Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 20.01.2023 – Verg 14/22
Titel:

Vergabenachprüfungsverfahren: Antragsbefugnis eines in der Rangfolge weit hinten liegenden Bieters

Normenketten:
GWB § 160 Abs. 2 S. 2
VGV § 56 Abs. 2 S. 1, § 57 Abs. 1
Leitsätze:
1. Liegt das Angebot eines Bieters auf einem abgeschlagenen Platz, muss er zur Begründung seiner Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2 GWB) schlüssig Vergabeverstöße behaupten, die sich auf die Rangfolge der Angebote in der Weise auswirken können, dass sein Angebot auf eine aussichtsreiche Rangstelle vorrückt, oder die es gebieten, das Vergabeverfahren – bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht – noch weitergehend zurückzuversetzen. (Rn. 33 und 36)
2. Erforderlich ist, dass der Bieter Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorträgt, die einen hinreichenden Verdacht auf den gerügten Vergabeverstoß begründen. Daran fehlt es, wenn die Argumentation des Antragstellers nicht plausibel ist, weil er ihm bekannte Tatsachen ausblendet. (Rn. 37 und 44 – 45)
1. Fehlerhafte Vergabeunterlagen können nur in engen Grenzen korrigiert werden; der Bieter darf insbesondere nicht weitere, neu zu prüfende Referenzen vorlegen und dadurch seine Eignungsnachweise nachbessern. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nimmt die Vergabestelle die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung vor und teilt sie infolgedessen im Informationsschreiben nach § 134 GWB nur mit, dass das Angebot eines Mitbieters wirtschaftlicher ist, hat sie damit die grundsätzliche Eignung des nicht berücksichtigten Bieters nicht bejaht. Die Vergabestelle kann daher im Nachprüfungsverfahren auch noch geltend machen, dass hinsichtlich des Angebots des nicht berücksichtigten Bieters ein Ausschlussgrund vorliege. (Rn. 75 – 76) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bewachungsdienst, Eignung, Darlegung, Antragsbefugnis, Referenzen, Ausschluss, Nachforderung, Unterlagen, Rangfolge, Vergabeverstoß
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 10.10.2022 – 3194.Z3-3_01-22-40
Fundstellen:
VergabeR 2023, 572
LSK 2023, 3158
NZBau 2023, 424
BeckRS 2023, 3158

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 10. Oktober 2022, Az. 3194.Z3-3_01-22-40 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen sowie der durch das Verfahren nach § 173 GWB verursachten Kosten.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 470.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Verfahrensbeteiligten stritten in einem früheren Verfahren über die vorzeitige Zuschlagsgestattung auf einen Interimsauftrag, insoweit wird auf den Beschluss des Senats vom 31. Oktober 2022, Verg 13/22 (juris; BeckRS 2022, 35589) Bezug genommen. Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist die Erteilung des Hauptauftrags.
2
Mit Auftragsbekanntmachung vom 10. Juni 2022, 2022/S111-312433 und Berichtigung von 5. Juli 2022, 2022/S127-362593 schrieb der Antragsgegner einen Dienstleistungsauftrag über Bewachungsdienste … im Wege eines offenen Verfahrens europaweit aus. Der Auftrag hat eine Laufzeit vom 1. Oktober 2022 bis zum  30. September 2023 mit Verlängerungsmöglichkeit bis längstens 30. September 2026.
3
Einziges Zuschlagskriterium ist nach Ziffer II.2.5) der Bekanntmachung der Preis.
4
Ziffer III.2.2) der Bekanntmachung lautet:
„Bedingungen für die Ausführung des Auftrags: Kalkulation Stundenverrechnungssatz:
Für die Kalkulation und den Vertragsvollzug sind die Ausführungen in der Leistungsbeschreibung unter ‚Nr. 6.2 Soziale Ausführungsbedingungen‘ zu beachten: ‚Als vergütungsbezogene Mindestregelung wird als soziale Ausführungsbedingung gemäß § 128 Abs. 2 GWB die Anwendung des Lohntarifvertrages Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern vom 09.03.2021, als Ergänzung zum Manteltarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland in seiner jeweils gültigen Fassung vorgegeben. […] (Vgl. LB!)‘“
Kalkulationsbasis ist nach den Vergabeunterlagen ein Durchschnittsmonat (30 Tage, davon 25 Werktage, vier Sonntage und ein Feiertag). Der Einzelpreis pro Monat errechnet sich aus dem jeweiligen Stundenverrechnungssatz (SVS), der mit der in den Vergabeunterlagen jeweils vorgegebenen Zahl der Stunden/pro Tag, der Zahl der Tage/pro Monat und der Zahl der Mitarbeiter zu multiplizieren ist. Für die Kalkulation ist von einer Nutzung im „Mischbetrieb“ auszugehen, der die teilweise Unterbringung von an COVID-19 erkrankten Asylbewerbern sowie deren Familien und Kontaktpersonen in ausgewiesenen Quarantänebereichen umfasst.
5
Ziffer 3.3 des Leistungsverzeichnisses regelt den Umfang des einzusetzenden Personals:
„Die Anzahl der einzusetzenden Mitarbeiter ist wie folgt zu planen und zu kalkulieren, wobei für die Kalkulation von Variante b) Mischbetrieb auszugehen ist. … Darüber hinaus kann der Personalschlüssel während der Vertragslaufzeit auf Verlangen des AG nach Maßgabe von Ziffer 3.4 notwendigen Anpassungen innerhalb einer Nutzungsart unterliegen.

b) … Mischform (Normalbetrieb u. Quarantänebetrieb)

Schichtleiter Qualifikation gem. Ziff.4.2

Wachpersonal Qualifikation gem. Ziff. 4.1

Tags 07.00 – 19.00

15, davon 3 mind. weiblich

Nachts 19.00 – 07.00

10, davon mind. 3 weiblich

…“
6
Die Formblätter „Kalkulation Stundenverrechnungssatz (Bewachungspersonal)“ und „Kalkulation Stundenverrechnungssatz (Schichtleiter)“, die mit dem Angebot einzureichen waren, enthalten folgende Positionen:
Pos. Bezeichnung
1.00 TARIFLOHN (Grundlohn)
1.10 Tarifliche/außertarifliche/sonstige Zulage, die fortlaufend gewährt wird
1.20 Tarifliche/außertarifliche/sonstige Zulage, die fortlaufend gewährt wird
1.30 Zwischensumme I Lohn
1.40 Sonntagszuschlag auf Grundlohn (%ual auf Pos. 1.30)
1.50 Feiertagszuschlag auf Grundlohn (%ual auf Pos. 1.30)
1.60 Nachtzuschlag auf Grundlohn (%ual auf Pos. 1.30)
2.00 LOHNGEBUNDENE KOSTEN (%ual von Pos. 1.30)
2.10 Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeberanteil)
2.11 Krankenversicherung auf Pos. 1.30
2.11a Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung auf Pos. 1.30
2.12 Rentenversicherung auf Pos. 1.30
2.13 Arbeitslosenversicherung auf Pos. 1.30
2.14 Pflegeversicherung auf Pos. 1.30
2.15 U2 Mutterschaftsaufwendungen auf Pos. 1.30
2.16 U3 Insolvenzgeldumlage auf Pos. 1.30
2.17 Gesetzliche Unfallversicherung (BG) auf Pos. 1.30
2.20 Soziallöhne Prod. Arbeitstage:
2.21 Gesetzliche Feiertage Ø Anzahl Feiertage (auf Arbeitstage):
Sozialversicherung auf Pos. 2.21
2.22 Urlaubsentgelt Ø Urlaubsanspruch p.a.:
Sozialversicherung auf Pos. 2.22
2.23 Arbeitsfreistellung Ø bez. Arbeitsfreistellung p.a.:
Sozialversicherung auf Pos. 2.23
2.24 Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Ø Krankheitstage p.a.: Sozialversicherung auf Pos. 2.24
2.25 Zusätzliches Urlaubsgeld Sozialversicherung auf Pos. 2.25
2.30 Zusätzliche lohngebundene Kosten
2.31 Haftpflichtversicherung (%ual zu 1.30)
2.32 Sonstige Personalkosten (Arbeitskleidung etc.)
(%ual zu Pos. 1.30)
3.00 AUFTRAGSBEZOGENE KOSTEN (%ual von Pos. 1.30)
4.00 UNTERNEHMENSBEZOGENE KOSTEN (%ual von Pos. 1.30)
5.00 SELBSTKOSTEN (…)
6.00 WAGNIS UND GEWINN AUF SELBSTKOSTEN
STUNDENVERRECHNUNGSSATZ (5.00+6.00)
7
Nach Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung sind mindestens drei geeignete Referenzen mit dem Angebot vorzulegen. Der Text lautet auszugsweise:
„III.1.3) Technische und berufliche Leistungsfähigkeit Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
(Formblatt L 124, Seite 6, AUSSCHLUSSGRUND BEI NICHTERFÜLLUNG!)
