Titel:
Erfolgloser einstweiliger Rechtsschutz gegen etwaige strafprozessuale Maßnahmen
Normenketten:
GVG § 17a Abs. 2
VwGO § 40, § 123, § 121
StGB § 182
StPO § 98, § 105,§ 162
Leitsätze:
1. Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen eine etwaige strafrechtliche Durchsuchung und gegen eine etwaige Erhebung der öffentlichen Klage durch die Staatsanwaltschaft ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet. (Rn. 32 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die für den Fall der Unzulässigkeit grundsätzlich vorgesehene Verweisung an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs gem § 173 S. 1 VwGO iVm § 17a Abs. 2 S. 1, Abs. 4 GVG kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht, weil die Regelungen der Strafprozessordnung für ein vorbeugendes Begehren keinen Rechtsbehelf zur Verfügung stellen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (verneint), Anderer offenstehender Rechtsweg (verneint), Rechtskraft, Antrag auf vorbeugende Untersagung von Strafverfolgungsmaßnahmen (abgelehnt), Geltend gemachte Verfassungswidrigkeit einer Strafnorm, entgegenstehende Rechtskraft, Bindungswirkung, Streitgegenstand, Kerntheorie
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31285
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich mittels eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorbeugend gegen eine etwaige Anordnung der Durchsuchung seiner Wohnung sowie gegen eine etwaige Erhebung der öffentlichen Klage in Bezug auf die Straftatbestände des § 182 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 des Strafgesetzbuches (StGB).
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§ 182 StGB hat folgenden Wortlaut:
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(1) […], wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
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(2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
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(3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie
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1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
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und dabei die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
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(4) Der Versuch ist strafbar.
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(5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
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(6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.
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Im Verfahren M 30 E 21.5914 wandte sich der Antragsteller bereits gegen Teilregelungen des § 184c StGB, der die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz jugendpornographischer Inhalte unter Strafe stellt, indem er im Verfahren der einstweiligen Anordnung beantragte, festzustellen, dass er berechtigt sei, dem Straftatbestand unterfallende Handlungen vorzunehmen. Das Verwaltungsgericht München führte in seinem den Antrag ablehnenden Beschluss vom 9. März 2022 unter anderem aus, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei, jedoch auch keine Rechtswegverweisung in Betracht komme, da es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele. Die Verfassungsmäßigkeit von § 184c StGB stelle nicht lediglich eine Vorfrage für die Beurteilung eines Streitgegenstands, sondern vielmehr die Hauptfrage des Verfahrens dar.
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Der Antragsteller begehrte im Verfahren M 30 E 22.570 sodann die Feststellung, dass er berechtigt sei, unter Beteiligung einer 15-jährigen Person sexuelle Handlungen vorzunehmen und vornehmen zu lassen, da § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB verfassungswidrig sei, soweit er 15-jährige Personen erfasse. Das Verwaltungsgericht München lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 16. August 2022 mit der Begründung ab, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei, jedoch auch keine Rechtswegverweisung in Betracht komme, da es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele. Der Antragsteller habe spezifisch verfassungsrechtliche Einwände gegen die Gültigkeit von § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB vorgetragen. Da diese keine Vorfrage für eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit darstellten, verfolge der Antragsteller in der Sache ein Normenkontrollbegehren, das lediglich formal im Wege des Eilrechtsschutzes als Feststellungantrag formuliert worden sei. Der auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss gerichtete Antrag des Antragstellers wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 19. Oktober 2022 abgelehnt. Es könne offenbleiben, ob es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Aus seinem Vortrag ergebe sich nicht, inwieweit zwischen ihm und dem Antragsgegner ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis in Bezug auf § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB bestehen könnte. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm habe der Senat nicht.
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Das Bundesverfassungsgericht nahm eine Verfassungsbeschwerde des Antragstellers gegen § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB mit Beschluss vom 23. Februar 2023 nicht zur Entscheidung an.
