Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 31.10.2023 – 1 U 321/22 e
Titel:

Kein Schadensersatz im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
ZPO § 291, § 314, § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; BeckRS 2023, 11790; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; BeckRS 2023, 29087; OLG Bremen BeckRS 2023, 28546; OLG Köln BeckRS 2021, 61549; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; BeckRS 2022, 34107; BeckRS 2022, 36850; BeckRS 2022, 41600; BeckRS 2023, 27733; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2023, 12847; BeckRS 2023, 13677; BeckRS 2023, 12797; BeckRS 2023, 13675; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem bloßen Einsatz eines Thermofensters fehlt es an einem arglistigen Vorgehen der Automobilherstellerin, das die Qualifikation ihres Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein die Tatsache, dass es sich hinsichtlich des „Thermofensters“ um einen bereits vor 2010 allgemeinen Industriestandard handelt, führt nicht dazu, dass sich eine Herstellerin allein unter Berufung darauf oder damit entlasten kann, jedes Kraftfahrzeug mit einem Dieselmotor und einer Abgasrückführung verfüge über ein Thermofenster. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Herstellerin kann ein Verschulden iSd § 823 Abs. 2 BGB auch nicht in Form der Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden, wenn das KBA die von ihr verwendeten Funktionen nicht als unzulässig beurteilt hätte, sofern sie das KBA um entsprechende Auskunft gebeten oder gegenüber dem KBA schon vor Erteilung der einschlägigen Typgenehmigung alle Funktionen konkret offengelegt hätte. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, EA 896Gen2, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Hof, Endurteil vom 25.11.2022 – 11 O 49/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31419

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 25.11.2022, Az. 11 O 49/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Hof ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags die vorläufige Vollstreckung abwenden, soweit nicht dieBeklagte Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1
1. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Hof vom 25.11.2022, Az. 11 O 49/22, sowie den Hinweisbeschluss des Senats vom 28.07.2023 Bezug genommen.
2
Der Kläger hat im Berufungsverfahren zunächst beantragt,
Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 25.11.2022 wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Marke: Audi Fahrzeug-Identifizierungs-Nummer (FIN):
an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 36.800,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins – satz seit Rechtshängigkeit unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu zahlen, die sich aus folgender Formel ergibt: Kaufpreis x (Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – Kilometerstand bei Kauf) / (in das Ermessen des Gerichts gestellte Gesamtlaufleistung – Kilometer – stand bei Kauf).
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Antrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten des außergerichtli – chen Vorgehens in Höhe von 1.375,88 € freizustellen.
3
Mit Schriftsatz vom 29.09.2023 hat die Klagepartei ihre Anträge „geändert“ und beantragt im Berufungsverfahren zuletzt:
A. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 25.11.2022 wie folgt abgeändert:1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Marke: Audi Fahrzeug-Identifizierungs-Nummer (FIN):
an den Kläger einen Betrag in Höhe von 36.800,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins – satz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, unter Anrechnung einer Nutzungsentschädi – gung für die Nutzung des Fahrzeugs, die sich aus folgender Formel ergibt: Kauf – preis x (Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Kilometerstand bei Kauf) / (in das Ermessen des Gerichts gestellte Gesamtlaufleistung Kilome – terstand bei Kauf)
Hilfsweise:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden angemessenen Schadensersatz in Höhe von 5% bis15% des Kaufpreises des Fahrzeugs (36.800,00 €) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Antrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.375,88 € freizustellen.
B. nur hilfsweise:
Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
4
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung .
5
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
6
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung, die Berufungserwiderung und die weiteren von den Parteien im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze, jeweils mit Anlagen.Die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 25.11.2022, Az. 11 O 49/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Die Berufung ist weiterhin weder im Hauptantrag noch in den mit Schriftsatz vom 29.09.2023 gestellten Hilfsanträgen begründet.
