Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 21.09.2023 – W 3 K 23.95
Titel:

Festsetzung von Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich

Normenketten:
GG Art. 5
RBeitrStV § 2 Abs. 1
BGB § 273, § 320
Leitsätze:
1. Die Verpflichtung zur Leistung von Rundfunkbeiträgen ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und beruht – anders als bei Streamingdiensten, bei denen die Kunden Abonnements abschließen – nicht auf einem Vertragsverhältnis. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Rundfunkbeiträge sind Abgaben und das Abgabenrecht ist von dem Rechtsgedanken beherrscht, dass ein Gegenanspruch nur dann Beachtung findet und die Nichterfüllung einer fälligen Beitragsforderung daher nur dann rechtfertigen kann, wenn der Abgabenpflichtige einen unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Anspruch gegen den Abgabengläubiger hat. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Entscheidung über die zur Erfüllung des Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms steht den Rundfunkanstalten zu, wobei der Rundfunk weder den Interessen des Staates noch einer gesellschaftlichen Gruppe oder gar dem Einfluss einer einzelnen Person untergeordnet oder ausgeliefert werden darf; vielmehr muss der Rundfunk die Vielfalt der Themen und Meinungen aufnehmen und wiedergeben, die in der Gesellschaft eine Rolle spielen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Verwaltungsgerichte sind im Rahmen einer Klage gegen die Rundfunkbeitragspflicht zur Prüfung der von der Klagepartei aufgeworfenen Fragen hinsichtlich Programmgestaltung, Programminhalten und möglicher struktureller Defizite bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie der Frage ausreichender Kontrolle all dessen durch Gremien und Aufsichtsbehörden nicht berufen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rundfunkbeitrag, Säumniszuschläge, Beitragspflicht, kein Gegenseitigkeitsverhältnis, kein subjektives Recht auf Programmgestaltung, Funktionsauftrag, Programmkritik, Programminhalt, Programmgestaltung, Gegenseitigkeitsverhältnis, Leistungsverweigerungsrecht, Zurückbehaltungsrecht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31295

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
I. Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich für seine Wohnung.
2
Der Beklagte führt unter der Beitragsnummer ... ein Beitragskonto für den Wohnsitz des Klägers unter der Anschrift …, … … Am 25. April 2022 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, dies mit der Begründung, dass der Bayerische Rundfunk seinem verfassungsrechtlichen Auftrag nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nachkomme, was für den Kläger eine besondere Härte darstelle.
3
Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Mai 2022 mit der Begründung ab, die vorgetragenen Gründe erfüllten nicht die Voraussetzungen eines Härtefalls.
4
Mit Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2022 setzte der Beklagte für die Zeit vom 1. Februar 2022 bis 31. Oktober 2022 rückständige Rundfunkbeiträge in Höhe von 173,24 EUR einschließlich eines Säumniszuschlages in Höhe von 8,00 EUR fest.
5
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit Schreiben vom 27. Dezember 2022, bei dem Beklagten eingegangen am 30. Dezember 2022.
6
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2023 zurück.
7
II. Der Kläger erhob darauf am 20. Januar 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg und beantragte,
den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 1.12.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.01.2023 aufzuheben.
8
Dies begründete er damit, dass ihm ein Leistungsverweigerungsrecht bzw. Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB oder § 273 BGB zustehe, welches auch im Öffentlichen Recht Anwendung finde. Die Rundfunkbeitragspflicht stehe dabei in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Beklagten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Solange der Beklagte seiner verfassungsrechtlichen Pflicht nicht nachkomme, bestehe seitens des Klägers ein Zurückbehaltungsrecht der Rundfunkbeiträge.
9
Der Kläger wirft dem Beklagten Versagen bei der Erfüllung des Funktionsauftrages zu und fügte als Belege hierfür verschiedene Beispiele der Berichterstattung zu Themen wie der Corona-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg an. Eine effektive Kontrolle der Programmgestaltung und von Programminhalten finde weder durch die rundfunkinternen Aufsichtsgremien noch durch Aufsichtsbehörden statt. Daher müssten die Verwaltungsgerichte nun diese Kontrolle vornehmen.