Vorlage geeigneter Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungen der in den letzten höchstens drei Jahren erbrachten wesentlichen Leistungen:
(Abgabe folgender Eigenerklärung, Ausschlussgrund bei Nichterfüllung:) „Ich/wir erkläre(n), dass ich/wir in mindestens 3 Fallen geeignete Leistungen erbracht habe(n).“
„Geeignete Leistungen“ wird wie folgt konkretisiert (d. h. Eigenschaften, die die von den Bewerbern/Bietern vorzulegende(n) Referenz(en) zwingend erfüllen muss/ müssen; „Mindestanforderungen“ an die Referenz(en)):
3. Die Anzahl der – durchschnittlich über die Gesamtvertragslaufzeit (Referenzauftrag) – pro Schicht eingesetzten Sicherheitsmitarbeiter/innen darf, im Vergleich zu dem laut dem Leistungsverzeichnis einzusetzenden Personalumfangs (Vgl. LV, Nr. 3.3 Umfang des einzusetzenden Personals, b)
… Mischform (Normalbetrieb u. Quarantänebetrieb)) – D. h.: Tags 07:00 – 19:00 Uhr: Schichtleiter: 2 St., Wachpersonal: 15 St.; Nachts 19:00 Uhr – 07:00 Uhr: Schichtleiter: 2 St., Wachpersonal: 10 St. – um maximal 20% nach unten abweichen (Keine Begrenzung für Abweichungen nach oben!). …“
8
Innerhalb der Angebotsfrist sind insgesamt 18 Angebote eingegangen, u. a. von der Beigeladenen und der Antragstellerin, der Auftragnehmerin des bisherigen Bewachungsauftrags.
9
Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 26. Juli 2022 setzte der Antragsgegner die Antragstellerin davon in Kenntnis, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne und „nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens“ beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das günstigere Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragstellerin habe in der Bieterrangfolge ohne die Berücksichtigung von Angebotsausschlüssen anderer Bieter den 15. Platz belegt.
10
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 3. August 2022 insbesondere, das Schreiben vom 26. Juli 2022 verstoße gegen § 134 GWB. Es dränge sich auf, dass die Angebotswertung nicht den Vorgaben der §§ 56, 57 VgV entspreche, weil der Antragsgegner die Angebote nicht auf die Einhaltung seiner Vorgabe in Ziffer 6.2 der Leistungsbeschreibung – Sonstige Ausführungsbedingungen –, mithin auf die Einhaltung der tariflichen und gesetzlichen Vorgaben bei der Kalkulation der Stundenverrechnungssätze, überprüft habe. Sie habe „extrem knapp“ mit „minimalst möglichen“ Zuschlägen kalkuliert. Es sei davon auszugehen, dass die Beigeladene, die ihren Sitz in Hessen habe, nicht mit dem vorgegebenen, sondern mit dem für das Bundesland Hessen maßgeblichen und somit einem deutlich niedrigeren Lohntarifvertrag kalkuliert habe. Das Rügeschreiben enthält eine Gegenüberstellung der sich nach diesen beiden Tarifverträgen jeweils ergebenden Löhne. Für Schichtleiter sei ausgehend von einem Tariflohn in Höhe von 11,34 € und einer Asylzulage in Höhe von 1,50 € eine Schichtleiterzulage in Höhe von 1,54 € anzusetzen, woraus sich ein „Grundlohn“ in Höhe von 14,38 € ergebe [Anmerkung des Senats gemeint: Zwischensumme in Position 1.30]. Für das Bewachungspersonal betrage der Tariflohn zuzüglich Asylzulage 12,84 €. Addiere man diese Beträge mit den gesetzlich vorgeschriebenen Lohnnebenkosten ergebe sich beispielsweise für Schichtleiter in der Tagschicht ein Unterschied von 15,78 € (Hessen) zu 17,27 € (Bayern) und in der Nachtschicht ein Unterschied von 17,36 € (Hessen) zu 20,58 € (Bayern). Der preisliche Vorsprung der Beigeladenen und „wohl in sich aufdrängender Weise auch der weiteren folgenden Bieter“ resultiere aus einer unzulässigen Änderung der Vergabeunterlagen, indem auf Basis anderer Tarifverträge, die günstigere Vergütungsstrukturen vorsähen, kalkuliert worden sei. Die Antragstellerin führte ferner aus, sie müsse aufgrund des ihr mitgeteilten abgeschlagenen Platzes ihres Angebots davon ausgehen, dass der Antragsgegner keine ordnungsgemäße Preisprüfung vorgenommen habe, obwohl er aufgrund des Erreichens bzw. Überschreitens der Aufgreifschwelle von 10% bzw. 20% hierzu verpflichtet gewesen wäre.
11
Der Antragsgegner wies die Rügen zurück und führte mit Schreiben vom 4. August 2022 insbesondere aus, die Antragstellerin habe nach Berücksichtigung von Angebotsausschlüssen den 12. Platz belegt und habe somit keine Chance auf den Zuschlag. Die Ausführungsbedingung nach § 128 Abs. 2 GWB sei bei der Angebotsprüfung, auch bei der Prüfung des Angebots der Erstplatzierten, im Sinne eines Ausschlusskriteriums bei Nichterfüllung berücksichtigt worden. Da auch die Erstplatzierte die Formblätter mit den Stundenverrechnungssätzen vorgelegt habe, sei es der Vergabestelle möglich gewesen, die Einhaltung der Ausführungsbedingung nachzuprüfen. Dass die Erstplatzierte nach dem Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Hessen kalkuliert habe, könne ausgeschlossen werden.
12
Anlass für eine Prüfung nach § 60 VgV bestehe nicht. Die erwähnte Aufgreifschwelle (Abstand zwischen dem erst- und zweitplatzierten Angebot) werde nicht annähernd erreicht.
13
Mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 5. August 2022 wandte sich die Antragstellerin gegen die Wertungsentscheidung des Antragsgegners. Sie wiederholte ihre Rügen und machte geltend, das Wertungsergebnis könne nur darauf beruhen, dass der Antragsgegner die in der Rangfolge vorgehenden Angebote nicht ordnungsgemäß auf die Einhaltung seiner Kalkulationsvorgabe in Ziffer 6.2 der Leistungsbeschreibung überprüft habe. Wegen unzulässiger Änderungen der Vergabeunterlagen seien alle Angebote, die in der Rangfolge vor ihrem lägen, zwingend auszuschließen mit der Folge, dass sie, die Antragstellerin, an erster Stelle rangiere.
14
Die Antragstellerin hat beantragt,
1.
die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß den §§ 160 ff. GWB.
2.
3.
festzustellen, dass die Antragstellerin durch das Verhalten des Antragsgegners in dem Vergabeverfahren „Bewachungsdienstleistungen in … Referenznummer …“ … in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt wird, 4. geeignete Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen, insbesondere, den Antragsgegner zu verpflichten, die geltend gemachten Verstöße gegen die Bestimmungen des Vergaberechts zu beseitigen und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer das Vergabeverfahren fortzuführen, hilfsweise zu 4.
5.
für den Fall der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens durch Aufhebung oder in sonstiger Weise festzustellen, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen hat.
