Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.11.2023 – M 26b E 23.5056
Titel:

Rundfunkbeitrag, Zwangsvollstreckung, Erfolgloser Eilantrag, Unzulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis mangels Vorbefassung der Behörde

Normenketten:
VwGO § 123
VwGO § 88
VwZVG Art. 17
VwZVG Art. 19
VwZVG Art. 21
Schlagworte:
Rundfunkbeitrag, Zwangsvollstreckung, Erfolgloser Eilantrag, Unzulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis mangels Vorbefassung der Behörde
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31282

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 296,88 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die zwangsweise Beitreibung von Rundfunkbeiträgen.
2
Die Antragstellerin wird unter der bis zum 31. März 2019 geführten Beitragsnummer ... für die Wohnung J. ..., 8. … W. … vom Antragsgegner zur Rundfunkbeitragspflicht herangezogen. Aufgrund unzureichender Zahlung der Rundfunkbeiträge erließ bzw. veranlasste der Antragsgegner zulasten der Antragstellerin in der Vergangenheit mehrere Festsetzungsbescheide, Mahnungen und Vollstreckungsersuchen.
3
Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist die mit Vollstreckungsersuchen vom … April 2023 eingeleitete Zwangsvollstreckung aus insgesamt sieben im Zeitraum zwischen 1. Februar 2014 bis 4. Juni 2021 erlassenen Gebühren-/Beitragsbescheiden bzw. Festsetzungsbescheiden. Der Antragsgegner setzte gegen die Antragstellerin mit folgenden Bescheiden rückständige Rundfunkbeiträge zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 1.285,94 Euro fest:
4
- Mit Gebühren-/Beitragsbescheid vom 1. Februar 2014 (Bl. 126 ff. der Verwaltungsakte) setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis einschließlich Dezember 2013 einen rückständigen Betrag von 61,94 Euro fest, bestehend aus 53,94 Euro Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung und 8,00 Euro Säumniszuschlägen/Kosten. Der Bescheid wurde am 11. Februar 2014 zur Post gegeben (Bl. 123 der Verwaltungsakte).
5
Mit Schreiben vom 1. Juni 2014 (Bl. 134 d. Verwaltungsakte) wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 15. Juni 2014 diesbezüglich gemahnt.
6
- Mit Gebühren-/Beitragsbescheid vom 4. April 2014 (Bl. 129 ff. d. Verwaltungsakte) setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis einschließlich März 2014 einen rückständigen Betrag von 61,94 Euro fest, bestehend aus 53,94 Euro Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung und 8,00 Euro Säumniszuschlägen/Kosten. Der Bescheid wurde am 10. April 2014 zur Post gegeben (Bl. 130 d. Verwaltungsakte).
7
Mit Schreiben vom 1. Juni 2014 (Bl. 134 d. Verwaltungsakte) wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 15. Juni 2014 diesbezüglich gemahnt.
8
- Mit Gebühren-/Beitragsbescheid vom 4. Juli 2014 (Bl. 139 ff. d. Verwaltungsakte) setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. April 2014 bis einschließlich Juni 2014 einen rückständigen Betrag von 61,94 Euro fest, bestehend aus 53,94 Euro Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung und 8,00 Euro Säumniszuschlägen/Kosten. Der Bescheid wurde am 10. Juli 2014 zur Post gegeben (Bl. 140 d. Verwaltungsakte).
9
Mit Schreiben vom 1. Juni 2015 (Bl. 180 d. Verwaltungsakte) wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 15. Juni 2015 diesbezüglich gemahnt.
10
- Mit Festsetzungsbescheid vom 1. Oktober 2014 (Bl. 144 ff. der Verwaltungsakte) setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis einschließlich September 2014 einen rückständigen Betrag von 61,94 Euro fest, bestehend aus 53,94 Euro Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung und 8,00 Euro Säumniszuschlägen/Kosten. Der Bescheid wurde am 10. Oktober 2014 zur Post gegeben (Bl. 141 d. Verwaltungsakte).
11
Mit Schreiben vom 1. Juni 2015 (Bl. 180 d. Verwaltungsakte) wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 15.06.2015 diesbezüglich gemahnt.
