Titel:
Pfändbarkeit der Inflationsausgleichsprämie
Normenketten:
ZPO § 850a Nr. 1, Nr. 3 § 850c, § 850f Abs. 1 Nr. 2, § 851 Abs. 1
InsO § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1 S. 2
EStG § 3 Nr. 11c
Leitsätze:
1. Die Inflationsausgleichsprämie ist übertragbar (§ 398 BGB) und damit pfändbar (§ 851 Abs. 1 ZPO). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Inflationsausgleichsprämie ist wie Arbeitseinkommen pfändbar (Anschluss an AG Köln BeckRS 2023, 22 und AG Norderstedt BeckRS 2023, 20917). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Inflationsausgleichsprämie, Pfändbarkeit, Arbeitseinkommen, Pfändungsfreigrenzen, Zweckbindung, Mehrarbeitsstunden, Aufwandsentschädigung, Erschwerniszulage
Fundstellen:
RPfleger 2024, 54
JurBüro 2024, 102
ZVI 2024, 195
ZInsO 2023, 2427
LSK 2023, 31604
BeckRS 2023, 31604
Tenor
Der Antrag der Schuldnerin vom 21.08.2023 auf einmalige Erhöhung des monatlichen Pfändungsfreibetrages um 961,54 € wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Am 21.04.2023 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und Rechtsanwältin … zur Insolvenzverwalterin bestellt.
2
Die Schuldnerin beantragte mit Schreiben vom 21.08.2023, den monatlichen Pfändungsfreibetrag einmalig um 961,54 € zu erhöhen. Sie begründete ihren Antrag damit, dass sie von ihrer Arbeitgeberin, …, im Juli 2023 eine Inflationsausgleichsprämie (nachfolgend abgekürzt mit IAP) in Höhe von 961,54 € erhalten habe. Zum Nachweis dafür hat sie ihre Verdienstabrechnung für den Monat Juli 2023 vorgelegt, aus der die IAP in Höhe von 961,54 € auch ersichtlich ist.
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Die Insolvenzverwalterin wurde zum Antrag der Schuldnerin vom 21.08.2023 gehört. Sie hat in ihrer Stellungnahme vom 04.09.2023 beantragt, den Antrag zurückzuweisen, da die IAP innerhalb der Pfändungsfreigrenzen nach § 850c ZPO für Arbeitseinkommen der Pfändung unterworfen sei. Die IAP sei insbesondere nicht nach § 850a Nr. 3 ZPO (Erschwerniszulage) unpfändbar. Denn bei der IAP gehe es im Unterschied zur Corona-Prämie nicht um eine Abmilderung oder einen Ausgleich von Erschwernissen, die direkt aus der Arbeitsleistung resultieren. Die IAP hätte keinen Bezug zur Arbeitsleistung, sondern würde ausschließlich die Belastung der Arbeitnehmer*innen durch die steigenden Lebenshaltungskosten abmildern.
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Der Ansicht von C. (Praxishinweis zu AG Köln, Beschluss vom 04.01.2023 – 70k IK 226/20, VIA 2023, 22) könne nicht gefolgt werden. C. argumentiere, dass der Gesetzgeber mit der Inflationsausgleichsprämie die derzeitige Belastung der Arbeitnehmer*innen durch die verringerte Kaufkraft abmildern wollte. Hierdurch solle der Lebensstandard der Arbeitnehmer*innen, der normalerweise durch das Arbeitseinkommen finanziert werde, aufrechterhalten werden. Dieses Ziel würde jedoch nicht erreicht werden, wenn die IAP aufgrund der Pfändung zum größten Teil an die Gläubiger des*der Arbeitnehmers*in fließt. Nach dem Sinn und Zweck der IAP solle diese insgesamt nach § 850a Nr. 3 ZPO pfändungsfrei bleiben.
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Die Insolvenzverwalterin wirft der Ansicht von C. vor, dass sie verkennt, dass Personen, welche der Lohnpfändung unterliegen, aufgrund von § 850c ZPO bereits nicht denselben Lebensstandard bestreiten können wie schuldenfreie Arbeitnehmer*innen. Durch die Pfändung gemäß § 850c ZPO sollen die Interessen der Gläubiger*innen mit den Eigeninteressen des*der Schuldners*in in Ausgleich gebracht werden. Ein der Lohnpfändung unterliegende*r Schuldner*in könne sich gerade nicht auf denselben Lebensstandard berufen wie ein*e Arbeitnehmer*in ohne Schulden. Erhalte der*die Schuldner*in eine IAP würden dieser*m in den Grenzen des § 850c ZPO durchaus Mehrbeträge zustehen, welche den Lebensstandard der Pfändung widerspiegeln. Auch die*der Schuldner*in habe einen Mehrbetrag zur Verfügung, der die Interessen der Gläubiger*innen berücksichtige. Die IAP sei deshalb nicht nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar.
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Der Antrag der Schuldnerin vom 21.08.2023 ist zulässig, aber unbegründet.
