Inhalt

OLG München, Beschluss v. 27.09.2023 – 33 Wx 164/23 e
Titel:

Auslegung des Begriffs des Ersatzerben in einem Erbvertrag

Normenkette:
BGB § 133, § 157, § 2084, § 2100, § 2247
Leitsätze:
1. Zur Auslegung eines notariellen Erbvertrages, in dem der zweite Erbfall nicht mit dem Begriff des Schlusserben, sondern dem des Ersatzerben geregelt wird. (Rn. 12 – 18)
2. Für die grundsätzlich bestehende Möglichkeit, auch notarielle Verfügungen zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens auszulegen (Anschluss an: BGH, Urteil vom 06.12.1989, IVa ZR 59/88, NJW-RR 1990, 391; Senat, 33 U 6666/21, ZEV 2022, 659), ist kein Raum, wenn sich aus der Urkunde keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass juristische Fachbegriffe unzutreffend gebraucht worden wären. (Rn. 11)
Schlagworte:
Erbvertrag, notarielle Urkunde, Auslegung, Rechtsbegriff, Vorversterben, Ersatzerbe, Schlusserbe, zweiter Erbfall
Vorinstanz:
AG Fürstenfeldbruck, Beschluss vom 28.03.2023 – 1 VI 1868/21
Fundstellen:
ErbR 2024, 203
FamRZ 2024, 309
NJW 2024, 159
RNotZ 2024, 131
NJW-RR 2024, 9
FuR 2024, 291
LSK 2023, 31461
ZEV 2024, 269
BeckRS 2023, 31461

