Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.10.2023 – 19 ZB 23.1183
Titel:

Zulässigkeit einer auch generalpräventiv begründeten Ausweisung eines langjährig im Inland aufhältigen irakischen Staatsangehörigen mit minderjährigem deutschen Kind

Normenketten:
AufenthG § 53, § 54, § 55
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Die Heranziehung generalpräventiver Gründe ist bei einer Ausweisungsentscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird (BVerfG BeckRS 1979, 108869). Auch ist den Gesetzesmaterialien im Zusammenhang mit der Neuregelung des Ausweisungsrechts zum 1.1.2016 zu entnehmen, dass eines Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann. (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. § 53 AufenthG verlangt nicht, dass von einem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss; vielmehr müsse dessen weiterer "Aufenthalt" eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen. (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind die in § 54 und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Die gesetzliche Unterscheidung zwischen besonders schwerwiegenden und schwerwiegenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen erweist sich für die Güterabwägung zwar regelmäßig als prägend (BVerwGE 159, 270 = BeckRS 2017, 124489), eine schematische und allein in den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägendem Umstände zuwiderlaufen würde, ist jedoch unzulässig (BVerfG BeckRS 2007, 23775). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Art. 6 Abs. 1 GG gewährt nicht von vornherein einen Schutz vor Ausweisung, sondern verpflichtet dazu, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (BVerfG BeckRS 2013, 53078). Selbst im Falle des Bestehens einer schützenswerten familiären Beziehung ist insbesondere bei besonders schweren Straftaten eine Aufenthaltsbeendigung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen (BVerwG BeckRS 2011, 48267). (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist mit Blick auf Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK maßgeblich auch auf die Perspektive des Kindes  abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls (BVerfG BeckRS 2021, 41010). (Rn. 30) (red. LS Clemens Kurzidem)
6. Bei der Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG steht (BVerfG BeckRS 2002, 168703). (Rn. 31) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Ausweisung, generalpräventiv, Besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, Schwere Brandstiftung und versuchte schwere Brandstiftung, Bleibeinteresse, neunjähriges Kind deutscher Staatsangehörigkeit, 20-jähriger Aufenthalt, irakischer Staatsangehöriger, schwere Brandstiftung, minderjähriger Sohn, familiäre Beziehungen, langjähriger Inlandsaufenthalt, Erwerbstätigkeit, Bleibeinteressen, besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, Abwägung, Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 20.06.2023 – AN 5 K 23.571
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31906

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Kläger (ein am …1985 geborener irakischer Staatsangehöriger, am 25.11.2002 in das Bundesgebiet eingereist, Asylantrag mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) – vom 1.12.2003 mit der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und Androhung der Abschiebung insbesondere in den Irak abgelehnt <bestandskräftig seit 6.4.2004>, in der Folgezeit geduldet, der Vater des am …2014 geborenen deutschen Staatsangehörigen L.K. ist <Anerkennung der Vaterschaft durch den Kläger am 1.12.2014 ohne Abgabe einer Erklärung zur Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts>, dem am 25.8.2017 im Hinblick auf das deutsche Kind eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden war <fortlaufend verlängert, zuletzt bis 24.2.2021>, der am 28.1.2021 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragte und der mit Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – vom 18.8.2020 <rechtskräftig seit 19.3.2021> wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen versuchter schwerer Brandstiftung, wegen Beleidigung in zwei Fällen, wegen Verleumdung in zwei Fällen, wegen Sachbeschädigung in drei Fällen und wegen Diebstahls in Tateinheit mit Verletzung des Briefgeheimnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden war) wendet sich mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20. Juni 2023, mit dem seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2023 (mit dem die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen <Ziffer 1> und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen hat, welches auf die Dauer von fünf Jahren befristet wurde <Ziffer 2>, des Weiteren den Sofortvollzug der Ziffer 2 angeordnet <Ziffer 3>, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt <Ziffer 4> und den Kläger aufgefordert hat, das Bundesgebiet bis spätestens 21. März 2023 zu verlassen <Ziffer 5>, wobei ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung insbesondere in den Irak angedroht wurde <Ziffer 6>) sowie auf Verpflichtung der Beklagten zur Aufenthaltserlaubniserteilung abgewiesen wurde.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Anlass für die Ausweisung sei die Verurteilung des Klägers vom 18. August 2020 wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen versuchter schwerer Brandstiftung, wegen Beleidigung in zwei Fällen, wegen Verleumdung in zwei Fällen, wegen Sachbeschädigung in drei Fällen und wegen Diebstahls in Tateinheit mit Verletzung des Briefgeheimnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Der Verurteilung habe im Wesentlichen zugrunde gelegen, dass der Kläger, der als Reinigungskraft bei der Firma I. GmbH angestellt und in dem Anwesen B.