteilt worden sei, sei Ausfluss der vorangegangenen Verständigung hinsichtlich des Strafbefehls und für die Beurteilung der Zuverlässigkeit nicht entscheidend.
14
Ab Kenntniserlangung von der steuerrechtlichen Problematik im Jahr 2013 habe der Kläger umgehend dafür Sorge getragen, dass die steuerlichen Aufzeichnungspflichten ordnungsgemäß erfüllt würden. Seit nunmehr knapp zehn Jahren seien keine Steuer- oder steuerstrafrechtlichen Verfehlungen aufgetreten. Es liege daher ein ausreichend gefestigter Einstellungswandel des Klägers vor. Er habe sich auch um schnellstmögliche Schadenswiedergutmachung bemüht, nämlich den Betrag von ca. 120.000 € wie auch die Gesamtgeldstrafe von 6.759 € (gemeint wohl: 6.750 €) sowie sonstige Rückstände sofort ausgeglichen. Dies spreche für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe seine Pflicht zur Zahlung der Geldstrafe nur deshalb gewissenhaft erfüllt, weil er auf ein geringeres Strafmaß gehofft habe, sei fehlerhaft, weil die Zahlung der Geldstrafe der Verurteilung zeitlich nachgelagert sei.
15
1.2 Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Prognose der Beklagten bezüglich der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers sei mit Blick auf das der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegende Verhalten gerechtfertigt. Die von ihm begangenen Straftaten seien gewerbebezogen; sie wirkten sich auf die ordnungsgemäße Führung des in Rede stehenden Gewerbes aus. Der Kläger habe sich über Jahre hinweg beachtliche wirtschaftliche Vorteile zulasten des Steueraufkommens und damit der Solidargemeinschaft verschafft und den eigenen finanziellen Vorteil über seine Pflicht zur Abgabe wahrheitsgemäßer bzw. vollständiger Erklärungen gegenüber dem Finanzamt gestellt. Sein Verhalten sei insbesondere vor dem Hintergrund der Schadenshöhe und der wiederholten Tatbegehung innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren von erheblichem Unwertgehalt. Soweit sich der Kläger auf mangelhafte Aufzeichnungen und pauschale Hinzuschätzungen im Rahmen einer Verständigung mit dem Finanzamt berufe, sei er dennoch wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung verurteilt worden. Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger geleisteten Schadenswiedergutmachung und der Tatsache, dass er seither nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, sei für den maßgeblichen Zeitpunkt ein ausreichend gefestigter innerer Einstellungswandel, der eine günstigere Prognose zuließe, noch nicht ersichtlich. Eine Erfüllung der Pflicht zur Zahlung der verhängten Geldstrafe (sowie die angeführte vorausgegangene Verständigung) könne ebenso auf äußeren Druck bzw. die Hoffnung auf ein geringeres Strafmaß zurückzuführen sein. Für eine positive Prognose sei aber erforderlich, dass der Gewerbetreibende die Gewähr dafür biete, sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß auszuüben. Je länger das zuvor gezeigte Fehlverhalten andauere, desto mehr müssten sich auch die Tatsachen auf einen längeren Zeitraum erstrecken, sozusagen nachhaltig sein, um die Grundlage für die Annahme eines geläuterten Verhaltens zu sein. Aus einer während und unter dem Druck eines anhängigen Straf- und späteren Gewerbeuntersagungsverfahren gezeigten Phase des Wohlverhaltens des Betroffenen könne nicht ohne Weiteres auf einen grundlegenden Einstellungswandel geschlossen werden. Insbesondere in Anbetracht des Zeitraums, über den der Kläger straffällig geworden sei, sei im vorliegenden Fall die Prognose der Beklagten gerechtfertigt.
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1.3 Der klägerische Vortrag weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
17
Zwar trifft es zu, dass bei der Prognose zur gewerberechtlichen Zuverlässigkeit alle maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen sind. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht aber zu Recht maßgeblich auf den Strafbefehl abgestellt und einen gefestigten inneren Einstellungswandel des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses verneint.
