Titel:
Rechtsschutzbedürfnis bei Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen einen EU-Bürger
Normenketten:
AufenthG § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 7
FreizügG/EU § 7 Abs. 2, § 11 Abs. 14 S. 2
Leitsatz:
Ein gegen einen EU-Bürger gem. § 7 Abs. 2 FreizügG/EU angeordnetes Einreise- und Aufenthaltsverbot wird erst mit der Bestandskraft der Verlustfeststellung § 6 FreizügG/EU wirksam. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Rechtsschutzbedürfnis, EU-Bürger, Verlustfeststellung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31301
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
die aufschiebende Wirkung gegen Ziffer 2 des Bescheids der Zentralen Ausländerbehörde vom 11. Juli 2023 anzuordnen,
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist unzulässig, weil dem Antragsteller das für die Inanspruchnahme von gerichtlichem Eilrechtschutz erforderliche Rechtschutzbedürfnis fehlt. An diesem fehlt es insbesondere, wenn es des geltend gemachten Rechtsbehelfs zum Schutze der Rechtsposition des Antragstellers nicht bedarf. Dies ist vorliegend der Fall.
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Zwar hat – wie der Antragsteller zutreffend ausführt – eine gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gerichtete Klage kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, wie sich aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG ergibt (VGH BW, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – BeckRS 2019, 29732 Rn. 40 ff.).
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Ein solches Einreise- und Aufenthaltsverbot nach dem AufenthG ist hier aber nicht ergangen. Für den Antragsteller als Unionsbürger i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU), Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV ist vielmehr der auch im Bescheid als Rechtsgrundlage zitierte § 7 Abs. 2 FreizügG/EU einschlägig. Das AufenthG ist neben diesen Spezialregelungen für Unionsbürger nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG grundsätzlich nicht anwendbar, es sei denn durch Gesetz ist etwas anderes bestimmt. Entsprechende gesetzliche Regelungen finden sich in § 11 FreizügG/EU.
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Ein Verweis auf § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG kommt in diesem Zusammenhang einzig nach § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügG/EU in Betracht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind aber vorliegend nicht einschlägig, da durch die erhobene Anfechtungsklage die in Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids getroffene Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU noch nicht wirksam ist (§ 80 Abs. 1 VwGO) und das in Ziffer 2 angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot erst mit der Bestandskraft der Verlustfeststellung wirksam wird (vgl. Kurzidem in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.23, § 7 FreizügG/EU Rn. 9).
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Aus denselben Erwägungen ist es dem Antragsteller während des Hauptsacheverfahrens möglich, erwerbstätig zu sein, sodass auch insofern kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Dies folgt bei unterstellter Anwendbarkeit des AufenthG aus § 84 Abs. 2 Satz 2 Var. 3 AufenthG, nachdem der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Geht man wie das Gericht von einer Anwendbarkeit des AufenthG erst ab Bestandskraft der Verlustfeststellung aus, folgt dasselbe Ergebnis unmittelbar aus der unionsrechtlichen Freizügigkeit, die dem Antragsteller weiterhin und ohne gesonderte Beschäftigungserlaubnis die Erwerbstätigkeit gestattet. Auf die Fortgeltungsfiktion des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG käme es in diesem Fall nicht an.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn 1.5, 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.