-Straße (…) eingesetzt gewesen sei, mit dem für dieses Objekt zuständigen Hausmeister, Herrn A., eine Privatfehde begonnen habe, wobei er dem Hausmeister mehrere Nachrichten übersandt habe, in denen er diesen unter anderem als „Arschloch“ bezeichnet habe, die Hauswand mit „A. muss raus“ beschrieben habe, den Fußboden des Fahrstuhls beschädigt habe und zuletzt zur Nachtzeit Feuer im Kellerabteil gelegt habe, wodurch sich massiver Rauch entwickelt habe, der durch das Treppenhaus nach oben gezogen sei und so einige Mitbewohner geschädigt habe. Im Rahmen der anzustellenden Gefährdungsprognose sei zu sehen, dass es sich bei den abgeurteilten Straftaten um schwerwiegende Straftaten gehandelt habe. Auch wenn bei dem Kläger lediglich die Anlassverurteilung im Bundeszentralregister eingetragen sei, sei insoweit zu berücksichtigen, dass dieser Verurteilung zehn Einzelstrafen wegen von dem Kläger im Zeitraum vom 5. Juli 2018 bis April 2019 begangenen Straftaten von zweimal jeweils 20 Tagessätzen Geldstrafe wegen Beleidigung, zweimal jeweils 20 Tagessätzen wegen Verleumdung, dreimal jeweils einem Monat Freiheitsstrafe wegen Sachbeschädigung, zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, 30 Tagessätze Geldstrafe wegen Diebstahls in Tateinheit mit Verletzung des Briefgeheimnisses und ein Jahr Freiheitstrafe wegen versuchter schwerer Brandstiftung zu Grunde lägen. Auch aus der Entwicklung des Klägers nach der Anlassverurteilung sei nicht zu schließen, dass die durch die vergangenen Straftaten indizierte Gefährlichkeit beseitigt sei. Insbesondere die Begehung der schweren Brandstiftung und der versuchten schweren Brandstiftung, bei der geschützte Rechtsgüter Leib und Leben von Menschen seien, sei für sich genommen bereits ein Indiz für die weitere Gefährlichkeit des Klägers. Im vorliegenden Fall habe der Kläger die Brände zudem zur Nachtzeit gelegt bzw. versucht zu legen und dadurch eine erhebliche Gefährdung der Bewohner des Hauses verursacht. Auch sei erheblicher Sachschaden entstanden. Mit der Beklagten sei daher davon auszugehen, dass alleine der Umstand, dass nach der Anlassverurteilung keine weitere Verurteilung des Klägers mehr erfolgt sei, keinen hinreichenden Anhaltspunkt für das Entfallen der Wiederholungsgefahr darstelle, wobei überdies zu sehen sei, dass sich der Kläger seit April 2021 im Strafvollzug befinde, der u.a. auch bezwecke, ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Angesichts der schützenden und überwachten Verhältnisse während der Haft komme auch dem dort gezeigten regelgerechten und beanstandungsfreien Verhalten des Klägers keine wesentliche Indizwirkung hinsichtlich eines zukünftig straffreien Verhaltens zu. Im Hinblick auf den weiteren Vollzugsverlauf bestehe ein erheblicher Wohlverhaltensdruck. Insgesamt bejahe die Kammer daher in Anbetracht der genannten Umstände und der Gewichtigkeit der bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgüter eine vom Kläger individuell ausgehende Wiederholungsgefahr. Die Beklagte habe die Ausweisung darüber hinaus auch ohne Beanstandung auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Der Kläger gehöre nicht zu den durch § 53 Abs. 3 oder Abs. 3a AufenthG privilegierten Personengruppen. Er habe mit seinen Straftaten schwerwiegend gegen die Rechtsordnung verstoßen. Zu Recht führe die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid aus, dass ein gewichtiges öffentliches Interesse an der konsequenten ausländerrechtlichen Würdigung von Straftaten wie Sachbeschädigung, schwerer Brandstiftung, aber auch Verleumdung und Verletzung des Briefgeheimnisses bestehe, um anderen Ausländern deutlich vor Augen zu führen, dass das vom Kläger gezeigte Verhalten nicht hingenommen werde und zur unverzüglichen Aufenthaltsbeendigung mit allen rechtlichen Konsequenzen führe. Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Selbst bei Annahme eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG aufgrund der Beziehung des Klägers zu seinem deutschen Sohn falle die vorzunehmende Interessenabwägung jedoch zu Lasten des Klägers aus. Die Beklagte habe insoweit zutreffend berücksichtigt, dass sich der Kläger seit seiner Einreise ins Bundesgebiet im Jahr 2002 mittlerweile über 20 Jahre im Bundesgebiet aufhalte. Sie habe aber auch gesehen, dass er zunächst abgelehnter und vollziehbar ausreisepflichtiger Asylbewerber gewesen sei und ihm erst im Hinblick auf seinen Sohn in der Zeit vom 25. August 2017 bis zuletzt 24. Februar 2021 – unter Absehen von dem Erfordernis der Passpflicht – eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden sei. Auch wenn der Kläger in der Vergangenheit – wenn auch nicht qualifiziert – als Reinigungskraft gearbeitet habe, sei er jedenfalls in erheblicher Weise straffällig geworden, so dass die Interessenabwägung trotz des deutschen, minderjährigen Kindes im Bundesgebiet zu Lasten der Bleibeinteressen des Klägers ausfalle. Die Beklagte habe insofern in rechtlich nicht zu beanstandender Weise in die Interessenabwägung eingestellt, dass der Kläger zwar zu seinem Sohn vor seiner Inhaftierung regelmäßig an den Wochenenden Kontakt gehabt habe. Sie habe aber auch zutreffend darauf hingewiesen, dass jedenfalls seit der Inhaftierung des Klägers kein Besuchskontakt stattgefunden habe, die schützenswerte Vater-Kind-Beziehung trotz vielfacher Aufforderungen seitens der Beklagten nicht – wie in der Vergangenheit in den Jahren 2017 und 2018 geschehen – durch das Jugendamt bestätigt worden sei und die Mutter des gemeinsamen Sohnes in einem Schreiben vom 6. Oktober 2022 an die Beklagte ausgeführt habe, dass seit der Inhaftierung kein Kontakt mehr bestehe und der Sohn