18
1.3.1 Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass es sich bei der vom Kläger begangenen Steuerhinterziehung um eine gewerbebezogene Straftat mit erheblichem Gewicht handelt, das sich in der Schadenshöhe und in der Dauer der Begehung (Zeitraum von fünf Jahren) manifestiert. Insoweit ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht maßgeblich, ob die Tatbegehung als ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu werten ist oder nicht. Jedenfalls hat sich die mangelhafte Kassenführung mit den erheblichen steuerrechtlichen Folgen auf einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckt. Soweit der Kläger meint, die Schadenshöhe müsse in Relation zum Umsatz betrachtet werden, kann er damit unabhängig davon, ob diese Auffassung in rechtlicher Hinsicht zutrifft, schon deshalb nicht durchdringen, weil er es an Darlegungen zu seinem Umsatz in den betroffenen Jahren 2009 – 2013 fehlen lässt, womit er seiner Pflicht aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht hinreichend nachgekommen ist.
19
Soweit das Verwaltungsgericht auf die vorsätzliche Begehung der Steuerhinterziehung abgestellt hat, trifft es zwar zu, dass maßgeblich für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit nicht die Verurteilung, sondern die zugrunde liegenden Taten sind. Vorliegend setzt die Erfüllung des Tatbestands des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ein vorsätzliches Handeln voraus; andernfalls käme lediglich die Begehung einer Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung) in Betracht. Soweit der Kläger geltend machen will, er habe die Taten nicht vorsätzlich begangen, liefe dies darauf hinaus, die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils in Zweifel zu ziehen. Hierzu ist Folgendes zu berücksichtigen: Zwar müssen sich die Gewerbebehörden und die Verwaltungsgerichte selbst davon überzeugen, welcher Sachverhalt einer Bestrafung zugrunde gelegen hat, und in eigener Verantwortung prüfen, ob die zur Bestrafung führenden Tatsachen eine Verneinung der Zuverlässigkeit rechtfertigen (vgl. BVerwG, B.v. 26.2.1997 – 1 B 34.97 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.11.2022 – 22 ZB 22.278 – juris Rn. 19; B.v. 2.8.2021 – 22 ZB 21.1302 – juris Rn. 15). In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass Gerichte und Behörden in der Regel von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters ausgehen und diese regelmäßig ohne eigene Ermittlungen zugrunde legen dürfen (vgl. BVerwG, B.v. 26.2.1997 – 1 B 34.97 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.11.2022 – 22 ZB 22.278 – juris Rn. 19; B.v. 29.3.2017 – 22 ZB 17.244 – juris Rn. 22). Eine Ausnahme hiervon greift nur, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sprechen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die gemäß § 359 Nr. 5 StPO eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würden (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2017 – 22 ZB 17.244 – juris Rn. 22; B.v. 7.10.2016 – 22 ZB 16.722 – juris Rn. 10). Dabei reicht die bloße Geltendmachung von Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht aus. Vielmehr muss substantiiert dargelegt werden, dass und inwieweit die der Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen der Strafgerichte den Tatsachen nicht entsprochen haben sollen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.1964 – I C 102/61 – GewArch 1965, 7/8; BayVGH, B.v. 7.11.2022 – 22 ZB 22.278 – juris Rn. 19; Ennuschat in ders./Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 189; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rn. 142); dies gilt im Berufungszulassungsverfahren angesichts der Darlegungserfordernisse des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erst recht. Gemessen hieran ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht, dass ein solcher Ausnahmefall hier gegeben ist, denn der Kläger legt mit seinen Ausführungen zum Fehlen eines digitalen Kassensystems nicht dar, dass er die Steuerhinterziehung nicht vorsätzlich begangen hätte.
20
Soweit der Kläger mit seinem Vortrag geltend machen will, es komme bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit nicht auf Verschulden an, so dass das Verwaltungsgericht darauf nicht – zu seinen Lasten – habe abstellen dürfen, trifft es zwar zu, dass – wie das Verwaltungsgericht richtig ausgeführt hat (UA Rn. 23) – ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht maßgeblich ist. Dies bedeutet aber nicht, dass die strafgerichtliche Feststellung, dass eine Straftat wie die hier vorliegende Steuerhinterziehung vorsätzlich begangen wurde, nicht im Rahmen der Gesamtwürdigung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers zu dessen Ungunsten berücksichtigt werden dürfte.