7
Zur Begründung wird auf die vorausgegangenen Hinweise des Senats vom 28.07.2023 sowie vom 06.10.2023 Bezug genommen. Die Ausführungen des Klägers in den Stellungnahmen vom 15.09.2023, vom 29.09.2023 sowie vom 19.10.2023 zu den vorgenannten Hinweisbeschlüssen des Senats, die der Senat zur Kenntnis genommen und erwogen hat, geben auch nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage keinen Anlass, von der Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege abzusehen. Ergänzend ist lediglich noch folgendes auszuführen:
8
1. Zunächst ist nochmals festzuhalten, dass das gegenständliche Fahrzeug ausweislich des unstreitigen Tatbestandes der erstinstanzlichen Entscheidung bereits am 26.08.2015 und nicht am nicht am 29.03.2018 vom Kläger erworben, ebenfalls nicht mit einem Motor mit der Bezeichnung EA 897/ EA 897 EVO, sondern einem solchen mit der Bezeichnung EA 896 Gen. 2 versehen und dies, nachdem keine Tatbestandsberichtigung binnen gesetzlicher Frist vorgenommen wurde, gemäß § 314 ZPO auch im Berufungsverfahren zugrunde zu legen ist. Der wiederholt zum gegenständlichen Sachverhalt offensichtlich nicht passende Berufungsvortrag in den Schriftsätzen vom 15.09.2023 (dort unter III. S. 13 ff.) und zuletzt im Schriftsatz vom 19.10.2023 (dort unter I. S. 2 ff.) geht hier an der Sache völlig vorbei, sodass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen.
9
2. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung trägt, wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 26; Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 25 ff.), die klägerseits hier schon nicht schlüssig vorgetragen sind.
10
a) Bei dem bloßen Einsatz eines Thermofensters fehlt es – wie im Hinweisbeschluss vom 28.07.2023 dargestellt – an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 17). Allein aus einer objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage wird nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteile vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20).
11
Dabei kann unterstellt werden, dass ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung der Software, an denen es im Streitfall fehlt (BGH, Beschluss vom 09. März 2021 – VI ZR 889/20 –, Rn. 26, juris).
12
b) Der klägerische Sachvortrag dahingehend, es seien verschiedene Prüfstandserkennungs-Softwarekonfigurationen verbaut, ist ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt und nach wie vor nicht mit greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkten unterlegt. Die Klägerseite trägt keinerlei tatsächliche Umstände vor, die Anlass geben könnten, eine solche Funktionalität sei im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug verbaut. Insoweit ist der klägerische Sachvortrag dadurch geprägt, dass letztlich eine Vielzahl von technisch denkbaren Varianten, in umfangreichen allgemeinen Ausführungen vorgestellt und hierzu auf nicht auf den im gegenständlichen Fahrzeugtyp konkret verbauten Motor EA 896 Gen. 2 bezogene Privatgutachten vorgelegt werden, um in der Behauptung zu münden, eine solche Ausgestaltung sei auch hier vorzufinden.
13
c) Gleiches gilt für das Vorhandensein sämtlicher behaupteter (unzulässiger) Abschalteinrichtungen. Auch hier muss die gebotene Darlegung und der Nachweis einer angeblichen „unzulässigen Abschalteinrichtung“ grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein. Eine diesbezügliche sekundäre Darlegungs- oder gar Beweislast der Beklagten besteht auch hier nicht (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, Rz. 28 sowie Urteil vom 23. Februar 2022 – VII ZR 252/20).
14
Das KBA hat für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp unstreitig weder einen Rückruf noch ein verpflichtendes Softwareupdate angeordnet, und die Beklagte hat durch Vorlage zahlreicher Unterlagen dargelegt, dass nach Auskünften des KBA in Parallelrechtsstreiten im Motortyp V6, 3,0 l, EU-Norm 5, EA 896 Gen. 2, gerade keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde (vgl. Anlage B1 und Anlagenkonvolut B 2).
15
Vor diesem Hintergrund reichen die vom Kläger vorgetragenen Umstände für die substantiierte Darlegung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ nicht aus, seine Behauptungen hierzu erfolgen lediglich pauschal, ohne Bezug zum streitgegenständlichen Motor und damit ersichtlich ins Blaue hinein.
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3. Der Senat hält an seiner Auffassung im Hinweisbeschluss vom 28.07.2023 zur hypothetischen Genehmigung durch das KBA und zu dem daraus abzuleitenden unvermeidbaren Verbotsirrtum der Beklagten fest, sodass auch der nunmehr hilfsweise geltend gemachte Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf Bezahlung des Differenzschadens nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 08.05.2023, VIa ZR 1339/22, juris; Beschluss vom 08.05.2023, VIa ZR 1561/22, juris; Beschluss vom 15.05.2023, VIa ZR 1023/22, juris; Beschluss vom 15.05.2023, VIa ZR 1317/22, juris; Beschluss vom 22.05.2023, VIa ZR 1570/22, juris).
