Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 12.10.2023 – Au 9 K 23.998
Titel:

Keine Erstattung von Verdienstausfallentschädigung bei fehlender Corona-Impfung

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
IfSG § 56 Abs. 1 S. 4, Abs. 5
Leitsatz:
Der Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung der während einer angeordneten Quarantäne als enge Kontaktperson eines Corona-Infizierten gezahlten Verdienstausfallentschädigung ist ausgeschlossen, wenn aufgrund fehlender Mitwirkung davon ausgegangen werden muss, dass dieser Anspruch ausgeschlossen ist, weil die Absonderung durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung gegen COVID-19 hätte vermieden werden können. (Rn. 30, 32 und 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, häusliche Quarantäne, Ausschlusstatbestand, Möglichkeit einer Impfung zur Vermeidung der Quarantäne, fehlende Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers, Quarantäne, Impfung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30897

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Erstattung der von ihr an ihren Mitarbeiter S. während seiner Quarantäne geleisteten Lohnzahlung i.H.v. 557,33 EUR.
2
Die Klägerin ist auf dem Gebiet der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) tätig und unterhält bundesweit ... Niederlassungen. Der Arbeitnehmer S. war ein Mitarbeiter in der Niederlassung, der im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung im Kundenbetrieb als Montierer eingesetzt war.
3
Mit Bescheid des Landratsamts ... vom 24. September 2021 wurde der Arbeitnehmer S. als enge Kontaktperson verpflichtet, sich umgehend in häusliche Quarantäne zu begeben. Die häusliche Quarantäne begann am 15. September 2021 und endete am 25. September 2021 (24.00 Uhr).
4
Mit Formblatt vom 14. November 2022 beantragte die Klägerin die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen nach § 56 Abs. 1 u. 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und §§ 57, 58 IfSG. Im Formblattantrag ist u.a. ausgeführt, dass der betroffene Arbeitnehmer die ausgeübte Tätigkeit nicht im „Homeoffice“ habe ausüben können. Bei der Tätigkeit als Mitarbeiter der Produktion sei kein „Homeoffice“ möglich, da die Tätigkeit ausschließlich vor Ort ausgeübt werden könne. Der Arbeitnehmer sei während der angeordneten Quarantäne weder krankgeschrieben noch arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Einnahmen aus einer Ersatztätigkeit seien nicht erzielt worden. Auch bestehe keine sonstige Entschädigung bzw. Kompensation für den Verdienstausfall. Die zunächst im Formblatt beantragte Entschädigungssumme betrug 654,76 EUR.
5
Dem Formblattantrag war die Arbeitnehmererklärung, aus der sich notwendige Informationen über den Impfstatus des Arbeitsnehmers ergeben, nicht beigefügt.
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Mit E-Mail vom 26. Mai 2023 wurde die Klägerin vom Beklagten aufgefordert, die fehlenden Unterlagen nachzureichen.
7
Hierauf teilte die Klägerin mit E-Mail vom 2. Juni 2023 mit, dass die Nachreichung der angeforderten Unterlagen nicht möglich sei, da der Mitarbeiter S. bereits seit März 2022 nicht mehr bei der Klägerin im Unternehmen beschäftigt sei.
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Mit Bescheid der Regierung von ... vom 20. Juni 2023 wurde der Antrag der Klägerin auf Verdienstausfallentschädigung abgelehnt.
9
Zur Begründung seiner Entscheidung führt die Regierung von ... aus, dass nach § 56 Abs. 1 IfSG eine Entschädigung erhalte, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.v. § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliege oder unterworfen werde und dadurch einen Verdienstausfall erleide. Ein Verdienstausfall liege vor, wenn für die Dauer der Quarantäne kein Anspruch auf Lohnfortzahlung aufgrund einer anderen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmung bestehe. Diese anspruchsbegründenden Voraussetzungen seien vorliegend bei der Klägerin nicht gegeben. Da die Klägerin der ihr obliegenden Pflicht zur Vorlage der anspruchsbegründenden Angaben/Unterlagen nicht nachgekommen sei, sei der Antrag mangels Überprüfbarkeit der Anspruchsvoraussetzungen abzulehnen.
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Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Bescheid der Regierung von ... vom 20. Juni 2023 verwiesen.
