Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 23.02.2023 – 16 U 3122/19
Titel:

Keine Aussetzung sog. Diesel-Verfahren

Normenketten:
BGB § 31, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine Aussetzungsentscheidung des BGH im Hinblick auf die anstehende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 existiert – anders als in der Vergangenheit zu europarechtlichen Fragen vom BGH praktiziert – nicht. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob im jeweils konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Haftung des Motorenherstellers vorliegen, hängt stets von den durch die tatrichterlichen Instanzen unter Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen (nicht zuletzt auch zur Frage der Herleitung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes) ab und kann schon deshalb nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrige Schädigung, Grenzwertkausalität, Aussetzung, Pressemitteilung des BGH, Generalanwalt, Schlussanträge
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 18.01.2023 – 16 U 3122/19
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.07.2019 – 9 O 1436/19
Fundstelle:
BeckRS 2023, 3179

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.07.2019, Aktenzeichen 9 O 1436/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil und der vorliegende Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.200,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.07.2019 und die einleitende Zusammenfassung im vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
2
Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 22.200,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 27.05.2017 bis 05.12.2018 und seither von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen Variant TDI Lounge mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 06.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.430,38 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.12.2018 zu zahlen.
Hilfsweise
Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az.: 9 O 1436/19, verkündet am 18.07.2019 und zugestellt am 22.07.2019, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
3
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Wegen der Einzelheiten des jeweiligen Sachvortrags im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
5
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.07.2019, Aktenzeichen 9 O 1436/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist.
6
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
7
Auch die Ausführungen im Schriftsatz der Klagepartei vom 10.02.2023, bei dem es sich nicht um eine Gegenerklärung im eigentlichen Sinne handelt, geben zu einer Änderung keinen Anlass. Zumindest vordergründig werden mit dem genannten Schriftsatz lediglich gestaffelte Aussetzungsanträge angebracht und umfangreich begründet.
8
Soweit zur Begründung der Aussetzungsanträge zahlreiche inhaltliche Gesichtspunkte thematisiert werden – was sich in der Sache eine „verstreute“ Gegenerklärung bildet –, erschöpfen sich die entsprechenden Passagen in Darstellungen und Überlegungen tatsächlicher und rechtlicher Art, die von der Klagepartei im Verfahren bereits vorgetragen wurden und die der Senat geprüft und behandelt hat. Der Senat nimmt zur Kenntnis, dass die Klagepartei den Ausführungen des Senats ihre eigenen – abweichenden – Schlussfolgerungen und Bewertungen entgegensetzt; er hält jedoch an den im Hinweis dargelegten und begründeten Standpunkten fest.
9
Der Senat hat in seinem Hinweis insbesondere bereits ausgeführt, dass und warum eine Einstufung der von der Beklagten implementierten Steuerungsfunktion(en) als europarechtlich unzulässige Abschalteinrichtung(en) für sich genommenen nicht den Schluss auf das Vorliegen einer haftungsbegründenden sittenwidrigen Schädigung im Sinne der §§ 826, 31 BGB erlaubt, weil der Vorwurf der Sittenwidrigkeit – der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgend – nur bei Hinzutreten „weiterer Umstände“ gerechtfertigt wäre, die das zu beurteilende Geschehen erst als besonders verwerflich qualifizieren könnten. Zudem hat der Senat aufgezeigt, dass und warum nach seinem Verständnis die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – insbesondere schon die Grundsatzentscheidung vom 25. Mai 2020 – in der Sache (wenngleich ohne Verwendung des inzwischen gebräuchlichen Begriffs) die „Grenzwertkausalität“ (bzw. „Grenzwertrelevanz“) der im Streit stehenden Manipulationen zur Bedingung für die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung macht.
10
Die von der Klagepartei in Bezug genommenen Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte stehen einem Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob es Gerichte gibt, die bei der Behandlung bestimmter Sachverhaltskonstellationen unter Berücksichtigung der ihnen im jeweiligen Einzelfall von den Parteien unterbreiteten Informationen im konkreten Ergebnis zu einer abweichenden Einschätzung (der Haftungsfrage oder des Umfangs der Darlegungslast) gelangen. Der vorliegende Fall wirft keine neuen Fragen auf, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind sowohl allgemein als auch speziell mit Bezug auf die Entwicklung und den Einsatz einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung höchstrichterlich abstrakt geklärt. Ob im jeweils konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Haftung des Motorenherstellers vorliegen, hängt stets von den durch die tatrichterlichen Instanzen unter Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen (nicht zuletzt auch zur Frage der Herleitung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes) ab und kann ohnehin nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, Rn. 13 bei juris m.w.N.).
11
Mit den Ausführungen des Generalanwalts Rantos vom 2. Juni 2022 in der beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Rechtssache C-100/21 hat sich der Senat in seinem Hinweis umfassend auseinandergesetzt. Der Senat nimmt wiederum zur Kenntnis, dass die Klagepartei den Ausführungen des Senats ihre eigenen – abweichenden – Schlussfolgerungen und Bewertungen entgegensetzt; er hält jedoch auch insoweit an den im Hinweis dargelegten und begründeten Standpunkten fest. Eine den Standpunkten des Senats entgegenstehende Rechtsprechung des BGH ist nicht ersichtlich; eine solche wird insbesondere auch nicht durch eine – in der Sache ohnehin nicht eindeutige – Pressemitteilung oder durch das – nicht näher begründete – mehrfache Absetzen von Verhandlungsterminen begründet. Eine Aussetzungsentscheidung des BGH im Hinblick auf die anstehende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 existiert – anders als von der Klagepartei formuliert und anders als in der Vergangenheit zu europarechtlichen Fragen vom BGH praktiziert (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2022, Az: VIII ZR 149/21) – nicht.
12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
13
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils und des vorliegenden Beschlusses erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
14
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. gez.