15
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben beantragt,
den Nachprüfungsantrag zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
16
Der Antragsgegner hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, da der Antragstellerin die Antragsbefugnis fehle. Ihr Angebot sei so aussichtslos platziert gewesen, dass eine Chance auf den Zuschlag von vornherein nicht bestanden habe. Das Informationsschreiben vom 26. Juli 2022 habe § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB entsprochen. Zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots sei allein das Zuschlagskriterium „Preis“ herangezogen worden. Der Vortrag der Antragstellerin sei rein spekulativ. Objektiv sei das Angebot der Antragstellerin nicht äußerst knapp kalkuliert, die Antragstellerin habe mit höheren Nacht-, Feiertags- und Sonntagszuschlägen kalkuliert, als sie in § 5 Nr. I. 3. des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern festgelegt seien. Ihr Angebot wäre zudem nach § 57 Abs. 1 VgV von der Wertung auszuschließen, da sie die Eignungskriterien nicht erfülle. Die Antragstellerin habe ihrem Angebot drei Referenzen beigefügt, die alle drei die Mindestanforderung nicht erfüllten, da sie nicht durchgängig zwei Schichtleiter auswiesen. Eine Nachforderung von weiteren Referenzen auf der Grundlage von § 56 Abs. 2 VgV scheide aus.
17
Auch die Beigeladene ist der Ansicht, der Nachprüfungsantrag sei mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin unzulässig, jedenfalls unbegründet. Dem Vortrag der Antragstellerin lasse sich nicht entnehmen, dass sie ohne die behaupteten Rechtsverletzungen eine reelle Auftragschance gehabt hätte. Sie, die Beigeladene, habe auf der Grundlage des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern kalkuliert. Von dem Sitz eines Unternehmens könne nicht auf dessen Vergütungspraxis geschlossen werden.
18
Mit Beschluss vom 10. Oktober 2022, der der Antragstellerin am 12. Oktober 2022 zugestellt worden ist, hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, er sei mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin unzulässig. Ein Bieter, der auf einem wirtschaftlich aussichtslosen Rang liege, fehle die Antragsbefugnis, weil er selbst mit begründeten Einwendungen gegen den Zuschlagsprätendenten eine aussichtsreiche Chance auf den Zuschlag nicht erreichen könne. Es sei absolut unwahrscheinlich, dass nur ein Bieter die Vergabeunterlagen richtig verstanden und richtig kalkuliert habe. Die Antragstellerin liege auf der Rangstelle 12 von 18 eingereichten Angeboten. Der Antragsgegner habe eine umfassende Eignungsprüfung für die Bieter der Rangstellen 1 bis 5 durchgeführt und diese im Vergabevermerk dokumentiert. Im Rahmen dessen habe er im Verlauf der Angebotsprüfung drei Bieter aus unterschiedlichen Gründen nach § 57 Abs. 1 VgV von der Wertung ausgeschlossen, sodass sich die Bieterrangfolge geändert habe und die Antragstellerin nicht mehr auf Rang 15, sondern auf Rang 12 liege. Die Antragstellerin habe keinerlei Chancen auf den Zuschlag. Ihr Vorbringen, die übrigen Bieter, die einen günstigeren Preis als sie selbst angeboten hätten, hätten nicht ordnungsgemäß kalkuliert und insbesondere den Lohntarifvertrag Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern vom 9. März 2021 nicht berücksichtigt, erfülle bereits nicht die Anforderungen an eine substantiierte Rüge. Soweit die Antragstellerin moniere, das Informationsschreiben nach § 134 GWB sei unzureichend, könne sie hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt sein, da sie fristgerecht einen Nachprüfungsantrag gestellt habe.
19
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 26. Oktober 2022, die unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens insbesondere rügt, die Vergabekammer habe zu Unrecht ihre Antragsbefugnis verneint. Die Vergabekammer habe Inhalt und Umfang der Antragsbefugnis und der Darlegungsverpflichtungen eines Antragstellers im Nachprüfungsverfahren, insbesondere vor einer gemäß § 165 GWB zu gewährenden Akteneinsicht verkannt. Sie, die Antragstellerin, habe die Auswirkungen der zwingend anzuwendenden Vorgaben des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern und die Unterschiede zu dem in Hessen geltenden Lohntarifvertrag dargelegt. Sie habe diese Vorgabe in Ziffer 6.2 der Leistungsbeschreibung berücksichtigt; ihr Angebot weise „lediglich minimalst mögliche Zuschläge im unteren einstelligen Prozentbereich“ auf den Stundenverrechnungssatz auf. Ein Angebot, das vor ihrem liege, könne „in sich geradezu aufdrängender Weise“ diese Vorgabe nicht berücksichtigt haben, erst recht nicht derartig viele Angebote, woraus sich zwangsweise ergebe, dass der Antragsgegner die Einhaltung der Vorgabe und den zwingenden Ausschlussgrund der Änderung der Vergabeunterlagen nicht geprüft habe. Dies ergebe sich auch aus dem Vortrag des Antragsgegners. Das bisherige Wertungsergebnis des Antragsgegners mit der daraus hervorgehenden Bieterrangfolge könne keinen Bestand haben. Die Vergabekammer habe zudem verkannt, dass die Frage des Ausschlusses eines Bieters aufgrund nicht gegebener Eignung mit der hier streitgegenständlichen Frage des zwingenden Ausschlusses in Folge einer unzulässigen Änderung der Vergabeunterlagen durch einen Bieter im Angebot gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4, § 53 Abs. 7 Satz 1 VgV nicht „ansatzweise identisch“ sei. Die Vergabekammer ergehe sich in Spekulationen, ob ein oder mehrere Bieter die Vergabeunterlagen zutreffend erkannt oder umgesetzt hätten. Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Der Antragsgegner habe die Angebote weder ordnungsgemäß auf die Einhaltung der Kalkulationsvorgaben noch auf die Auskömmlichkeit der Preise hin überprüft.
20
Nach Gewährung ergänzender Akteneinsicht durch den Senat hat die Antragstellerin ausgeführt, der Vortrag der Beigeladenen belege, dass sie die Kalkulationsvorgaben nicht eingehalten habe, sie sei insbesondere zu Unrecht davon ausgegangen, die Schichtleiterzulage betrage nur 8% [Anmerkung des Senats gemeint: von den Positionen 1.00 und 1.10]. Nach Ziffer 3.3 des Leistungsverzeichnisses des Antragsgegners seien tagsüber mehr als 14 Mitarbeiter einzusetzen, sodass nach § 6 Nr. 1 Buchst. b) des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern 12% anzusetzen seien. Der Antragsgegner habe außerdem die Befugnis gemäß Ziffer 3.4.1 des Leistungsverzeichnisses, kurzfristig eine Personalerhöhung zu verlangen. Es seien daher für die Zulage des Schichtleiters insgesamt bis zu 27 Mitarbeiter zu berücksichtigen. Ein Schichtleiterzuschlag in Höhe von 12% statt in Höhe von 8% führe zu einem Mehrbetrag von 0,51 € und zu höheren Sozialabgaben. Allein aus diesem Grund ergebe sich bezogen auf eine Laufzeit des Vertrags von vier Jahren ein „monetärer Vorteil“ von ca. 60.000,00 €, was eine massive Wettbewerbsverzerrung darstelle, die zum Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen führen müsse. Hierdurch erkläre sich bereits maßgeblich, warum die Beigeladene das mit „minimalsten“ Zuschlägen nach den tarifrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben kalkulierte Angebot der Antragstellerin habe erheblich unterschreiten können. Nachgewiesen sei damit auch, dass der Antragsgegner die Angebote nicht ordnungsgemäß auf die Einhaltung der Kalkulationsvorgaben überprüft habe.
21
Auf den richterlichen Hinweis, es erscheine zweifelhaft, ob die Antragstellerin redlicherweise habe davon ausgehen dürfen, ihre Mitbewerber hätten auf der Grundlage dieser Kalkulationsvorgabe keine günstigeren Angebote abgegeben, denn sie habe ihrer Kalkulation der Stundenverrechnungssätze deutlich höhere Nacht-, Sonntags- und Feiertagszulagen zugrunde gelegt, als sie in § 5 Nr.
