Titel:
Unzulässige Fortsetzungsfeststellungsklage gegen Alkoholkonsumverbot in der Öffentlichkeit während Corona-Pandemie
Normenketten:
VwGO § 42, § 113 Abs. 1 S. 4
11. BayIfSMV § 24 Abs. 2 S. 2
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
Leitsatz:
Das in der angegriffenen, mittlerweile erledigten Allgemeinverfügung geregelte Alkoholkonsumverbot in bestimmten Straßen bzw. auf bestimmten Plätzen im Stadtgebiet ist kein schwerwiegender Grundrechtseingriff, wie er für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse erforderlich ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Alkoholkonsumverbot in der Öffentlichkeit, Fortsetzungsfeststellungsklage (unzulässig), Fehlendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Corona, Fortsetzungsfeststellungsklage, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Allgemeinverfügung, Alkohol, Wiederholungsgefahr, schwerwiegender Grundrechtseingriff
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31283
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der in O. … wohnhafte Kläger wendet sich gegen die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 27. Januar 2021 zum Alkoholkonsumverbot gem. § 24 Abs. 2 Satz 2 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV).
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§ 24 Abs. 2 der 11. BayIfSMV vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 616) erhielt durch § 1 Nr. 7 der Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 20. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 54) mit Wirkung zum 21. Januar 2021 folgende Fassung:
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(2) 1Der Konsum von Alkohol ist auf den öffentlichen Verkehrsflächen der Innenstädte und an sonstigen öffentlichen Orten unter freiem Himmel, an denen sich Menschen entweder auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten, untersagt. 2Die konkret betroffenen Örtlichkeiten sind jeweils von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde festzulegen.
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Die Beklagte erließ am 27. Januar 2021 die streitgegenständliche Allgemeinverfügung zum Alkoholkonsumverbot gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 der 11. BayIfSMV, die mit Wirkung ab dem 28. Januar 2021 in Kraft trat (im Folgenden: Allgemeinverfügung). Die Allgemeinverfügung legt das Alkoholkonsumverbot für das Stadtgebiet der Beklagten für bestimmte näher bezeichnete öffentliche Verkehrsflächen der … Innenstadt fest, die bezüglich des räumlichen Umgriffs durch zwei Lagepläne in den Anlagen veranschaulicht wurden.
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Der Kläger erhob am … Januar 2021 Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung und beantragte zugleich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
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Der Eilantrag wurde vom Gericht mit Beschluss vom 8. Februar 2021 mangels Antragsbefugnis als unzulässig abgelehnt (M 26b S 21.446).
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Mit Schriftsatz vom … Februar 2021 trug der Kläger ergänzend zur Klagebefugnis vor. Mit Schriftsatz vom … Mai 2021 teilte der Kläger mit, dass die Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage geändert werden solle. Mit weiteren Schriftsatz vom … Juni 2021 trug der Kläger ergänzend zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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festzustellen, dass die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 27. Januar 2021 rechtswidrig gewesen ist.
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Zur Begründung trägt er unter anderem vor, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr bestehe, weil nach dem Wegfall der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung vom 27. Januar 2021 seitens der Beklagten mit den Allgemeinverfügungen vom 9. März 2021 und 15. April 2021 wieder gleiche bzw. ähnliche Verfügungen erlassen worden seien. Auch die Regelungen in der 13. BayIfSMV vom 5. Juni 2021 ließen gleiche beziehungsweise ähnliche Regelungen für die Zukunft befürchten, da die Ermächtigungsgrundlage für ein Alkoholkonsumverbot nach wie vor enthalten gewesen sei. Im Übrigen sei er durch die Festlegung der vom Alkoholkonsumverbot betroffenen Plätze in Verbindung mit der Verbotsregelung in seinem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt worden. Die Allgemeinverfügung sei unverhältnismäßig gewesen. Die 11. BayIfSMV sei unwirksam gewesen, da sie nur im Bayerischen Ministerialblatt bekannt gemacht worden sei, nicht aber im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Klage mangels Klagebefugnis unzulässig und im Übrigen unbegründet sei, weil die angegriffene Allgemeinverfügung rechtmäßig gewesen sei.
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Am 19. Oktober 2023 fand die mündliche Verhandlung statt.
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Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Klage bleibt ohne Erfolg, sie ist unzulässig.
