Titel:
Privates Baurecht: Verwirkung von Mängelrechten bei unwirksamen Abnahmeklauseln in Bauträgerveträgen
Normenkette:
BGB § 194, § 242, § 633, § 634, § 637 Abs. 3
Leitsätze:
1. Auch wenn die Abnahme fehlschlägt, bestehen Mängelansprüche der Erwerber nicht zeitlich unbeschränkt fort. Die Erwerber können ihre Mängelansprüche verwirken. (Rn. 9 – 10)
2. Allein ein erheblicher Zeitablauf reicht nicht aus, um von einer Verwirkung der Mängelansprüche auszugehen. Maßgeblich ist jeweils eine Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls. (Rn. 10)
3. Die Verwendung einer unwirksamen Abnahmeklausel durch den Bauträger steht der Verwirkung der Mängelansprüche nicht entgegen. (Rn. 23, 25, 30 und 31)
Als konkrete Umstände des Einzelfalls können hierbei eine erhebliche Zeitdauer von 20 Jahren zwischen Übergabe und Mängelbeanstandung, das Bewusstsein der Besteller, dass ihnen potentiell Ansprüche zustehen, der fehlende Vorwurf an den Verwender, sich durch übliche und notariell beurkundete Abnahmeklauseln unredlich verhalten zu haben, die Verankerung des Prüfrechts in der Bestellersphäre sowie die Mängelbeseitigung nach Mängelfeststellung mit erheblichem Gewicht für eine Verwirkung von Mängelrechten sprechen. (Rn. 17, 20, 25, 30 und 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwirkung, Gewährleistungsrechte, unwirksame Abnahmeklausel, Bauträgervertrag, Einzelfallprüfung, Gesamtabwägung, erhebliche Zeitdauer, Bewusstsein potentieller Ansprüche, notarielle Beurkundung, tatsächliche Mängelbeseitigung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 13.07.2023 – 2 O 1924/22
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 01.12.2023 – 28 U 3344/23 Bau e
BGH Karlsruhe vom -- – VII ZR 4/24
Fundstellen:
MDR 2024, 362
BeckRS 2023, 31609
LSK 2023, 31609
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 13.07.2023, Az. 2 O 1924/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Entscheidungsgründe
I. Urteil des Landgerichts
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Das Landgericht wies die auf Kostenvorschuss der klagenden Wohnungseigentumsgemeinschaft gerichtete Klage als verwirkt ab.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass zwischen den Mitgliedern der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten 1999 ein Bauträgervertrag geschlossen worden sei. Die Erwerber hätten das Gemeinschaftseigentum nicht abgenommen; die Verträge sähen eine Abnahme durch einen vom Käufer unwiderruflich zu bestellenden Sachverständigen vor, wobei streitig geblieben sei, ob der eingesetzte Sachverständige nach Übergabe des Objekts 2001 die Abnahme erklärt habe.
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Die Klägerin habe 2004 diverse Mängel an der Heizanlage gerügt, in der Folgezeit habe sie einen Sachverständigen beauftragt, der 2005 auf 37 Seiten eine Vielzahl an Mängeln festgestellt habe. Die Klägerin sei davon ausgegangen, dass 2006 die Mängel überwiegend behoben worden seien; 2007 sei in einer Eigentumsversammlung vermerkt worden, dass die Gewährleistung nunmehr abgelaufen sei, die Mängelbeseitigung weit fortgeschritten und fast abgeschlossen sei.
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Die Klägerin habe 2021 erhebliche Mängel am Dach gerügt, deren Beseitigung sie mit über 800.000 Euro beziffert habe.
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Die im Raum stehenden Ansprüche der Klägerin seien aber verwirkt.
II. Berufung der Klägerin
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Die Klägerin argumentiert, das Erstgericht habe zu Unrecht eine Verwirkung der Ansprüche angenommen.
III. Gegenwärtige Einschätzung des Senats
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Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
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1. Die im Raum stehenden Ansprüche der Klageseite gemäß § 637 Abs. 3 BGB sind jedenfalls verwirkt.