auch nicht nach seinem Vater frage. Auch habe die Geburt des Sohnes im Jahr 2014 den Kläger nicht von der Begehung seiner erheblichen Straftaten in den Jahren 2018/2019 abgehalten. Nachdem mit der Beklagten davon auszugehen sei, dass sich der Kläger, der bis zu seiner Einreise im Irak gelebt habe und dessen Mutter – mit der er regelmäßig telefonischen Kontakt habe – noch immer dort lebe, ohne Schwierigkeiten wieder im Irak integrieren werde, überwiege im Rahmen einer Gesamtabwägung damit insbesondere vor dem Hintergrund der ganz erheblichen Straftatbegehung selbst bei Annahme eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK das öffentliche Interesse an der Ausreise. Der Vortrag des Klägers, dass er im Irak als gläubiger Kurde Gefahren ausgesetzt sei, sei zielstaatsbezogener Natur. Zu einer inhaltlichen Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten sei die Beklagte aufgrund der Bindung an die Entscheidung des Bundesamtes gemäß § 42 Satz 1 AsylG schon nicht berechtigt. Auch begegne das von der Beklagten in Ziffer 2 angeordnete und auf die Dauer von fünf Jahren ab Verlassen des Bundesgebiets befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot keinen rechtlichen Bedenken. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids sei ebenfalls nicht zu beanstanden, weil der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis insbesondere nach § 25 Abs. 5 AufenthG habe, da einem solchen Anspruch schon die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegenstehe.
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Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend macht.
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2. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen nur dann, wenn der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellt (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente schlagen jedoch nach dem Rechtsgedanken des § 144 Abs. 4 VwGO nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Maßgeblich für die Beurteilung dieses Zulassungsgrundes ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), so dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7).
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2.1 Gemessen daran wirft der klägerische Vortrag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auf.
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Der Kläger trägt zur Begründung ernstlicher Zweifel vor, bei der Abwägung zwischen den Ausweisungsinteressen und den Bleibeinteressen sei Ergebnisneutralität zu beachten. Zulasten des Klägers sei lediglich eine Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung von zwei Jahren zehn Monaten zu sehen. Es werde nicht verkannt, dass der Kläger in einem überschaubaren Zeitraum zwischen 2018 und 2019 strafrechtlich relevant ein besonders schweres Ausweisungsinteresse geschaffen habe. Andererseits habe er ein besonders schweres Bleibeinteresse durch das nachgewiesene konkrete und ausgeübte Umgangsrecht mit seinem Sohn L. Diese zwei besonders schweren Interessen stünden sich gegenüber. Allerdings halte der Antragsteller sich seit 21 Jahren permanent im Bundesgebiet auf. Diese überragend lange Dauer komme bei der Abwägung auf Seiten des Klägers hinzu. Die von der Beklagten ins Feld geführten Argumente dagegen seien bloße Vermutungen. Die Erkenntnisse bei der KPI R. hätten gerade wohl nicht zu Ermittlungsergebnissen geführt und auch nicht zu strafrechtlichen Folgen. Es könne nicht erkannt werden, dass aus diesen „Erkenntnissen“ irgendwelche Schlussfolgerungen gezogen werden könnten. Jedenfalls seien sie nicht geeignet, bei der Abwägung Argumente zur Verstärkung der Ausweisungsinteressen zu begründen. Nach Haftentlassung werde der Kläger wieder auch konkreten persönlichen Umgang mit seinem Kind haben. Nachdem er für das Kind auch durch seine Arbeitsleistung sorgen könne und wolle, werde er auch perspektivisch in der Lage sein, im Sinne des Kindeswohls zu handeln. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger wohl in den Irak zurückkehren solle. Dort sei er nicht in der Lage, wirtschaftlich und persönlich mit dem Kind weiter Kontakt zu halten, insbesondere die für das Kindeswohl erforderliche umgangsrechtliche Betreuung durchzuführen. Das Jugendamt habe die schützenswerte Vater-Kind-Beziehung bejaht. Das Verwaltungsgericht gebe lediglich die Argumente der Beklagten wieder und stelle die Straftat und die Wiederholungsgefahr in den Mittelpunkt, ohne zu reflektieren, dass dies lediglich die Ausweisung überhaupt erlaube und die Frage der Ausweisungsinteressen als besonders schwerwiegend durch die Straftat per se bereits eingeführt sei. Das Gericht verkenne, dass die Schwere der Straftat, die mit zwei Jahren zehn Monaten nicht gerade am oberen Rand geahndet worden sei, bereits das besonders schwere Ausweisungsinteresse und die Allgemeingefährdung erst die Ausweisungsmöglichkeit eröffne, aber gerade nicht zwingend nach sich ziehe. Da bei dem Kläger nicht nur ein vergleichbar besonders schweres Bleibeinteresse durch den Umgang mit dem deutschen Kind vorliege und somit hinsichtlich der Folgen der Gefährdung der Allgemeinheit zunächst gleichberechtigt miteinander stünden, sei dann die Dauer des Aufenthalts und die Tatsache der jahrelangen Berufstätigkeit nochmals zu Gunsten des Klägers zu sehen, so dass, wenn eine gerichtlich überprüfbare Abwägung stattfinde, der Ausschlag aufgrund des Übergewichts der entscheidungserheblichen Argumente beim Kläger und damit beim Bleibeinteresse liege. Die Wiederholung und Vermischung der Argumente, wie sie die Beklagte und das Gericht vornähmen, dass die Gefährdung der Allgemeinheit bei den Ausweisungsinteressen als entscheidungserheblich (mit wörtlichem Zitat aus Seite 12 und 25 letzter Absatz des Bescheids) angesehen werde. Dies bleibe aber lediglich die Voraussetzung für die Annahme der Gefahr, die erst die Ausweisung ermögliche und nicht auch noch das Argument für die besonderen Ausweisungsgründe. Auch könne die Generalprävention, die von der Beklagten darüber hinaus ins Feld geführt werde, hier nicht nachhaltig durchgreifen. Denn die Generalprävention scheitere vorliegend am Kindeswohlgedanken. Bei der Prüfung, ob das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiege und die Ausweisung verhältnismäßig sei, bedürfe es einer einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien (m.V.a. