Titel:
Erfolglose Erinnerung der Klagepartei gegen Kostenfestsetzungsbeschluss nach Gerichtsbescheid
Normenketten:
VwGO § 84 Abs. 1, § 151, § 162 Abs. 1, § 164, § 165
RVGVV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Eine im Gerichtsbescheid vollumfänglich obsiegende Partei kann keine mündliche Verhandlung erzwingen, womit auch die Voraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG nicht vorliegen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Frage, ob die fiktive Terminsgebühr angefallen ist, ist nur die Perspektive desjenigen zu betrachten, dessen Vergütungsanspruch in Rede steht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erinnerung gegen Kostenfestsetzung, Fiktive Terminsgebühr bei Gerichtsbescheid nur in Fällen zulässiger mündlicher Verhandlung, Gebührenrecht, Gerichtsbescheid, Kostenfestsetzung, Erinnerung, Rechtsanwalt, fiktive Terminsgebühr
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31281
Tenor
I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Die Antragstellerinnen wenden sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom … 2022.
2
Mit Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2021, rechtskräftig seit 18. Februar 2021 hatte das Bayerische Verwaltungsgericht München im Verfahren M 19 K 20.50446 den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2020, der den Asylantrag der Antragstellerinnen als unzulässig ablehnte und die Abschiebung nach Schweden im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens anordnete, aufgehoben. Aufgrund des vollumfänglichen Erfolgs der Klage, wurden im Gerichtsbescheid die Kosten der Antragsgegnerin auferlegt.
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Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2021 die Kostenfestsetzung. Neben einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr machte er u.a. auch eine 1,2-fache Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geltend.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Februar 2022 kürzte das Verwaltungsgericht München die beantragten Kosten um die Terminsgebühr. Begründet wurde dies damit, dass zwar ein Gerichtsbescheid ergangen sei, aufgrund des vollständigen Obsiegens in der Hauptsache aber mangels Beschwer kein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe werden können (Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG). Die gesetzliche Begründung des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG – (G.v. 23.7.2013, BGBl. I S. 2586) zur Anpassung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG offenbare, dass nach dem gesetzgeberischen Willen die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr zusätzlich das Erfordernis aufstelle, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Dies sei hier nicht der Fall.
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Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2022 beantragte die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen eine gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Februar 2022, soweit darin nicht die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG i.H.v. 428,80 € enthalten war. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV Abs. 1 Nr. 2 RVG unabhängig von der Frage entstehe, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig sei oder nicht (Bay VGH, B.v. 27.2.2020 – 8 C 18.1889). Damit werde der mit dem Gebührenrecht nicht vereinbare Grundsatz vermieden, die Entstehung einer anwaltlichen Gebühr vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig zu machen. Das Abstellen auf die Beschwer würde darüber hinaus einen Anreiz dafür schaffen, durch Stellung ausufernder Klageanträge eine Klageabweisung in einem minimalen Teil zu erreichen, nur um im Anschluss daran die fiktive Terminsgebühr abrechnen zu können (VG Minden, B.v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A – juris Rn. 16), wodurch der Zweck der Regelung, eine prozessökonomische Verfahrensführung seitens der Beteiligten auf Gebührenebene zu honorieren, gerade ins Gegenteil verkehrt würde. Zum Tragen komme die beabsichtigte Steuerungswirkung bereits in dem frühen Stadium der Anhörung der Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides, um einen Anreiz zu setzen, in geeigneten Fällen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO das Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu beenden.
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Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in dem vorliegenden Verfahren sowie auf das Verfahren M 19 K 20.50446 verwiesen.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 165, 151 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
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Für die Entscheidung über die Erinnerung, mit der die Antragstellerinnen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. Februar 2022 nach § 164 VwGO angreifen, ist der Einzelrichter zuständig, da die der Kostenfestsetzung zugrundeliegende Kostengrundentscheidung eine Einzelrichterentscheidung war und über die Erinnerung nach §§ 165, 151 VwGO das Gericht des ersten Rechtszugs in der gleichen Besetzung entscheidet (Kopp/ Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 165 Rn. 3).
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Gemäß § 164 VwGO setzt der Urkundsbeamte auf Antrag hin den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Kosten im Sinne dieser Vorschrift sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung des nach der gerichtlichen Kostengrundentscheidung erstattungsberechtigten Beteiligten notwendigen (außergerichtlichen) Aufwendungen (vgl. § 162 Abs. 1 VwGO). Diese wurden vorliegend zutreffend festgesetzt.
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Die Erinnerung ist unbegründet. Die Kostenbeamtin hat zu Recht bei der Festsetzung der den Antragstellerinnen zu erstattenden Kosten (§§ 164, 162 Abs. 1 und 2 VwGO) die beantragte Terminsgebühr nicht festgesetzt. Eine mündliche Verhandlung fand nicht statt, sodass es allein um die Frage der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr geht. Diese ist vorliegend nicht zu gewähren, da abgesehen davon, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde, diese auch nicht in zulässiger Weise beantragt hätte werden können.