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Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2023 hat der Antragsteller nunmehr erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Der Antragsteller trägt im Wesentlichen vor, dass er aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung in der sozialen Entwicklung sehr eingeschränkt sei und Handlungen ausüben wolle, die eine Strafbarkeit nach § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB auslösen könnten. § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB verletze ihn im Hinblick auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung, die Objektformel, das Schuldprinzip und eine Ausgrenzung wegen Behinderung sowie wegen Alters in seinem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG), als unzulässige Altersdiskriminierung in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG und als unzulässige mittelbare Diskriminierung wegen seiner Behinderung in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Überdies sei § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2023 hat der Antragsteller zudem seinen Antrag auf § 182 Abs. 2 StGB erweitert. Der Antragsteller gibt an, dass er gegen Geldzahlung sexuelle Handlungen an 16- und 17-jährigen Mädchen ausüben wolle. Auch § 182 Abs. 2 StGB sei verfassungswidrig, da er als menschenwürdeverletzende Ausgrenzung wegen des Lebensalters gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoße und ihn als unzulässige Diskriminierung wegen des Alters in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Der Antragsteller könne sein Begehren wegen der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) und des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar vor dem Bundesverfassungsgericht verfolgen. Auch scheide ein negativer Feststellungsantrag aus, da noch nicht feststehe, wann, wo und mit wem die sexuellen Handlungen erfolgen sollten. Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch setze dagegen kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis voraus. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 7. Juni, 3. und 9. Juli und 1. August 2023 verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
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Der Antragsteller beantragt,
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1. Dem Antragsgegner wird unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, auch oder ausschließlich gestützt auf § 182 Abs. 2 oder Abs. 3 Nr. 1 StGB die Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers anzuordnen.
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2. Dem Antragsgegner wird unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, auch oder ausschließlich gestützt auf § 182 Abs. 2 oder Abs. 3 Nr. 1 StGB die öffentliche Klage gegen den Antragsteller zu erheben.
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Der Antragsgegner beantragt,
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1. das Verfahren einzustellen,
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2. hilfsweise für den Fall, dass das Verwaltungsgericht von einem wirksamen Eilantrag ausgeht, den Antrag abzulehnen.
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Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2023 erwiderte der Antragsgegner insbesondere, dass bereits kein wirksamer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliege. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit habe sich bereits in den Verfahren M 30 E 21.5914 und M 30 E 22.570 mit dem Anliegen des Antragstellers befasst und ihm zu verstehen gegeben, dass die Eilanträge unzulässig seien bzw. der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet sei. Der Verwaltungsrechtsweg sei auch im jetzigen Verfahren nicht eröffnet. Der Antrag sei zudem aufgrund der entgegenstehenden Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren M 30 E 22.570 unzulässig. Die nun gegenständlichen Fallgestaltungen einer Wohnungsdurchsuchung und einer Erhebung der öffentlichen Klage seien bereits von dem Eilantrag aus dem Jahr 2022 umfasst gewesen. Die entgegenstehende Rechtskraft könne vom Antragsteller durch die jetzt gestellten Anträge nicht umgangen werden. Eine Eilbedürftigkeit sei nicht erkennbar. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 24. Juli 2023 verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 30 E 21.5914, M 30 E 22.570 und M 30 E 23.2896 Bezug genommen.
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Der Antrag ist abzulehnen, da er unzulässig ist. Dies ergibt sich bei Zugrundelegung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs bezüglich § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB zwar noch nicht aus der entgegenstehenden Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren M 30 E 22.570 (1.), jedoch in Bezug auf beide Straftatbestände daraus, dass der Verwaltungsrechtsweg auch im jetzigen Verfahren nicht eröffnet ist und eine Verweisung mangels Offenstehens eines anderweitigen Rechtswegs nicht in Betracht kommt (2.) und der Antragsteller überdies nicht über das für den Eilantrag auf vorbeugende Untersagung notwendige Rechtsschutzbedürfnis verfügt (3.).
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1. Die Unzulässigkeit des Antrags in Bezug auf § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB folgt nicht bereits aus der entgegenstehenden Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren M 30 E 22.570, auch wenn das vom Antragsteller im jetzigen Verfahren verfolgte Rechtsschutzbegehren im Kern mit seinem damals verfolgten Begehren identisch ist.