22
I. 3. Buchst. a), b) und c) des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern vom 9. März 2021 vorgesehen seien, hat die Antragstellerin ihr Vorbringen vertieft. Sie habe die auftrags- und unternehmensbezogenen Kosten etc. extrem knapp kalkuliert und aufgrund ihrer Fach- und Marktkenntnisse und den „aktuellen Ausschlussergebnissen“ davon ausgehen müssen, dass – bei Einhaltung der Vorgaben – ihr Angebot nicht, zumindest nicht durch so viele Bieter habe unterboten werden können. Die von ihr angebotenen Zuschläge erschienen allenfalls bei vordergründiger Betrachtung zu hoch. Die Zuschläge für Sonntags-, Nacht- und Feiertagsarbeit müssten aus tarifvertraglichen und sozialversicherungsrechtlichen Gründen in die sogenannten „Durchschnittsspeicher“ für die Lohnzahlungen Urlaub, Krankheit und sonstiges einfließen. Tarifrechtliche Zuschläge seien im Rahmen von Lohnfortzahlungen in vollem Umfang steuer- und sozialversicherungspflichtig. Auch für die gesetzliche Unfallversicherung und die Bewachungshaftpflichtversicherung sei nicht nur auf den Grundlohn, sondern auf die komplette Lohnzahlung abzustellen. Diese nicht unerheblichen Nebenkosten hätten in der Kalkulation ordnungsgemäß abgebildet werden müssen, obwohl dafür in den vom Antragsgegner zur Verfügung gestellten Formblättern keine eigenen „Kalkulationszahlen“ vorgesehen seien. Es habe zwei Möglichkeiten gegeben, diese Kosten in der Kalkulation zu berücksichtigten, und zwar entweder bei den Positionen 1.40 / 1.50 / 1.60 des Formblatts (Nacht-, Sonntags- und Feiertagszulagen) oder bei den Positionen 2.22 / 2.23 / 2.24 (Soziallöhne) sowie 2.17 (gesetzliche Unfallversicherung) und 2.31 (Haftpflichtversicherung). Bei der zweiten Alternative sei aber zu beachten, dass nach der nicht veränderbaren Formel in der Spalte mit dem €-Betrag als Multiplikator stets die Summe „Lohn Gesamt“ (Position 1.30) herangezogen werde. Um die Mehrkosten zutreffend abbilden zu können, müsse die Prozentzahl im zugehörigen Eingabefeld um einen Zuschlag erhöht werden. Bei einer Multiplikation sei unerheblich, welcher der Multiplikatoren angepasst werde. Dass die Beigeladene diesen Verpflichtungen nachgekommen sei, ergebe sich aus ihrem Vorbringen nicht. Sie habe vielmehr rechtsfehlerhaft die nach dem Tarifvertrag zu zahlenden Zuschläge nicht bei den Beiträgen zur Berufsgenossenschaft berücksichtigt. Seien die aufgrund der tarifrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben anfallenden und zwingend zu berücksichtigenden Mehrkosten nicht in die Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes eingeflossen, seien diese Angebote zwingend auszuschließen. Ihr Angebot dagegen sei nicht gemäß § 57 Abs. 1 VgV mangels Erfüllung der Eignungskriterien auszuschließen. Dem Antragsgegner sei es bereits verwehrt sich auf diesen, in der Vorinformation nach § 134 GWB nicht genannten Ausschlussgrund zu berufen. Die von ihr vorlegten Referenzen erfüllten ferner die Anforderungen. Die für die Referenzen geforderte Zahl der Schichtleiter und des Bewachungspersonals dürfe um maximal 20% nach unten abweichen. Die sich daraus ergebende Anzahl von „1,6 Stück Schichtleiter“ könne nach objektivem Bieterhorizont und nur dahingehend verstanden werden, dass der Nachweis von „1 Stück Schichtleiter“ jeweils für die Tag- und Nachtschicht ausreichend sei, da es den Nachweis von „1,6 Stück Schichtleiter“ nicht gebe.
23
Die Antragstellerin beantragt,
1.
den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 10. Oktober 2022, Az.. 3194.Z3-3_01-22-40, aufzuheben,
2.
den Antragsgegner zu verpflichten, die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senates zu wiederholen und dabei insbesondere im Hinblick auf die sich aus der unter Ziff. 6.2 der Leistungsbeschreibung aufgestellten Ausführungsvorgabe zur Unterbreitung der Angebote auf Basis des dort benannten Lohntarifvertrages die Angebote der an erster bis elfter Stelle liegenden Bieter auf das in diesem möglichen Vorliegen von zwingenden Ausschlussgründen, insbesondere aufgrund einer sich daraus ergebenden unzulässigen Änderung der Vergabeunterlagen zu überprüfen, und bei Vorliegen dieser die betroffenen Angebote dieser Bieter auszuschließen,
hilfsweise zu 2.
3. die Vergabekammer Südbayern zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in der Sache neu zu entscheiden, …
24
Der Antragsgegner beantragt,
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 26. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
25
Er verteidigt den Beschluss der Vergabekammer. Entgegen der Behauptung der Antragstellerin bestünden keine (plausiblen) Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene (oder andere vor der Antragstellerin gereihte Bieter) den Lohntarifvertrag Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern vom 9. März 2021 bei der Leistungserbringung nicht beachtet hätten. Das Angebot der Beigeladenen sei auf die Einhaltung der Ausführungsbedingung überprüft worden. Auf Grund der von der Beigeladenen mit dem Angebot eingereichten Formblätter mit den Kalkulationen der Stundenverrechnungssätze habe ausgeschlossen werden können, dass diese ihr Angebot auf Basis des für sie einschlägigen Lohntarifvertrags für Sicherheitsdienstleistungen in Hessen anstelle des von dem Antragsgegner zwingend vorgegebenen Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern kalkuliert habe. Der Vortrag der Beschwerdeführerin sei in diesem Punkt rein spekulativ und erfolge ersichtlich „ins Blaue hinein“. Denn das Angebot der Beigeladenen lasse sich anhand des tabellarischen Preisspiegels im Vergabevermerk mit den Angaben der Antragstellerin, insbesondere deren Tabelle auf Seite 45 der Beschwerdeschrift vom 26. Oktober 2022, ohne Weiteres abgleichen. Hierbei sei – selbst bei Wahrunterstellung der Angaben der Antragstellerin – festzustellen, dass die dem Angebot der Beigeladenen zugrunde liegende Kalkulation die bayerischen Tariflohnbestimmungen sowie die von der Beschwerdeführerin angegebenen Lohnnebenkosten sowie sonstigen Bestimmungen wahre. Jedenfalls sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Der Antragsgegner sei „zur Aufklärung der Einhaltung der zwingenden Kalkulationsvorgaben“ nicht verpflichtet gewesen; es hätten keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Nichteinhaltung von Vorgaben vorgelegen. Der Vortrag der Antragstellerin, sie habe sich durch die Abgabe ihres äußerst knapp kalkulierten Angebotes an dem Vergabeverfahren beteiligt, möge zwar subjektiv, d. h. aus der Sicht der Antragstellerin zutreffend sein, objektiv treffe dies jedoch nicht zu. Die Antragstellerin habe in ihrem Angebot höhere Zuschläge als den im Lohntarifvertrag Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern vorgesehenen (Mindest-)Zuschlag vorgesehen. Dies führe bei einem alleinigen Zuschlagskriterium „Preis“, wie hier, zu einem Nachteil im Vergleich zu anderen Angeboten und in Folge auch zu einer Platzierung im hinteren Bereich der Bieterrangfolge. Der Vortrag der Antragstellerin zur Preisgestaltung sei, wenn auch sehr ausführlich, doch rein spekulativ. Die Vergabestelle sei im Hinblick auf die Preise der eingegangenen Angebote und die nach der Rechtsprechung bestehenden Maßstäbe nicht zur Aufklärung nach § 60 VgV verpflichtet gewesen. Nach § 42 Abs. 3 VgV könne ein öffentlicher Auftraggeber im Fall eines offenen Verfahrens die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung durchführen. Der Antragsgegner habe sich dabei auf die – nach der Preiswertung – ersten fünf Angebote beschränken dürfen. Auch die Eignung der Beschwerdeführerin sei noch nicht näher beurteilt worden. Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB sei abzulehnen.