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 1 C 26.08 – BVerwGE 135, 137 Rn. 28 m.w.N.). Zwar genieße das Familienleben auch nach der Grundrechte-Charta besonderen Schutz. In Art. 7 GR-Charta, der Rechte enthalte, die den in Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierten Rechten entsprechen würden, werde das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anerkannt. Diese Vorschrift sei zudem in Verbindung mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GR-Charta und unter Beachtung des in deren Art. 24 Abs. 3 niedergelegten Erfordernisses zu lesen, dass das Kind regelmäßig persönliche Beziehungen zu beiden Eltern unterhalte (m.V.a. EuGH, Urteile vom 27. Juni 2006 – C-540/03 – Rn. 58 und vom 6. Dezember 2012 – C-356/11 u.a. – Rn. 76). Der Gerichtshof der Europäischen Union (m.V.a. Urteil vom 27. Juni 2006 – C-540/03 – Rn. 59) habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herbeizuführen sei (Rn. 54), aber sich hieraus ein das Ermessen auf Null reduzierender, grundsätzlicher Vorrang des Kindeswohls nicht ergebe (Rn. 59). Inhaltlich entspreche das Recht nach Art. 7 und 24 GR-Charta den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten in ihrer Auslegung durch den EGMR (m.V.a. EuGH, Urteil vom 15. November 2011 – C-256/11, Dereci u.a. – Rn. 70; BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 10 C 16.12 – Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 14 Rn. 23). Art. 7 und 24 GR-Charta sei somit die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen wie Art. 8 Abs. 1 EMRK (m.V.a. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 1 B 26.15 – AuAS 2015, 194 Rn. 5). Das Gericht hätte zumindest feststellen müssen, ob und dass das Kind ohne den Vater und seine umgangsrechtlich persönliche und wirtschaftliche Zuwendung sich gedeihlich entwickeln können werde. Jedenfalls habe das Gericht in seinem Urteil nicht ausgeschlossen, dass eine Kindeswohlgefährdung durch die Ausweisung stattfinden könnte. Damit sei die Ausweisung der Beklagten jedenfalls insoweit zu beanstanden gewesen. Die vorgetragenen Zweifel seien geeignet, das Urteil in seinem Bestand zu erschüttern, denn bei richtiger Rechtsanwendung wäre dem Bleibeinteresse entscheidende Bedeutung zuzumessen und dem Kindeswohl Vorrang einzuräumen gewesen. Die Entscheidung des Verwaltungsrechts [wohl gemeint: Verwaltungsgerichts] leide unter diesem Mangel und eröffne deswegen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
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2.2 Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung ist – wie ausgeführt – nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20). Nach den danach anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen erweist sich die Ausweisungsverfügung der Beklagten als rechtmäßig. Das Zulassungsvorbringen vermag die vom Verwaltungsgericht bestätigte Gefahrenprognose nicht in Frage zu stellen; es ist auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung weiterhin davon auszugehen, dass der Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (§ 53 Abs. 1 AufenthG, vgl. nachfolgend 2.2.1). Das gegen die Gesamtabwägung gem. § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG des Verwaltungsgerichts gerichtete Zulassungsvorbringen rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel (2.2.2). Hinsichtlich der weiteren Maßnahmen zu Lasten des Klägers – einschließlich des befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots – in den Ziffern II, IV bis VI des angegriffenen Bescheids hat der Kläger keine Zulassungsgründe dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.
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2.2.1 Das Zulassungsvorbringen des Kläger greift die von der Beklagten und dem Verwaltungsgericht hinsichtlich der spezialpräventiven Ausweisung getroffene Prognose zur Wiederholungsgefahr nicht an. Es kann daher mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen werden, dass nach dem Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut jedenfalls durch vergleichbar gravierende Delikte – wie die abgeurteilten – die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigen wird.
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Soweit die Beklagte und ihr folgend das Verwaltungsgericht die Ausweisung auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt haben, können die diesbezüglichen Rügen des Klägers schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil er die selbständig tragende Begründung des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt, nicht angegriffen hat. Ist ein Urteil entscheidungstragend auf mehrere selbständige Begründungen gestützt (kumulative Mehrfachbegründung), kann die Berufung aber nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt, da anderenfalls das Urteil mit der nicht in zulassungsbegründender Weise angefochtenen Begründung Bestand haben könnte (BayVGH, B.v. 21.9.2022 – 15 ZB 22.1621 – juris Rn. 18 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 61).
