Inhalt

VG München, Urteil v. 12.10.2023 – M 10 K 21.650
Titel:

Versammlungsrechtliche Verfügungen der Münchener Verwaltungsbehörde aufgrund des Infektionsschutzes rechtmäßig

Normenketten:
BayVersG Art. 15 Abs. 1
8. BayIfSMV § 7 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Die vollständige Untersagung einer Versammlung stellt die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar, sodass insoweit ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Klärung der Rechtmäßigkeit der Untersagung besteht. (Rn. 10 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch mit 300 anstatt 500 Teilnehmern ist es möglich, dem kommunikativen Anliegen einer Versammlung ausreichendes Gewicht zu verleihen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt auch voraus, dass die Behörde voraussichtlich zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Verurteilung aufgrund eines Verstoßes gegen versammlungsrechtliche Auflagen begründet kein Rehabilitationsinteresse. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ iSd Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst neben dem Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsrecht, Besonderes Feststellungsinteresse (teilweise bejaht), Autokorso, Beschränkung der Teilnehmerzahl der Abschlusskundgebung, Untersagung einer sich fortbewegenden Versammlung, Ex-ante Gefahrenprognose, besonderes Feststellungsinteresse, kommunikatives Anliegen einer Versammlung, ex-ante Gefahrenprognose, Wiederholungsgefahr, Teilnehmerzahl
Fundstelle:
BeckRS 2023, 31276

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.  

