Titel:
Durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässige aber erfolglose Asylklage einer Peruanerin
Normenketten:
AsylG § 74 Abs. 1
GG Art. 16a
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1
ZPO § 222 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2
PUDLV § 2 Nr. 3 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c
Leitsatz:
Wird ein Postbriefkasten noch am selben Tag geleert, darf der Absender grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Briefsendung den Empfänger spätestens am zweiten Werktag nach dem Einwurf in einen Briefkasten erreicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylverfahren, Herkunftsland P., Versäumte Klagefrist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Asylklage, Peru, Klagefristversäumung, Wiedereinsetzung, Postlaufzeit, Einlieferungsbeleg, Briefbeförderung, Verfolgung, kriminelle Bande, Los Malditos de Barranca, ernsthafter Schaden, willkürliche Gewalt
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31287
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin ist nach eigenen Angaben peruanische Staatsangehörige und reiste nach Aktenlage am 12. oder 13. Dezember 2017 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 16. Juli 2018 einen Asylantrag.
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Nach Anhörung am 23. August 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 5. Dezember 2019 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach P. oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Der Bescheid wurde nach der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde am 10. Dezember 2019 zugestellt.
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Mit am 27. Dezember 2019 eingegangenem Schriftsatz vom 20. Dezember 2019 erhob die Klägerin Klage und beantragt zuletzt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Dezember 2019 zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen,
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die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,
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festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung verweist die Klägerin wesentlich auf die Verfolgung durch eine kriminelle und peruweit agierende Bande, in der auch Polizeibeamte involviert seien. Der Klägerbevollmächtigte führt ergänzend aus, es fehle in P. und besonders in Bezug auf die Klägerin an einer staatlichen Schutzgewährung.
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Sie verweist zur Begründung auf die Unzulässigkeit der Klage, da der Bescheid bei Klageerhebung bereits bestandskräftig gewesen sei.
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Ein ebenso am 27. Dezember 2019 bei Gericht eingegangener Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde mit Beschluss vom 14. Januar 2020, zugestellt am 17. Januar 2020, abgelehnt.
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Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2019, der bei Gericht als am 8. Februar 2019 eingegangen angesehen wurde (Nachtbriefkasten), beantragt die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Klagefrist. Sie verweist unter Vorlage eines Einlieferungsbelegs auf eine überlange Postlaufzeit der Klageschrift sowie darauf, dass sie erst durch den Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die verspätete Klageerhebung aufmerksam geworden sei.
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Mit Beschluss vom 19. September 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im Hauptsache- und Eilverfahren, insbesondere die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung, sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2023 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
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I. Die Klage ist zulässig. Zwar war die Klagefrist im Zeitpunkt der Klageerhebung am 27. Dezember 2019 bereits abgelaufen, der Klägerin war indes Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
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1. Die Klage wurde nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 74 Abs. 1 Hs 1 AsylG erhoben. Da der streitgegenständliche Bescheid vom 5. Dezember 2019 ausweislich der in der Bundesamtsakte enthaltenen Zustellungsurkunde am 10. Dezember 2019 zugestellt worden war, endete die Klagefrist am 24. Dezember 2019 (§ 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG, §§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Die Klage vom 27. Dezember 2019 ist demnach verfristet.
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2. Der Klägerin ist jedoch gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses müssen die Tatsachen vorgetragen werden, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen (§ 60 Abs. 2 Sätze 1, 2 VwGO).