12
Im Ergebnis kommt es darauf jedoch nicht an, weil die streitgegenständliche Ausweisung, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, auch durch generalpräventive Erwägungen getragen wird.
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Das Bundesverfassungsgericht hat – schon zu § 10 AuslG 1965 – entschieden, dass die Heranziehung generalpräventiver Gründe bei einer Ausweisungsentscheidung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird (BVerfG, B.v. 18.7.1979 – 1 BvR 650/77 – juris Rn. 37). Den im Zusammenhang mit der Neuregelung des Ausweisungsrechts ab dem 1. Januar 2016 vorliegenden Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich auch auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann (BT-Drs 18/4097, S. 49). Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 (1 C 16.17 – juris) zunächst für die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dargelegt, dass und aus welchen Gründen auch allein generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen, und sodann mit Urteil vom 9. Mai 2019 entschieden (1 C 21/18 – juris Rn.17), dass eine Ausweisung auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann. § 53 Abs. 1 AufenthG verlange nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen müsse. Vielmehr müsse dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen habe, könne aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe, im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen.
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Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass – über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus – ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24). Eine Ausweisung ist allerdings nur dann geeignet, eine generalpräventive Wirkung zu erzielen, wenn eine kontinuierliche Ausweisungspraxis besteht, wenn die Anlasstat nicht derartig singuläre Züge aufweist, dass die an sie anknüpfende Ausweisung keine abschreckende Wirkung entfalten könnte, und wenn angesichts der Schwere der Straftat ein dringendes Bedürfnis auch für eine ordnungsrechtliche Prävention besteht (BVerwG, U.v. 14.2.2012 – 1 C 7.11 – juris Rn. 17). Grundsätzlich müssen daher auch bei einer generalpräventiv motivierten Ausweisung die konkreten Umstände der Straftat und der Lebensumstände des Ausländers individuell gewürdigt werden (BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 28).
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Ausweisung des Klägers aus generalpräventiven Gründen insbesondere in Anbetracht der Schwere der Anlasstat, der Umstände der Tatbegehung und der Lebensumstände des Ausländers zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung (noch) nicht unverhältnismäßig.
16
Das generalpräventive Ausweisungsinteresse ist insoweit objektiv zu bestimmen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 26 zum generalpräventiven Ausweisungsinteresse i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Hierfür sprechen vorliegend gewichtige Gründe. Der Kläger wurde rechtskräftig (u.a.) wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und wegen versuchter schwerer Brandstiftung (und weiterer Delikte) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dabei handelt es sich teilweise (insbesondere hinsichtlich der Brandstiftungsdelikte) um Taten, die das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung besonders berühren. Allein aufgrund der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, für die eine Einzelstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt wurde, liegt in der Person des Klägers ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 1a AufenthG vor. Des Weiteren ist auch die konkrete Art und Weise der Tatbegehung als besonders schwerwiegend anzusehen. Das Schöffengericht hat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, dass der (nicht geständige) Kläger die abgeurteilten Straftaten schuldhaft begangen hat. In der Strafzumessung hat das Schöffengericht zwar zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass dieser bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war. Zu Lasten des Klägers wurde jedoch gewertet, dass besonders im Fall 4 (der vollendeten schweren Brandstiftung) ein erheblicher Sachschaden entstanden ist. Zudem mussten infolge dieser Tat mehrere Personen ärztlich behandelt werden. Aufgrund des Brandes an Silvester 2018 kam es auch zu psychischen Auswirkungen auf die Bewohner, bei denen eine gewisse Paniksituation eingetreten ist. Zudem wurden beide Brände (Fall 4 und Fall 6) mitten in der Nacht gelegt, so dass eine erhebliche Gefährdung der Bewohner des Hauses entstanden ist. Zuletzt wurde auch berücksichtigt, dass der Kläger eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt hat, indem er durch falsche Spuren den Verdacht auf andere zu lenken versucht hat. Aus diesen Ausführungen des Strafgerichts wird die konkrete Schwere der begangenen Taten deutlich, durch welche das Leben der Bewohner des zweimal von Brandanschlägen des Klägers betroffenen Wohnhauses sowie deren körperliche und seelische Integrität gefährdet und bei jedenfalls einem der beiden Brandstiftungsdelikte aufgrund der entstandenen Rauchentwicklung auch verletzt wurden, da eine Behandlung der Verletzten notwendig wurde. Die Taten des Klägers waren somit teilweise gegen hoch- und höchstrangige Rechtsgüter gerichtet. Hinzu kommt, dass der Kläger insbesondere bei der Begehung der Brandstiftungsdelikte in äußerst rücksichtsloser Weise gehandelt hat, indem er eine erhebliche Verletzung oder Gefährdung der Mitbewohner des Wohnhauses billigend in Kauf genommen hat.
17
Die Lebensumstände des Klägers zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats vermögen das generalpräventive Ausweisungsinteresse nicht zu beseitigen. Zwar ist der Kläger der Vater eines inzwischen neunjährigen Sohnes, dieser Umstand hat den Kläger aber nicht von der Begehung der erheblichen Straftaten abgehalten. Es handelt sich damit nicht um einen Umstand, der geeignet wäre, das objektiv bestehende Auseisungsinteresse aufzuheben oder in seiner Bedeutung herabzusetzen. Das Gleiche gilt hinsichtlich des langen Aufenthaltes des Klägers im Bundesgebiet, da die begangenen Taten zeigen, dass es dem Kläger dennoch nicht gelungen ist, die hier geltende Rechtsordnung in einer Weise zu akzeptieren, dass er von der Begehung von Straftaten zur Bewältigung seiner privaten Konflikte absieht.