10
Der Beklagte ließ beantragen,
Die Klage wird abgewiesen.
11
Zur Begründung wurde ausgeführt, im Ergebnis ginge es nach der Auffassung des Klägers darum, dass das Verwaltungsgericht die „Richtigkeit“ der Programmbeiträge des Rundfunks überprüfe, wozu die Verwaltungsgerichte nicht zuständig seien. Selbst wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Programmauftrag nicht erfülle, so stelle dies keinen Grund für die Befreiung des Klägers von der Rundfunkbeitragspflicht dar.
12
Die öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten seien zu objektiver und sachlicher Berichterstattung verpflichtet, wobei auf die Einhaltung zahlreiche Kontrollgremien achten würden. Sollten diese Gremien ihren Kontrollpflichten nicht oder ungenügend nachkommen, stelle der Weg zu den Verfassungsgerichten offen. Abgesehen davon bestünden keine Anspruchsgrundlagen für die Feststellung, inwieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Funktionsauftrag nicht oder schlecht erfülle.
13
Der Beklagtenbevollmächtigte erteilte das Einverständnis zu einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 10. August 2023, der Kläger mit Schreiben vom 23. August 2023, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht Würzburg am 28. August 2023.
14
Ergänzend wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand dieses Verfahrens waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im vorliegenden Verfahren ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich beide Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.
16
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig und der Kläger deshalb nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit dem angegriffenen Bescheid hat der Beklagte rechtmäßig rückständige Rundfunkbeiträge einschließlich eines Säumniszuschlages festgesetzt. Die hiergegen erhobenen Einwände der Klagepartei greifen nicht durch.
17
Rechtsgrundlage für die Erhebung des Rundfunkbeitrags ist seit 1. Januar 2013 der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
18
Der Fünfzehnte Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Fünfzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag – 15. RÄStV), der in seinem Art. 1 den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag umfasst, wurde im Zeitraum vom 15. bis 21. Dezember 2010 von den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer unterzeichnet. Der Bayerische Landtag hat dem 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag mit Beschluss vom 17. Mai 2011 zugestimmt. Mit Bekanntmachung vom 7. Juni 2011 ist der Staatsvertrag im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 30. Juni 2011 (S. 258) veröffentlicht worden und nach Zustimmung aller Landesparlamente und Hinterlegung der Ratifikationsurkunden am 1. Januar 2013 in Kraft getreten (GVBl 2012, S. 18; s. Art. 7 Abs. 2 des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags; BayVerfGH, E.v. 14.5.2014 – Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12). Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag ist somit aufgrund seiner Ratifizierung durch den Bayerischen Landtag unmittelbar geltendes bayerisches Landesrecht geworden.
19
Im Übrigen sind die Fragen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit, insbesondere der Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags inzwischen höchstrichterlich und bindend geklärt (BVerwG, U.v. 18.3.2016 – 6 C 6/15 – juris; BVerfG, U.v. 18.7.2018 – 1 BvR 1675/16 – juris; BGH, B.v. 26.7.2018 – I ZB 78/17 – juris; EuGH, U.v. 13.12.2018 – C 492/17 – juris). Dies betrifft auch und gerade die Ausgestaltung als Beitrag und die Anknüpfung der Beitragspflicht an das Innehaben einer Wohnung (BVerfG, U.v. 18.7.2018 – 1 BvR 1675/16 – juris Rn. 59 ff.). Das Gericht sieht keine Veranlassung hiervon abzuweichen.
20
Die Festsetzung des Rundfunkbeitrages für den Zeitraum vom 1. Februar 2022 bis 31. Oktober 2022 in Höhe von 173,24 EUR einschließlich eines Säumniszuschlages in Höhe von 8,00 EUR ist rechtmäßig.
21
Nach § 2 Abs. 1 RBStV ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) der Rundfunkbeitrag zu entrichten. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV ist Inhaber einer Wohnung jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Nach Satz 2 wird als Inhaber jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet ist oder im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist. Der Rundfunkbeitrag ist monatlich geschuldet und für jeweils drei Monate zu leisten (§ 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 RBStV). Rückständige Beiträge werden durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt (§ 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV). Im hier maßgebenden Zeitraum betrug der Rundfunkbeitrag monatlich 18,36 EUR.