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a) Die im vorliegenden Fall zu behandelnde – eher rechtspolitische – Fragestellung ist, ob im Hinblick auf eine fehlgeschlagene Abnahme Mängelansprüche zeitlich unbeschränkt fortbestehen.
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Dies ist aus Sicht des Senats mit den Gründen der Rechtssicherheit und der Billigkeit nicht in jedem Fall zu vereinbaren. Der 28. Zivilsenat hat in diversen Entscheidungen hierbei aber deutlich gemacht, dass allein auch ein erheblicher Zeitablauf nicht ausreichend ist, die Verwirkung die Ausnahme darstellt und diese auf besondere und atypische Einzelfälle beschränkt ist. Maßgeblich ist jeweils eine Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls.
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b) Mit der Verjährung hat der Gesetzgeber ein Rechtsinstitut geschaffen, dass aus Gründen des Schuldnerschutzes und vor allem des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit allgemein als zwingend erforderlich anerkannt ist, eine spezialgesetzliche Ausformulierung von Treu und Glauben darstellt und letztlich auch öffentliche Interessen schützt.
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Der Gesetzgeber hat sich hierbei wertend entschieden, den Aspekt der Verjährung auf Ansprüche i.S.d. § 194 BGB zu beschränken und gerade das gesetzliche Regelungskonzept der §§ 197, 199, 200 f. BGB zeigt, dass grundsätzlich keine Ausnahmen gewollt sind und sogar Zustände, wie z.B. das Eigentum, betroffen sein können (§ 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
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Auch die §§ 438 Abs. 3, 634a Abs. 3 BGB zeigen, dass sogar bei einem arglistigen (meist gleichzeitig deliktischem) Verhalten den Aspekten des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit immanente Bedeutung zugemessen wird und eine Verjährung in Betracht kommt.
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Gleiche Erwägungen gelten im Hinblick auf die Dauer der Verjährungsfristen. Auch insoweit hat der Gesetzgeber Wertungsentscheidungen dahingehend getroffen, welche Vertragsseite das Risiko in Richtung der Lebensdauer von Wirtschaftsgütern tragen muss. In Bausachen wird eine Gewährleistung als nicht mehr gerechtfertigt angesehen, wenn sich nicht innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren Mängel zeigen.
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Zur Überzeugung des Senats müssen diese Wertungen bei der Anwendung des § 242 BGB einfließen, um unbillige Ergebnisse zu korrigieren.
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c) Im vorliegenden Fall prägen folgende tatsächliche Momente die Entscheidung.
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aa) Die erhebliche Zeitdauer von etwa 20 Jahren, gemessen zwischen Übergabe im Jahr 2001 und den Beanstandungen der streitgegenständlichen Mängel im Jahr 2021.
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Berücksichtigt man die Wertung in § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB ist das Zeitmomentum das Vierfache der regulären Verjährungsfrist überschritten und sogar im Strafrecht kommt der doppelten Verjährungsfrist erhebliche Rechtsbedeutung zu (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB).
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In § 199 Abs. 4 BGB ist eine allgemeine Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren vorgesehen.
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bb) Die Besteller – und diesem Gesichtspunkt kommt erhebliches Gewicht zu – handelten im Bewusstsein (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), dass ihnen potentiell Ansprüche zustehen.
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So haben sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die fertig gestellte Sache auf ihre Mangelhaftigkeit hin zu untersuchen, Mängel wurden festgestellt, diese wurden rechtlich geltend gemacht und durchgesetzt.
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Die Situation ist somit – was die Berufung rügt – nicht im Ansatz mit einer Fallgestaltung vergleichbar, in der ein Gläubiger keine Kenntnis von seiner Rechtsposition hat, von dieser erst später erfährt und dessen Unkenntnis daher schützenswert scheint (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
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cc) Abnahmeklauseln – wie hier verwendet – waren zum Zeitpunkt der Errichtung des gegenständlichen Objekts die Regel und wurden notariell beurkundet.
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Die Rechtsprechung hat – bis heute – erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums bei Wohnungseigentumsanlagen, ein Umstand, der durch die Nachzügler-Rechtsprechung noch verschärft wird.