11
Gegen den vorbezeichneten Bescheid hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Juni 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
12
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 20. Juni 2023 zur Vorgangserkennungsnummer ... verpflichtet, der Klägerin die Erstattung des Verdienstausfalls für den Arbeitnehmer S. i.H.v. 557,33 EUR brutto auf deren Antrag vom 14. November 2022 gem. § 56 Abs. 1, 5 IfSG i.V.m. § 57 IfSG für den Zeitraum 15. September 2021 bis 25. September 2021 zu bewilligen sowie Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren.
13
Zur Begründung der Klage ist mit Schriftsatz vom 25. Juli 2023 ausgeführt, dass der Ablehnungsbescheid unter Missachtung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung des § 56 Abs. 1 IfSG sowie ermessensfehlerhaft ergangen und damit rechtswidrig sei. Die Beklagte habe den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass sie für den Arbeitnehmer S. Beiträge zur Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Sozialversicherung abgeführt habe. Diese Beträge seien jedoch für den Arbeitnehmer ausweislich der Formblatterklärung abgeführt worden. Auch ergebe sich dies bereits aus den eingereichten Lohnabrechnungen. Die rein aus formalen Gründen erfolgte Ablehnung könne nicht nachvollzogen werden, zumal der Beklagte dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliege, die entsprechenden Angaben aus dem Antrag auch stichprobenartig zu überprüfen. Sämtliche Angaben, die die Klägerin bereitzustellen verpflichtet sei, seien bereitgestellt worden. Es bestünden keinerlei sachliche Argumente gegen den Erstattungsanspruch der Klägerin.
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Die Klägerin hat sich im Schriftsatz vom 28. Juni 2023 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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Die Regierung von ... ist der Klage für den Beklagten mit Schriftsatz vom 2. August 2023 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
17
Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Ablehnung des Antrags auf Verdienstausfallentschädigung rechtmäßig erfolgt sei, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht vollständig geprüft werden konnten und der mit der Klage angegriffene Bescheid die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletze. Dem Antrag vom 14. November 2022 sei keine Arbeitnehmererklärung beigefügt gewesen, aus der sich notwendige Informationen über den Impfstatus des Arbeitsnehmers ergeben. Bei der Aufforderung vom 26. Mai 2023, die noch fehlenden Unterlagen nachzureichen, sei explizit darauf hingewiesen worden, dass die Nrn. 1 u. 3 der Erklärung zum Arbeitgeberantrag maßgeblich seien. Dabei handele es sich um Angaben zur Schutzimpfung gegen COVID-19 und unter Nr. 3 um allgemeine Angaben. Die Ablehnung sei nicht aufgrund fehlender Angaben zur geleisteten Sozialversicherung, sondern aufgrund der fehlenden Angaben zum Impfstatus des Arbeitnehmers erfolgt. Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhalte eine Verdienstausfallentschädigung nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, ein Tätigkeitsverbot oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Diese Voraussetzung sei für Betroffene, gegenüber denen ab dem 1. Juli 2021 eine Quarantäne als „enge Kontaktperson“ i.S.d. AV-Isolation angeordnet worden sei, gegeben. Für diese Personen bestehe eine Ausnahme von der Quarantänepflicht, wenn die Betroffenen zum Zeitpunkt der Anordnung vollständig gegen COVID-19 geimpft seien. Der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung entfalle, wenn der Arbeitnehmer bei einer wegen der Erkrankung COVID-19 behördlich angeordneten Absonderung keinen vollständigen Impfschutz vorweisen könne, obwohl für ihn in einem Zeitraum von mehr als acht Wochen vor der Absonderungsanordnung eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung gegen COVID-19 vorgelegen habe und auch keine medizinische Contraindikation hinsichtlich der COVID-19-Schutzimpfung gegeben sei. Für den Antragsteller bestehe insoweit eine Mitwirkungspflicht, die Unterlagen so vollständig einzureichen, dass alle Tatbestandsvoraussetzungen geprüft werden können. Für den Arbeitnehmer S. habe aber nicht festgestellt werden können, ob zum Zeitpunkt der Anordnung der Absonderung als enge Kontaktperson ein Genesenenstatus oder eine vollständige Schutzimpfung vorgelegen habe. Aus diesem Grund habe der Ausschlusstatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht geprüft werden können.
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Auf die weiteren Ausführungen im Klageerwiderungsschriftsatz vom 2. August 2023 wird ergänzend verwiesen.