12
- Mit Festsetzungsbescheid vom 1. August 2015 (Bl. 205 d. Verwaltungsakte) setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis einschließlich Juni 2015 einen rückständigen Betrag von 168,38 Euro fest, bestehend aus 160,38 Euro Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung und 8,00 Euro Säumniszuschlägen/Kosten. Der Bescheid wurde am 10. August 2015 zur Post gegeben (Bl. 200 d. Verwaltungsakte).
13
Die von der Antragstellerin gegen die Festsetzungsbescheide vom 1. Oktober 2014 und vom 1. August 2015 erhobenen Anfechtungsklagen wies das Gericht mit rechtskräftigem Urteil vom 23. September 2016 (M 26 K 15.4921) ab.
14
Mit Schreiben vom 2. Januar 2018 (Bl. 377 d. Verwaltungsakte) wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 16. Januar 2018 diesbezüglich gemahnt. Das Schreiben wurde am 04. Januar 2018 zur Post gegeben (Bl. 378 d. Verwaltungsakte).
15
- Mit Festsetzungsbescheid vom 3. Mai 2019 (Bl. 438 ff. d. Verwaltungsakte) setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis einschließlich Dezember 2017 einen rückständigen Betrag von 533,00 Euro fest, bestehend aus 525,00 Euro Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung und 8,00 Euro Säumniszuschlägen/Kosten. Der Bescheid wurde am 14. Mai 2019 zur Post gegeben (Bl. 433 d. Verwaltungsakte).
16
Mit Schreiben vom 17. Juni 2021 (Bl. 462 d. Verwaltungsakte) wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 8. Juli 2021 diesbezüglich gemahnt. Das Schreiben wurde am 21. Juni 2021 zur Post gegeben (Bl. 463 d. Verwaltungsakte).
17
- Mit Festsetzungsbescheid vom 4. Juni 2021 (Bl. 470 ff. d. Verwaltungsakte) setzte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis einschließlich Mai 2019 einen rückständigen Betrag von 305,50 Euro fest, bestehend aus 297,50 Euro Rundfunkbeiträgen für eine Wohnung und 8,00 Euro Säumniszuschlägen/Kosten. Ausweislich eines Vermerks vom 14. Juni 2021 auf einem Briefumschlag verweigerte die Antragstellerin die Annahme, weshalb der Festsetzungsbescheid an den Antragsgegner zurückgeleitet wurde (Bl. 466 d. Verwaltungsakte).
18
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2022 (Bl. 513 d. Verwaltungsakte) wurde die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 8. November 2022 diesbezüglich gemahnt. Das Schreiben wurde am 20. Oktober 2022 zur Post gegeben.
19
Ausweislich des Ausstandsverzeichnisses vom … April 2023 entrichtete die Antragstellerin auf den Gebühren-/Beitragsbescheid vom 1. Februar 2014 einen Betrag in Höhe von 45,94 Euro sowie einen Betrag in Höhe von 52,50 Euro auf den Festsetzungsbescheid vom 4. Juni 2021.
20
Mit Schreiben vom 3. Mai 2019 richtete der Antragsgegner ein Vollstreckungsersuchen an das Amtsgericht P. ... … (Bl. 432 d. Verwaltungsakte) bezüglich der bis dahin ergangenen fünf Bescheide und bat um Vollstreckung dieser Bescheide in Höhe von insgesamt 383,50 Euro. Mit Schreiben vom 16.05.2019 sendete die zuständige Gerichtsvollzieherin dem Antragsgegner die Vollstreckungsunterlagen mit dem Hinweis zurück, dass die Rundfunkgebühren bereits vom im selben Haushalt lebenden Ehemann der Antragsgegnerin bezahlt würden (Bl. 454 d. Verwaltungsakte). Nachweise für etwaige Zahlungen der Antragstellerin oder ihres Bevollmächtigten auf die offenen Beiträge für das Konto mit der Beitragsnummer ... der Antragstellerin finden sich weder in der Verwaltungsakte noch wurden solche von der Antragstellerin im Verfahren vorgelegt.
21
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2022 richtete der Antragsgegner ein weiteres Vollstreckungsersuchen an das Amtsgericht P. ... … (Bl. 504 d. Verwaltungsakte) bezüglich der bis dahin ergangenen sechs Bescheide und bat um Vollstreckung dieser Bescheide in Höhe von insgesamt 934,50 Euro. Ob in der Folge Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen wurden, ergibt sich weder aus der Verwaltungsakte noch aus dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten.