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1.3.2 Das Erstgericht ist zudem zu Recht davon ausgegangen, dass auch unter Berücksichtigung des Ablaufs von knapp acht Jahren zwischen der letzten Tathandlung und dem Bescheiderlass sowie unter Berücksichtigung der Schadenswiedergutmachung gegenüber dem Finanzamt im Jahr 2020 im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses keine ausreichenden Tatsachen für die Annahme eines gefestigten Sinneswandels vorlagen, die eine günstigere Prognose hinsichtlich der Zuverlässigkeit hätten rechtfertigen können.
22
Mit Blick auf die Straftat bestand kein Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG wegen Tilgungsreife der Verurteilungen gemäß § 45, § 46 BZRG. Die mit Strafbefehl vom 22. März 2021 abgeurteilte Steuerhinterziehung (Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen) unterliegt gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG einer Tilgungsfrist von 15 Jahren.
23
Jenseits dessen ist die Frage, ob länger zurückliegende Straftaten einem Gewerbetreibenden im Rahmen eines Untersagungsverfahrens nach § 35 GewO noch entgegengehalten werden dürfen, auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller einschlägigen Umstände zu beantworten, in die namentlich die Art und die Umstände der Delikte sowie die Entwicklung der Persönlichkeit des Betroffenen einzubeziehen sind (BayVGH, B.v. 5.3.2014 – 22 ZB 12.2174 u.a. – juris Rn. 34; B.v. 24.1.2022 – 22 ZB 21.229 – juris Rn. 21; B.v. 24.8.2023 – 22 ZB 22.1282 – Rn. 15 [zur Veröffentlichung in juris vorgesehen]). Angesichts des Gewichts der Tat, das in der Höhe der verhängten Strafe und der Höhe der verkürzten Steuern zum Ausdruck kommt und zum Verlust der Zuverlässigkeit des Klägers geführt hat, bedürfte es – im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses – aussagekräftiger, zweifelsfrei erwiesener und über eine lange Zeit hinweg vorliegender Tatsachen, um den erforderlichen tiefgreifenden Einstellungs- und Verhaltenswandel und damit eine Wiedererlangung der Zuverlässigkeit durch den Kläger bejahen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2014 – 22 ZB 12.2174 u.a. – juris Rn. 36; B.v. 24.8.2023 – 22 ZB 22.1282 – Rn. 16 [zur Veröffentlichung in juris vorgesehen]). Ein bloßes rechtstreues Verhalten über einen längeren Zeitraum nach Begehung der Straftaten bis zum Bescheiderlass genügt dafür nicht, weil ein rechtstreues Verhalten als solches von jedem Gewerbetreibenden ohne Weiteres erwartet werden kann. Auch die vom Kläger ins Feld geführte umgehende Schadenswiedergutmachung nach Ergehen der geänderten Steuerbescheide allein kann einen tiefgreifenden Sinneswandel des Klägers nicht begründen. Gegen einen solchen Sinneswandel spricht hier vor allem, dass der Kläger sein Verhalten, das der Steuerhinterziehung in den Jahren 2009 – 2013 zugrunde lag, offenbar nur infolge einer Betriebsprüfung des Finanzamtes abstellte (vgl. den Schriftsatz der Beklagten im Zulassungsverfahren vom 28.11.2022, S. 3 sowie den Schriftsatz der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren vom 17.1.2022, S. 4); diese Angaben wurden im Zulassungsvorbringen durch den Kläger nicht in Zweifel gezogen. Aus den genannten Angaben der Beklagten kann darüber hinaus gefolgert werden, dass die Aufarbeitung der Steuerhinterziehung durch diese Betriebsprüfung, nicht aber auf Initiative des Klägers veranlasst wurde. Auch lässt sich dem Klägervortrag nicht entnehmen, dass er seinerseits an der Aufarbeitung der Steuerhinterziehung mitgewirkt und selbst großes Interesse daran gehabt hätte. Dass die Prüfung der im Strafbefehl genannten Veranlagungsjahre durch das Finanzamt bereits im Jahr 2013 begann (vgl. die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, S. 2) und erst im Jahr 2020 abgeschlossen wurde (vgl. hierzu den Klägervortrag), spricht vielmehr dafür, dass der Kläger sich nicht maßgeblich an der Aufarbeitung beteiligt hat. Der Kläger hat damit in Bezug auf die Folgen der Steuerhinterziehung einen Willen zur Rechtstreue nicht nach außen erkennbar werden lassen. Selbst wenn in der Schadenswiedergutmachung im Jahr 2020 ein maßgebliches Wohlverhalten gesehen würde, hätte dieses im Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch nicht lange genug zurückgelegen, um einen tiefgreifenden Sinneswandel begründen zu können, der sich über einen längeren Zeitraum manifestiert haben müsste, um eine günstigere Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit begründen zu können.