18
Alles in Allem begründen sowohl die abstrakte Art und Schwere der begangenen Straftaten als auch deren konkrete Beurteilung durch das Strafgericht für ein gewichtiges Interesse an einer generalpräventiven Ausweisung, um andere Ausländer – zumindest im Umfeld des Klägers – von der Begehung derart gravierender, gegen höchste Rechtsgüter gerichteter, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung in erheblichem Maße beeinträchtigender und in rücksichtsloser Weise ausgeführter Taten abzuschrecken. Es würde das Sicherheitsempfinden der Allgemeinheit und das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates, Sicherheit und Rechtsfrieden zu garantieren, erheblich beeinträchtigen, wenn auf solche Taten keine harte Reaktion (auch) des Gefahrenabwehrrechts erfolgte.
19
Der Ausweisungsgrund kann dem Kläger auch weiterhin entgegengehalten werden. Hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung eines (generalpräventiven) Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung orientiert sich die Rechtsprechung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23). Demnach bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten werden dürfen (§ 51 BZRG). Vorliegend ist zwar seit dem Zeitpunkt der Tatbeendigung (Silvester 2018 bzw. April 2019 hinsichtlich der Brandstiftungsdelikte) gemäß § 78a Satz 1 StGB die dreijährige Regelverjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB bereits abgelaufen, jedoch noch nicht die sechsjährige absolute Verjährungsfrist nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB. Des Weiteren ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats die hinsichtlich der Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten geltende 15-jährige Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG noch nicht abgelaufen.
20
2.2 Die von dem Verwaltungsgericht bestätigte Gesamtabwägung der Beklagten gemäß § 53 Abs. 1, 2 AufenthG ist nicht zu beanstanden.
21
Ein Ausländer kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Eine schematische und allein in den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten, da gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedarf (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Der Gesetzgeber hat im Ausweisungsrecht in differenzierter Weise die Schutzwürdigkeit familiärer Bindungen ausdrücklich berücksichtigt und ihnen normativ verschieden gewichtete Bleibeinteressen zugeordnet (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 Nr. 3 bis 6 AufenthG). Die Katalogisierung schließt es aber nicht aus, dass andere, nicht ausdrücklich in § 55 Abs. 1 AufenthG benannte Interessen und Umstände bei der zu treffenden Abwägungsentscheidung jeweils mit einem Gewicht einzustellen sein können, das einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse entsprechen kann (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt/Bauer, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 55 Rn. 5).
22
Nach der gesetzlichen Typisierung hat der Kläger besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG verwirklicht. Dem steht wohl schon kein gleichrangiges besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG entgegen, da der Kläger sein Personensorgerecht für den mittlerweile neunjährigen Sohn L.K. (mit deutscher Staatsangehörigkeit), soweit ersichtlich, nicht mehr ausübt. Die letzte Stellungnahme des Jugendamtes, welche eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung feststellt, datiert vom 28. Dezember 2018 (Bl. 575 der eAkte der Beklagten) und liegt damit mehr als vier Jahre zurück. Des Weiteren hat die Kindsmutter mit Schreiben vom 6. Oktober 2022 (Bl. 696 der eAkte der Beklagten) angegeben, dass seit der Inhaftierung des Klägers kein Kontakt mehr bestehe und der Sohn auch nicht nach seinem Vater frage. Zwar hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 3. Mai 2023 einen kurzen Brief mit einem selbstgemalten Bild seines Sohnes vorgelegt, in welchem der Sohn dem Kläger frohe Weihnachten wünscht und erklärt, er habe seinen Vater lieb und vermisse ihn. Des Weiteren wird in dem genannten Schriftsatz ausgeführt, der nächste Besuch des Sohnes in der JVA sei in den Sommerferien geplant. Selbst wenn damit von gelegentlichen Besuchskontakten zwischen dem Kläger und seinem Sohn in der JVA auszugehen sein sollte, würde dies jedoch nicht für eine – unter den gegebenen Umständen – gelebte Vater-Kind-Beziehung sprechen. Hinsichtlich seiner lediglich nach islamischem Ritus angetrauten Ehefrau, die in A. lebt (vgl. Bericht der JVA St. vom 14.6.2023, Bl. 66 ff. der VG-Akte), liegt kein vertyptes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 oder 2 AufenthG vor. Der Kläger hat überdies angegeben, nicht zu seiner Frau nach A. ziehen zu wollen, sodass nicht einmal die Herstellung einer schützenswerten Lebensgemeinschaft beabsichtigt ist. Der Kläger kann damit kein besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AufenthG in Anspruch nehmen.
23
Sonstige Bleibeinteressen des Klägers, welchen aufgrund der konkreten Umstände ein gleichrangiges Gewicht wie einem vertypten Bleibeinteresse zukäme, liegen im Ergebnis nicht vor. Vielmehr muss bei der anzustellenden Gesamtabwägung vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Klägers an einem Verbleib im Bundesgebiet auch in Anbetracht seines langjährigen Aufenthaltes und seines bis zu der Anlasstat straffreien Lebenswandels gegenüber dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse zurücktreten.
