Inhalt

VG München, Beschluss v. 23.10.2023 – M 28 S 23.31962
Titel:

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit

Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 30, § 36, § 77 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG BeckRS 1996, 21472). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Die gerichtliche Überprüfung einer vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG BeckRS 1990, 7015). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Ein Asylantrag ist gem. § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Annahme der Flüchtlingseigenschaft einschließlich der Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrags geradezu aufdrängt (BVerfG BeckRS 2000, 22406). (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Soweit sich ein türkischer Asylantragsteller allgemein auf eine vor seiner Ausreise erlebte und im Fall der Rückkehr erneut befürchtete Benachteiligung und Diskriminierung von kurdischen Volkszugehörigen durch den türkischen Staat beruft, ist auf die ganz herrschende, auch obergerichtliche Rspr. zu verweisen, wonach kurdische Volkszugehörige in der Türkei keiner asylrechtlich relevanten Gruppenverfolgung unterliegen (VGH München BeckRS 2020, 6605). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Asylverfahren (Herkunftsland, Türkei), offensichtlich-unbegründeter Asylantrag, einstweiliger Rechtsschutz (erfolglos), Kurde, Wehrpflicht, türkischer Staatsangehöriger, offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Diskriminierung, vorläufiger Rechtsschutz, ernstliche Rechtmäßigkeitszweifel, Abschiebungsandrohung, Wehrdienst
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31289

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und Kurde sunnitischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben am 5. September 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. Dezember 2022 einen Asylantrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
2
Bei der persönlichen Anhörung am 20. Februar 2023 gab er an, bei einer Newroz-Feier am … März … Probleme gehabt zu haben. Daraufhin habe er einen Reisepass beantragt und habe die Türkei am 1. September 2022 verlassen. Zuvor habe er in Istanbul gelebt. Zunächst bei seiner älteren Schwester, dann habe er sich von dem Gehalt, das er bei einem Bäcker verdiente, eine eigene Wohnung gemietet. Danach habe er sich noch in Canakkale bei seinem Onkel aufgehalten und im Recyclingbereich gearbeitet. Vor der Ausreise sei er noch einmal in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Er habe in der Türkei die Mittelschule abgeschlossen und sei danach bei einem Friseur tätig gewesen. Im Dorf habe er beim Viehhandel geholfen.
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Wehrdienst habe er nicht geleistet. Er habe ein Schreiben wegen der Musterung bekommen. Das sei nach seiner Ausreise gewesen. Seine Mutter habe es ihm erzählt.
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Zu seinen Fluchtgründen erklärte er, er habe in seinem Dorf eine Beziehung zu einem Mädchen gehabt. Er sei zweimal zu deren Familie gegangen, um um ihre Hand anzuhalten. Die Familie sei aber gegen die Verbindung gewesen. Das Mädchen sei von der Familie auf übelste Weise geschlagen worden. Er sei deswegen nach Istanbul gegangen. In Istanbul hätte er weiterhin Kontakt zu ihr gehabt. Ihre Familie sei dann nach Istanbul gekommen, um ihn zu suchen. Daraufhin sei er nach Canakkale gezogen. Dort habe ihn sein Vater angerufen und ihm gesagt, dass er den Kontakt zu dem Mädchen abbrechen solle, was er zwar zugesagt aber nicht getan habe. Nachdem er sich schließlich von dem Mädchen getrennt hatte, habe sein Vater zu ihm gesagt, er könne in das Dorf zurückkommen, was er dann auch getan habe. Das Mädchen habe dann wieder Kontakt zu ihm aufgenommen. Sie sei bereits anderweitig verlobt gewesen, habe aber mit dem Antragsteller weglaufen wollen. Sie sei dann mit ihrem Verlobten weggelaufen. Die Familie des Mädchens sei auch mit dieser Verbindung nicht einverstanden gewesen, da sie nach wie vor einem anderen versprochen sei, und habe den Antragsteller für ihr Verhalten verantwortlich gemacht.