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit versammlungsrechtlicher Verfügungen der Landeshauptstadt München.
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Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf die Gründe des gerichtlichen Beschlusses vom 6. Februar 2021 (M 13 S 21.649) Bezug genommen.
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Die am 6. Februar 2021 erhobene Klage hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Er beantragt zuletzt,
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festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom *. Februar 2021 (Az.: KVR-I-254/1341.007) bezüglich der Auflagen Nummer 1 (Untersagung), Nummer 2.1 e) und 2.1 i) dahingehend, dass die weiteren Insassen das Fahrzeug nicht verlassen dürfen und Nummer 2.2 b) (Teilnehmerzahl) rechtswidrig gewesen ist.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass eine erhebliche Wiederholungsgefahr für ähnliche versammlungsrechtliche Einschränkungen bestehe. Der Kläger plane zukünftig weitere Versammlungen anzumelden, es sei im Hauptsacheverfahren darüber zu entscheiden, dass ähnliche Einschränkungen rechtswidrig waren. Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2023 hat der Kläger sein Vorbringen bekräftigt und vertieft.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 13 S 21.649, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat mit ihren zuletzt gestellten Anträgen keinen Erfolg. Sie ist lediglich teilweise zulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet.
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1. Die grundsätzlich gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur teilweise zulässig.
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a) Für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse genügt jedes nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei es Sache des Klägers ist, die Umstände darzulegen, aus denen sich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1990 – 3 C 49/87 – juris Rn. 25; Schübel-Pfister in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 113 VwGO Rn. 109 m.w.N.). In versammlungsrechtlichen Verfahren besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 36; vgl. auch: BayVGH, B.v. 13.1.2023 – 10 ZB 22.1408 – juris; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 26 ff.) ein solches Interesse unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit dann, wenn die Gefahr einer Wiederholung besteht, die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann.
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aa) Eine Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass die Behörde erneut einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt des erledigten Verwaltungsakts oder zumindest einen gleichartigen Verwaltungsakt erlässt. Dies setzt jedoch nicht nur die konkrete Gefahr voraus, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird. Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (vgl. zusammenfassend: Schübel-Pfister, a.a.O., Rn. 112 m.w.N.). Konkret bezogen auf versammlungsrechtliche Streitigkeiten setzt das Erfordernis der Wiederholungsgefahr zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (BVerfG, B.v. 3.3.2004, a.a.O., Rn. 41).
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bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es ferner das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. In versammlungsrechtlichen Streitigkeiten ist ein schwerwiegender Eingriff in die Versammlungsfreiheit, der ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen und damit die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes eröffnen kann, gegeben, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Dasselbe gilt, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von Auflagen nur in einer Weise, die den spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 37 f.; vgl. auch: BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 31).
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cc) Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (BVerwG, B.v. 25.6.2019 – 6 B 154.18 – juris Rn. 5 m.w.N.; BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – juris Rn. 25 m.w.N.).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen liegt ein besonderes Feststellungsinteresse nur insoweit vor, als sich die Klage gegen die Untersagung der sich fortbewegenden Versammlung richtet. Die vollständige Untersagung einer Versammlung stellt, wie gesehen, die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar, sodass insoweit ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Klärung der Rechtmäßigkeit der Untersagung besteht.
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aa) Soweit sich die Klage gegen die Nummern 2.1 Buchst e und i (Beschränkungen hinsichtlich des Autokorsos) sowie Nummer 2.2 Buchst. b (Beschränkung der Teilnehmerzahl) richtet, liegen lediglich Abweichungen in der Modalität der Versammlungsdurchführung vor, die keinen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellen. Ungeachtet der Beurteilung der Rechtmäßigkeit im Beschluss des Gerichts vom 6. Februar 2021 ist weder vom Kläger dargelegt noch für das Gericht ersichtlich, dass durch die Verfügungen zur Durchführung des Autokorsos bzw. die Verkleinerung der Versammlung das jeweilige kommunikative Anliegen wesentlich erschwert worden wäre. Durch diese Beschränkungen wurde die Wahrnehmbarkeit der Versammlung zwar berührt, diese haben aber die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung nicht wesentlich erschwert. Der Kläger konnte mit der Versammlung auf sein Anliegen aufmerksam machen, wenn auch in einem von der Anzeige abweichenden begrenzten personenmäßigen Umfang (vgl. zum Ganzen auch VG Augsburg, U.v. 10.6.2021 – Au 8 K 21.384 – juris Rn. 29). Auch mit 300 anstatt 500 Teilnehmern war es möglich, dem kommunikativen Anliegen der Versammlung ausreichendes Gewicht zu verleihen. Dass die verkleinerte Versammlung vom Kläger als weniger „wuchtig“ empfunden worden sein mag, ändert nichts daran, dass die Wahrnehmbarkeit des kommunikativen Anliegens der Versammlung an den konkreten Örtlichkeiten im zentralen Innenstadtbereich auch mit der verringerten Teilnehmerzahl ausreichend möglich war. Der spezifische Charakter der Versammlung, die sich gegen die Corona-Maßnahmen bzw. insbesondere die Rolle des RKI gerichtet hat, wurde durch die personenmäßige Verkleinerung der Versammlung nicht verändert, zumal es dem Kläger bzw. der Versammlung, wie gesehen, ermöglicht wurde, in zentralen und frequentierten Innenstadtbereichen auf das Anliegen der Versammlung aufmerksam zu machen.