22
Mit Schreiben vom … April 2023 richtete der Antragsgegner erneut ein Vollstreckungsersuchen an das Amtsgericht P. ... … (Bl. 739 ff. d. Verwaltungsakte) bezüglich der verfahrensgegenständlichen Bescheide und bat um deren Vollstreckung in Höhe von insgesamt 1.187,50 Euro. Nach der Darstellung im Ausstandsverzeichnis errechnete sich der beizutreibende Betrag aus dem Gesamtwert der in den Bescheiden festgesetzten Rundfunkbeiträge in Höhe von 1.285,94 Euro abzüglich der bereits beglichenen 98,44 Euro.
23
Mit Schreiben vom 17. April 2023 lud die zuständige Gerichtsvollzieherin die Antragstellerin sodann zur Abgabe der Vermögensauskunft für den 24. Mai 2023 (Bl. 48 d. Gerichtsakte). Am 24. April 2024 übersandte der Bevollmächtigte der Antragstellerin ein Schreiben an den Antragsgegner (Bl. 771 der Verwaltungsakte) Anders als in anderen Schreiben war im Briefkopf dieses Schreibens lediglich der Bevollmächtigte der Antragstellerin persönlich, nicht aber die Antragstellerin aufgeführt. Darüber hinaus reagierte weder die Antragstellerin selbst noch ihr Bevollmächtigter außergerichtlich mit weiteren unmittelbar an den Antragsgegner gerichteten Schreiben auf die Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft.
24
Am 05. Mai 2023 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage beim Amtsgericht P. … erheben. Als Betreff war im Schriftsatz „Klage nach § 767 ZPO“ angegeben. Der Bevollmächtigte stellte hierin die folgenden Anträge:
25
1. Die Zwangsvollstreckung, AZ: ... … wird für unzulässig erklärt.
26
2. Die Zwangsvollstreckung aus dem im Antrag zu bezeichneten Titel wird einstweilen ohne Sicherheitsleistung eingestellt.
27
Zur Begründung verweist die Antragstellerin im Wesentlichen darauf, dass sie hinsichtlich der vom Antragsgegner geltend gemachten Forderung in besagter Höhe keinen Festsetzungsbescheid erhalten habe (vgl. Bl. 793, 958 d. Verwaltungsakte). Jedenfalls habe sie aber gegen einen solchen höchstvorsorglich in mehreren Schreiben Widerspruch erhoben. Ferner habe der Antragsgegner erklärt, das verfahrensgegenständliche Beitragskonto bereits zum März 2019 abgemeldet zu haben. Allein in Folge der Abmeldung sei eine Zwangsvollstreckung nicht mehr möglich. Etwaige Festsetzungsbescheide und Mahnungen hätten sich deshalb erledigt. Hilfsweise erhebe sie den Einwand der Verjährung. Ferner akzeptiere sie die vom Antragsgegner gewählte Form der Bekanntgabe von Bescheiden und Schriftstücken nicht. Sie ist der Meinung, lediglich eine Zustellung mittels Postzustellungsurkunde oder durch den Gerichtsvollzieher sei die einzig rechtmäßige Zustellungsart (Bl. 874 d. Verwaltungsakte, Bl. 958 d. Verwaltungsakte). Ferner handle es sich beim Rundfunkbeitragsstaatsvertrag um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter, woraus sich die Nichtigkeit etwaiger Feststellungsbescheide ergebe.
28
Mit Schreiben vom 27. Mai 2023 (Bl. 844 d. Verwaltungsakte) wandte sich die Antragstellerin unmittelbar an die Juristische Direktion des Antragsgegners und erklärte, dass es sich bei dem Zwangsvollstreckungsauftrag um eine Nötigung handle, da bis dahin auf den von ihr hiergegen erhobenen Widerspruch noch nicht reagiert worden sei. Es werde mit Gewalt eine nicht gerechtfertigte Forderung durchgesetzt und Gelder eingetrieben.
29
Mit Beschluss vom 26.05.2023 stellte das Amtsgericht P. ... …, Vollstreckungsgericht, die Vollstreckung aus dem Ausstandsverzeichnis der Antragstellerin vom … April 2023 (Beitragsnummer ....) befristet bis zum 30.06.2023 einstweilig ein (Az. ..., Bl. 803 der Verwaltungsakte). Eine Verlängerung der einstweiligen Einstellung der Vollstreckung erfolgte anschließend jedoch nicht mehr.