12
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr u.a. dann, wenn „nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO […] durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Vorliegend wurde zwar durch Gerichtsbescheid entschieden; die weitere, mit dem 2. KostRMoG hinzugekommene Voraussetzung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG fehlt jedoch. Der Antragssteller hätte zwar formal die Möglichkeit gehabt, innerhalb von 2 Wochen nach Erlass des ihm vollumfänglich stattgebenden Gerichtsbescheids, mündliche Verhandlung zu beantragen; so sieht es im Übrigen auch die Rechtsbehelfsbelehrung vor. Ein solcher Antrag wäre jedoch durch Beschluss als unzulässig abzulehnen gewesen. Gegen einen Gerichtsbescheid kann nur derjenige Beteiligte einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist (vgl. Kopp/ Schenke, 22. Aufl. 2016, § 84 VwGO Rn. 37; Schübel-Pfister in Eyermann, 16. Aufl. 2022 § 84 VwGO Rn. 21). Der Antragsteller konnte somit keine mündliche Verhandlung erzwingen (vgl. VG Regensburg, B.v. 9.3.16 – RN 2 M 16.30211 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
13
Das Gericht folgt damit der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinen Entscheidungen vom 9. August 2022 (BayVGH, B.v. 9.8.2022 – 7 C 22.928 – juris Rdn. 7 ff., insbes. Rn. 11) und vom 24. Oktober 2018 (BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 – juris Rn. 10), wonach eine im Gerichtsbescheid vollumfänglich obsiegende Partei keine mündliche Verhandlung erzwingen kann und somit auch die Voraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG nicht vorliegen. Auf die anderslautende Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Februar 2020 (BayVGH, B.v. 27.2.2020 – 8 C 18.1889 – juris Rdn. 8 ff.), die in diesen Fällen den Ansatz einer fiktiven Terminsgebühr für gerechtfertigt hält, wird in der o.g. Entscheidung vom 9. August 2022 explizit Bezug genommen und ihr entgegengetreten.
14
Zwar ist der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG insoweit offen. Die Möglichkeit der Beantragung einer mündlichen Verhandlung (Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 VV RVG) verlangt aus Sicht des Gerichts nach dem Sinn und Zweck der Regelung allerdings, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig gestellt werden könnte. Dies ist jedoch im vorliegendem Fall mangels Beschwer nicht möglich (vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2002 – 1 C 15/01 – juris Rn. 10). Dieses Verständnis der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG wird durch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11471 [neu] S. 275) gedeckt, in der es u.a. heißt:
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„Die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr soll konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist“.
16
Die Gewährung einer fiktiven Terminsgebühr in Fällen, in denen der Antrag auf mündliche Verhandlung ohne jedes verfahrensrechtliche Erfordernis ausschließlich aus gebührentaktischen Gründen theoretisch möglich erscheint, erachtet das Gericht hingegen als in der Sache verfehlt und nicht gerechtfertigt (vgl. auch OVG SH, B.v. 11.10.2022 – 5 KS 8/21 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 9.8.2022 – 7 C 22.928 – juris Rn. 10 ff.; VG München, B.v. 24.8.2023 – M 18 M 22.31018 – juris Rn. 22). Gleiches gilt bezüglich des Einwands des Prozessbevollmächtigten, das Abstellen auf die Beschwer würde einen Anreiz zu ausufernden Klageanträgen schaffen, nur um in einem minimalen Teil eine Klageabweisung zu schaffen (so VG Minden, B.v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A – juris Rn. 16). Ein solches (rechtsmissbräuchliches) Ansinnen verfängt nicht. Das Gericht schließt sich vollumfänglich den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 9. August 2022 an (BayVGH, B.v. 9.8.2022 – 7 C 22.928 – juris Rn. 13), wo es heißt:
17
„Der Gesetzgeber hat die mit der Entlastung der Justiz einhergehende Kostenbelastung des unterlegenen Beteiligten offensichtlich auf die Fälle beschränken wollen, in denen das befürchtete Szenario (Belastung der Justiz mit inhaltlich leerlaufenden, im Gebühreninteresse beantragten mündlichen Verhandlungen) überhaupt entstehen kann. Deshalb ist für die Frage, ob die fiktive Terminsgebühr angefallen ist, stets nur die Perspektive desjenigen zu betrachten, dessen Vergütungsanspruch in Rede steht (vgl. VG Schleswig, B.v. 6.7.2017 – 12 A 945/16 – juris Rn. 12 f.). Kann dieser eine mündliche Verhandlung nicht erzwingen, besteht für eine Kostenbelastung des unterlegenen Beteiligten mit einer nur ausnahmsweise in Betracht kommenden fiktiven Terminsgebühr keine sachliche Rechtfertigung.“
18
Ebenso wird der weitere Einwand der Antragstellerseite, die beabsichtigte Steuerungswirkung komme bereits in dem frühen Stadium der Anhörung der Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides zum Ansatz nicht geteilt. Denn wie die Antragstellerseite selbst vorträgt, kann ein Beteiligter eine Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheides nicht verhindern, wenn die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegen. Dem Sinn und Zweck der Nr. 3104 I Nr. 2 VV RVG entsprechend, soll eine Terminsgebühr des klägerischen Anwalts, im Falle einer durch Gerichtsbescheid erfolgreichen Klage gerade mangels erforderlicher Steuerungswirkung ausgeschlossen werden. Bei fehlender Beschwer – die im Fall einer obsiegenden Klage besonders augenscheinlich ist – hat es der Anwalt nicht in der Hand, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, soll vielmehr ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten getroffen werden (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17).
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Nach alledem war die Erinnerung zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG, hier auch aufgrund § 83b AsylG).
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar gemäß § 80 AsylG (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2020 – 13a C 20.30391- juris Rn. 8).