22
Der Kläger ist als Inhaber der Wohnung unter der Anschrift …, … … somit Beitragsschuldner. Die mit Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2022 festgesetzten Beiträge für die Zeit vom 1. Februar 2022 bis 31. Oktober 2022 waren zum Zeitpunkt der Festsetzung vollständig fällig und rückständig.
23
Der Kläger war zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, U.v. 30.10.2019 – 6 C 10/18 – juris Rn. 13) nicht von der Beitragspflicht befreit. Den Antrag des Klägers vom 25. April 2022 auf Befreiung von der Beitragspflicht lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18. Mai 2022 ab. Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Befreiung nach § 4 Abs. 6 RBStV. Der Kläger kann deshalb der Rechtmäßigkeit des Festsetzungsbescheides des Beklagten nicht entgegenhalten, dass in seiner Person die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht erfüllt wären bzw. im maßgeblichen Zeitraum vorgelegen hätten.
24
In § 4 Abs. 1, 2 und 6 Satz 2 RBStV sind Befreiungen und Ermäßigungen von der Beitragspflicht auf Antrag für Empfänger von Sozialleistungen zur Sicherung des Existenzminimums sowie für Menschen vorgesehen, denen der Rundfunkempfang wegen einer Behinderung gar nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV ist in besonderen Härtefällen von der Beitragspflicht zu befreien. Ein besonderer Härtefall nach § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Diese Voraussetzungen machte der Kläger nicht geltend.
25
In diesem Zusammenhang ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass maßgeblich für die Berücksichtigung einer Befreiung im Rahmen der Festsetzung von Rundfunkbeiträgen nicht das Vorliegen von Befreiungsvoraussetzungen, sondern die Erteilung der Befreiung durch den Beklagten ist. Im vorliegenden Fall lagen weder die Befreiungsvoraussetzungen vor, noch wurde dem Kläger eine Befreiung erteilt.
26
Die Festsetzung der rückständigen Beiträge mit dem Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2022 war nach alledem rechtmäßig. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht oder ein Leistungsverweigerungsrecht berufen. Darüber hinaus besteht zwischen dem Kläger und dem Beklagten kein Gegenseitigkeitsverhältnis, auf dessen Grundlage die Zurückbehaltung von Leistungen oder ein Leistungsverweigerungsrecht des Klägers denkbar wären.
27
Ein vertragliches Zurückbehaltungsrecht des Klägers, etwa aufgrund der Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 BGB, scheidet bereits deshalb aus, weil zwischen den Beteiligten kein Vertag geschlossen worden ist. Nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB kann derjenige die ihm obliegende Leistung verweigern, der aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist. Voraussetzung für die Anwendung von § 320 BGB ist ein schuldrechtlicher Vertrag, aus dem sich Leistungspflichten im Austauschverhältnis (sog. Synallagma) ergeben (Rüfner in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online Grosskommentar, Stand 1.4.2023, § 320 Rn. 5). Die Verpflichtung des Klägers zur Leistung von Rundfunkbeiträgen ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Dies ist bei Streamingdiensten, mit denen die Kunden Abonnements abschließen, anders. Für eine entsprechende Anwendung des § 320 BGB auf Fälle, in denen keinen synallagmatischen Leistungspflichten aufgrund eines Vertrages bestehen, ist schon aufgrund der Regelungen des § 273 BGB kein Raum.
28
Auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB (analog) kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Zwar kann grundsätzlich das Rechtsinstitut des Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB seinem Rechtsgedanken nach auch im öffentlichen Recht Anwendung finden (HessVGH, U.v. 7.11.1995 – 11 UE 2669/94 – juris Rn. 24; VG München, U.v. 21.9.2022 – M 3 K 22.3507 – juris Rn. 26). Jedoch kann diese Vorschrift und der ihr zu entnehmende Rechtsgedanke auf öffentlich-rechtliche Beziehungen außerhalb des öffentlichen Vertragsrechts nicht uneingeschränkt übertragen werden (OVG Hamburg, U.v. 18.1.1977 – Bf III 4/76 – juris Rn. 56; VG München, U.v. 21.9.2022 – M 3 K 22.350 – juris Rn. 26; Schmidt-Kessel in Dauner-Lieb/Langen, BGB, 4. Aufl. 2021, § 273, Rn. 6).