30
Mit Schreiben vom 12.09.2023 lud die zuständige Gerichtsvollzieherin die Antragstellerin erneut zur Abgabe der Vermögensauskunft für den 9. Oktober 2023 (Bl. 965 der Verwaltungsakte).
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Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2023 beantragte der Bevollmächtigte des Antragsgegners,
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den Antrag zurückzuweisen.
33
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Klage unzulässig sei, weil eine Vollstreckungsabwehrklage nicht die statthafte Klageart sei, da sich die Anträge gegen die Zwangsvollstreckung eines Festsetzungsbescheides einer Anstalt des öffentlichen Rechts richten. Gegen die Vollstreckung von Verwaltungsakten seien insoweit die allgemeinen Rechtsbehelfe der Verwaltungsgerichtsordnung vorrangig.
34
Mit Beschluss vom 25. September 2023 (Az. ...) hat das Amtsgericht P. ... … den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten im vorliegenden Fall für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München verwiesen.
35
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird im Übrigen auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
36
Der Antrag hat keinen Erfolg.
37
1. Der vom Bevollmächtigten der Antragstellerin gestellte Antrag ist unter Berücksichtigung der zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen als Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung) auszulegen.
38
a. Das Antragsbegehren wird im wohlverstandenen Interesse der nicht anwaltlich vertretenen Antragstellerin gemäß § 88 VwGO i. V. m. den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133,157 des Bürgerlichen Gesetzbuches) dahingehend ausgelegt, dass die Antragstellerin eine einstweilige Anordnung begehrt, die Zwangsvollstreckung aus den verfahrensgegenständlichen Festsetzungsbescheiden bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache für unzulässig zu erklären. In der Hauptsache wäre eine Verpflichtungsklage zu erheben mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung aus diesen Bescheiden für unzulässig zu erklären.
39
§ 88 VwGO gebietet dem Gericht, das tatsächliche Rechtsschutzziel bzw. Antragsbegehren zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Der Wortlaut der Anträge ist nicht entscheidend (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 8; Fertig in BeckOK VwGO, 64. Ed. 1.10.2022, § 88 Rn. 6; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 88 Rn. 3). Ist ein Antragsteller anwaltlich vertreten, kommt der Antragsformulierung eine gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Dies entbindet das Gericht indes nicht davon, das erkennbare, wahre Rechtsschutzziel zur Grundlage einer Sachprüfung zu machen. Bestehen Zweifel, ist ein gerichtlicher Hinweis oder ggf. eine weitere Aufklärung geboten (Fertig, in BeckOK VwGO, 64. Ed. 1.10.2022, VwGO § 88 Rn. 8).
40
b. Dies zugrunde gelegt, kann das streitgegenständliche Antragsbegehren angesichts der fehlenden anwaltlichen Vertretung der Antragstellerin trotz des Verweises auf § 767 ZPO im oben angegebenen Sinne ausgelegt werden.
41
Im Hinblick auf das Recht der Antragstellerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG (Grundgesetz) kann gerade von der anwaltlich nicht vertretenen Antragstellerin eine trennscharfe Abgrenzung mehrerer im Rahmen der Zwangsvollstreckung potentiell in Betracht kommender Rechtsbehelfe vernünftigerweise nicht verlangt werden (vgl. zur Abgrenzung etwa VG München, U. v. 16.08.2021 – M 26a K 19.5925 – juris Rn. 27; VG München, B. v. 25.11.2020 – M 6 E 20.4600 – juris Rn. 19.). Dies gilt umso mehr in Anbetracht des Umstandes, dass die Rechtslage hinsichtlich der Abgrenzung zwangsvollstreckungsrechtlicher Rechtsbehelfe im Bereich der Verwaltungsvollstreckung von Leistungsbescheiden jedenfalls für den nicht juristisch ausgebildeten Bürger regelmäßig nicht auf den ersten Blick zu durchschauen ist. Dies ergibt sich insbesondere aus der Regelung in Art. 26 Abs. 2 Satz 1 VwZVG (Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz), wonach für die Vollstreckung die ordentlichen Gerichte zuständig sind, und diversen weiteren Verweisen im VwZVG auf Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts der Zivilprozessordnung. Zugleich fehlen außerdem eindeutige Hinweise im VwZVG, dass verwaltungsprozessuale Rechtsbehelfe statthaft sind, wenn Einwendungen gegen die Einleitung der Vollstreckung und nicht gegen den Ablauf der einzelnen Vollstreckungsmaßnahme vorgebracht werden.