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Es ist für das Gericht erkennbar, dass die Klägerin kein Verschulden an der Fristversäumung trifft. Ausweislich des dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beigefügten Einlieferungsbelegs wurde die Klageschrift am 20. Dezember 2019 (Freitag) um 19.53 Uhr in H. per Einwurfeinschreiben zur Post gegeben. Nach den in § 2 Nr. 3 Satz 1 der Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) niedergelegten Qualitätsmerkmalen in der Briefbeförderung müssen von den an einem Werktag eingelieferten inländischen (normalen) Briefsendungen im Jahresdurchschnitt mindestens 80% an dem ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag und 95% bis zum zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden. Wie sich aus § 2 Nr. 2 PUDLV ergibt, ist Werktag auch der Samstag. Vor diesem Hintergrund hiervon geht die Rechtsprechung im allgemeinen davon aus, dass ein Absender grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine Briefsendung den Empfänger spätestens am zweiten Werktag nach dem Einwurf in einen Briefkasten erreicht, wenn der Briefkasten nach dem Einwurf noch am selben Tag gelehrt wird (vgl. etwa BFH, U.v. 27.7.2022 – II R 30/21 – juris Rn. 9 ff. m.w.N.).
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Zwar ist im vorliegenden Fall zu beachten, dass die Einlieferung der Klageschrift erst um 19.53 Uhr, und damit, wie auf dem Einlieferungsbeleg ausdrücklich vermerkt, nach der Versandschlusszeit erfolgte. Der Transport der Sendung begann daher, wie ebenfalls explizit dem Einlieferungsbeleg zu entnehmen, erst am nächsten Werktag. Auch wenn man mithin einen Beginn des Transports und damit eine Aufgabe der Sendung am 21. Dezember 2019 (Samstag) unterstellt, wäre mit der vorgenannten Rechtsprechung damit zu rechnen, dass die Sendung den Empfänger – das Gericht – am 24. Dezember 2019 (Dienstag) erreicht. Mithin konnte die Klägerin darauf vertrauen, dass die Klageerhebung das Gericht rechtzeitig vor Ablauf der Klagefrist erreicht, so dass sie kein Verschulden an der Fristversäumung trifft.
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Auch die Antragsfrist für die Wiedereinsetzung ist vorliegend gewahrt. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Das Hindernis ist weggefallen, wenn und sobald das Fortbestehen der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist. Maßgebend für den Fristbeginn ist somit der Zeitpunkt, in dem der Betroffene bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt die Fristversäumnis erkannt hat oder hätte erkennen müssen und in dem es ihm daher möglich ist, die versäumte Prozesshandlung unverzüglich nachzuholen (vgl. statt vieler und die Nachweise bei Czybulka/Kluckert, in: NK-VwGO 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 110). Zwar ist der Klägerin im vorliegenden Fall bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 8. Januar 2020 eine Eingangsmitteilung übermittelt worden, in der unter anderem ausdrücklich das Eingangsdatum ihrer Klage genannt ist. Mit Blick auf die fehlenden Sprachkenntnisse der Klägerin, die für das Gericht auch in der mündlichen Verhandlung ersichtlich waren, ist der Klägerin indes nach dem vorgenannten Maßstab im konkreten Fall zuzugestehen, dass sie von der verfristeten Klageerhebung erst durch eine Übersetzung des Beschlusses im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (M 31 S 19.34720) vom 14. Januar 2020, ihr zugestellt am 17. Januar 2020, erfahren hat. Unter Berücksichtigung der erforderlichen Zeit für eine Übersetzung des Beschlusses (vgl. hierzu Czybulka/Kluckert, aaO, Rn. 113) ist mithin die Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit dem am 8. Februar 2020 eingegangenen Schriftsatz (noch) gewahrt. Mit diesem Schriftsatz und damit innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung – hier die Klageerhebung – ferner auch gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO nachgeholt worden.
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II. Die Klage ist indes sowohl im Hauptantrag als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.
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Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Asylberechtigung oder der Flüchtlingseigenschaft oder des hilfsweise angestrebten subsidiären Schutzes. Gleiches gilt für die weiter hilfsweise beantragte Feststellung, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich P.s besteht. Vielmehr erweist sich der streitbefangene Bescheid des Bundesamts vom 5. Dezember 2019 als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG oder des internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 ff. AsylG.
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Der Vortrag der Klägerin ist nicht geeignet, ihre Verfolgung oder das Drohen eines ernsthaften Schadens in P. i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG oder §§ 3 ff. AsylG ausreichend zu belegen.