19
Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 2. August 2023 ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
20
Mit Schriftsatz vom 26. September 2023 hat die Klägerin ihr Vorbringen ergänzt und vertieft. Der Beklagte verkenne die Anspruchsvoraussetzung des § 56 Abs. 1 IfSG und die Reichweite des Ausschlusstatbestandes des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG. Mit der Ablehnungsbegründung lege der Beklagte die Reichweite des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG denkmöglich weit aus. Der eindeutige Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG stelle nicht auf eine Schutzimpfung an sich, sondern auf die Verhinderung der Infektion an sich ab. Der Wortlaut der Norm gehe davon aus, dass eine Schutzimpfung, die eine Infektion oder eine Ansteckung Dritter verhindere, zum Verlust des Entschädigungsanspruchs führe. Dies sei durchaus bei einer Vielzahl von Seuchen oder pandemischen Krankheitserregern der Fall, aber nicht bei einer COVID-19-Schutzimpfung. Diese schütze nicht vor Infektion und schon gar nicht vor der Übertragbarkeit auf Dritte, sondern schütze den Geimpften nur mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vor schweren Krankheitsverläufen. Dies gehe aus zahlreichen Veröffentlichungen von medizinischen Experten hervor. Der Wortlaut des § 56 Abs. 1 IfSG sehe eine Quasi-Kausalität von Impfung und Absonderungsvermeidung vor. Dies ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung, wonach das schädigende Ereignis (Tätigkeitsverbot, Absonderung) in vorwerfbarer Weise „verursacht worden sein müsse“. Vor diesem Hintergrund komme ein Anspruchsausschluss aus § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erst dann in Betracht, wenn davon auszugehen sei, dass eine Impfung eine Infektion mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit oder gar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen hätte. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei dabei der Zeitraum der Absonderung. Die Ablehnung der Entschädigung durch den Beklagten aufgrund vermeintlich mangelndem Impfnachweis sei daher rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte gehe fälschlicherweise davon aus, dass der streitgegenständliche Arbeitnehmer S. im vorliegenden Fall keinen Impfschutz zum Zeitpunkt der Absonderung besessen habe. Insoweit verkenne der Beklagte seinen eigenen Amtsermittlungsgrundsatz. Der Beklagte hätte sich lediglich an das zuständige Gesundheitsamt wenden müssen und hätte dort den Impfstatus des Arbeitnehmers erhalten.
21
Auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin vom 26. September 2023 wird ergänzend verwiesen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

23
Der Einzelrichter (§ 6 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) konnte über die Klage der Klägerin im Wege des schriftlichen Verfahrens (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit jeweils einverstanden erklärt haben.
24
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
25
Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr an ihren Arbeitnehmer gezahlten Verdienstausfallentschädigung sowie abgeführter Sozialversicherungsbeiträge (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der diesen Anspruch versagende Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2023 ist rechtmäßig und geeignet, die Klägerin in ihren Rechten zu verletzen.
26
1. Für die Sach- und Rechtslage des Anspruchs ist auf die Fassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 15. September 2021 abzustellen, die Gültigkeit bis zum 30. September 2021 beanspruchte.
27
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem Prozessrecht, so dass die Klägerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn sie im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. einen Anspruch auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, das heißt, ob ein belastender Verwaltungsakt die Klägerin im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in ihren Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (stRspr., vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2004 – 8 C 5.03 – juris Rn. 35). Insbesondere bei zeitgebundenen Ansprüchen, d.h. bei Ansprüchen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehen oder die sich auf einen bestimmten Zeitraum beziehen, ergibt sich der zeitliche Bezugspunkt nach dem Fachrecht, weil es andernfalls die Behörde oder das Gericht allein durch die Steuerung der Bearbeitungszeit in der Hand hätte, einen zunächst begründeten Antrag unbegründet werden zu lassen oder umgekehrt (vgl. VG Hannover, U.v. 1.10.2008 – 11 A 7719.06 – juris).
28
2. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im September 2021 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 15. September 2021 bis zum 30. September 2021 erhält ein Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung an seinen Arbeitnehmer auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtigte abgesondert wurden oder werden. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 1 IfSG ist ein vorrangiger, dem Arbeitnehmer der Klägerin zustehender Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG, der dann aufgrund der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG auf die Klägerin übergegangen ist.
29
a) Zwar behauptet die Klägerin im Schriftsatz vom 25. Juli 2023, dass sich aus der Absonderungsanordnung des Landratsamts ... ergebe, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer S. selbst eine COVID-19-Infektion vorgelegen habe. Entgegen dieser Behauptung lässt sich der Quarantäneanordnung des Landratsamts ... vom 24. September 2021 jedoch unmissverständlich entnehmen, dass der Arbeitnehmer S. vom 15. September 2021 bis zum 25. September 2021 abgesondert wurde, weil er als enge Kontaktperson einer an COVID-19 erkrankten Person als Ansteckungsverdächtiger i.S.d. § 2 Nr. 7 IfSG galt, und nicht, weil er selbst an COVID-19 erkrankt war. Nach § 2 Nr. 7 IfSG ist „Ansteckungsverdächtiger“ eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Erreger aufgenommen hat, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.