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a. Die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft schafft ein unabdingbares, in jeder Verfahrenslage von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis für eine erneute gerichtliche Nachprüfung des Anspruchs, über den bereits entschieden worden ist (vgl. Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 121 Rn. 3 f.). Die Bindungswirkung eines eine Klage rechtskräftig abweisenden Prozessurteils bezieht sich auf die darin getroffene Entscheidung, dass die in den Urteilsgründen ausgeführte Sachurteilsvoraussetzung fehlt (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.1998 – 8 B 218/98 – juris Rn. 5; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 69). Auch wenn die Reichweite der Rechtskraft eines Prozessurteils hinter derjenigen eines Sachurteils zurückbleibt, hindert die rechtskräftige Ablehnung der Eröffnung des Verwaltungsrechts den Kläger daran, sein Begehren erneut auf dem Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen (dies voraussetzend BVerwG, U.v. 2.12.1957 – VI C 157/56 – VerwRspr 1958, 379/380; U.v. 10.4.1968 – IV C 160/65 – NJW 1968, 1795). Dies ist auch im Falle der Ablehnung eines Antrags auf einstweilige Anordnung anzunehmen. Schließlich erwachsen Beschlüsse im Verfahren nach § 123 VwGO ebenfalls in materielle Rechtskraft, da sie eine verbindliche und abschließende Klärung eines Zustands herbeiführen sollen, mag dieser auch lediglich ein vorläufiger sein (vgl. Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 37, 41).
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b. Eine Bindungswirkung besteht jedoch nur, soweit über den Streitgegenstand entschieden wurde (so die unmittelbar auf Urteile bezogene Regelung des § 121 VwGO, die gleichermaßen für Beschlüsse gemäß § 123 VwGO gilt, vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2009 – 6 C 3.08 – CR 2010, 30/31). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Streitgegenstand bei einem Feststellungsbegehren ein anderer ist als bei einem Verpflichtungsbegehren (vgl. zu den entsprechenden Rechtsbehelfen in der Hauptsache Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 121 Rn. 7; Lindner in BeckOK VwGO, 66. Edition Stand 1.1.2023, § 121 Rn. 34 ff.), da der Streitgegenstand durch das im Antrag zum Ausdruck kommende Klagebegehren und den ihm zugrunde gelegten Sachverhalt bestimmt wird (sog. zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff; vgl. hierzu nur BVerwG, U.v. 10.5.1994 – 9 C 501/93 – juris Rn. 9; B.v. 21.5.1999 – 7 B 16/99 – juris Rn. 9; U.v. 26.4.2018 – 3 C 11/16 – juris Rn. 17). Demnach ist der jetzige Streitgegenstand auch in Bezug auf § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB ein anderer als im Verfahren M 30 E 22.570.
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Von einer zu einer entgegenstehenden Rechtskraft führenden Identität des Streitgegenstands wäre lediglich bei Zugrundelegung der dem Zivilrecht entstammenden sog. Kerntheorie auszugehen. Diese lässt für eine Identität des Streitgegenstands ausreichen, dass unter Berufung auf denselben Lebenssachverhalt im Kern dasselbe Rechtsschutzziel wie im Vorprozess angestrebt wird, auch wenn die Fassung der Anträge variiert (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand 43. EL August 2022, § 121 VwGO Rn. 21; Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 322 Rn. 41). Dies ist hier der Fall. Dem Antragsteller geht es in Bezug auf § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB ebenso wie im Verfahren M 30 E 22.570 letztlich darum, im Wege verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes eine „Erlaubnis“ für Handlungen, die dem von ihm als verfassungswidrig erachteten Straftatbestand unterfallen, zu erhalten – sie es durch einen auf Feststellung der Berechtigung zu diesen Handlungen gerichteten Antrag (M 30 E 22.570) oder durch einen auf Untersagung von Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden gerichteten Antrag.