29
Rundfunkbeiträge sind Abgaben. Das Abgabenrecht ist von dem Rechtsgedanken beherrscht, dass ein Gegenanspruch nur dann Beachtung findet und die Nichterfüllung einer fälligen Beitragsforderung daher nur dann rechtfertigen kann, wenn der Abgabenpflichtige einen unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Anspruch gegen den Abgabengläubiger hat. Damit wird, vergleichbar der Aufrechnung, unter anderem sichergestellt, dass ein Abgabenschuldner sich seiner Zahlungsverpflichtung nicht durch die bloße Behauptung, es gebe noch klärungsbedürftige Gegenansprüche, entziehen kann (BayVGH, B.v. 4.2.2002 – 23 ZS 01.3171 – juris Rn. 8; VG München, U.v. 21.9.2022 – M 6 K 22.3507 – juris Rn. 26). Dieser Rechtsgedanke des Abgabenrechts spricht gegen eine entsprechende Anwendung des § 273 BGB.
30
Darüber hinaus ist die gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu berücksichtigen. Durch § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO hat der Gesetzgeber sich dafür entschieden, der öffentlichen Haushaltssicherheit generell Vorrang gegenüber dem privaten Aufschubinteresse einzuräumen (BayVGH, B.v. 16.7.1990 – 7 CS 90.1090 – juris). Die Klage gegen einen Festsetzungsbescheid hat keine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass die festgesetzten Beträge schon vor einer gerichtlichen Entscheidung auf der Grundlage des angegriffenen Bescheides vollstreckt werden können (VGH BW, B.v. 9.10.2020 – 2 S 1758/20 – NVwZ-RR 2021, 127).
31
Bei dem Verfahren zur Heranziehung von Rundfunkbeiträgen besteht zudem noch die Besonderheit, dass die Pflicht zur Entrichtung der Beiträge, anders als im Beitragsrecht sonst, ebenso wie die Fälligkeit bereits kraft Gesetzes besteht bzw. eintritt (§ 7 RBStV) und es deshalb eines vorherigen Erlasses eines Beitragsbescheides durch den Beklagten nicht bedarf, sondern die Zahlungsverpflichtung unabhängig von einer Zahlungsaufforderung entsteht (VGH BW, B.v. 9.10.2020 – 2 S 1758/20 – NVwZ-RR 2021, 127). Es besteht also auch vor diesem Hintergrund ein Interesse daran, dass die Finanzierungssicherheit des öffentlichen Rundfunks gewährleistet bleibt und nicht durch den weiten Anwendungsbereich eines Zurückbehaltungsrechts ausgehebelt wird (VG München, U.v. 21.9.2022 – M 6 K 22.35407- juris, Rn. 27), sodass das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB im vorliegenden Fall auch vor diesem Hintergrund nicht entsprechend angewendet werden kann.
32
Darüber hinaus steht dem festgesetzten Anspruch auch bereits kein unbestrittener oder rechtskräftig festgestellter Gegenanspruch gegenüber, der hier den Anwendungsbereich des § 273 BGB analog im öffentlichen Abgabenrecht eröffnen könnte, denn die Klagepartei behauptet lediglich, der öffentlichrechtliche Rundfunk erfülle seinen Programmauftrag nicht. Selbst wenn man also von der Anwendbarkeit eines Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB analog ausgehen wollte, mangelt es dem Kläger vorliegend jedenfalls an einem sich aus demselben rechtlichen Verhältnis ergebenden Gegenanspruch. Während auf der Seite der Beitragserhebung die gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung der Rundfunkbeiträge steht, besteht auf Seiten der Beitragsverwendung kein subjektiv-öffentliches Recht auf eine konkrete Programmgestaltung (VG München, U.v. 21.9.2022 – M 6 K 22.3507 – juris Rn. 30; VG Hamburg, U.v. 11.5.2023 – 3 K 4240/22 – juris Rn. 25).