24
Soweit der Kläger sich dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht – wie er meint – die sofortige Zahlung der Geldstrafe mit der möglichen Hoffnung auf ein geringeres Strafmaß begründet habe, kann dahinstehen, ob die Formulierung des Verwaltungsgerichts (UA Rn. 35) tatsächlich so zu verstehen ist, wie der Kläger vorträgt, oder sich die vom Erstgericht angeführte Hoffnung auf ein geringeres Strafmaß auf die in dem Klammerzusatz enthaltene Verständigung bezieht. Auch in ersterem Fall würde dies an den vorstehend dargelegten Umständen nichts ändern.
25
2. Der Kläger rügt weiter, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts führe der Umstand, dass er den anderweitig verfolgten Herrn D. als faktischen Geschäftsführer der … … Gastronomie GmbH habe gewähren lassen, zu keinem verstärkenden Eindruck der Unzuverlässigkeit. Zwar entbinde die formale Geschäftsführerstellung den Kläger nicht von den rechtlichen Verpflichtungen als Geschäftsführer. Es träfen ihn Überwachungspflichten, die er verletze, wenn er Anhaltspunkte für etwaiges Fehlverhalten des faktischen Geschäftsführers habe und nichts dagegen unternehme. Das Erstgericht habe aber nicht dargelegt, ob bzw. inwieweit der Kläger Herrn D. habe gewähren lassen.
26
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der erstinstanzliche Vortrag, der Kläger sei im Rahmen der … … Gastronomie GmbH nur formal als Geschäftsführer eingesetzt gewesen, entbinde diesen nicht von den rechtlich bestehenden Verpflichtungen als Geschäftsführer. Die Eintragung im Handelsregister als Geschäftsführer und gesetzlicher Vertreter einer GmbH begründe die Einstandspflicht für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten, auch wenn für die Gesellschaft eine Person mit so weitreichenden Handlungskompetenzen auftrete, dass sie ihrerseits als faktischer Geschäftsführer anzusehen sei. Dass der Kläger Herrn D. habe gewähren lassen, verstärke den Eindruck seiner gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit.
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Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts stehen wohl in Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen – jedoch im Zulassungsvorbringen nicht enthaltenen – Vortrag, in dem Betrag von 120.000 € hinterzogenen Steuern seien 40.000 € enthalten, die dem Kläger aus einer fiktiven „verdeckten Gewinnausschüttung“ aus dem geschätzten Ergebnis der „… …“ zugerechnet worden seien, deren faktischer Geschäftsführer Herr D. gewesen sei.