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Die Anwendung der Kerntheorie auf das nunmehr vom Antragsteller angestrengte Verfahren vermag jedoch nicht zu überzeugen. Zum einen bezieht sich die Kerntheorie in ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach lediglich auf den Umfang der Rechtskraft eines Unterlassungsurteils und besagt für diesen speziellen Fall, dass aus dem Urteil auch wegen solcher Verstöße gegen das Unterlassungsgebot vollstreckt werden kann, die den Kern der Verbotsform unberührt lassen (vgl. BGH, U.v. 23.2.2006 – I ZR 272/02 – GRUR 2006, 421/422). Dies unterscheidet sich hinsichtlich der Nähe der geltend gemachten Ansprüche zueinander deutlich von der hiesigen Konstellation. Zum anderen kann die Kerntheorie den Unterschieden der einzelnen Klagearten nicht hinreichend Rechnung tragen. Auch wenn die Zugrundelegung der Kerntheorie der Prozessökonomie dienlich wäre, kann dies allein eine Abweichung vom herkömmlichen Streitgegenstandsbegriff nicht rechtfertigen. Dass es sich um ein im Kern identisches Begehren des Antragstellers handelt, ist vielmehr als Frage des Rechtsschutzbedürfnisses einzuordnen (siehe hierzu noch unten 3.c).
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2. Die Unzulässigkeit des gesamten Antrags folgt jedenfalls daraus, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist (b.), eine Verweisung jedoch mangels Offenstehens eines anderweitigen Rechtswegs nicht in Betracht kommt (c.). Dabei kommt dem Beschluss vom 16. August 2022 im Verfahren M 30 E 22.570 insofern keine hinreichende Bindungswirkung zu und sind die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ebenso wie die Möglichkeit einer Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) erneut zu prüfen (a.).
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a. Eine rechtskräftige Entscheidung entfaltet auch bei unterschiedlichen Streitgegenständen Bindungswirkung, wenn und soweit sich die entschiedene Frage in einem späteren Verfahren mit einem anderen Streitgegenstand als (präjudizielle) Vorfrage stellt (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1995 – 9 C 501/93 – NVwZ 1994, 1115; Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 121 Rn. 6). Allerdings ist davon auszugehen, dass die dargestellte präjudizielle Wirkung bei Prozessentscheidungen nicht ohne weiteres gleichermaßen eintritt (vgl. BVerwG, U.v. 10.4.1968 – IV C 160/65 – NJW 1968, 1795; BGH, E.v. 25.11.1966 – V ZR 30/64 – juris Rn. 15). Zwar kommt einer Prozessentscheidung Bindungswirkung hinsichtlich derjenigen Sachurteilsvoraussetzung, die aus Sicht des Gerichts zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs führt, zu (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2020 – 2 C 12/20 – NVwZ 2021, 638/639; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 121 Rn. 21 f.). Dies gilt jedoch insofern nur eingeschränkt, als das entsprechende prozessuale Hindernis beseitigt werden kann. Das Vorliegen der betreffenden Sachurteilsvoraussetzung ist daher in einem Verfahren mit anderem Streitgegenstand vom Gericht (erneut) zu prüfen (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 121 Rn. 21 f.; vgl. hierzu Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand 43. EL August 2022, § 121 VwGO Rn. 91).
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Demnach kommt der Entscheidung im Verfahren M 30 E 22.570, die mangels Rechtskraftfähigkeit des ablehnenden Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Oktober 2022 im Prozesskostenhilfeverfahren durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. August 2022 getroffen wurde, bereits keine Bindungswirkung bezüglich der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und des Offenstehens eines anderweitigen Rechtswegs zu (vgl. zur fehlenden Rechtskraftfähigkeit eines ablehnenden Beschlusses über einen Prozesskostenhilfeantrag BayVGH, B.v. 23.2.2010 – 5 C 09.3081 – juris Rn. 4; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 39).
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b. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht eröffnet.
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Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) setzt voraus, dass in der Hauptsache der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO eröffnet ist (vgl. Buchheister in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 123 Rn. 3). Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Es kommt vorliegend nicht entscheidend darauf an, ob eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt (aa.), da jedenfalls eine abdrängende Sonderzuweisung besteht (bb.).
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aa. Es kann offenbleiben, ob es sich aufgrund der im Beschluss vom 16. August 2022 im Verfahren M 30 E 22.570 dargelegten Erwägungen auch bei dem jetzigen Verfahren insofern um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt, als der Antragsteller wiederum spezifisch verfassungsrechtliche Einwände gegen die Gültigkeit von § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB sowie nunmehr auch von § 182 Abs. 3 StGB vorbringt und es sich aufgrund des fehlenden verwaltungsrechtlichen Charakters des Rechtsschutzes gegenüber Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden (siehe hierzu noch sogleich) hierbei auch nicht lediglich um eine Vorfrage für eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit handelt, deren Entscheidung von der Auslegung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte abhängt.