26
Die Beigeladene beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
27
Sie hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, jedenfalls für unbegründet. Die Vergabekammer habe zu Recht die Antragsbefugnis verneint. Die Antragstellerin habe keine (ausreichenden) Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass alle 11 vor ihrem Angebot platzierten Angebote auszuschließen seien. Sofern sie versuche, aufgrund des Unternehmenssitzes der Beigeladenen in Hessen zu konstruieren, dass die Beigeladene nur den dort geltenden Tarifvertrag ihrer Kalkulation zugrunde gelegt haben könne (quod non!), so lasse sich diese – falsche – Aussage unzweifelhaft nicht auf die Angebote der übrigen 10 Bieter, deren Identität und Firmensitze unbekannt seien, übertragen. Die schlichte Behauptung „niemand kann günstiger sein als ich“, genüge nicht zur Herleitung einer Zuschlagschance und damit einer Antragsbefugnis, wenn tatsächlich 14 günstigere Angebote vorlägen, von denen drei wegen Eignungsmängeln ausgeschlossen werden mussten. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Antragstellerin darauf komme, es müsse ein besonders großer Preisabstand zwischen ihrem Angebot und dem der Beigeladenen sowie aller weiteren vor ihrem Angebot liegenden Angebote bestehen. Aufgrund der Vorgaben in den Vergabeunterlagen sei viel eher davon auszugehen, dass die Angebote nah beieinanderlägen. Die Ausführungen der Antragstellerin seien unsubstantiiert. Die Angebotswertung des Antragsgegners sei nicht zu beanstanden. Sie, die Beigeladene, habe bereits vor der Vergabekammer klargestellt, dass sie ihr Angebot unter Einhaltung der Vorgaben aus Ziffer 6.2 der Leistungsbeschreibung kalkuliert habe. Die Annahme der Antragstellerin, die Höhe des Zuschlags für Schichtleiter bemesse sich nach § 6 Nr. 1 Buchst. c) des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern sei falsch. Der Kalkulation sei zugrunde zu legen, dass nach Ziffer 3.3 Buchst. b) des Leistungsverzeichnisses tagsüber 2 Schichtleiter und 15 Wachdienstmitarbeiter einzusetzen seien, sodass ein Schichtleiter die Verantwortung für 7 Mitarbeiter und der zweite Schichtleiter für 8 Mitarbeiter habe. Daraus ergebe sich nach § 6 Nr. 1 Buchst. b) des Lohntarifvertrags eine Zulage in Höhe von 8%.
28
Sie habe auch ansonsten die tarifvertraglich und sozialversicherungsrechtlich zu beachtenden Vorgaben eingehalten. Zutreffend sei zwar, dass das Formblatt des Antragsgegners für die Sozialversicherungsbeiträge, die Beiträge für die Berufsgenossenschaft und die Beiträge für die Haftpflichtversicherung jeweils in Bezug auf die Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge keine Eintragungsmöglichkeit vorsehe, diese Kosten habe sie bei der Kalkulation jedoch berücksichtigt. Denn sie habe bei den Positionen 2.22 bis 2.24 den Prozentsatz auf der Grundlage der nach ihren Erfahrungswerten entstehenden absoluten Kosten für das einzusetzende Personal ermittelt, bei denen sie auch die Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge berücksichtigt habe.
29
Der Senat hat mit Beschluss vom 8. November 2022 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde einstweilen ohne nähere Prüfung der Erfolgsaussichten verlängert. Mit Beschluss vom 28. November 2022 hat der Senat der Antragstellerin und der Beigeladenen weitergehende Akteneinsicht in geschwärzte Teile in Schriftsätzen der Beteiligten gewährt und die Akteneinsichtsgesuche im Übrigen abgelehnt. Der Senat hat in diesem Beschluss zudem rechtliche Hinweise erteilt.
30
Die Antragstellerin hat ihren Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde am 20. Januar 2023 zurückgenommen.
31
Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 2023 Bezug genommen.
32
II. Die fristgerecht eingereichte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg. Ihr Nachprüfungsantrag ist unzulässig und wäre im Übrigen auch unbegründet.
33
1. Der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis, weil sie keine Indizien oder tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorzutragen vermochte, dass ihr durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht (§ 160 Abs. 2 Satz 2 GWB). Sie hat zwar durch die Abgabe eines Angebots ihr Interesse an dem Auftrag bekundet und die Verletzung bieterschützender Normen (§§ 57, 60 VgV) gerügt. Dies genügt hier jedoch deshalb nicht zur Begründung ihrer Antragsbefugnis, da ihre Annahme, aufgrund der geltend gemachten Vergaberechtsverstöße hätten sich ihre Zuschlagschancen verschlechtert, auf reinen Vermutungen beruht. Ihre Argumentation, bei Einhaltung der Kalkulationsvorgaben hätten die anderen Bieter nicht (deutlich) günstigere Angebote abgeben können, ist nicht plausibel.
34
Auch ihre weiteren Erläuterungen im Verfahren führen zu keiner anderen Beurteilung.
35
Der Prüfung zugrunde zu legen ist, dass das Angebot der Antragstellerin auf Platz 12 von 15 liegt, denn der Antragsgegner durfte nach § 42 Abs. 3 VgV die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung vornehmen. Er durfte sich somit auf die Prüfung der Eignung der Bieter beschränken, deren Angebote nach der Angebotsprüfung auf den ersten fünf Plätzen lagen.
36
Zur Begründung ihrer Antragsbefugnis müsste die Antragstellerin schlüssig Vergabeverstöße behaupten, die sich auf die Rangfolge der Angebote in der Weise auswirken können, dass ihr Angebot auf eine aussichtsreiche Rangstelle vorrückt (Horn/Hofmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 39; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 160 Rn. 34), oder die es gebieten, das Vergabeverfahren – bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht – noch weitergehend zurückzuversetzen. Nicht ausreichend zur Begründung der Antragsbefugnis wäre dagegen die Behauptung, die Beigeladene oder deren Angebot sei auszuschließen. Auch wenn diese Rüge begründet wäre, läge das Angebot der Antragstellerin auf Platz 11 von 14 Angeboten, sodass ein Schadenseintritt offensichtlich ausgeschlossen ist.
37
a) Die Antragstellerin greift die vom Antragsgegner festgestellte Bieterreihenfolge zwar an, indem sie insbesondere rügt, es sei unmöglich, dass die Angebote, die ihrem Angebot vorgingen, die Kalkulationsvorgaben eingehalten hätten, und der Antragsgegner habe nicht geprüft, ob die Preise auskömmlich seien. Insoweit erschöpft sich ihr Vorbringen jedoch in reinen Vermutungen. Ihre Ausführungen enthalten keine Anknüpfungstatsachen oder Indizien, die einen hinreichenden Verdacht begründen, die anderen Bieter hätten die Kalkulationsvorgaben nicht eingehalten. Sie enthalten auch keine Anknüpfungstatsachen oder Indizien für einen Verdacht, der Antragsgegner sei – entgegen den Ausführungen in seinem die Rüge zurückweisenden Schreiben – seiner Verpflichtung zur Überprüfung der Auskömmlichkeit der Preise nicht nachgekommen.
38
aa) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt der Argumentation der Antragstellerin.
39
(1) Der Senat folgt der Ansicht der Antragstellerin, der Antragsgegner habe Kalkulationsvorgaben gemacht, deren Einhaltung er zu überprüfen habe.
40
Aus Ziffer III.2.2) der Bekanntmachung ergibt sich, dass die als soziale Ausführungsbedingung nach § 128 Abs. 2 GWB bezeichnete Anwendung des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern vom 9. März 2021 als Ergänzung zum Manteltarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland in seiner jeweils gültigen Fassung bereits bei der Kalkulation zu beachten ist.