30
b) In der Zeit der Absonderung zahlte die Klägerin ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen des Arbeitnehmers S. für den Monat September 2021 auch die diesem zustehende arbeitsvertragliche Vergütung.
31
c) Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 56 Abs. 1, 5 IfSG i.V.m. § 57 IfSG zugunsten der Klägerin nicht erfüllt sind, da zu Lasten der Klägerin aufgrund fehlender Mitwirkung davon ausgegangen werden muss, dass dieser Anspruch nach § 56 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 IfSG ausgeschlossen ist.
32
aa) Nach dem durch das MasernschutzG vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) als damaliger § 56 Abs. 1 Satz 3 IfSG angefügten und durch das 3. BevSchG vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) um die Reisekonstellation erweiterten jetzigen § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhält derjenige keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG, der (Alt. 1) durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Hintergrund dieser Ausschlussregelung ist ausweislich der Beschlussempfehlung zum MasernschutzG der Grundsatz, dass derjenige, der das schädigende Ereignis (Tätigkeitsverbot/Absonderung) in vorwerfbarer Weise verursacht hat, nicht auf Kosten der Allgemeinheit Entschädigung erhalten soll, wenn er Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird (BT-Drs. 19/15164, 59f.). Grundsätzlich ist es im Schadensersatzrecht anerkannt, dass es jedem obliegt, die Sorgfalt zu beachten, die nach Lage der Sache erforderlich ist, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Auch wenn keine Pflicht zur Einhaltung einer solchen Sorgfalt besteht, so folgt dennoch aus der Verletzung dieser Obliegenheit die Kürzung bzw. der Ausschluss des jeweiligen Ersatzanspruches. Dieser Systematik folgt § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG, der in der Sache den Fall einer Obliegenheitsverletzung betrifft. Obliegenheitsverletzungen, welche im Schadensersatzrecht teilweise als „Verschulden gegen sich selbst“ bezeichnet werden, sind in § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unter dem Begriff des „Mitverschuldens“ geregelt (vgl. zum Ganzen Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2022, § 56 Rn. 14a; Kümper in Kießling, Infektionsschutzgesetz, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 56 Rn. 28, 29).
33
Wurde eine gemäß § 20 Abs. 3 IfSG von den obersten Landesgesundheitsbehörden empfohlene Schutzimpfung gegen COVID-19 nicht in Anspruch genommen, führt dies zum Anspruchsausschluss, wenn die Impfung der konkreten Person möglich sowie auch unter gesundheitlichen Gesichtspunkten zumutbar war und sie im Falle der Impfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht abgesondert worden wäre (vgl. Eckard-Kruse in: Beck-OK Infektionsschutzgesetz, Stand: 1. Juli 2022, § 56 Rn. 39.1).
34
bb) Die Klägerin muss sich vorliegend den Ausschluss eines auf sie übergegangenen Verdienstausfallanspruchs ihres Arbeitnehmers wegen fehlender Mitwirkung entgegenhalten lassen. Es lag für den Arbeitnehmer eine öffentliche Impfempfehlung vor (1), die Schutzimpfung war für den Arbeitnehmer auch möglich (2), die Impfung hätte nach den in Bayern geltenden Regelungen der AV Isolation vom 14. April 2021 eine Absonderungsanordnung verhindert (3) und die Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG konnte auch vor dem 1. November 2021 angewendet werden (4).
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(1) Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfahl bereits am 23. Dezember 2020 für Erwachsene die Schutzimpfung gegen COVID-19.
36
(2) Für den betroffenen Arbeitnehmer, der den entsprechenden Verdienstausfall erlitten hat, war im Zeitpunkt der Absonderung (15. September 2021 bis 25. September 2021) in Bayern auch eine Grundimmunisierung gegen das Virus SARS-CoV-2 möglich und erreichbar. Nach dem Beginn der Impfkampagne gegen COVID-19 am 27. Dezember 2020 wurde die Impfung zwar zunächst wegen der nur begrenzten Impfstoffverfügbarkeit lediglich Personen angeboten, die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe haben oder die beruflich entweder besonders exponiert waren oder engen Kontakt zu vulnerablen Personengruppen hatten (Priorisierung). Am 28. Juni 2021 wurde in den Impfzentren Bayerns jedoch die Priorisierung einzelner Personengruppen aufgehoben, so dass spätestens ab diesem Zeitpunkt jedem Bewohner Bayerns die Möglichkeit einer Impfung offenstand (https://www.br.de/nachrichten/bayern/priorisierung-in-impfzentren-wird-aufgehoben,SbcgY0C).