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1.1 Weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG noch der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG liegen bei der Klägerin vor. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Asylberechtigter oder Flüchtling rechtfertigen würde, ist aus dem Vortrag der Klägerin nicht ableitbar.
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Gemäß Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
29
Die Furcht vor Verfolgung (Art. 16a Abs. 1 GG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. d der RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – BVerwGE 89, 162).
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Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe seiner Verfolgung und Bedrohung in schlüssiger Form vorzutragen (vgl. §§ 15, 25 AsylG). Dabei hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmige Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei dessen Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung oder Bedrohung begründet ist, sodass ihm nicht zuzumuten ist, in das Herkunftsland zurückzukehren.
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Gemessen daran kann dem Vortrag der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts nicht entnommen werden, dass sie von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren (vgl. § 3c AsylG) vor ihrer Ausreise aus P. aus asylrelevanten Gründen verfolgt wurde bzw. bei einer Rückkehr nach P. mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von diesen verfolgt werden würde. Das Gericht geht davon aus, dass für die Klägerin im Falle der Rückkehr keine Verfolgungsgefahr besteht.
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Der Vortrag der Klägerin zu den maßgeblich fluchtauslösenden Umständen stellt sich als vage, oberflächlich und lebensfremd und daher insgesamt als unglaubhaft dar.
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Die Klägerin vermochte bereits Umstände einer angeblichen persönlichen Bedrohung nicht schlüssig und für das Gericht nachvollziehbar zu erläutern und illustrieren. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Klägerin die angeblich gegen sie gerichteten Bedrohungen durch Mitglieder einer kriminellen Bande, sowie insbesondere eine ggf. daraus folgende, drohende Verfolgung inhaltlich nicht hinreichend klar und detailliert darlegen konnte. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung können Betroffene zu Vorgängen, die für ihre Biografie von besonderer Bedeutung sind, lebensnahe und detaillierte Angaben, die auch für Dritte – wie hier das Gericht – nachvollziehbar sind, geben. Daran fehlt es vorliegend jedenfalls hinsichtlich der konkreten Umstände und Abläufe der Geschehnisse.
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Nach der Schilderung der Klägerin gehen die vorgebrachten Bedrohungen durch die kriminelle Bande maßgeblich darauf zurück, dass Mitglieder der Bande ein Landhaus ihres Vaters, das etwa fünf Stunden Fahrzeit von Lima entfernt gelegen ist, besetzt hielten und nicht an ihren Vater bzw. ihre Familie herausgeben wollten. Ausgehend von einem Zusammentreffen bei diesem Landhaus, im Zuge dessen sie – die Klägerin – die Rückgabe forderte und in der Folge wohl als für das Haus zuständige Person wahrgenommen wurde, sei sie bedroht worden. Dies sei zunächst bei diesem Zusammentreffen mit vorgehaltener Waffe geschehen, später durch Drohanrufe sowie ein Jahr später durch eine Drohgeste, bei der ihr Hund getötet vor ihrer Tür abgelegt worden sei. In einer beigefügten Notiz sei dabei angedroht worden, dass sie auch so enden, d. h. ebenfalls sterben werde.
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Bereits der Ausgangspunkt bzw. Ansatzpunkt der Bedrohungshandlungen ist nicht nachvollziehbar. In den Details vage, nicht lebensnah und in Teilen auch nicht konsistent ist zunächst der dargelegte Zeitablauf. Das Zusammentreffen der Klägerin und ihrer Familie mit der kriminellen Bande bzw. den Hausbesetzern am Landhaus hat nach Angaben der Klägerin in der Anhörung vor dem Bundesamt (Anhörungsniederschrift S. 5) und in der mündlichen Verhandlung im August 2015 stattgefunden. Bereits die Drohgeste des toten Hundes ordnet die Klägerin jedoch zeitlich unterschiedlich ein: Nach den Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt war sie im Oktober 2017 Teil der Geschehnisse, die sie letztlich zur Ausreise veranlassten. In der mündlichen Verhandlung erläuterte die Klägerin, die Begebenheit mit dem Hund habe im Jahr 2016 stattgefunden. Auch der Zeitraum zwischen dem ersten, die Bedrohungen auslösenden Zusammentreffen am Landhaus und der Ausreise wird unterschiedlich und detailarm dargestellt: Während die Klägerin in der Anhörung in der Zeit von 2015 bis 2017 lediglich sehr allgemein von Drohanrufen berichtet, setzt sie den Beginn der (weiteren) Bedrohungen in der mündlichen Verhandlung erst im Jahr 2016 an, als sich ein hinsichtlich des Landhauses angestrengter Zivilprozess für die Klägerin bzw. ihre Familie zum Positiven wendete.