Tenor

1. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck – Nachlassgericht – vom 28.03.2023, Az. 1 VI 1868/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
3. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten sind die Kinder der am … 2021 verstorbenen Erblasserin. Der Ehemann der Erblasserin ist am … 2020 vorverstorben. Die Ehegatten hatten am 30.12.2015 einen notariellen Erbvertrag errichtet, in dem es in Ziffer II. 2. auszugsweise wie folgt heißt:
„a) Erbfolge nach dem Erstversterbenden
Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Vollerben ein, sodass der gesamte Nachlass des Erstversterbenden von uns dem Längerlebenden allein zufällt.
b) Ersatzerbenberufung
Für den Fall, dass der jeweils andere von uns nicht Erbe sein kann oder will, setzt jeder von uns unsere Tochter … [= Beteiligte zu 1] zu seinem alleinigen und ausschließlichen Ersatzerben ein.
e) Änderungsbefugnis
Dem Längerlebenden von uns bleibt ausdrücklich das Recht vorbehalten, nach dem Tod des Erstversterbenden von uns anderweitig von Todes wegen zu verfügen …, immer jedoch nur im Kreise unserer gemeinsamen Kinder und deren Abkömmlinge. …“
2
Auf der Grundlage dieses Erbvertrages beantragte die Beteiligte zu 1 am ... 2022 bzw. am ... 2022 einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist.
3
Der Beschwerdeführer beantragte ebenfalls am ... 2022 einen Erbschein, der die Beteiligte zu 1 und ihn als Erben zu je ½ aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausweist. Er ist der Ansicht, der notarielle Erbvertrag vom 30.12.2015 enthalte keine Regelung für den hier in Rede stehenden Tod des überlebenden Ehegatten.
4
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 28.03.2023 den Erbscheinsantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen und die Erteilung eines Alleinerbscheins zugunsten der Beteiligten zu 1 angekündigt.
5
Dagegen wendet sich die Beschwerde vom 28.04.2023, in der der Beschwerdeführer seinen bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft.
6
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 16.06.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
7
Die zulässige Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
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Der Senat teilt die Ansicht des Nachlassgerichts, dass die Beteiligte zu 1 die Erblasserin allein beerbt hat.
9
1. Maßgeblich für die Erbfolge ist der notarielle Erbvertrag vom 30.12.2015, in dem die Beteiligte zu 1 als Ersatzerbin für den Erstversterbenden eingesetzt wurde. Der (Ersatz-)erbfall ist eingetreten, weil der zunächst berufene Ehemann der Erblasserin nicht Erbe sein kann, da er bereits vorverstorben ist.
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2. Soweit der Beschwerdeführer dagegen einwendet, aus dem Erbvertrag ergebe sich nicht, dass mit der Ersatzerbeneinsetzung gleichzeitig auch die Erbfolge nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten geregelt werden sollte, da sich „die Regelung eines Schlusserben ausdrücklich und zweifelsfrei nicht [findet]“, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg.
11
a) Zwar wären grundsätzlich auch notarielle Urkunden zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens der Auslegung zugänglich (BGH, Urteil vom 06.12.1989, IVa ZR 59/88, NJW-RR 1990, 391; Senat, 33 U 6666/21, ZEV 2022, 659), obwohl wegen der Beratungs- und Belehrungspflicht des Notars aus § 17 BeurkG bei der Verwendung juristischer Begriffe in notariellen Testamenten eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass objektiver Erklärungsinhalt und Erblasserwille übereinstimmen. Es bedarf aber konkreter Anhaltspunkte, um die Vermutung der Richtigkeit zu entkräften.
12
b) Vorliegend hat der Senat allerdings keine Zweifel, dass die verwendeten juristischen Begriffe zutreffend verwendet worden sind und sich das vom Nachlassgericht gefundene Ergebnis zwangsläufig aus diesen ergibt.
13
aa) Der Beschwerdeführer hält den notariellen Erbvertrag deswegen für auslegungsbedürftig und lückenhaft, weil dieser den im juristischen Sprachgebrauch gebräuchlichen Begriff des „Schlusserben“ nicht verwendet und deswegen fraglich sei, ob auch der zweite Erbfall geregelt wurde. Ohne eine solche Regelung komme gesetzliche Erbfolge zur Anwendung.
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bb) Diese Einwände verhelfen der Beschwerde schon deswegen nicht zum Erfolg, weil das Gesetz den Begriff des Schlusserben selbst nicht kennt, so dass aus diesem Umstand keine Schlüsse zugunsten des Beschwerdeführers gezogen werden können. Zwar trifft es zu, dass im Falle der Vollerbschaft, d. h. wenn im ersten Erbfall der überlebende Ehegatte nicht lediglich Vorerbe im Sinne der §§ 2100 ff. BGB wird, derjenige, der nach dem Tod des Letztversterbenden bedacht ist, oft als Schlusserbe bezeichnet wird. Gleichwohl wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Verwendung eines Begriffes, den das Gesetz nicht kennt, in notariellen Urkunden problematisch ist und die Bezeichnung als Ersatzerbe deswegen vorzugswürdig sei (Britz, RNotZ 2001, 389).
15
Tatsächlich aber führt der Tod des ersten Ehegatten dazu, dass dieser im zweiten Erbfall nicht (mehr) Erbe sein kann, so dass seine Erbeinsetzung durch den überlebenden Ehegatten ins Leere geht. Eine dadurch mögliche Regelungslücke wird vermieden, wenn ein Ersatzerbe benannt ist, denn dieser tritt an die Stelle desjenigen, der nicht Erbe sein will oder – wie im vorliegenden Fall – nicht sein kann.
16
cc) Da zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der beurkundende Notar den Begriff des Ersatzerben untechnisch verwendet hat und § 2096 BGB gerade den Fall erfasst, dass „ein Erbe vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls wegfällt“, hat es bei dem vom Nachlassgericht gefundenen Ergebnis sein Bewenden. Soweit der Beschwerdeführer wiederholt vorträgt, Schlusserbe und Ersatzerbe seien unterschiedliche Rechtsinstitute, kann das vor diesem Hintergrund der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
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dd) Schließlich spricht die ausdrücklich vereinbarte Abänderungsbefugnis im Erbvertrag dafür, dass die Ehegatten den zweiten Erbfall ebenfalls geregelt haben, denn wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden anderweitig verfügen darf, macht dies nur Sinn, wenn für den zweiten Erbfall bereits eine Regelung getroffen worden ist.
18
ee) Soweit sich der Beschwerdeführer schließlich auf Begleitumstände beruft, die gegen seine Enterbung sprächen, erkennt der Senat in diesen keine Relevanz für die Auslegung der vorliegenden Verfügung. Dass die Beteiligte zu 1 bereits vor dem Erbfall am Vermögen ihrer Eltern partizipiert hat (wie der Beschwerdeführer im Übrigen auch), ist kein Indiz für eine Auslegung in die eine oder andere Richtung, selbst wenn es zutreffend sein sollte, dass die Beteiligte zu 1 zu Lebzeiten der Eltern bereits mehr erhalten hatte als der Beschwerdeführer. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Beteiligte zu 1 mit einem Vermächtnis zugunsten ihres Sohnes beschwert ist, das sowohl den noch vorhandenen Grundbesitz als auch das gesamte im Nachlass vorhandene Geldvermögen umfasst. Wirtschaftlich ist mithin in erster Linie der Enkel der Erblasser bedacht, nicht die Beteiligte zu 1 als deren Tochter.
III.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach trägt der Beschwerdeführer die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beteiligten zu 1 erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
20
Das Nachlassgericht hat den Wert des Nachlasses (§ 40 GNotKG) noch nicht ermittelt. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren blieb daher vorbehalten. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf die Hälfte des reinen Nachlasswertes festzusetzen sein.
21
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.