42
Vor diesem Hintergrund kann die Klage der Antragstellerin trotz des Verweises auf § 767 ZPO unter Berücksichtigung der zu seiner Begründung vorgetragenen Argumente als Antrag auf Gewährung verwaltungsprozessualen Eilrechtsschutzes ausgelegt werden. Umgekehrt darf der Verweis auf § 767 ZPO nicht zum Nachteil der Antragstellerin gewertet werden.
43
Die Antragstellerin hat in der Begründung ihrer Anträge ihr Rechtsschutzziel hinreichend deutlich herausgearbeitet und hierdurch bestimmbar gemacht. Der Antragstellerin geht es in der Sache zur Überzeugung des Gerichts zumindest auch darum, die Einstellung der Zwangsvollstreckung insgesamt zu bewirken, sodass das „Ob“ und nicht das „Wie“ der konkreten Zwangsvollstreckungsmaßnahme betroffen ist. Dieses Rechtsschutzziel kann die Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutz mit einem Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen.
44
2. Der so verstandene Antrag erweist sich jedoch bereits als unzulässig.
45
a. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B. v. 16.08.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m.w.N; VG München, B. v. 28.01.2021 – M 26b E 21.393 – juris – Rn. 15). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
46
b. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin hat es versäumt, sich zunächst hiermit an den Antragsgegner zu wenden und Maßnahmen nach Art. 21 VwZVG zu beantragen, bevor sie um gerichtlichen Rechtsschutz ersuchte.
47
Zwar kennt der Antrag nach § 123 VwGO anders als etwa § 75 VwGO kein generelles Antragserfordernis. Zugleich kann der im konkreten Einzelfall für den Erfolg des Antrags nach § 123 VwGO erforderliche Anordnungsanspruch nur dann bestehen, wenn die Voraussetzungen der geltend gemachten Anspruchsgrundlage vollständig erfüllt sind. Setzt diese einen an die Behörde gerichteten Antrag voraus, so besteht ein Anordnungsanspruch grundsätzlich nur dann, wenn ein solcher vom Antragsteller tatsächlich gestellt wurde (BVerwG, B. v. 22.11.2021 – 6 VR 4.21 – juris Rn. 8; ebenso BayVGH, B. v. 16.05.2023 – 8 CS 22.2615 – juris Rn. 19; BayVGH, B. v. 18.10.2021 – 4 ZB 21.1406 – juris Rn. 17; Happ, in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 34.).
48
Die Antragstellerin macht vorliegend sinngemäß einen Anspruch nach Art. 21 VwZVG geltend. Materiellrechtlich erfordert dieser nach allgemeiner Auffassung einen zunächst an die Anordnungsbehörde gerichteten Antrag, über Einwendungen gegen die die Vollstreckung zu entscheiden. Folge ist mit anderen Worten, dass für eine gerichtliche Entscheidung zu Gunsten der Antragstellerin erforderlich ist, dass sich diese mit ihrem Begehren zunächst an den Antragsgegner gewendet hat, bevor sie um gerichtlichen Rechtsschutz ersucht.
49
Weder hat die Antragstellerin dargelegt, dass sie einen solchen Antrag beim Antragsgegner vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens am 5. Mai 2023 gestellt hatte, noch ist ein solcher Antrag in der vom Antragsgegner geführten Verwaltungsakte enthalten. Zwischen dem Zugang der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft vom 17. April 2023 und dem 5. Mai 2023 brachte die Antragstellerin keine Einwände gegen die gegenüber ihr drohende Zwangsvollstreckung vor.
50
Zwar übersandte der Bevollmächtigte der Antragstellerin ein auf den 24. April 2023 datiertes Schreiben (Bl. 771 d. Verwaltungsakte) an den Antragsgegner, in dem er zum Ausdruck bringt, die Drohung mit Zwangsvollstreckung als Nötigung nach § 240 StGB einzustufen.