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Er habe dann am 21. März 2021 an einer Newroz-Feier in Diyarbakir teilgenommen. Diejenigen, die dort das Peace-Zeichen gemacht hätten, seien mit Wasserstrahlern angestrahlt worden. Er habe daraufhin beschlossen auszureisen. In einem Land, in dem man nicht an einer Feier teilnehmen und ein Zeichen machen darf, wolle er keinen Wehrdienst leisten. Auf Nachfrage erklärte der Antragsteller: Weitere Gründe für seine Ausreise habe es nicht gegeben. In der Türkei lägen keine Haftbefehle, Anklagen oder Urteile gegen ihn vor. Er wolle seinen Wehrdienst dort nicht leisten. Er glaube nicht, dass ihm die Familie des Mädchens irgendwelche Probleme machen würde. Als Kurde würde er während des Wehrdienstes unterdrückt. Auch wenn man von der Freikaufoption Gebrauch mache, müsse man Wehrdienst leisten und würde dann deswegen noch mehr unterdrückt, müsste z.B. „Drecksarbeit“ leisten. Er habe das Land verlassen, weil er dort seine Meinung nicht frei vertreten und frei sein durfte, was er auf Nachfrage näher erläuterte. Kurden seien nicht mit der PKK gleich zu stellen. Es gebe in seiner Verwandtschaft keine PKK-Sympathisanten. Ein Onkel mütterlicherseits sei aber einmal in Bezug auf die PKK festgenommen und wieder freigelassen worden. Näheres wisse er nicht.
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Mit Bescheid vom 5. September 2023 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Antrag auf Asylanerkennung und den Antrag auf subsidiären Schutz jeweils als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Andernfalls werde er in die Türkei oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, abgeschoben. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
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Aus dem Vorbringen des Antragstellers sei nicht zu entnehmen, dass er die Türkei im Zusammenhang mit asylrelevanten Verfolgungshandlungen verlassen hätte. Er habe vielmehr die Ausgrenzung und Diskriminierung Kurden gegenüber als Ausreisegrund geltend gemacht. Dem Vorbringen des Antragstellers sei offensichtlich weder eine Verfolgungshandlung, die von der Art und Schwere her die Voraussetzungen des § 3a AsylG erfüllen könnte, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal gem. § 3b AsylG hinsichtlich seines Heimatlandes zu entnehmen. Es sei auch nicht erkennbar, dass er sich in einer akuten Zwangslage befunden hat, die ihn zum Verlassen des Herkunftslandes veranlasst haben könnte. Ein gegen den Antragsteller ggf. politisch motiviertes Handeln verneint, da er auf Nachfrage angegeben habe, dass ihm gegenüber keine justiziellen Unterlagen vorlägen und ihm wenige vor Monate der Ausreise ein Reisepass ausgestellt wurde. Die Zugehörigkeit des Antragstellers zur Volksgruppe der Kurden könne offensichtlich nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, denn nach der Auskunftslage und der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung sei in der Türkei nicht von einer landesweiten Gruppenverfolgung der Kurden auszugehen. Er gehöre zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei; Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden lägen nicht vor, wozu Näheres ausgeführt wird. Letztlich könne offenbleiben, ob Kurden im Südosten der Türkei einer unmittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt waren oder sind, denn es drohten jedenfalls landesweit keine Verfolgungsmaßnahmen, da interne Schutzmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Auch hierzu wird Näheres ausgeführt. Im Hinblick auf eventuell erfolgende Übergriffe durch die Familie seiner Ex-Freundin sei der Antragsteller auf den Schutz der Heimatbehörden zu verweisen. Dem Antragsteller stehe in der Türkei der Staat mit seinen Sicherheitsbehörden als wirksamer und williger Schutzakteur zur Verfügung. Bei gewalttätigen Übergriffen seien die Polizei bzw. Sicherheitskräfte schutzwillig und schutzfähig, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß durch keinen Staat gewährleistet werden könne. In jedem Fall könne der Antragsteller auf Grund eventueller Probleme mit Dritten auf interne Schutzmöglichkeiten verwiesen werden. Soweit der Antragsteller angegeben habe, dass er befürchte, zum Wehrdienst herangezogen zu werden, führe auch dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Wehrpflicht