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Nicht schlüssig zu erklären vermochte die Klägerin weiter, weshalb sich die Bedrohungen durch die kriminelle Bande lediglich oder ganz überwiegend auf ihre Person bezogen, nicht aber ihre übrige Familie und insbesondere ihren Vater als Eigentümer des fraglichen Landhauses. Nach ihrem – erneut im Einzelnen etwas unterschiedlichen – Vortrag vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung habe ihr Vater sie als Erbin bzw. Bevollmächtigte eingesetzt oder jedenfalls hätten die Bandenmitglieder diesen Eindruck gehabt. Es ist fernliegend, dass sich Bedrohungshandlungen einer kriminellen Bande, deren primäres Ziel nach dem Vortrag der Klägerin offenbar die Besetzung des Landhauses war, sich aufgrund einer tatsächlichen oder wahrgenommenen zivilrechtlichen Berechtigung ausschließlich auf die Tochter des Eigentümers richten sollten, die weder Partei des um das Haus laufenden Prozesses war, noch beim ersten Zusammentreffen alleine gegenüber den Besetzern aufgetreten ist. Ziel der Bedrohungshandlungen durch die kriminelle Bande war es nach der Darlegung der Klägerin offenbar, sie unter Druck zu setzen und letztlich davon abzubringen, die Herausgabe des Landhauses weiter zu betreiben. Weshalb sich derartige Bemühungen ausschließlich auf die Klägerin, nicht aber auf die übrige Familie und insbesondere nicht den Vater der Klägerin als Eigentümer des Landhauses richten sollten, ist nicht nachvollziehbar. Selbst wenn die Klägerin, wie von ihr vorgetragen, als Erbin oder Bevollmächtigte durch ihren Vater eingesetzt war, war ihr Vater dennoch offenbar allein Partei oder zumindest alleiniger Betreiber des laufenden Zivilprozesses. Ferner hat der Vater der Klägerin nach ihrer Einlassung vor dem Bundesamt (S. 6 der Anhörungsniederschrift) ausdrücklich alleine gegen die Hausbesetzer Anzeige erstattet.
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Nach dem Vortrag der Klägerin war ihr Vater zur Führung des Zivilprozesses seit Anfang 2018 wieder in P.. Soweit die Klägerin Bedrohungshandlungen gegenüber ihrem Vater auch nach dem ersten Zusammentreffen mit der Bande bei dem Landhaus vorträgt, beschränkten diese sich nach der Darstellung in der mündlichen Verhandlung zuletzt darauf, dass sich die Bande wieder des Hauses bemächtigen wollte. Dass die kriminelle Bande, die nach dem Vortrag der Klägerin u.a. den Zivilprozess gerade zum Anlass für Bedrohungshandlungen ihr gegenüber genommen haben soll, ihren Vater in dieser Zeit und ansonsten nunmehr offenbar unbehelligt gelassen hat und sich eine Bedrohung nach wie vor lediglich auf sie selbst beziehen würde, ist lebensfern.