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(3) Nach der in Bayern geltenden Rechtslage zum Zeitpunkt der Quarantäne im September 2021 hätte der Arbeitnehmer der Klägerin bei entsprechendem Nachweis einer vorgenommenen Schutzimpfung nicht abgesondert werden müssen.
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In Bayern bestand seit dem 14. April 2021 und damit auch im maßgeblichen Quarantänezeitpunkt die Allgemeinverfügung zur Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation) (Az. G51s-G8000-2021/505-38; BayMBl. 2021 Nr. 276) nach dessen Nr. 2.1.1.2 die Quarantänepflicht nicht für enge Kontaktpersonen gilt, die vollständig gegen COVID-19 geimpft sind (ab Tag 15 nach der abschließenden Impfung) (Buchst. a). Damit hätte eine vom betroffenen Arbeitnehmer durchgeführte Schutzimpfung die gegen ihn ab dem 15. September 2021 angeordnete Absonderung verhindern und ein der Regelung in § 56 Abs. 1 IfSG zugrundeliegender Verdienstausfall als Auslöser für die Billigkeitsentschädigung vermieden werden können.
39
Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 26. September 2023 spielt die Wirksamkeit einer entsprechenden vollständigen Schutzimpfung für den in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG normierten Ausschluss einer Verdienstausfallentschädigung keine Rolle. Es kommt lediglich darauf an, ob das Vorliegen einer Schutzimpfung die tatsächlich angeordnete Absonderung des Arbeitnehmers hätte vermeiden können. Das war aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt seit April 2021 geltenden Regelungen in der AV Isolation zweifellos der Fall. Abzustellen ist in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG auf die Vermeidbarkeit der Absonderung durch entsprechende Schutzimpfung, nicht aber die Vermeidbarkeit einer möglichen Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus. Dies verkennt die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 26. September 2023. Bei der in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG getroffenen Regelung ist nicht entscheidend, ob die vorgesehene Schutzimpfung eine Infektion verhindern kann, sondern ausschließlich, ob eine derartige Schutzimpfung die Absonderung des betroffenen Arbeitnehmers verhindert hätte.
40
(4) Dem Ausschluss des Erstattungsanspruchs steht auch der Beschluss der 94. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) vom 22. September 2021 nicht entgegen, in dem die Gesundheitsminister der Bundesländer vereinbarten, dass die Länder spätestens ab dem 1. November 2021 denjenigen Personen keine Entschädigungsleistungen gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mehr gewähren, die als Kontaktpersonen oder als Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet bei einem wegen COVID-19 behördlich angeordneten Tätigkeitsverbot oder behördlich angeordneter Absonderung keinen vollständigen Impfschutz mit einem auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts (www.pei.de/impfstoffe/covid-19) gelisteten Impfstoff gegen COVID-19 vorweisen können, obwohl für sie eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung nach § 20 Abs. 3 IfSG vorliegt.
41
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG um eine geltende gesetzliche Regelung handelt, die von den Vollzugsbehörden zu beachten und anzuwenden ist. Die Behörden des Freistaats Bayern, denen nach dem föderalen Prinzip der Bundesrepublik Deutschland der Vollzug der Bundesgesetze obliegt, haben geltendes Recht und im konkreten Fall den Ausschlusstatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG grundsätzlich anzuwenden. Die Übereinkunft der Gesundheitsministerkonferenz vom 22. September 2021, dass (erst) spätestens ab dem 1. November 2021 den betroffenen Personen der Ausschlussgrund des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG entgegengehalten wird, findet im Gesetzeswortlaut keine Grundlage. Die Vereinbarung beruhte auf der Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt in den einzelnen Bundesländern große Unterschiede bezüglich des Impffortschritts vorlagen und für breite Bevölkerungsschichten Schwierigkeiten bestanden, eine Corona-Schutzimpfung zu erlangen. Aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips war es daher geboten, den unterschiedlichen Möglichkeiten der Inanspruchnahme einer Impfung gegen das Corona-Virus beim Vollzug des Gesetzes Rechnung zu tragen.