41
Die Bieter sind in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei, die Zulässigkeit von Kalkulationsvorgaben ist jedoch allgemein anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Mai 2018, VII Verg 24/17, juris Rn. 49; Dicks in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2022, § 56 Rn. 56 jeweils m. w. N.). Bedenken gegen die Bestimmtheit oder Zumutbarkeit der Kalkulationsvorgabe in Ziffer III.2.2) der Bekanntmachung bestehen nicht. Zweifel an der Bestimmtheit der Kalkulationsvorgaben ergeben sich hier auch nicht aus der Gestaltung des Kalkulationsblatts, denn die tarifrechtlichen Vorgaben sind in dem Formblatt umgesetzt worden. Der Tariflohn ist bei Position 1.00 einzutragen, die Zulagen nach § 6 Nr. 1 und Nr. 8 des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern bei den Positionen 1.10 und 1.20 sowie die Zuschläge nach § 5 Nr. I. 3. des Lohntarifvertrags bei den Positionen 1.40 bis 1.60.
42
Ein Verstoß gegen zulässige Kalkulationsvorgaben stellt einen zwingenden Ausschlussgrund dar (§ 57 Abs. 1 VgV), der öffentliche Auftraggeber ist daher verpflichtet zu überprüfen, ob die Kalkulationsvorgaben eingehalten wurden (vgl. Haak/Hogeweg in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, VgV § 56 Rn. 27).
43
(2) Anerkannt ist auch, dass § 60 Abs. 1 VgV bieterschützenden Charakter hat. Nach dieser Vorschrift ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, vom Bieter Aufklärung zu verlangen, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen.
44
bb) Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin jedoch ein, ihr Vortrag sei ausreichend, um ihre Antragsbefugnis zu begründen. Ihre Argumentation ist nicht plausibel, denn die Antragstellerin blendet insbesondere den ihr bekannten Umstand aus, dass sie einige der tarifvertraglichen Mindestvorgaben, die bei der Kalkulation zu beachten waren, deutlich überschritten hat.
45
(1) Da sich die Prüfung der Angebote auf Einhaltung der Kalkulationsvorgaben ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle abspielt und die Antragstellerin keinen Einblick in die Angebote der anderen Bieter hat, ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass sie Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorträgt, die einen hinreichenden Verdacht auf den gerügten Verstoß gegen § 57 Abs. 1 VgV begründen. Ein Bieter darf im Nachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines – oft nur beschränkten – Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, reine Vermutungen reichen dagegen nicht aus (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. August 2022, Verg 18/21, juris Rn. 67; OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Oktober 2021, 54 Verg 5/21, juris Rn. 264 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021, Verg 9/21, NZBau 2021, 632 [juris Rn. 42] und Beschluss vom 1. April 2020, Verg 30/19, NZBau 2020, 739 [juris Rn. 41] jeweils m. w. N.). Daraus folgt, dass Nachprüfungsanträge nicht mit pauschalen und substanzlosen Behauptungen in der Erwartung gestellt werden können, die Amtsermittlung werde zum Nachweis des Verstoßes führen (vgl. Schäfer in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 160 Rn. 67).
46
Soll der Zuschlag nach der Vorabinformation (§ 134 Abs. 1 GWB) auf ein Angebot mit einem Preis erteilt werden, den der Antragsteller für unangemessen niedrig hält, gehört es in Anbetracht der einschlägigen Regelungen in § 60 VgV zur Schlüssigkeit, genügt insoweit aber auch, dass die Unangemessenheit des Preises indizierende Umstände dargelegt werden. Regelmäßig wird es sich dabei um die Höhe des beanstandeten Preises und den Abstand zum eigenen bzw. zum nächstgünstigen Angebot handeln (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16, BGHZ 214, 11 Rn. 12 f.; BayObLG, Beschluss vom 31. August 2022, Verg 18/21, juris Rn. 68; OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Oktober 2021, 54 Verg 5/21, juris Rn. 267 jeweils m. w. N.).
47
(2) Den Ausführungen der Antragstellerin lässt sich keine plausible Erklärung entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen oder Indizien sie davon ausgehen durfte, alle ihrem Angebot preislich vorgehenden Angebote beachteten die Kalkulationsvorgaben nicht. Gleiches gilt für die Vermutung, der Antragsgegner sei zur Preisprüfung verpflichtet gewesen.
48
Die bloße, nicht näher ausgeführte Berufung der Antragstellerin auf ihre „Fach- und Marktkenntnisse“ im Schriftsatz vom 13. Januar 2023 genügt nicht. Insoweit unterscheidet sich der Fall von dem, der der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. April 2011 (Verg 58/10, juris Rn. 54 und 21) zugrunde lag.
49
Der Vortrag der Antragstellerin beschränkt sich – hinsichtlich beider Rügen – darauf, sie habe „mit lediglich minimalst möglichen Zuschlägen“ kalkuliert. Der Schluss von der (subjektiven) Annahme, sie habe äußert knapp kalkuliert, auf einen vermuteten Vergaberechtsverstoß erscheint hier überhaupt nur deshalb denkbar, weil der Antragsgegner Kalkulationsvorgaben gemacht hat; er ist aber nur dann tragfähig, wenn die Antragstellerin nicht mit Preisen kalkuliert hat, die über die in Ziffer III.2.2) der Bekanntmachung i.V. m. dem Lohntarifvertrag Nr. 36 für Sicherheitsleistungen in Bayern vorgegebenen Mindestpreise oder Prozentangaben hinausgehen (s. u. Buchst. [a]). Jedenfalls bei den Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit (Positionen 1.40 bis 1.60) hat sie jedoch – bewusst – deutlich höhere Prozentsätze angegeben als sie sich aus § 5  Nr. I. 3 des Lohntarifvertrags Nr. 36 ergeben (s. u. Buchst [b]). Auch die Argumentation der Antragstellerin, im Lauf des Verfahrens habe sich gezeigt, dass die Beigeladene mit einer um 4 Prozentpunkte zu niedrigen Schichtleiterzulage (Position 1.20) kalkuliert habe, was der Antragsgegner offensichtlich nicht erkannt habe, vermag ihre Antragsbefugnis nicht zu begründen, denn allein der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen würde ihre Zuschlagschancen nicht erhöhen (s. u. Buchst [c]). Auf die Frage, ob die Antragstellerin redlicherweise davon ausgehen durfte, für Schichtleiter sei eine Zulage in Höhe von 12% zu zahlen, kommt es nicht an. Selbst wenn man dies zugunsten der Antragstellerin unterstellt, durfte sie allein wegen der angegebenen Prozentsätze für Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge nicht davon ausgehen, die Konkurrenten hätten bei Einhaltung der Vorgaben keine günstigeren Angebote abgeben können als sie.
50
(a) Die Antragstellerin hat zwar im Schriftsatz vom 13. Januar 2023 und in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sich ihre Aussage, sie habe lediglich mit minimalen Zuschlägen kalkuliert, auf die auftragsbezogenen Kosten (Position 3.00), die unternehmensbezogenen Kosten (Position 4.00) und den Zuschlag für Wagnis und Gewinn (Position 6.00) bezog. Da sie aber mit wesentlich höheren Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit kalkuliert hat, als dies vorgegeben war (s. u. Buchst. b]), ist es ohne weiteres möglich, dass Bieter, die bei der Kalkulation die zwingenden Vorgaben des Tarifvertrags einhalten, aber nicht darüber hinausgehen, günstigere Angebote abgeben.
51
Hinsichtlich der Rüge, der Antragsgegner sei verpflichtet gewesen, in eine Prüfung nach § 60 VgV einzutreten, ist schon nicht nachvollziebar, wie – bei Einhaltung der Kalkulationsvorgaben – die von der Rechtsprechung anerkannten Aufgreifschwellen erreicht werden könnten. Andere Gesichtspunkte zeigt die Antragstellerin jedoch nicht auf, obwohl der Antragsgegner bereits in seinem die Rüge zurückweisenden Schreiben vom 4. August 2022 ausgeführt hat, die Aufgreifschwellen seien nicht erreicht.