17
Der Senat verkennt nicht, dass allein die Tatsache, dass es sich hinsichtlich des „Thermofensters“ um einen bereits vor 2010 allgemeinen Industriestandard handelt, nicht dazu führt, dass sich die Beklagte allein unter Berufung darauf oder damit entlasten kann, jedes Kraftfahrzeug mit einem Dieselmotor und einer Abgasrückführung verfüge über ein Thermofenster (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rn. 70). Unabhängig davon hat das KBA jedoch – wie dem Senat aus einer Vielzahl von Parallelverfahren gerichtbekannt ist – bis in die jüngste Zeit auf Grundlage eigener technischer Überprüfungen und eigener rechtlicher Bewertung die Auffassung vertreten, dass das Thermofenster grundsätzlich zulässig sei.
18
Aus dem senatsbekannten und öffentlich zugänglichen (§ 291 ZPO) Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 ist zudem zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Daneben zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (BGH, Urteil vom 24.03.2022, III ZR 263/20, Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, 12 U 1464/19, Rn. 23).
19
Es kann angesichts dieser unsicheren Rechtslage für die Hersteller zur Zeit der Entwicklung und Installation des „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug sowie zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht von Fahrlässigkeit der Beklagten ausgegangen werden. Fahrlässigkeit setzt die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit des Handelns voraus; ein Rechtsirrtum des Handelnden schließt Fahrlässigkeit nur bei Unvermeidbarkeit aus. Ein Rechtsirrtum ist jedoch auch bei Anlegung des erforderlichen strengen Maßstabes dann ausnahmsweise unvermeidbar, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. Dafür genügt es, dass die zuständige Aufsichtsbehörde die Rechtsfrage zugunsten des Handelnden beantwortet hätte. Im vorliegenden Falle wäre jedoch angesichts der Üblichkeit solcher Schaltungen in Motorsteuerungen von Dieselfahrzeugen jedenfalls bis 2016 und der Nichtbeanstandung von „Thermofenstern“ durch das KBA als zuständige Aufsichtsbehörde sogar bis heute eine Auskunft des KBA an die Beklagte zur Zeit der Entwicklung und Installation des „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug sowie zum Zeitpunkt jedenfalls im Sinne der Zulässigkeit ergangen. Das KBA hat schließlich den verfahrensgegenständlichen Motor mehrfach auch in Kenntnis des dort verbauten Thermofensters überprüft; eine Beanstandung wurde nicht ausgesprochen, wie sich aus den verschiedenen, im Verfahren beklagtenseits vorgelegten amtlichen Auskünften des KBA ergibt (vgl. Anlage B1 und Anlagenkonvolut B 2).
20
Hätte also die Beklagte das KBA um entsprechende Auskunft gebeten oder gegenüber dem KBA schon vor Erteilung der hier einschlägigen Typgenehmigung alle Funktionen konkret offengelegt, hätte das KBA die von der Beklagten im Fahrzeug des Klägers verwendeten Funktionen nicht als unzulässig beurteilt. Mithin kann der Beklagten ein Verschulden i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB auch nicht in Form der Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. Oktober 2022 – 7 U 159/21 –, juris Rn. 75, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 08.05.2023, VIa ZR 1561/22, juris).
21
Nachdem somit ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten bereits dem Grunde nach nicht besteht, waren Ausführungen zur jeweils geltend gemachten Anspruchshöhe (vergleiche Schriftsatz vom 29.09.2023) nicht veranlasst.
22
4. Die Revision ist – entgegen der Rechtsansicht des Klägers – nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Insbesondere ist keine Grundsatzbedeutung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO gegeben. Diese setzt das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage voraus. Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (BVerfG, Beschluss vom 08.12.2010, 1 BvR 381/10, Tz. 12 m.w.N.).
23
Dies ist hier nicht der Fall. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch den Bundesgerichtshof durch das Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 geklärt. Der Senat weicht hiervon nicht ab. Auch soweit die vorliegende Entscheidung im Ergebnis von der Einschätzung anderer Oberlandesgerichte abweicht, ist die Zulassung der Revision nicht geboten. Die im Rahmen des zum Ausschluss des Fahrlässigkeitsvorwurfs führenden Voraussetzungen des Verbotsirrtums haben hier vorgelegen. Nicht ersichtlich ist, dass ein insoweit identischer Sachverhalt von einem anderen Oberlandesgericht abweichend bewertet wurde.
III.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
25
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
26
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, §§ 3 ZPO bestimmt.