33
Art. 5 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit. Die Rundfunkfreiheit dient der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Durch das Programm soll der Rundfunk zur Meinungsbildung beitragen (sog. Funktionsauftrag). Auch in Zeiten des Internets, welches unbegrenzten Zugang zu vielen Informationen bietet, leistet der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen wichtigen Beitrag zur freien Meinungsbildung. Der Prozess der Kommunikation, der ohne die Weitergabe, Verbreitung und Äußerung von Meinungen nicht möglich wäre, ist nicht mehr so stark von dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunk abhängig, wie dies noch zu den Zeiten war, in denen die wenigsten Bürger über technische Geräte leichten Zugang zum Internet hatten. Dennoch ist der Beitrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur freien Meinungsbildung immer noch wesentlich und nicht zu unterschätzen. Die Vermittlung von Informationen und Meinungen sowie die Äußerung von Meinungen erfolgt durch das Programm des Rundfunks, und zwar nicht nur durch dessen politischen und informierenden Teil. Rundfunkfreiheit bedeutet deshalb im Wesentlichen Programmfreiheit (BVerfG, U.v. 22.2.1994 – 1 BvL 30/88 – juris Rn.140 f.).
34
Die Entscheidung über die zur Erfüllung des Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms steht den Rundfunkanstalten zu (BayVGH, U.v. 7.7.2015 – 7 B 15.846 – juris Rn. 17). Der Rundfunk darf dabei weder den Interessen des Staates noch einer gesellschaftlichen Gruppe oder gar dem Einfluss einer einzelnen Person untergeordnet oder ausgeliefert werden. Der Rundfunk muss vielmehr die Vielfalt der Themen und Meinungen aufnehmen und wiedergeben, die in der Gesellschaft eine Rolle spielen (BVerfG, U. v. 22.2.1994 – 1BvL 30/88 – BVerfGE 90, 60). In der Art und Weise, wie die Rundfunkanstalten ihren gesetzlichen Funktionsauftrag erfüllen, sind sie frei (BVerfG, B.v. 20.7.2021 – 1 BvR 2775/20- juris Rn. 88). Das bedeutet aber weder, dass gesetzliche Programmbegrenzungen von vornherein unzulässig wären, noch, dass jede Programmentscheidung einer Rundfunkanstalt finanziell zu honorieren wäre. In der Bestimmung des Programmumfangs sowie in der damit mittelbar verbundenen Festlegung ihres Geldbedarfs können die Rundfunkanstalten nicht vollständig und grenzenlos frei sein. Denn es ist ihnen verwehrt, ihren Programmumfang und den damit mittelbar verbundenen Geldbedarf über den Rahmen des Funktionsnotwendigen hinaus auszuweiten (BVerfG, U.v. 11.9.2007 – 1 BvR 2270/05 – juris Rn. 132). Es bleibt Sache des Gesetzgebers, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zur Vielfaltsicherung auszugestalten und die entsprechenden medienpolitischen und programmleitenden Entscheidungen zu treffen. Ihm kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, B.v. 20.7.2021 – 1 BvR 2756/20 – juris Rn. 76).
35
Die Überprüfung der Verwendung der Rundfunkbeiträge innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens erfolgt durch eigens hierfür bestimmte Gremien, vorliegend insbesondere den Rundfunkrat (Art. 6 Abs. 1 Bayerisches Rundfunkgesetz – BayRG – vom 10.8.1948 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.2003; BayGvBl. 2003, Nr. 25 S. 792 ff.; VG München, U.v. 24.5.2023 – M 6 K 22.4687- juris Rn. 14 m.w.N.). Sollten diese bzw. dieser ihren bzw. seinen Kontrollpflichten nicht oder nur ungenügend nachkommen, stehen entsprechende rechtliche Möglichkeiten wie die Programmbeschwerde zur Verfügung sowie der Weg zu den Aufsichtsbehörden offen (BayVGH, B.v. 30.3.2017 – 7 ZB 17.60 – juris Rn. 9; VG Köln, U.v. 17.2.2021 – 6 K 1244/19 – juris Rn. 31 ff.; OVG RhPf, B. v. 16.11.2015 – 7 A 10455/15 – juris Rn. 21).