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Unabhängig davon und frühere Bedrohungen unterstellt, ist es schließlich nicht plausibel, dass der Klägerin weiterhin eine Verfolgung durch die kriminelle Bande drohen sollte. Nach ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung wohnt mittlerweile niemand in dem Landhaus Ihres Vaters und es komme nur ab und zu ein Familienmitglied vorbei und sehe nach dem Rechten. Die ebenfalls vorgetragenen, wohl früheren Bestrebungen der Bande, sich des Hauses wieder zu bemächtigen, setzen sich damit nach eigenen Angaben der Klägerin offenbar nicht fort. Selbst die früheren Ereignisse um das Landhaus unterstellt, erscheint damit eine weitere Furcht vor Verfolgung nicht begründet, da nunmehr nach dem Vortrag der Klägerin offensichtlich das (primäre) Interesse der kriminellen Bande an dem Landhaus nicht mehr vorhanden zu sein scheint. Weshalb die Klägerin nunmehr, zumal nach fast sechsjähriger Abwesenheit, noch Bedrohung oder Verfolgung zu befürchten hätte, ist nicht ersichtlich.
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Die Angaben der Klägerin bleiben damit im Ergebnis fast ohne jede verwertbare konkrete asylrechtliche Information. Selbst unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstands zwischen der Anhörung der Klägerin bei dem Bundesamt bzw. der mündlichen Verhandlung und den geschilderten Ereignissen in den Jahren 2015 bis 2017 bleibt die Schilderung vage und diffus. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwiefern aus den Geschehnissen, insbesondere nach dem in der mündlichen Verhandlung dargelegten aktuellen Stand um das Landhaus, (noch) eine relevante Furcht vor Verfolgung auf Seiten Klägerin zu folgern sein könnte.
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Im Übrigen handelte es sich – unabhängig vom Vorstehenden – bei der vorgebrachten Bedrohung durch die Bande „Los Malditos de Barranca“ – selbst im Falle einer Wahrunterstellung – um kriminelles Unrecht, das keine Anknüpfung an die für die Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG erkennen lässt und damit keine begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe belegen kann. Der Klägerin droht zur Überzeugung des Gerichts auf Grundlage der aktuellen Auskunftslage in P. keine Verfolgung durch einen Akteur i.S.d. § 3c AsylG. Auch wenn die Sicherheitslage in Teilen des Landes als prekär und schwierig zu bezeichnen ist (BAMF, Länderreport P., Stand 12/2021, S. 5 f.), erreicht diese aber nicht ein solches Niveau, dass davon auszugehen wäre, dass der peruanische Staat seine hoheitlichen, insbesondere exekutiven Eingriffsmöglichkeiten in einem so wesentlichen Umfang und Ausmaß verloren hätte, dass von einem flüchtlingsrechtlich maßgeblichen staatlichen Beherrschungsverlust auszugehen wäre.
41
Die letztlich inmitten stehende Behauptung der Klägerin, von der Polizei in P. habe sie keine ausreichende Hilfe zu erwarten, begründet nicht die nach § 3c Nr. 3 AsylG erforderliche Annahme, die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten Akteure seien erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, Schutz vor Verfolgung durch kriminelle Banden zu bieten. Anderes ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Erkenntnismitteln, denen zufolge Drogenhandel, organisierte Kriminalität sowie Korruption auf allen politischen Ebenen einschließlich der Polizei in P. zwar erheblich verbreitet und die Polizei dringend strukturell reformierungsbedürftig ist (vgl. z.B. Human Rights Watch, Deadly Decline, 26.4.2023, S. 13 f. und passim; VG München, U.v. 19.5.2022 – M 31 K 20.30911 – juris Rn. 28), aber jedenfalls nicht berichtet wird, dass Sicherheitsbehörden generell nichts willens oder unfähig seien, einen zumindest (gerade noch) ausreichenden Schutz der Bürger vor kriminellen Übergriffen, auch solche aus den Reihen korrupter Exekutivorgane, zu garantieren. Vielmehr wird seit einigen Jahren in öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverfahren gerade gegen Korruption auf höchster politischer Ebene vorgegangen. Auch der Kampf gegen die organisierte Kriminalität wurde in den letzten Jahren verstärkt, u.a. auf