als solche und die Wehrpflichtpraxis der Türkei stellten grundsätzlich keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar und Wehrdienstleistende kurdischer Volkszugehörigkeit seien keinen Nachteilen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt.; hierzu wird jeweils Näheres ausgeführt. Dafür, dass der Antragsteller unter erheblichen, seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit im hohen Maße mindernden gesundheitlichen Problemen leidet und daher seinen Wehrdienst nicht ableisten könnte, gebe es zum Zeitpunkt der Entscheidung keine Anhaltspunkte. Dem Antragsteller stehe die Möglichkeit des Freikaufs vom Wehrdienst offen, falls er seinen Wehrdienst nicht ableisten möchte. Die Ausreisekosten für die Schleuser hätten durch die Unterstützung seiner Familienangehörigen vom Antragsteller ebenfalls problemlos finanziert werden können. Wie oben bereits ausgeführt müssten türkische Staatsbürger bei Inanspruchnahme der Option des Freikaufs nur eine einmonatige Grundausbildung in Form einer Fernausbildung absolvieren. Der Antragsteller habe außerdem angegeben, dass er vorrangig ausgereist sei, weil Kurden Rassismus und Diskriminierung erfahren haben. Der Antragsteller würde im Fall seiner Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen seiner Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland politisch motivierter Verfolgung unterworfen werden. Dem Antragsteller drohe auch kein ernsthafter Schaden, sodass ihm auch nicht subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Eine gerade für den Antragsteller in der Türkei bestehende ausweglose Notlage sei nicht einmal ansatzweise erkennbar. Der Antragsteller sei jung, gesund sowie arbeits- und leistungsfähig. Dafür, dass der Antragsteller unter erheblichen, seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit im hohen Maße mindernden gesundheitlichen Problemen leidet, gebe es zum Zeitpunkt der Entscheidung ebenfalls keine Anhaltspunkte. Es bestünden ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nicht im Stande sein würde, sich bei Rückkehr in die Türkei eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Der Antragsteller sei auch vor seiner Ausreise verschiedenen Arbeitstätigkeiten nachgegangen. Es sei angesichts dessen davon auszugehen, dass er wie in der Vergangenheit als Friseur, bei einem Bäcker, in der Landwirtschaft oder im Recyclingbereich tätig werden oder sich auch anderweitig wirtschaftlich betätigen und so ausreichende Einkünfte erzielen könnte. Es sei dem Antragsteller daher zuzumuten, sich seinen Lebensunterhalt durch unternehmerische Tätigkeit oder eine Anstellung zu verdienen. Im Falle einer etwaigen Unterstützungsbedürftigkeit sei er auf seine in der Türkei wohnhaften Familienmitglieder und Verwandten zu verweisen. Dass der Antragsteller auf die Unterstützung seiner Familienangehörigen zurückgreifen kann, zeige sich bereits darin, dass sein Vater ihm die Ausreisekosten finanziert hat. Es bestünden zusammenfassend keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht imstande sein würde, sich bei Rückkehr in die Türkei eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht.
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Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 21. September 2023, erhoben mit Schriftsatz vom selben Tag und dem Antrag, die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 23. August 2023, zugestellt am 18. September 2023 zu verpflichten, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass im Fall des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Zugleich wurde beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Dass der streitgegenständliche Bescheid dem Antragsteller am 18. September 2023 zugestellt wurde, ergebe sich aus dem der Klage beigefügten Umschlag. Das Vorbringen des Antragstellers in der Anhörung am 20. Februar 2023 sei in sich stimmig und widerspruchsfrei. Er habe ausführlich und nachvollziehbar geschildert, dass ihm in seinem Herkunftsland die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung sowie die erhebliche Gefahr für die Gesundheit und das Leben drohten. Die vorgetragenen Gründe führten jedenfalls zu einem Abschiebungsverbot. Der Kläger wird nach Rückkehr in die Türkei nicht in der Lage sein, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern.