36
Die Verwaltungsgerichte sind im Rahmen einer Klage gegen die Rundfunkbeitragspflicht zur Prüfung der von der Klagepartei aufgeworfenen Fragen hinsichtlich Programmgestaltung, Programminhalten und möglicher struktureller Defizite bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie der Frage ausreichender Kontrolle all dessen durch Gremien und Aufsichtsbehörden nicht berufen (VG München, U.v. 21.9.2022 – M 6 K 22.3507 – juris Rn. 34; VG Hamburg, U.v. 11.5.2023 – 3 K 4240/22 – juris Rn. 25).
37
Die Trennung der Beitragserhebung einerseits und der rundfunkrechtlichen Möglichkeiten, auf die Programmgestaltung Einfluss zu nehmen, andererseits schließt das für ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB analog notwendige Gegenseitigkeitsverhältnis der Ansprüche aus. Es ist dem Einzelnen – und so auch dem Kläger – deshalb verwehrt, seine Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags davon abhängig zu machen, ob ihm das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefällt und er den Funktionsauftrag als erfüllt ansieht oder nicht (BVerwG, B.v. 28.2.2017 – 6 B 19/17- juris; VG München, U.v. 21.9.2022 – M 6 K 22.3507 – juris Rn. 35; VG Hamburg, U.v. 11.5.2023 – 3 K 4240/22- juris Rn. 26; VG Freiburg, U.v. 17.5.2023 – 9 K 385/23 – juris Rn. 40).
38
Vor diesem Hintergrund bedarf es auch der von dem Kläger geforderten weiteren Sachverhaltsaufklärung nicht. Die Beurteilung der Frage, ob durch die Programmgestaltung und die Kontrolle dieser konkreten Programmgestaltung durch die hierzu berufenen Gremien die gesetzten äußeren Grenzen einer Verfassungswidrigkeit überschritten werden, obliegt nicht den Verwaltungsgerichten, sondern dem zuständigen Verfassungsgericht (VG Freiburg, U.v. 17.5.2023 – 9 K 385/23 – juris Rn. 46; VG München, U.v. 15.10.2014 – M 6b 14.1339 – juris Rn. 21; VG Ansbach, U.v. 15.4.2021 – AN 6 K 19.00594 – juris Rn. 26).
39
Insgesamt ist damit die Festsetzung der rückständigen Rundfunkbeiträge durch den angegriffenen Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2022 rechtmäßig, insbesondere kann der Kläger der Festsetzung kein Leistungsverweigerungsrecht entgegenhalten.
40
Auch die Festsetzung des Säumniszuschlags ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 11 Abs. 1 der Satzung des Bayerischen Rundfunks über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge – Rundfunkbeitragssatzung – vom 5. Dezember 2016, in Kraft getreten am 1. Januar 2017 (StAnz Nr. 51-52/2016) i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Alt. 3 RBStV). Danach wird, wenn Rundfunkbeiträge nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit in voller Höhe entrichtet werden, ein Säumniszuschlag in Höhe von einem Prozent der rückständigen Beitragsschuld, mindestens aber ein Betrag von 8,00 EUR fällig. Der Säumniszuschlag wurde zusammen mit der Rundfunkbeitragsschuld durch Bescheid nach § 10 Abs. 5 RBStV rechtmäßig festgesetzt, insbesondere waren die mit Festsetzungsbescheid vom 1. Dezember 2022 festgesetzten Rundfunkbeiträge aus dem Zeitraum Januar 2022 bis Oktober 2022 bereits über vier Wochen fällig. Die Beiträge sind nach § 7 Abs. 3 RBStV monatlich geschuldet und sind in der Mitte eines Dreimonatszeitraums für jeweils drei Monate zu leisten.
41
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
42
Das Verfahren ist nicht nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich um einen Anspruch auf Befreiung von den Rundfunkbeiträgen aus sozialen Gründen nach § 4 RBStV und damit nicht um eine Angelegenheit der Fürsorge im Sinne des § 188 Satz 1 VwGO handeln würde (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2019 – 7 C 19.1603 – juris Rn. 6; U.v. 22.4.2021 – 7 BV 20.206 – juris Rn. 34, 36). Dies ist vorliegend nicht der Fall.