51
Die Gesamtumstände sprechen aus Sicht des Gerichts jedoch eher dafür, dass sich der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit dem Schreiben vom 24. April 2023 nicht stellvertretend für die Antragstellerin an den Antragsgegner, sondern vielmehr in eigener Sache an ihn wendete. Insbesondere ergibt sich dies zur Überzeugung des Gerichts aus dem Briefkopf dieses Schreibens, der – anders als in den die Antragstellerin betreffenden Schreiben – nur den Namen des Bevollmächtigten der Antragstellerin enthält. Ferner spricht hierfür auch der Gesamtkontext, da der Antragsgegner mit Schreiben vom 18. April 2023 ankündigte, Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Bevollmächtigten selbst wegen offener Forderung betreffend dessen eigenes Beitragskonto mit der Beitragsnummer ... ergreifen zu wollen.
52
Hinzukommt, dass allein dieser Vortrag angesichts fehlender weiterer Einwendungen unmittelbar die Einleitung der Zwangsvollstreckung betreffend, aus Sicht des Gerichts für eine Auslegung als Antrag im Sinne des Art. 21 VwZVG nicht ausreichen dürfte. Stattdessen erhebt der Bevollmächtigte der Antragstellerin letztlich lediglich Einwände gegen die Rundfunkbeitragspflicht als solche. Diese Einwände sind im Vollstreckungsverfahren der die Rundfunkbeitragspflicht feststellenden Bescheide jedoch grundsätzlich unbeachtlich. Stattdessen sind Einwendungen betreffend die Rundfunkbeitragspflicht als solcher den unmittelbar gegen die jeweiligen Bescheide gerichteten Rechtsbehelfen vorbehalten.
53
Gleiches gilt letztlich auch für das Schreiben vom 19. April 2023 (Bl. 770 ff. d Verwaltungsakte). Zwar ist dieses auch im Namen der Antragstellerin verfasst. Zugleich ergibt sich auch aus diesem weder ein bestimmter Antrag, noch reicht der darin enthaltene Vortrag aus, um das Schreiben auf Basis seines Inhalts als einen an den Antragsgegner gerichteten Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung auslegen zu können.
54
Schließlich kann auch das während des bereits eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens unmittelbar an den Antragsgegner gerichtete Schreiben vom 27. Mai 2023 nicht als Antrag im Sinne des Art. 21 VwZVG ausgelegt werden. Zwar bringt der Bevollmächtigte der Antragstellerin auch hierin seinen Unmut über die Einleitung der Zwangsvollstreckung zum Ausdruck. Zugleich fehlt es aber auch hierin an konkreten Einwänden gegen die Einleitung der Zwangsvollstreckung an sich.
55
Ungeachtet dessen wäre selbst ein eindeutig als solcher zu qualifizierender Antrag im Sinne des Art. 21 VwZVG jedenfalls zu diesem Zeitpunkt als das gerichtliche Verfahren bereits anhängig war, nicht mehr dazu geeignet gewesen, das für einen Antrag nach § 123 VwGO erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zu vermitteln. Andernfalls droht der aus dem Prinzip der Gewaltenteilung abgeleitete und höchstrichterlich anerkannte Grundsatz, wonach die Exekutive im Falle eines Leistungsbegehrens vorzubefassen ist, durch Antragstellung während des gerichtlichen Verfahrens umgangen zu werden (vgl. hierzu BVerwG, B. v. 22.11.2021 – 6 VR 4.21 – juris Rn. 8; ebenso BayVGH, B. v. 16.05.2023 – 8 CS 22.2615 – juris Rn. 19; BayVGH, B. v. 18.10.2021 – 4 ZB 21.1406 – juris Rn. 17; Happ, in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 34.). Letztlich hat die Antragstellerin vor diesem Hintergrund nicht sämtliche vernünftigerweise in Betracht kommenden Möglichkeiten zur Erreichung ihres Rechtsschutzziels ergriffen, bevor sie sich an das Amtsgericht P. ... … wandte, sodass ihrem Antrag das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
56
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wonach in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel bei sonstigen auf bezifferte Geldleistungen gerichteten Verwaltungsakten der Streitwert ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts beträgt. Ausgehend vom im vorliegenden Verfahren insgesamt zu vollstreckenden Betrag von 1.187,50 Euro sind dies vorliegend 296,88 Euro.