52
(b) Bei den Positionen 1.40 bis 1.60 hat die Antragstellerin nicht nur deshalb – in absoluten Zahlen – höhere Zuschläge angegeben, weil sie von einer Schichtleiterzulage in Höhe von 1,54 € ausging, die in die Zwischensumme I Lohn (Position 1.30) einfließt, sondern auch deshalb, weil sie mit höheren Prozentsätzen kalkuliert hat, als sie in § 5 Nr. I. 3. des Lohntarifvertrags Nr. 36 für Sicherheitsdienstleistungen in Bayern vorgegeben sind. Die von ihr angegebenen Prozentsätze liegen auch über denen, die sich ergeben, wenn man die in ihrer Rüge bei der Gegenüberstellung des bayerischen und des hessischen Tarifvertrags genannten Zahlen zugrunde legt. Schon daraus ergibt sich, dass die Antragstellerin redlicherweise nicht davon ausgehen durfte, die ihr vorgehenden Bieter hätten die Kalkulationsvorgaben nicht eingehalten.
53
Unbehelflich ist die erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Argumentation der Antragstellerin, sie habe mit höheren Nacht-, Sonntags- und Feiertagszulagen kalkuliert, um die Kosten zu berücksichtigen, die dadurch entstehen, dass Lohnersatzleistungen in vollem Umfang steuer- und sozialversicherungspflichtig sind. Dies ist schon deshalb nicht plausibel, da die dort angegebenen (höheren) Prozentsätze für die tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit gelten. Sollten diese Zuschläge aber nicht vollständig für die tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt werden, sondern zum Teil andere im Zusammenhang mit der Entgeltfortzahlung anfallende Kosten abdecken, erschiene es zweifelhaft, ob ihr Angebot die geforderten Preisangaben enthielte.
54
(aa) Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge für geleistete Arbeit sind im Streitfall nicht sozialversicherungspflichtig, weil das Entgelt, aus dem sie berechnet werden, nicht mehr als 25 € pro Stunde beträgt. Dies wird in dem Kalkulationsblatt zutreffend erläutert.
55
Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge, die bei der Entgeltfortzahlung und bei der Berechnung des Urlaubsentgelts zu berücksichtigen sind (§ 4 EntgFG, § 11 Abs. 1 BUrlG), sind dagegen weder nach § 3b Abs. 1 EStG lohnsteuerfrei noch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) i.V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB IV beitragsfrei. Denn die Steuerfreiheit, von der die Beitragsfreiheit abhängt, gilt nur für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit (vgl. BFH, Beschluss vom 27. Mai 2009, VI B 69/08, BFHE 225, 137, BStBl II 2009, 730, Rn. 3; vgl. auch LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 27. April 2022, L 6 BA 33/21, juris Rn. 50 ff.; Thüringer LSG, Urt. v. 17. Februar 2021, L 3 R 147/20, juris Rn. 55 ff. jeweils m. w. N.)
56
(bb) Der Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung auf Urlaubsentgelt, Arbeitsfreistellung und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist in den Positionen 2.22 bis 2.24 zwar enthalten, der Hinweis der Antragstellerin, in dem vorgegebenen Kalkulationsblatt werde bei diesen Positionen jeweils auf die „Zwischensumme I Lohn“ (Position 1.30) Bezug genommen, ist jedoch zutreffend. Gleichwohl können die Kosten für die Sozialversicherung auf diese Positionen vollständig, d. h. unter Berücksichtigung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge problemlos berücksichtigt werden. Dies stellt letztlich auch die Antragstellerin nicht in Abrede. Die bei den Soziallöhnen einzutragenden Prozentsätze beruhen auf einer Schätzung des Bieters, beispielweise der durchschnittlichen Krankheitstage pro Jahr. Dabei können – wie auch die Berechnung der Beigeladenen zeigt – die nach der Prognose des Bieters insgesamt anfallenden Soziallöhne einschließlich der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge und der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge auf die anfallenden Arbeitsstunden umgelegt werden.
57
(cc) Nicht nachvollzogen werden kann dagegen die Argumentation der Antragstellerin, sie habe wegen der Sozialversicherungspflicht der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge im Rahmen der Entgeltfortzahlung bei den Positionen 1.40 bis 1.60 höhere Prozentsätze angegeben und die Berücksichtigung der Mehrkosten bei diesen Positionen sei ebenso zulässig wie der unter Buchstabe (bb) beschriebene Weg.
58
Dies begegnet zum einen deshalb Bedenken, weil die öffentlichen Auftraggeber ein – hier durch § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV – geschütztes Interesse daran haben, dass die Preise durchweg korrekt angegeben werden (vgl. BGH, Urt. v. 13. September 2022, XIII ZR 9/20, NZBau 2023, 57 Rn. 19; Urt. v. 19. Juni 2018, X ZR 100/16, BGHZ 219, 108, Rn. 15, 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. November 2018, Verg 48/18, juris Rn. 64; Dicks in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 56 Rn. 58). Denn ein transparentes und auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Vergabeverfahren ist nur zu erreichen, wenn in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebender Hinsicht und grundsätzlich ohne weiteres vergleichbare Angebote abgegeben werden (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2004, X ZB 7/04, BGHZ 159, 186 [193 f. juris Rn. 23]). Die von der Antragstellerin bei den Positionen angegebenen Prozentsätze 1.40 bis 1.60 sind nur dann zutreffend, wenn sie ihrer Kalkulationen zugrunde gelegt hat, diese Zuschläge für geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit tatsächlich zu bezahlen. In diesem Fall wären allerdings die Mehrkosten, die sie mit den höheren Zuschlägen vermeintlich berücksichtigen wollte, entgegen ihrer Behauptung gerade nicht berücksichtigt.
59
Zum anderen hat die Antragstellerin ihre Behauptung dem Senat trotz des Hinweises vom 28. November 2022 nicht anhand konkreter Zahlen erläutert, sodass ihre Argumentation auch aus diesem Grund nicht nachvollziehbar ist. (c) Die Rüge der Antragstellerin, die Kalkulationsvorgabe (§ 6 Nr. 1 Buchst. c] des Lohntarifvertrags Nr. 36) sei nicht eingehalten, weil bei der Zulage für Schichtleiter durchgängig von einer Mitarbeiterzahl von 15 oder mehr auszugehen sei, bezieht sich ausschließlich auf die Beigeladene. Nach Ansicht der Antragstellerin sei deren Angebot auszuschließen, weil sie mit einer Schichtleiterzulage in Höhe von nur 8% statt in Höhe von 12% kalkuliert habe. Selbst wenn die Beigeladene so hätte kalkulieren müssen, was im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu Gunsten der Antragstellerin unterstellt werden kann, würde der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen die Zuschlagschancen der Antragstellerin nicht erhöhen.
60
Hinsichtlich der anderen Bieter hat die Antragstellerin keine Anhaltspunkte oder Indizien vorgebracht, die dafür sprächen, auch die anderen Bieter könnten gegen diese Vorgabe verstoßen haben. Der Senat hatte mit Beschluss vom 28. November 2022 weitergehende Akteneinsicht gewährt, u. a. um allen Beteiligten rechtliches Gehör zur Frage der Schichtleiterzulage zu gewähren. Er hat zudem darauf hingewiesen, dass jedenfalls das – nach Ausschluss von drei Angeboten – zweitplatzierte Angebot die Kalkulationsvorgaben vollständig berücksichtigt habe. Unterstellt man die Rechtsansicht der Antragstellerin zur Höhe der Schichtleiterzulage als zutreffend, hätte dies deshalb nur zur Folge, dass das Angebot der Beigeladenen auszuschließen wäre. Warum die Wertung des Antragsgegners, wie die Antragstellerin meint, insgesamt keinen Bestand haben könnte und zu wiederholen wäre, legt sie nicht dar. Weitergehende Akteneinsicht war der Antragstellerin auf ihren – im Schriftsatz vom 16. Dezember 2022 wiederholten Antrag – nicht zu gewähren.