24
Diese Abwägung des Verwaltungsgerichts stellt der Kläger mit seinem Vorbringen nicht ernsthaft in Frage. Zwar war in die Abwägung mit einem entsprechend hohen Gewicht einzustellen, dass der Kläger sich seit 20 Jahren im Bundesgebiet aufhält. Bei dieser langen Aufenthaltsdauer ist jedoch zu sehen, dass der Kläger zunächst erfolglos ein Asylverfahren betrieb, in der Folge vollziehbar ausreisepflichtig war, dennoch seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist und im Zeitraum vom 25. August 2017 bis 24. Februar 2021 über eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf den damals bestehenden Umgang mit seinem Sohn verfügte. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet war mithin lediglich durch ein befristetes und vergleichsweise schwaches Aufenthaltsrecht abgedeckt. Des Weiteren war der Kläger zwar – nicht qualifiziert – als Reinigungskraft berufstätig, womit er seinen Lebensunterhalt sowie die Unterhaltsleistungen für seinen Sohn decken konnte (vgl. Aktenvermerk der Beklagten, Bl. 454 der eAkte), was für eine wirtschaftliche Integration des Klägers spricht. Dem gegenüber sind aber zu Lasten des Klägers seine erheblichen Straftaten gegen hoch- und höchstrangige Rechtsgüter einzustellen, aus denen deutlich wird, dass sich dem Kläger eine Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht gelungen ist (vgl. zur Bedeutung der Integrationsleistungen bei der Frage des faktischen Inländers BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 8.96; U.v. 30.3.2010 – 1 C 8/09 – jeweils juris). Zu Recht kommt das Verwaltungsgericht zu dem Schluss, dass es dem Kläger, der sich seit etwa 20 Jahren im Bundesgebiet aufhält, auch in Anbetracht seiner im Herkunftsland lebenden Mutter, mit der der Kläger einen regelmäßigen telefonischen Kontakt unterhält, sowie seiner Sozialisierung in den gesellschaftlichen Verhältnissen seines Herkunftslandes möglich und zumutbar ist, sich dort sprachlich und kulturell (wieder) zu integrieren. Auch wenn es sich bei der vom Kläger als „Mama“ bezeichneten Person – wie mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023 mitgeteilt – nicht um seine Mutter handeln sollte, steht diese doch als empfangsbereite Person im Herkunftsland zur Verfügung. In der Gesamtabwägung überwiegen damit die für eine Ausweisung sprechenden Gesichtspunkte das Bleibeinteresse des Klägers auch in Anbetracht der zu seinen Gunsten sprechenden Aspekte, weshalb die Ausweisung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und damit im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.
25
Es ist somit nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht somit im Rahmen der Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie des Art. 8 EMRK zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Klägers gelangt und feststellt, dass die Ausweisung sich vor dem Hintergrund der Schwere der Tat, die Anlass für die Ausweisung ist, ihrer Folgen, der Persönlichkeit des Klägers und der fehlenden nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Integration im Bundesgebiet unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles als verhältnismäßig darstellt. Neue Gesichtspunkte, welche diese Abwägungsentscheidung in Frage stellen könnten, sind nach der erstinstanzlichen Entscheidung – soweit ersichtlich – nicht eingetreten und werden von dem Kläger auch nicht vorgetragen.
26
Aber auch für den Fall, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt noch regelmäßigen Umgang mit seinem minderjährigen Sohn deutscher Staatsangehörigkeit hätte und deshalb ein besonders schwerwiegendes und somit dem vorliegenden Ausweisungsinteresse gleichrangiges Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG in Anspruch nehmen könnte, würde vorliegend bei der gebotenen Einbeziehung der Umstände des Einzelfalls das Ausweisungsinteresse überwiegen:
27
Art. 6 Abs. 1 GG gewährt nicht von vornherein einen Schutz vor Ausweisung, sondern verpflichtet dazu, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207, Rn. 12). Selbst im Falle des Bestehens einer schützenswerten familiären Beziehung ist insbesondere bei besonders schweren Straftaten eine Aufenthaltsbeendigung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4).
28
Ebenso wenig wie Art. 6 GG gewährleistet Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Recht des Ausländers, in einen bestimmten Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Ein Staat ist vielmehr berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Hoheitsgebiet und ihren Aufenthalt dort nach Maßgabe seiner vertraglichen Verpflichtungen zu regeln (EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner, Nr. 46410/99 – juris). Eingriffe sind unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft und müssen ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herstellen. In der Rechtsprechung des EGMR ist anerkannt, dass selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht stets das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung verdrängen. Vielmehr ist anhand der sogenannten „Boultif-Kriterien“ ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. z.B. U.v. 18.10.2006 – Üner, Nr. 46410/99 – juris Rn. 57 ff.). Dabei ist eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vorzunehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 30.3.2010 – 1 C 8.09 – juris m.w.N. zur Rechtsprechung des EGMR).
29
Ein anderer Maßstab ist auch nicht im Hinblick auf das Grundrecht aus Art. 7 und 24 EU-GR-Charta anzulegen. Inhaltlich entspricht das Recht nach Art. 7 und 24 EU-GR-Charta den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (EuGH, U.v. 15.11.2011 – C-256/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 16.12 – juris Rn. 23, 24). Art. 7 und 24 EU-GR-Charta ist somit gemäß Art. 52 Abs. 3 EU-GR-Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen wie Art. 8 Abs. 1 EMRK (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2015 – 1 B 26.15 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.7.2021 – 19 ZB 21.719 – juris Rn. 30; B.v. 28.3.2023 – 19 CE 23.456 – juris Rn. 21). Es kann deshalb offenbleiben, ob der Kläger sich als Drittstaatsangehöriger überhaupt mit Blick auf Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta auf diese Grundrechte berufen könnte.