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Die IAP in Höhe von 961,54 € ist innerhalb der Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO für Arbeitseinkommen pfändbar (AG Köln, Beschluss vom 04.01.2023 – 70k IK 226/20, VIA 2023, 22; AG Norderstedt, Beschluss vom 26.7.2023 – 65 IK 37/23, NZI 2023, 834) und unterliegt daher in Höhe des pfändbaren Betrages dem Insolvenzbeschlag (§§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 2 InsO).
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Es gibt keine Vorschrift, die die Pfändbarkeit der IAP regelt. Daher richtet sich die Pfändbarkeit der IAP nach den allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften für Arbeitseinkommen (§§ 850 ff. ZPO).
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Die IAP ist übertragbar (§ 398 BGB) damit pfändbar (§ 851 Abs. 1 ZPO). Es besteht insbesondere kein gesetzliches Abtretungsverbot nach § 399 Alt. 1 BGB, weil die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen könnte. Dem § 399 Alt. 1 BGB unterliegen auch zweckgebundene Forderungen, soweit der Zweckbindung ein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt (BGH NJW 2021, 1322 Rn. 10). Die IAP soll zwar nach dem Willen des Gesetzgebers der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise dienen (§ 3 Nr. 11c EStG). Der IAP fehlt es aber an einer konkreten Zweckbindung an eine bestimmte Forderung oder an spezifische Kosten (Ahrens, NJW-Spezial 2022, 725 (726)). Sie hilft dem*der Arbeitnehmer*in dabei, den bestehenden Lebensstandard zu wahren (Ahrens, NJW-Spezial 2022, 725 (726)) und steht diesem*dieser letztlich zur freien Verfügung.
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Gegen eine Zweckbindung der IAP spricht auch, dass die Pfändungsfreigrenze für Arbeitseinkommen nach § 850c ZPO jedes Jahr zum 1.Juli durch § 850 Abs. 4 Satz 1 ZPO iVm. der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung angepasst wird und die durch die Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten bereits bei der Bemessung der neuen Pfändungsfreigrenze zum 01.07.2023 berücksichtigt wurden (Wipperfürth, ZInsO 2022, 2558 (2561)). Dem Gesetzgeber war das Problem der gestiegenen Verbraucherpreise bei Bemessung der neuen Pfändungsfreigrenze zum 01.07.2023 wohl bekannt.
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Die IAP ist auch nicht nach § 850a Nr. 1 ZPO (Mehrarbeitsstunden) zur Hälfte unpfändbar. Die Inflationsausgleichsprämie wird dem*der Arbeitnehmer*in nämlich nicht für über die normale Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit (zB Überstunden) gewährt, sondern er*sie erhält diese zusätzlich zu dem ohnehin von dem*der Arbeitgeber*in geschuldeten Arbeitslohn (§ 3 Nr. 11c EStG).
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Eine Unpfändbarkeit der IAP ergibt sich auch nicht aus § 850a Nr. 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift sind Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen unpfändbar, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.
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Eine Aufwandsentschädigung ist kein Entgelt für eine Arbeitsleistung des Schuldners. Vielmehr werden dem Schuldner damit Auslagen erstattet, für die der Arbeitnehmer bereits eine Gegenleistung aus seinem Vermögen erbracht hat oder erst noch erbringen muss (BeckOK ZPO/Riedel, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 850a Rn. 13a). Die Inflationsausgleichsprämie erhält der Schuldner jedoch nicht für eine bereits erbrachte oder erst noch zu erbringende Gegenleistung, sondern zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (§ 3 Nr. 11c EStG).
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Die Inflationsausgleichsprämie kann auch nicht als Erschwerniszulage qualifiziert werden (BeckOK ZPO/Riedel, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 850 Rn. 38b). Denn dabei handelt es sich um Zahlungen des Arbeitgebers, die zusätzlich zum Arbeitslohn zur Abgeltung von bei der Entgeltbemessung nicht berücksichtigen besonderen Erschwernisse bei oder durch die Arbeitsleistung gezahlt werden. Die IAP soll nämlich nicht die erschwerte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers kompensieren, sondern die gestiegenen Verbraucherpreise abmildern (§ 3 Nr. 11c EStG).
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Der Antrag der Schuldnerin kann auch nicht erfolgreich als Antrag auf Erhöhung des monatlich pfändbaren Betrages durch das Insolvenzgericht (§ 36 Abs. 4 InsO) wegen besonderer Bedürfnisse der Schuldnerin aus persönlichen oder beruflichen Gründen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO iVm. § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO) ausgelegt werden.
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Voraussetzung für ein besonderes Bedürfnis der Schuldnerin iSv. § 850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist, dass dieses zum gegenwärtigen Zeitpunkt und konkret vorliegt und außergewöhnlich in dem Sinne ist, dass es bei den meisten Personen in vergleichbarer Lage nicht auftritt (BeckOK ZPO/Riedel, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 850f Rn. 20.1). Die durch die Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten treffen aber alle Bürger*innen und nicht nur die Schuldnerin.
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Der Antrag der Schuldnerin vom 21.08.2023 war daher zurückzuweisen.