Grundlage eines neuen Gesetzes vom 1. Juli 2014 („Ley contra el Crimen Organizado – Ley N° 30077“, vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests, P.: Criminality, including frequency, reporting of, and government response, 2012-February 2015, S. 4 und 6). Aus den aktuellsten Briefing-Notes des Bundesamtes (vgl. P. – Zusammenfassung Januar bis Juni 2023 vom 30.6.2023) ergibt sich nichts anderes. Im Übrigen ist ein vollständiger Schutz gegen Verfolgungsgefahren durch nichtstaatliche Akteure nicht geschuldet. Es kann nicht verlangt werden, dass ein Staat sämtliche Risiken beseitigt. Die Forderung nach einem lückenlosen Schutz ginge – wie allgemein in Bezug auf Übergriffe krimineller Art – an einer wirklichkeitsnahen Einschätzung der Effizienz staatlicher Schutzmöglichkeiten vorbei. Maßgeblich ist ein pragmatischer Standard der vom Heimatstaat vernünftigerweise gegenüber der Bevölkerung geschuldeten Schutzpflichten. Selbst wenn in Einzelfällen Bedrohungen und/oder Übergriffe nicht völlig ausgeschlossen werden können, wird ein ausreichender Schutz so lange angenommen, als eine im Einzelfall fehlende Schutzbereitschaft nicht Ausdruck einer grundsätzlichen Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des Staates gegenüber solchen Gefahren ist (vgl. zusammenfassend Hailbronner, Ausländerrecht, § 3d AsyG, Rn. 18 m.w.N. der Rechtsprechung). Solches kann mit der oben angeführten aktuellen Erkenntnismittellage gerade nicht angenommen werden. Auch der durch den Klägerbevollmächtigten vorgelegte Pressebericht über neue Banden und mehr Gewaltverbrechen (Anlage zum Schriftsatz vom 26.9.2023) meldet einen (lokalen) Anstieg der Kriminalität und eine entsprechende Tendenz, lässt aber keine Rückschlüsse auf eine grundsätzliche Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des peruanischen Staates zu. Die ferner vorgelegte Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2003 ist 20 Jahre alt und lässt daher Erkenntnisse über die aktuelle Situation in P. nur begrenzt bis nicht zu. Unabhängig davon erschöpfen sich die Aussagen auch insoweit in einer Problembeschreibung („Ein nur begrenzt funktionsfähiger Staat“), mit einer Tendenz zu sehr allgemeinen Aussagen, wenn etwa festgestellt wird, dass der Staat auf dem Land in ganzen Regionen nur eingeschränkt präsent sei. Diese Aussage mag auf zahlreiche Staaten der Welt zutreffen. Schließlich führt auch die in der mündlichen Verhandlung ausgiebig erörterte Frage, inwieweit die lokale oder ggf. benachbarte Polizei konkret im Fall der Klägerin Schutzbereitschaft gezeigt habe, in diesem Zusammenhang nicht weiter. Von einer gänzlich fehlenden Schutzbereitschaft der Polizei kann selbst nach eigenem Vortrag der Klägerin nicht die Rede sein: Ausdrücklich führte die Klägerin an, die Polizei sei nur – aber eben immerhin – im Fall schwerwiegender Straftaten wie Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten bereit, ihr (bzw. generell peruanischen Bürgerinnen und Bürgern) Hilfe zu leisten. Daneben ist zu betonen, dass der peruanische Staat offensichtlich ein funktionierendes System der Zivilrechtspflege zur Verfügung stellt, das es der Klägerin bzw. ihrer Familie ermöglicht hat, das von dritter Seite unrechtmäßig besetzte Landhaus der Familie zurückzuerlangen. Die entsprechende zivilgerichtliche Entscheidung wurde, wie es der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung zuletzt betont hat, auch durch die Polizei oder jedenfalls ergänzend durch Sicherheitskräfte offensichtlich seitens des Staates gegen die Mitglieder der kriminellen Bande durchgesetzt. Eine Funktionsunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit des peruanischen Staates ist insoweit nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang darf bemerkt werden, dass die, auch im Rahmen der schriftsätzlichen Äußerung vom 26. September 2023 offensichtlich inmitten stehende Erwartung von Seiten der Klagepartei, dass die Polizei auch gegen die illegale Hausbesetzung als solche habe vorgehen müssen, gerade nach Maßstäben des deutschen Rechts keineswegs zwingend erscheint (vgl. etwa Art. 2 Abs. 2 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz).