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bb. Auch wenn man angesichts der auf Strafverfolgungsbehörden bezogene Formulierung der Anträge nicht von einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ausgeht, sind die Regelungen der Strafprozessordnung zum Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden als abdrängende Sonderzuweisung anzusehen.
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Die Anordnung einer Durchsuchung gegenüber dem Beschuldigten eines Strafverfahrens obliegt gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Strafprozessordnung (StPO) i.V.m. § 162 StPO während des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens dem Ermittlungsrichter beim zuständigen Amtsgericht. Im Falle einer Anordnung der Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen bei Gefahr im Verzug (§ 105 Abs. 1 Satz 2 StPO) wird gerichtlicher Rechtsschutz über die entsprechende Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO gewährleistet (Hauschild in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 105 Rn. 42), der Betroffene kann also die richterliche Bestätigung der Maßnahme beantragen. Zuständig hierfür ist während des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens ebenfalls der Ermittlungsrichter beim zuständigen Amtsgericht (Henrichs/Weingast in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 105 Rn. 16 f., § 98 Rn. 4 f.).
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Gegen die Erhebung der öffentlichen Klage durch die Staatsanwaltschaft (§§ 151 ff. StPO) sieht die Strafprozessordnung kein eigenes Rechtsmittel vor. Rechtsschutz wird dem Beschuldigten vielmehr durch das Zwischenverfahren nach § 198 ff. StPO gewährt (vgl. Gorf in BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, 48. Edition Stand 1.7.2023, § 170 StPO Rn. 12), das vor dem für die Hauptverhandlung zuständigen Gericht geführt wird (§ 199 Abs. 1 StPO).
38
c. Die für den Fall der Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs von § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 GVG grundsätzlich vorgesehene Verweisung an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs kommt vorliegend nicht in Betracht, da die Rechtswege bei einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht konkurrieren (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.1991 – 4 CE 91.404 – NVwZ 1991, 699/700; Ehlers in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand 43. EL August 2022, Vorbem. § 17 GVG Rn. 25) und die Regelungen der Strafprozessordnung dem Antragsteller für sein (vorbeugendes) Begehren keinen Rechtsbehelf zur Verfügung stellen.
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Zwar wird durch den Richtervorbehalt des § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO vorbeugender Rechtsschutz bei Durchsuchungen gewährleistet, jedoch setzt dieser einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Durchsuchung voraus und ermöglicht dem Antragsteller daher keine hiervon losgelöste Möglichkeit vorbeugenden Rechtsschutzes. Wird die Durchsuchung bei Gefahr im Verzug von der Staatsanwaltschaft angeordnet (§ 105 Abs. 1 Satz 2 StPO) oder von dieser öffentlichen Klage erhoben, wird der Beschuldigte durch die analoge Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO bzw. § 198 ff. StPO auf nachgängigen Rechtsschutz verwiesen.
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Die dargestellten Rechtsschutzmöglichkeiten sind nicht durch die Gewährung verwaltungsgerichtlichen präventiven Rechtsschutzes gegen eine Durchsuchungsanordnung oder die Erhebung der öffentlichen Klage zu ergänzen (vgl. dazu, dass bei Strafermittlungshandlungen der Staatsanwaltschaft kein Raum für ein Eintreten der Verwaltungsgerichte besteht, Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 130 f.), da im Bereich der Strafverfolgung mit den in der Strafprozessordnung explizit normierten Rechtsschutzmöglichkeiten und deren Ergänzung durch die analoge Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO ein ausdifferenziertes Rechtsschutzsystem besteht, das nach mittlerweile vorherrschender Auffassung bei Maßnahmen der Staatsanwaltschaft nicht einmal der Ergänzung über §§ 23 ff. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) bedarf (vgl. hierzu den Überblick bei Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 622 ff. sowie bei Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 40 Rn. 51).