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Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich der Verwaltungsakt vor der gerichtlichen Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
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Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung vom 27. Januar 2021 hat sich erledigt, sie wurde von der Beklagten nach Klageerhebung am 9. März 2021 vor der gerichtlichen Entscheidung widerrufen bzw. aufgehoben (vgl. Amtsblatt Nr. 8/2021 der Landeshauptstadt München vom 19. März 2021).
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Der Kläger hat daraufhin die Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt und einen entsprechenden Antrag gestellt.
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Für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt es jedoch am erforderlichen berechtigten Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
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Für das Feststellungsinteresse genügt grundsätzlich jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern. Als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14/12 – juris Rn. 20 m.w.N.). Dabei ist es Sache des Klägers, die Umstände darzulegen, aus denen sich sein Feststellungsinteresse ergibt (BVerwGE 53, 134 (137); Eyermann/Schübel-Pfister, 16. Aufl. 2022, VwGO § 113 Rn. 110). Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist in der Rechtsprechung anerkannt in den Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses. Darüber hinaus kann auch die Art des mit der Klage gerügten Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, die Anerkennung eines Feststellungsinteresses rechtfertigen, wenn sich die unmittelbare Belastung durch den schwerwiegenden Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in der die Entscheidung des Gerichts kaum zu erlangen ist (BVerfG, B.v. 26.1.2021, 2 BvR 676/20, juris Rn. 31; B. v. 6.7.2016, 1 BvR 1705/15, juris Rn. 11; BVerfGE 96, 27, juris Rn. 49; BVerwG, U. v. 12.11.2020, 2 C 5/19, BVerwGE 170, 319, juris Rn. 15 m.w.N.).
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Die vom Kläger vorgetragenen Umstände erfüllen diese Voraussetzungen nicht.
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Insbesondere besteht keine Wiederholungsgefahr in diesem Sinne. Das berechtigte Interesse wegen Wiederholungsgefahr setzt nicht nur die konkrete Gefahr voraus, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird, sondern auch, dass die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14/12 – juris Rn. 21 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist eine konkrete Gefahr dafür, dass die Beklagte einen vergleichbaren Verwaltungsakt erlassen wird, weder vorgetragen noch anderweitig für das Gericht ersichtlich. Zudem haben sich die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände wesentlich geändert. In rechtlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung, nämlich § 24 Abs. 2 der 11. BayIfSMV, sondern sämtliche spezifisch zur Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie erlassenen infektionsschutzrechtlichen Vorgaben zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung längst nicht mehr in Kraft und konkrete Pläne zu deren Neuerlass vom Kläger weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sind. Auch in tatsächlicher Hinsicht liegen wesentlich veränderte Umstände vor. Durch die mittlerweile vorliegende weitgehende Immunisierung der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 durch Impfungen und Erkrankungen sowie fortlaufende Mutationen von SARS-CoV-2 führen Infektionen mit dem Virus zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu deutlich weniger schwerwiegenden Folgen als noch im Frühjahr 2021.
24
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG hingewiesen und sich damit auf die Fallgruppe der schwerwiegenden sich kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriffe berufen hat, lässt sich auch hieraus ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht herleiten. Das in der angegriffenen Allgemeinverfügung geregelte Alkoholkonsumverbot in bestimmten Straßen bzw. auf bestimmten Plätzen im Stadtgebiet der Beklagten ist kein schwerwiegender Grundrechtseingriff in diesem Sinne. Die vom Kläger geltend gemachte Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG erscheint eher marginal, jedenfalls nicht schwerwiegend. Aus dem Vortrag des Klägers ist nicht ersichtlich, warum ihn das Alkoholkonsumverbot an bestimmten Orten außerhalb seines Wohnortes in einer schwerwiegenden Weise beeinträchtigt haben könnte, die ausnahmsweise eine inhaltliche Befassung des Gerichts mit einer erledigten Thematik rechtfertigen würde. Auch die Tatsache, dass der Kläger dem damaligen Verbot in räumlicher (Konsum von Alkohol in einer nicht erfassten Neben straße) und auch zeitlicher Hinsicht (Konsum von Alkohol vor Betreten oder nach Verlassen des entsprechenden Bereichs) leicht hätte ausweichen können, spricht nicht für einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.