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Wiederum unabhängig vom vorstehend Ausgeführten selbstständig die vorliegende Entscheidung tragend, ist zudem festzustellen, dass es zur Überzeugung des Gerichts auch lebensfremd wäre, dass die Klägerin – ihren Vortrag an dieser Stelle erneut als wahr unterstellt – im Falle einer Rückkehr nach einem nunmehr nahezu sechsjährigen Auslandsaufenthalt in P. landesweit und ohne jede Ausweichmöglichkeit, insbesondere in der Großstadt Lima, von solchen Personen, die ihr ehedem nachstellten und sie bedrohten, aufgespürt und erneut bedroht werden könnte. Selbst im Falle einer unterstellten Verfolgung bestünde somit eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG).
43
Eine weitere Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO) war nicht geboten, da die Klägerin es unter Verstoß gegen ihre Mitwirkungslast unterlassen hat, von sich aus einen ausreichend schlüssigen und widerspruchsfreien Sachverhalt zu schildern (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 47). Nach Auffassung des Gerichts hat sich die Klägerin im Jahr 2017 aus letztlich ungeklärten, indes nicht verfolgungsrelevanten Gründen zu einem Verlassen P.s entschlossen; eine schutzrelevante Bedrohung in ihrer Heimat ist nicht gegeben. Bei einer Gesamtschau des klägerischen Vortrags erweist sich dieser als unglaubhaft. Es drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin zur angeblichen Bedrohung im Wesentlichen nicht ein von ihr selbst erlebtes, sondern ein in weiten Teilen zumal hinsichtlich der vorgetragenen Furcht vor Verfolgung erfundenes Geschehen schildert. Selbst im Falle einer Wahrunterstellung würde es sich zudem um keine asyl- und flüchtlingsrelevante Verfolgung handeln. Auch könnte die Klägerin einer etwaigen Bedrohung innerhalb P.s örtlich ausweichen.
44
Eine Verfolgung in P. durch staatliche oder insbesondere nichtstaatliche Akteure steht somit zur Überzeugung des Gerichts für die Klägerin nicht zu befürchten.
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1.2 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des hilfsweise angestrebten subsidiären internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 4 AsylG.
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Der Vortrag der Klägerin ist nicht geeignet, das Drohen eines ernsthaften Schadens in P. i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG ausreichend zu belegen.
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Subsidiär schutzberechtigt ist, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe (Satz 2 Nr. 1), der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (Satz 2 Nr. 2) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts (Satz 2 Nr. 3). Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass einer dieser Tatbestände einschlägig wäre. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach P. ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts drohen könnte.
48
Allenfalls käme hier eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klägerin infolge willkürlicher Gewalt durch kriminelle Banden und Gruppen in Betracht. Auch in der hier allein zu erwägenden Variante des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bedarf es dazu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Streitkräften, die sich von der bloßen willkürlichen Gewaltanwendung des Staates oder einzelner Gruppen gegen Zivilpersonen unterscheidet. Notwendig dafür ist ein Aufeinandertreffen entweder der regulären Streitkräfte mit bewaffneten Gruppen oder zwischen zwei oder mehreren bewaffneten Gruppen (vgl. EuGH, U.v. 30.1.2014 – C 285/12 – juris). In P. fehlt es an einem solchen bewaffneten Konflikt, da sich keine Streitkräfte im vorgenannten Sinne gegenüberstehen. Dies gilt jedenfalls, nachdem der Einfluss der Organisation „Leuchtender Pfad“ signifikant gesunken ist und sich allein auf Randgebiete P.s beschränkt (vgl. BAMF, aaO S. 32 f.; dazu VG München, U.v. 19.5.2022 – M 31 K 20.30911 – juris Rn. 36).