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Die Antragsgegnerin hat am 25. September 2023 die Akten vorgelegt und Klageabweisung beantragt sowie,
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den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten auch in den vorgenannten Verfahren verwiesen.
II.
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Der Antragsteller möchte erreichen, dass die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG kraft Gesetzes ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Entscheidungen des Bundesamts in dem streitgegenständlichen Bescheid nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
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Der Antrag ist zulässig, nach den unwidersprochen gebliebenen Darlegungen der Antragstellerseite auch fristgerecht, aber unbegründet.
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Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG.
18
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21). Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
19
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
20
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abzulehnen bei Wahrunterstellung des vorgetragenen Sachverhalts keinen ernstlichen Zweifeln.
21
Dem Antragsteller drohen nach aktuellem Erkenntnisstand des Gerichts offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation in der Türkei noch auf Grund besonderer individueller Umstände oder des von ihm vorgetragenen Ausreisegrundes und der geltend gemachten Rückkehrbefürchtungen im Fall seiner Rückkehr in die Türkei eine für sein Asylbegehren relevante Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne der Art. 16a GG, §§ 3 ff., 4 AsylG. Dies gilt auch unter Berücksichtigung seines Auslandsaufenthalts und seiner Asylantragstellung im Bundesgebiet (vgl. u.a. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei, Version 4 Stand 6.12.2021, S. 174; VG Berlin, U.v. 30.11.2021 – 37 K 16/18 A – juris Rn. 52; VG Gelsenkirchen, U.v. 13.7.2021 – 14a K 4331/19.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 9.7.2021 – A 10 K 1357/20 – juris; VG Stuttgart, U.v. 8.4.2021 – A 18 K 4802/18 – juris jeweils m.w.N.). Soweit sich der Antragsteller allgemein auf eine vor seiner Ausreise erlebte und im Fall der Rückkehr erneut befürchtete Benachteiligung und Diskriminierung von kurdischen Volkszugehörigen durch den türkischen Staat beruft, ist auf die ganz herrschende, auch obergerichtliche Rechtsprechung zu verweisen, wonach kurdische Volkszugehörige in der Türkei keiner asylrechtlich relevanten Gruppenverfolgung unterliegen (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 6; OVG Saarl, B.v. 19.3.2021 – 2 A 76/21 – juris Rn. 9; vom 18.11.2020 – 2 A 321/20 – juris Rn. 16 ff.; SächsOVG, B.v. 7.1.2021 – 3 A 927/20.A – juris Rn. 12 jeweils m.w.N.).
22
Die erkennende Einzelrichterin verweist zur Begründung im Übrigen gem. § 77 Abs. 3 AsylG vollumfänglich auf die Bescheidsgründe und macht sich diese zu eigen.
23
Bei der Entscheidungsfindung wurden insbesondere auch das Vorbringen des Antragstellers zur Wehrpflicht und die wirtschaftliche Situation, in der sich der Antragsteller nach einer Rückkehr wiederfinden würde, berücksichtigt, ohne ernstliche Zweifel auch und gerade am Offensichtlichkeitsausspruch auszulösen.
24
Ergänzend wird ausgeführt, dass die geschilderten Ereignisse beim Newroz-Fest am 21. März 2022 – als wahr unterstellt – nicht geeignet sind, eine Verfolgungs- oder Bedrohungslage zu begründen, welche dem Antrag auch nur teilweise zum Erfolg verhelfen könnte. Es fehlt insbesondere an zielgerichteten Handlungen gegenüber dem Antragsteller und einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausreisezeitpunkt.
25
Der Antrag war daher entsprechend § 154 Abs. 1 VwGO kostenpflichtig abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
26
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.