30
Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist mit Blick auf Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 48; B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris, Rn. 12). Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021, a.a.O. m.w.N.).
31
Bei der Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 20). Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 20 m.w.N.). Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 20 m.w.N.).
32
Gemessen an diesen Grundsätzen berücksichtigt die Ausweisung angemessen die persönliche Bindung des Klägers zu seinem neunjährigen Sohn – soweit diese noch besteht – und dessen Kindeswohl. Die gewichtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland in der Gestalt des festgestellten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses überwiegen in Anbetracht der, wie dargelegt, auch im konkreten Einzelfall schwerwiegenden Straftaten des Klägers jedenfalls das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte private Interesse an der Aufrechterhaltung einer familiären Beistands- bzw. Begegnungsgemeinschaft. Ebenso lässt unter der Annahme, dass die Ausweisung des Klägers einen Eingriff in sein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht auf Familienleben bedeutet, Art. 8 Abs. 2 EMRK hier einen solchen Eingriff zu, weil er i.S. des Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit notwendig ist. Denn die bei der Abwägung einzustellenden Interessen von Vater und Kind am weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet besitzen erheblich weniger Gewicht als die gegen einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gründe. Festzuhalten ist zudem, dass das zwischen dem Ausländer und seinem minderjährigen Kind bestehende Familienleben bzw. das Kindeswohl nicht generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4; B.v. 21.7.2015 – 1 B 26.15 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 44).
33
Im Rahmen des verhältnismäßigen Ausgleichs dieser Interessen ist zu berücksichtigen, inwieweit die Beeinträchtigung des persönlichen Kontaktes durch die Aufrechterhaltung des Kontaktes aus der Ferne via moderner Kommunikationsmittel abgemildert werden kann. Es ist dem Kläger möglich und zumutbar, die Bindung zu seinem Sohn, soweit noch vorhanden, trotz räumlicher Trennung – zumindest für die Dauer der Wiedereinreisesperre – in anderweitiger Form, z.B. durch Kommunikationsmittel wie Telefon, Internet und Briefverkehr aufrechtzuerhalten. Der mittlerweile neunjährige Sohn L. befindet sich in einem Alter, in welchem er den Kontakt mit seinem Vater mit Hilfe von elektronischen Kommunikationsmitteln zweifellos ohne Schwierigkeiten wird wahrnehmen können. Des Weiteren findet auch aktuell der persönliche Kontakt allenfalls in der Form von gelegentlichen Besuchen statt, sodass der Sohn an längere Trennungen von seinem Vater gewöhnt ist. Überdies besteht – auch ohne eine behördliche Zusage – gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG die Möglichkeit einer kurzfristigen Betretenserlaubnis, um im Einzelfall unbillige Härten zu vermeiden. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Klägers im Bundesgebiet das Bleibeinteresse des Klägers sowie das Kindeswohl, weshalb der Eingriff in die Rechte aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK verhältnismäßig ist.
34
Des Weiteren können vom Kläger geltend gemachte Gefahren im Herkunftsstaat, die – sollten sie zutreffen – die Schwelle zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 AufenthG überschreiten würden, bei der Ausweisung im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls insoweit nicht berücksichtigt werden, als für das Abschiebungsverbot eine ausschließliche Prüfungszuständigkeit des Bundesamts besteht und dieses ein solches Verbot bislang nicht festgestellt bzw. sogar ausdrücklich verneint hat. Dies gilt insbesondere für zielstaatsbezogene Gefahren, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling oder die Zuerkennung subsidiären Schutzes zu begründen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Ausländer mit einem Asylbegehren, das nach § 13 AsylG auch das Begehren auf subsidiären Schutz umfasst, hinsichtlich aller zielstaatsbezogenen Schutzersuchen und Schutzformen auf das Asylverfahren zu verweisen; er hat kein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2019 – 1 C 30.17 – juris Rn. 22; U.v. 16.12.2021 – 1 C 60.20 – juris Rn. 52 f.) und auch keinen Anspruch auf eine Doppelprüfung. Ein Ausländer ist daher nach aktueller Rechtslage schon dann – gemäß § 24 Abs. 2 AsylG auch hinsichtlich nationaler (zielstaatsbezogener) Abschiebungsverbote – zwingend auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen, wenn er sich auf Gefahren beruft, die ihrer Art nach objektiv geeignet wären, subsidiären Schutz zu begründen (BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 34). Des Weiteren entfaltet die bestandskräftige Feststellung des Bundesamtes, dass im Falle des Klägers kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vorliegt, gemäß § 42 Satz 1 AsylG Bindungswirkung für die Beklagte ebenso wie für das Verwaltungsgericht und den Senat (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2021 – 19 ZB 21.210 – Rn. 22).
35
Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Abwägung die Bleibeinteressen des Klägers zutreffend gewürdigt, ist jedoch in nicht zu beanstandender Weise in Anbetracht des Gewichts der begangenen Straftaten von einem Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses ausgegangen. Diese Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts sind nicht zu beanstanden. Selbst im Falle des Bestehens einer schützenswerten familiären Beziehung ist insbesondere bei besonders schweren Straftaten eine Aufenthaltsbeendigung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4).
36
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
37
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).
38
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).