49
Mögen kriminelle Banden und Gruppen gegebenenfalls auch bewaffnet auftreten und versuchen auf diese Art und Weise, lokale und regionale Machtstrukturen aufzubauen und durchzusetzen, so treten diese gleichwohl nicht im Sinne einer Bürgerkriegspartei gegen das staatliche Gewaltmonopol auf. Wie vorstehend unter 1.1 ausgeführt, ist der individuelle Vortrag der Klägerin zu einer Bedrohung bereits nicht glaubhaft, sodass auch keine weiteren Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen. Der Klägerin droht zur Überzeugung des Gerichts weder aufgrund der Sicherheitslage noch ihrer persönlichen Situation als Auslandsheimkehrerin in P. ein ernsthafter Schaden.
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2. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheiden unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in P. und der individuellen Umstände der Klägerin ebenfalls aus.
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Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass die Lage des Betroffenen und seine Lebensumstände im Fall einer Aufenthaltsbeendigung erheblich beeinträchtigt würden, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – NVwZ 2008, 1334; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris). Unabhängig davon, in welchen Fällen existenzbedrohende Armut im Sinne von Art. 3 EMRK relevant sein kann, liegen Anhaltspunkte hierfür nicht vor.
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Die Klägerin ist volljährig und arbeitsfähig; die normative Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG ist nicht widerlegt. Hinweise darauf, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr – allein oder gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung, namentlich durch die im Heimatland lebende Familie – nicht in der Lage sein wird, das Existenzminimum für sich zu sichern, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Es ist nichts dafür erkennbar, dass die Klägerin, der in ihrer Heimat aufgewachsen und sozialisiert ist und zudem als Lehrerin bzw. Betreuerin in einer Kinderkrippe arbeitete, nicht in der Lage wäre, im Falle der Rückkehr ihren Lebensunterhalt zumindest „mit ihrer Hände Arbeit“, wenn gegebenenfalls auch auf eher niedrigem Niveau, so doch noch ausreichend zu bestreiten. Bessere wirtschaftliche oder soziale Perspektiven in Deutschland begründen im Übrigen kein Abschiebungsverbot.
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Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Danach soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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Bei den in P. vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise dann nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris), wenn ein Einzelner gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, liegt nicht vor. Dies hat das Bundesamt im streitbefangenen Bescheid unter Nr. 4 der Begründung (vgl. S. 9) zutreffend festgestellt; hierauf wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Aus den vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln, namentlich den aktuellen Berichten des USDOS und von HRW sowie den ebenfalls aktuellen Briefing Notes des Bundesamtes (vgl. dazu jeweils die verfahrensgegenständliche Erkenntnismittelliste P. Nr. 361, Stand 4.8.2023), ergibt sich hierzu nichts Gegenteiliges.
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Ferner liegt bei der Klägerin kein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis dergestalt vor, dass die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34; vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, 4. Update Oktober 2021, § 60 AufenthG Rn. 104 m.w.N.). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
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Nach §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Eine gesundheitliche Beeinträchtigung wurde durch die Klägerin zuletzt, insbesondere im Rahmen der (ergänzenden) Klagebegründung vom 26. September 2023 nicht (mehr) geltend gemacht. Eine offenbar früher erforderliche, medikamentöse Tuberkulosebehandlung wurde im September 2019 abgeschlossen (vgl. auch Anlagen zum Schriftsatz der Klägerin vom 9.2.2019). Hinweise und Bescheinigungen zu einer chronisch venösen Insuffizienz (Schriftsatz der Klägerin vom 9.2.2019) stammen sämtlich aus den Jahren 2019 und 2020 und sind mithin – unabhängig von ihrer Eignung im Sinne des § 60a Abs. 2c AufenthG – jedenfalls nicht ausreichend aktuell, um daraus im relevanten Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) noch ausreichend belastbare Erkenntnisse gewinnen zu können. Nach alledem ist die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, wonach der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, im Falle der Klägerin nicht widerlegt.
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3. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie gegen die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG bestehen schließlich ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Auf die Feststellungen in Nr. 5 und 6 der Begründung des Bescheids vom 5. Dezember 2019 wird gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen.
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Sonach war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.