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Mit seinem Vortrag im Zulassungsverfahren kann der Kläger keinen Erfolg haben, weil er es schon an den hinreichenden Darlegungen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) fehlen lässt. Selbst wenn der vom Kläger aufgestellte rechtliche Maßstab bezüglich der Pflichten eines Geschäftsführers zutreffend sein sollte, wäre es an ihm gewesen darzulegen, dass er entweder im fraglichen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für Fehlverhalten des faktischen Geschäftsführers gehabt habe oder bei Bestehen solcher Anhaltspunkte hinreichend dagegen vorgegangen sei. Soweit der Kläger meinen sollte, die betreffenden Umstände hätten ihm auch strafrechtlich nicht vorgeworfen werden dürfen, wendet er sich wiederum gegen die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils, ohne diesen Vortrag ausreichend zu substantiieren (s. hierzu oben 1.3.1).
29
3. Der Kläger macht zudem geltend, die vom Verwaltungsgericht in Bezug auf die Gewerbeuntersagung vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung sei fehlerhaft; insbesondere fehle eine Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Erforderlichkeit gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO, wonach die Gewerbeuntersagung nur zulässig sei, wenn sie zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich sei. Die Untersagung sei nur erforderlich, wenn zum Schutz der genannten Rechtsgüter kein milderes gleich effektives Mittel ausreiche. Als mildere Mittel kämen Teiluntersagungen, Auflagen, Überwachung in Betracht. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen könne, sei falsch. Vielmehr könne nur in ganz ex-tremen Ausnahmefällen trotz Unzuverlässigkeit und trotz Untersagungserforderlichkeit der Einwand der Verletzung des Übermaßverbotes mit Erfolg erhoben werden. Die Prüfung der Erforderlichkeit der Untersagung fehle im Urteil des Verwaltungsgerichts.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung könne allenfalls in ex-tremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall seien nicht ersichtlich.
31
Auch insoweit weckt der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Soweit er sich gegen die Erforderlichkeit der Untersagung wendet, die Tatbestandsmerkmal des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist, legt er nicht dar, warum die Untersagung angesichts der von ihm begangenen Steuerhinterziehung mit erheblichen Folgen für den Fiskus nicht zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich sein sollte. Nachdem es derzeit an einem tiefgreifenden Bewusstseinswandel noch fehlt, der die Unzuverlässigkeit entfallen lassen könnte (s.o. 1.3.2), hat der Kläger weder dargelegt noch ist ersichtlich, welches mildere, gleichzeitig aber gleich geeignete Mittel hier konkret in Betracht gekommen wäre, um den Fiskus und damit die Allgemeinheit ausreichend vor künftigen Schädigungen zu schützen. Insoweit spielt es keine Rolle, dass sich das Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich mit diesem Tatbestandsmerkmal beschäftigt hat.
32
Soweit der Kläger die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung im engeren Sinne angreift, geht das Gericht – unter Verweis auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 1994 (1 B 5.94 – juris Rn. 8) – vom zutreffenden rechtlichen Maßstab aus, wonach eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen unverhältnismäßig sein kann. Dies entspricht dem vom Kläger im Zulassungsvorbringen als zutreffend formulierten Prüfungsmaßstab. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines solchen extremen Ausnahmefalls hat der Kläger im Zulassungsvorbringen nicht dargelegt.
33
4. Schließlich wendet sich der Kläger gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen der erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Er weise erst recht keine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit auf. Da schon die Voraussetzungen für die Untersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO fehlten, sei das Ergebnis der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung durch das Verwaltungsgericht rechtswidrig.
34
Das Verwaltungsgericht hat – nach Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen der erweiterten Gewerbeuntersagung – angenommen, die Erweiterung der Gewerbeuntersagung sei nicht unverhältnismäßig, weil nach der Rechtsprechung bei Vorliegen der Voraussetzungen die erweiterte Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich ihrer Folgen unverhältnismäßig sein könne; Anhaltspunkte für einen extremen Ausnahmefall seien nicht ersichtlich.
35
Der Kläger kann auch insoweit mit seinem Vorbringen keinen Erfolg haben, weil entgegen seiner Auffassung von ihm nicht dargelegt wurde, dass die Voraussetzungen der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht vorlägen oder diese unverhältnismäßig sei. Seinen weiteren Ausführungen bezüglich der Erweiterung der Gewerbeuntersagung mangelt es an einer hinreichenden Substantiierung.
36
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 54.2.1 und 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
37
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).