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(1) Einem Unternehmer kann daher bei einer Gesamtbetrachtung nicht der Vorwurf gemacht werden, sich unredlich verhalten zu haben.
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Diesen, im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Abnahmeklauseln, für alle Zeit zu sanktionieren, ist eher eine angloamerikanische Betrachtungsweise.
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Im deutschen Zivilrecht neigt man stattdessen zu hypothetischen Erwägungen und im vorliegenden Fall wäre dann ausgeschlossen, dass die Klägerin für die geltend gemachten Mängel noch Ersatz fordern könnte. Die Klägerin hat umfassend zum Zeitpunkt des vermeintlichen Verjährungseintritts die Sache untersucht. Da eine positive Untersuchung stattfand und sich – in Richtung der streitgegenständlichen Mängel – weder Mängelsymptome gezeigt haben, noch Mängelursachen festgestellt wurden, ist nicht ersichtlich, dass sie durch die unwirksame Abnahmeklausel Nachteile erlitten hätte.
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(2) Auch die konkrete Form der Abnahmeklausel ist zu berücksichtigen.
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Die Rechtsprechung sieht formularmäßige Klauseln zur Abnahme kritisch, da das Rechtsinstitut der Abnahme nicht nur eine Pflicht des Bestellers ist, sondern gleichzeitig dessen Recht, dem überragende Bedeutung zukommt.
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Im konkreten Fall sah der Vertrag vor, dass der Besteller unwiderruflich einen Sachverständigen wählt, der die Abnahme erklärt. Auch wenn insoweit die Klausel im Hinblick auf die nicht gegebene Widerruflichkeit nicht ausreichend dem gesetzlichen Wertbild entspricht, wurde zumindest gewährleistet, dass das Prüfrecht des Dritten in der Bestellersphäre verankert war.
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(3) Der Senat misst dem Umstand, dass die Besteller / Klägerin zweifach das Werk über einen Sachverständigen prüfen ließ und die Beklagte jeweils die dort festgestellten Mängel beseitigt hat, erhebliches Gewicht zu.
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Auch wurden, soweit die Klägerin ohne Einsatz eines Sachverständigen Mängel gerügt hat, diese abgearbeitet.
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(a) Das Objekt wurde unmittelbar nach der Übergabe am 22.02.2001 durch den Sachverständigen W. geprüft, der nach einer weiteren Begehung im Mai 2001 eine mehrseitiges „Mängelprotokoll“ erstellte.
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(b) Vier Jahre später beauftragte die Klägerin den Sachverständigen …, der 2005 insgesamt 140 Positionen rügte.
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(c) Die Klägerin hat im Jahr 2004 Mängel an der Heizanlage gerügt.
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(d) Für einen verständigen Empfänger in der Position der Beklagten, haben die Besteller durch ihr Verhalten zum Ausdruck gebracht, abschließend die Gewährleistungssituation beurteilen zu wollen.
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Wäre eine Abnahme wirksam vorgenommen worden, wären die Sekundäransprüche 2007 verjährt. Der Einsatz eines Privatsachverständigen kurz vor dem Eintritt der vermeintlichen Verjährung bringt gegenüber der Beklagten deutlich zum Ausdruck, dass die Klägerin als Bestellerin umfassend ihr Prüfrecht wahrnehmen wollte.
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2. Der Senat regt die Rücknahme der Berufung an, hilfsweise den Abschluss eines Vergleichs, um der Beklagten das Revisionsrisiko „abzukaufen“.
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Der Senat bemisst das Prozessrisiko mit deutlich unter 20%, da der vorliegende Fall eine Einzelfallentscheidung darstellt. Im Übrigen bejaht die werkvertragliche Rechtsprechung in Fallgestaltungen unwirksamer Abgeltungsklauseln einen Abzug „Neu für Alt“, auch wenn sie diesem Rechtsinstitut grundsätzlich sehr kritisch gegenübersteht. Der Senat sieht daher einen Betrag von 80.000 – 100.000 Euro als angemessen an, um die wechselseitigen Risiken abzubilden.
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Zu diesem Hinweis kann bis zum 08.11.2023 Stellung genommen werden.