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bb) Soweit der Kläger schließlich noch eine Wiederholungsgefahr geltend macht, kann er hiermit insgesamt nicht durchdringen. Der Kläger setzt sich in seinem Schriftsatz vom 8. Oktober 2023 ungeachtet seiner Referenzen auf verschiedene Internetquellen nicht ausreichend mit den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Wiederholungsgefahr auseinander. Die Ausführungen des Klägers zur Wiederholungsgefahr offenbaren ein überdehnendes Verständnis des Rechtsbegriffs der Wiederholungsgefahr, welches mit den von ihm selbst zitierten Rechtsprechungsfundstellen in keiner Weise in Einklang zu bringen ist (vgl. dazu, jeweils mit weiteren Nachweisen: Schübel-Pfister in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 112 f.). Die geäußerte Absicht des Klägers, weitere vergleichbare Versammlungen durchführen zu wollen, reicht allein nicht aus, sondern das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt auch voraus, dass die Behörde voraussichtlich zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 41). Dies erfordert nicht nur, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird, sondern darüber hinaus auch, dass die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Hinweise des Klägers unter anderem zum „Zeitalter der Pandemien“ und neuen ansteckenderen Varianten des Coronavirus sind ungeeignet, eine Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der dargestellten höchstrichterlichen Anforderungen darlegen zu können. Es fehlt an jeglichen Ausführungen dazu, dass die Behörde künftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird oder vergleichbare versammlungsrechtliche Verfügungen erlassen darf. Die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände sind aktuell in keiner Weise mehr vergleichbar mit denen zum Zeitpunkt des Erlasses der streitbefangenen Auflagen. Alle rechtlichen Infektionsschutzmaßnahmen, die Gegenstand einer vergleichbaren Versammlung sein könnten, sind aufgegeben worden (vgl.: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/ende-corona-massnahmen-2068856). Mangels Rechtsgrundlage könnte die Beklagte daher derzeit auch keinen vergleichbaren Bescheid mehr erlassen.
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cc) Soweit sich der Kläger mit seinem Schriftsatz vom 8. Oktober 2023 erstmalig auf ein Rehabilitationsinteresse beruft (S. 5), führt dies ebenso nicht zur (vollständigen) Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage. Unabhängig davon, dass sich der Kammer der Eindruck aufdrängt, dass hiermit ein Einwand geltend gemacht wird, der sachlich dem Verfahren M 10 K 21.1023 zuzuordnen ist (die Schriftsätze vom 8.10.2023 sind in beiden Verfahren M 10 K 21.650 und M 10 K 21.1023 nahezu identisch), begründet eine Verurteilung aufgrund eines Verstoßes gegen versammlungsrechtliche Auflagen kein Rehabilitationsinteresse. Eine Verurteilung im Ordnungswidrigkeitenverfahren stellt sich lediglich als mittelbare Folge der versammlungsrechtlichen Beschränkungen, gegen die der Kläger verstoßen haben soll, dar (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 BV 17.2405 – juris Rn. 29 f.).
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2. Soweit die Klage zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Die im Bescheid vom *. Februar 2021 verfügte Untersagung der sich fortbewegenden Versammlung begegnete keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken und verletzte daher den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die beschränkende Verfügung ist Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 BayVersG der Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids. Auf spätere Erkenntnisse kommt es daher nicht an.
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a) Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinn von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst neben dem Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Die Rechtsordnung umfasst neben den Rechtsnormen des öffentlichen Rechts auch das gesamte Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht. In der Regel wird daher eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angenommen, wenn ein Verstoß gegen Strafvorschriften droht (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – BVerfGE 69, 315). Ob durch das erwartete Verhalten gegen Strafnormen verstoßen wird, bemisst sich nach der objektiven Rechtslage und ist nicht Teil des Beurteilungs- oder Ermessensspielraums der Behörde. Dieser ist erst dann und nur dann eröffnet, wenn das angekündigte oder prognostizierte Verhalten tatsächlich strafwürdig ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris). Aufgabe der Gerichte ist es zu prüfen, ob die von der Versammlungsbehörde für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08 – juris). Die Frage, ob bei der allgemein im Gefahrenabwehrrecht gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung begründeten, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2019 – 10 ZB 17.441 – juris; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – VGHE BY 71, 91).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen ergeben sich hinreichend tragfähige Gesichtspunkte und Erwägungen für die vorliegend maßgebliche ex-ante-Gefahrenprognose bezüglich der Untersagung der sich fortbewegenden Versammlung. Die Kammer folgt insofern den Ausführungen des Eilbeschlusses vom 6. Februar 2021, wonach die Versammlungsbehörde nachvollziehbar und schlüssig dargelegt hat, dass die Durchführung einer sich fortbewegenden Versammlung aufgrund der damaligen Erfahrungen mit dem Veranstalter- und Teilnehmerkreis infektionsschutzrechtlich nicht vertretbar gewesen wäre (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 8. BayIfSMV). Gegen die diesbezügliche Begründung des Beschlusses vom 6. Februar 2021 (Hygienekonzept nicht ausreichend, Ziehharmonika-Effekt bei fortbewegender Versammlung mit Unterschreitung der Mindestabstände) hat der Kläger im Klageverfahren nichts an Substanz entgegengesetzt. Insbesondere kommt es bei einer Gefahrenprognose aus ex-ante Perspektive nicht auf nachträgliche Erkenntnisse zur Sinnhaftigkeit bestimmter Pandemiemaßnahmen, wie sie der Kläger etwa unter Verweis auf den Bundesgesundheitsminister anführt, an.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.