41
Es ist nicht ersichtlich, dass die Ermittlungsbehörden eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO), wegen Gefahr im Verzug selbst eine Durchsuchung angeordnet hätten (§ 105 Abs. 1 Satz 2 StPO) oder die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage erhoben hätte (§ 152 StPO). Auch aus einer etwaigen analogen Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO ergibt sich kein Rechtsbehelf, der dazu führen würde, dass das Verfahren vom Verwaltungsgericht verwiesen werden könnte, da vorauszusetzen wäre, dass eine Ermittlungsmaßnahme der Staatsanwaltschaft vorliegt. Der Antragsteller begehrt jedoch gerade vorbeugenden Rechtsschutz in Bezug auf etwaige künftige Maßnahmen der Staatsanwaltschaft.
42
3. Im Übrigen wäre der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung selbst bei Bejahung des Verwaltungsrechtswegs unzulässig, weil dem Antragsteller bezüglich einer etwaigen künftigen Anordnung einer Durchsuchung bzw. Erhebung der öffentlichen Klage kein Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Untersagung zukommt, da ihm das für die Zulässigkeit der in der Hauptsache zu erhebenden vorbeugenden Unterlassungsklage vorauszusetzende besondere Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. hierzu Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand 43. EL August 2022, § 123 VwGO Rn. 45).
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a. Das Rechtsschutzinteresse für vorbeugenden Rechtsschutz setzt voraus, dass die möglicherweise subjektive Rechte des Antragstellers verletzenden Maßnahmen alsbald zu besorgen sind oder jederzeit drohen und es dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, zunächst abzuwarten, bis die Maßnahmen erfolgen und die damit möglicherweise verbundene Rechtsverletzung eingetreten ist, um dann nachgängigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1985 – 3 C 34/84 – juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 30.7.2015 – 10 ZB 15.819 – juris Rn. 9; NdsOVG, B.v. 9.4.2014 – 13 LA 17/12 – juris Rn. 9).
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b. Hiervon kann allerdings nicht ausgegangen werden.
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Es ist bereits weder vorgetragen noch aus den Akten zu schließen, dass beabsichtigt ist, die Wohnung des Antragstellers in naher Zukunft tatsächlich zu durchsuchen. Gleiches gilt für die Erhebung der öffentlichen Klage, die im Übrigen eine vorherige Vernehmung des Antragstellers als Beschuldigten voraussetzen würde (§ 163a Abs. 1 StPO).
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Zudem dürfte es dem Antragsteller selbst im Falle zu besorgender bzw. jederzeit drohender Maßnahmen wohl ohnehin zugemutet werden können, nachgängigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Zwar wird die Zumutbarkeit nachgängigen Rechtsschutzes verneint, wenn der Rechtsschutzsuchende damit rechnen muss, bereits vor der Klärung einer unklaren Rechtslage im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens strafrechtlich verfolgt zu werden (vgl. BVerfG, B.v. 7.4.2003 – 1 BvR 2129/02 – NVwZ 2003, 856/857; Kuhla in BeckOK VwGO, 66. Edition Stand 1.7.2023, § 123 Rn. 134a mit weiteren Nw. aus der Rspr.). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch auf die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen, da bei diesen ein schutzwürdiges Interesse daran besteht, den Verwaltungsrechtsweg als „fachspezifischere“ Rechtsschutzform einzuschlagen und führt daher in dem hier zu beurteilenden Fall nicht zur Unzumutbarkeit nachgängigen Rechtsschutzes.
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c. Damit kommt es hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers im jetzigen Verfahren nicht darauf an, dass der Antragsteller in Bezug auf § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB das im Kern identische Begehren bereits im Verfahren M 30 E 22.570 geltend gemacht hat. In etwaigen weiteren, auf demselben Lebenssachverhalt beruhenden und wiederum auf die Verfassungsmäßigkeit von Straftatbeständen bezogenen Verfahren dürfte dies jedoch anders sein, da dem Antragsteller die Rechtsauffassung des Gerichts durch diesen Beschluss nochmals verdeutlicht wurde.
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5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es wurde der volle für das Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert angesetzt, da die Hauptsache durch das Eilverfahren vorweggenommen wird (§ 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz in Verbindung mit Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).