61
b) Vergabeverstöße, die es gebieten, nicht nur die Prüfung und Wertung der Angebote zu wiederholen, sondern das Verfahren in den Stand vor der Bekanntmachung der Ausschreibung zurückzuversetzen, behauptet die Antragstellerin nicht.
62
Einem Bieter, der sich an dem beanstandeten Vergabeverfahren durch die Abgabe eines Gebots beteiligt hat, droht zwar regelmäßig ein Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB durch eine Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren aufgrund schwerwiegender Mängel nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09 – Endoskopiesystem, BGHZ 183, 95, Rn. 31 f.; OLG Koblenz, Beschluss vom 12. Dezember 2022, Verg 3/22, juris Rn. 32 f. m. w. N.; Horn/Hofmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rn. 35 ff.; Schäfer in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 160 Rn. 71).
63
Die Antragstellerin macht aber keinen auf den Vergabeunterlagen gründenden Verstoß des Antragsgegners gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz geltend.
64
2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wäre im Übrigen auch unbegründet, da ihr Angebot nach § 57 Abs. 1 VgV zwingend auszuschließen ist, weil die vorgelegten Referenzen die nach Ziffer III 1.3) der Bekanntmachung geltende Mindestanforderung Nr. 3 nicht erfüllen.
65
a) Es ist zwar keine die Zulässigkeit des Gesuchs um Nachprüfung beeinflussende Frage, ob das Angebot des antragstellenden Unternehmens ohnehin von der Wertung in dem eingeleiteten Vergabeverfahren hätte ausgeschlossen werden können oder müssen (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06 – Polizeianzüge, BGHZ 169, 131 Rn. 32 m. w. N.), ein Nachprüfungsantrag kann aber nur dann Erfolg haben, wenn neben einer Rechtsverletzung zusätzlich eine zumindest nicht ausschließbare Beeinträchtigung der Auftragschancen festgestellt werden kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 12. Mai 2011, Verg 26/10, juris Rn. 73; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2010, VII-Verg 10/10, juris Rn. 21; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 168 Rn. 7 m. w. N.; a. A. Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, GWB, § 168 Rn. 28) .
66
Daran fehlt es hier.
67
b) Das Angebot der Antragstellerin ist zwingend nach § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV auszuschließen, weil sie die Eignungskriterien nicht erfüllt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Juni 2021, Verg 48/20, juris Rn. 39). Die Antragstellerin hat zwar wie gefordert drei Referenzen mit ihrem Angebot vorgelegt, keine dieser Referenzen bezieht sich aber auf Aufträge, bei denen durchgängig, d. h. sowohl in der Tagschicht als auch in der Nachtschicht 2 Schichtleiter eingesetzt waren. aa) Die Vorgabe in Ziffer III 1.3) der Bekanntmachung beruht auf § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB, § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV.
68
bb) Maßgeblich für das Verständnis der Vergabeunterlagen ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter. Dabei ist auf einen verständigen und sachkundigen, mit den einschlägigen Beschaffungsleistungen vertrauten Bieter abzustellen (BGH, Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10, juris Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 31. August 2022, Verg 18/21, juris Rn. 100; OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. November 2019, 11 Verg 4/19, juris Rn. 39).
69
Nach diesem Maßstab ergibt sich aus den Vergabeunterlagen eindeutig, dass die an den Personalumfang der Referenzen in Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung gemachten Anforderungen zwingend einzuhalten sind. Dies stellt auch die Antragstellerin nicht in Abrede.
70
Die Auslegung der Antragstellerin, die danach zulässige Abweichung um 20% nach unten sei hinsichtlich der Schichtleiter dahin zu verstehen, dass es ausreiche, wenn bei den Referenzaufträgen nur 1 Schichtleiter eingesetzt gewesen sei, überzeugt nicht. Daraus, dass in der Bekanntmachung die in Ziffer 3.3. Buchst. b) des Leistungsverzeichnisses enthaltenen Vorgaben hinsichtlich des Umfangs des einzusetzenden Personals vollständig wiedergegeben werden, also auch bezüglich der Schichtleiter, entsteht auch keine Unklarheit. Richtig ist, dass der sich rechnerisch ergebende Einsatz von „1,6 Stück“ Schichtleitern nicht möglich ist. Die von der Antragstellerin vertretene Auslegung würde jedoch im Ergebnis dazu führen, dass der vorgegebene Personaleinsatz bei Schichtleitern um 50% abweichen dürfte. Für diese Auslegung finden sich in der Bekanntmachung jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Sie ist nicht vereinbar mit dem Wortlaut, die im Referenzauftrag pro Schicht eingesetzten Mitarbeiter/innen dürften den für den streitgegenständlichen Auftrag vorgegebenen Personalumfang „um maximal 20%“ [Anmerkung: Hervorhebung nicht im Original] unterschreiten.
71
Mit den von der Antragstellerin vorgelegten Referenzen hat sie den Nachweis für die an die Eignung gestellten Mindestanforderung somit nicht erbracht. Ihr Angebot ist gemäß § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 VgV zwingend von der Wertung auszuschließen,
72
cc) Die Voraussetzungen für eine Nachforderung von Unterlagen nach § 56 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 VgV liegen nicht vor, sodass es einer Ermessensentscheidung des Antragsgegners (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. November 2021, 11 Verg 2/21, juris Rn. 96 ff.) nicht bedurfte.
73
Fehlerhafte Unterlagen können nur in engen Grenzen korrigiert werden; der Bieter darf insbesondere nicht weitere, neu zu prüfende Referenzen vorlegen und dadurch seine Eignungsnachweise nachbessern (vgl. Dittmann in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 56 Rn. 32).
74
Die von der Antragstellerin vorgelegten Referenzen entsprechen inhaltlich nicht den Vorgaben, sie weisen nicht nur formale Mängel auf, die es rechtfertigen könnten, sie als „fehlende“ Unterlagen zu qualifizieren (vgl. OLG München, Beschluss vom 17. Dezember 2019, Verg 25/19, juris Rn. 16). Die Antragstellerin ist im Übrigen den entsprechenden Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 26. August 2022 nicht entgegengetreten.
75
c) Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin schließlich ein, es sei rechtsmissbräuchlich, wenn sich der Antragsgegner auf diesen Ausschlussgrund berufe, obwohl er nicht Gegenstand des Informationsschreibens gewesen sei.
76
Die Vergabestelle hat gemäß § 42 Abs. 3 VgV die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung vorgenommen und infolgedessen auch im Informationsschreiben nach § 134 GWB nur mitgeteilt, dass das Angebot der Beigeladenen wirtschaftlicher sei. Sie hat die Eignung der Antragstellerin somit nicht bejaht. Schon daran scheitert ein Vertrauenstatbestand, der für den Bieter anders als im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb im offenen Verfahren ohnehin nicht begründet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, BGHZ 199, 327 Rn. 33).
77
3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der notwendigen Auslagen der Beteiligten beruht auf § 175 Abs. 2 i.V. m. § 71 Satz 1 GWB. Die Kostentragungspflicht umfasst nach Rücknahme des diesbezüglichen Antrags auch das Verfahren nach § 173 GWB. Da sich die Beigeladene aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt hat, sind von der Antragstellerin auch deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
78
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt gemäß § 50 Abs. 2 GKG (5% des Bruttoauftragswerts). Basis der Berechnung ist die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin, die die Leistungen für einen Monat umfasst. Da die Ausschreibung eine feste Grundlaufzeit von einem Jahr vorsieht und sich der Vertrag nach Ziffer II.2.7) der Bekanntmachung um maximal drei weitere Jahre verlängern kann, hat der Senat für das erste Jahr den vollen Jahresbetrag zugrunde gelegt, für die Folgejahre nur 50% dieses Betrags (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2014, X ZB 12/13, juris Rn. 7 und 13; BayObLG, Beschluss vom 5. August 2022, Verg 7/22, juris Rn. 11; Beschluss vom 25. Juli 2022, Verg 6/22, juris Rn. 7). Hieraus errechnet sich ein Streitwert von bis zu 470.000,00 €.