42
Dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz ist auch lediglich zu entnehmen, dass die Vorschrift des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG spätestens ab November 2021 bundeseinheitlich zum Ausschluss von Verdienstausfallansprüchen führen sollte. Dies zugrunde gelegt war es dem Freistaat Bayern unbenommen, wie in den Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege mit Stand April 2022 geschehen, einen Anspruchsausschluss bereits für Absonderungen im Zeitraum ab dem 1. Juli 2021 vorzusehen (Nr. 7 der Vollzugshinweise) und diese im Zeitraum zwischen Juli 2021 und Ende Oktober 2021 an eine Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers zu dessen Impf- und Genesenenstatus zu knüpfen. Der jeweilige Arbeitnehmer bzw. dessen Arbeitgeber hatte mit dieser Erklärung die Möglichkeit, im Verfahren geltend zu machen, ob für ihn im Zeitpunkt des die Absonderung auslösenden Ereignisses die Möglichkeit einer vollständigen Impfung bestanden hat. Dieses Verlangen nach einer Selbstauskunft ist auch durch Art. 26 Abs. 1 Nr. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) gedeckt, wonach die Behörde schriftliche Äußerungen von Beteiligten einholen kann.
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cc) Die Klägerin konnte trotz wiederholter Aufforderung des Beklagten nicht darlegen, ob der Arbeitnehmer S. eine gem. § 20 Abs. 3 IfSG von den obersten Landesgesundheitsbehörden empfohlenen Schutzimpfung gegen COVID-19 in Anspruch genommen hatte, oder nicht. Werden entsprechende Nachweise – ggf. auf entsprechenden behördlichen oder gerichtlichen Hinweis – nicht vorgelegt, so trägt im Falle einer Nichterweislichkeit der diesen Anspruch geltend machende Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 16.11.2022 – 2 K 3290/21 – BeckRS 2022, 43834 Rn. 45). Die Klägerin hat bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung weder die erforderliche Arbeitgeberklärung beigebracht, noch auf sonstige Weise Auskunft über den Impfstatus des Arbeitnehmers S. erteilt, obwohl es sich hierbei um einen Umstand in ihrer Sphäre handelt. Sie ist ihrer Darlegungs- und Beweislast insoweit nicht genügend nachgekommen. Aufgrund der Mitwirkungspflicht der Klägerin für in ihrer Sphäre gelegene Umstände, waren auch keine weitergehenden Ermittlungen des Beklagten zum Impfstatus des betroffenen Arbeitnehmers im Massenverfahren der Entschädigungen nach § 56 IfSG veranlasst. Auch wäre es der Klägerin durchaus möglich gewesen den Antrag bereits zu einem Zeitpunkt zu stellen, in dem der betroffene Arbeitnehmer S. noch bei ihr beschäftigt war. Dem Beklagten war es aufgrund dieses Verhaltens der Klägerin nicht möglich, abschließend zu prüfen, ob einem etwaigen Entschädigungsanspruch der Klägerin der Ausschlusstatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG entgegensteht. Dieser Umstand der fehlenden abschließenden Prüffähigkeit geht aus den dargestellten Gründen zu Lasten der Klägerin.
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dd) Da es folglich bereits an einem Anspruch des Arbeitnehmers aus § 56 Abs. 1 IfSG fehlt, kann ein solcher begrifflich auch nicht gem. § 56 Abs. 5 IfSG auf die Klägerin als Arbeitgeberin übergehen.
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3. In der Konsequenz besteht somit auch kein Anspruch auf Erstattung der für den Arbeitnehmer S. im September 2021 abgeführten Sozialversicherungsbeiträge gem. § 57 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 IfSG, da hierfür ein Anspruch gem. § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 IfSG zwingende Voraussetzung wäre (vgl. VG Würzburg, U.v. 15.11.2021 – W 8 K 21.864 – juris Rn. 32). Wie bereits ausgeführt, hat der betroffene Arbeitnehmer der Klägerin gerade keinen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG, sodass in der Folge auch kein Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 57 Abs. 1 IfSG besteht.
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4. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht Betracht, da ein Rückgriff auf allgemeine Entschädigungs- bzw. Erstattungsregelungen aufgrund der abschließenden Regelungen im Infektionsschutzgesetz ausscheidet.
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5. Mangels Bestehen einer Hauptforderung, besteht für die Klägerin auch kein Anspruch auf Zuspruch von Zinsen gem. § 173 VwGO i.V.m. § 262 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. §§ 288, 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
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6. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 ZPO.