Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 25.09.2023 – Au 9 K 23.741
Titel:

Erstattung von Verdienstausfallentschädigung auch vor erstmaligen Antritt der Erwerbstätigkeit

Normenketten:
IfSG § 56 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 57 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 1
BGB § 616
Leitsatz:
Der Begriff „bisherige Erwerbstätigkeit“ in § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG ist dahingehend zu verstehen, dass es genügt, wenn die bisherige Erwerbstätigkeit im Zeitpunkt der Schutzmaßnahme, hier der Absonderungsanordnung, zumindest vorgesehen, wenn auch noch nicht ausgeübt war. (Rn. 25 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, bisherige Erwerbstätigkeit, Absonderungsanordnung vor erstmaligem Antritt der Erwerbstätigkeit, Absonderungsanordnung, Quarantäne, Erwerbstätigkeit, Antritt
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30895

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 20. April 2023, Az., verpflichtet, der Klägerin die Erstattung des Verdienstausfalls für Herrn ... K. in Höhe von 427,67 EUR brutto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Mai 2023 zu gewähren.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollsteckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erstattung einer von ihr an einen Arbeitnehmer geleisteten Verdienstausfallentschädigung.
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Mit Arbeitsvertrag vom 11. Juni 2021 war der Arbeitnehmer ... K. ab dem 14. Juni 2021 bis zum 18. Juni 2021 bei der Klägerin in der Niederlassung ... in der Arbeitnehmerüberlassung im Kundenbetrieb angestellt. Am 12. Juni 2021 ordnete das Landratsamt ... gegenüber Herrn K. die umgehende häusliche Quarantäne im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten (§ 30 IfSG) für die Zeit vom 11. Juni 2021 bis 20. Juni 2021 an, da dieser eine enge Kontaktperson zu einem COVID-19 Fall gewesen sei. Die Klägerin verauslagte für diesen Zeitraum ein Nettoarbeitsentgelt von 268,41 EUR und führte für den Arbeitnehmer Sozialbeiträge in Höhe von insgesamt 159,26 EUR ab.
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Am 13. Juli 2022 beantragte die Klägerin bei der Regierung von ... die Erstattung dieser Aufwendungen in Höhe von insgesamt 427,67 EUR.
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Mit Bescheid vom 20. April 2023 lehnte die Regierung von ... für den Beklagten den Antrag auf Erstattung der Aufwendungen ab.
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Begründet wurde die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass es an einem Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG fehle. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG erhalte eine Verdienstausfallentschädigung, wer durch behördliche Anordnung einen Verdienstausfall aus seiner bisherigen Erwerbstätigkeit erleide. Das setze voraus, dass zum Zeitpunkt, in dem das Tätigkeitsverbot oder die Absonderungsanordnung wirksam werde, bereits eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Eine erst künftige Erwerbstätigkeit genüge nicht. Ausgeübt im Sinne der Vorschrift sei eine Erwerbstätigkeit, wenn bereits ein Arbeitseinkommen erzielt wurde, also Lohn für geleistete Arbeit gezahlt worden sei. Folge die Aufnahme der Erwerbstätigkeit, für welche ein Verdienstausfall beansprucht werde, erst nach, so handle es sich nicht um die „bisherige“ Erwerbstätigkeit und es bestünde insoweit kein Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG.
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Die Klägerin erhob am 16. Mai 2023 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg und beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 20. April 2023 zu verpflichten, der Klägerin die Erstattung des Verdienstausfalls für Herrn ... K. in Höhe von 427,67 EUR brutto auf deren Antrag vom 13. Juli 2022 gem. § 56 Abs. 1 und 5 IfSG i.V.m. § 57 IfSG für den Zeitraum 11. Juni 2021 bis 18. Juni 2021 zu bewilligen sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren.
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Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2023 wurde die Klage damit begründet, der Anspruch auf Entschädigung bestehe, da die Lohnfortzahlungsverpflichtung bereits vor Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die vertragliche Vereinbarung entstanden sei. Der Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG beziehe sich nur auf die Entschädigung durch einen Verdienstausfall und nicht auf die weiteren Voraussetzungen und damit nicht auf die „Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit“. Jedenfalls sei das Abstellen allein auf den Umstand, ob das Beschäftigungsverhältnis durch die Absonderung oder sonstigen Schutzmaßnahmen erst verspätet angetreten werden konnte, nicht sachgerecht. Ein solches Vorgehen würde zu einem unbilligen Unterscheidungskriterium führen, das einen Anspruch nur dann möglich machen würde, wenn im Zeitpunkt der Schutzmaßnahmen die berufliche Tätigkeit bereits für einige Stunden ausgeübt worden sei, nicht jedoch, wenn der Beginn der Tätigkeit durch ein gesetzliches Verbot oder durch eine sonstige Schutzmaßnahme nicht begonnen werden konnte. Dieses überzeuge jedoch nicht, da es damit auf den Zufall ankomme, ob die Tätigkeit vorher bereits ausgeübt wurde. Wenn der Arbeitnehmer einen wirksamen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe, könne eine Absonderungs- und Verbotsverfügung vor Antritt der Arbeit nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer, der sodann entschuldigt von der Arbeit fernbleibt, anspruchslos sei. § 56 Abs. 1 IfSG enthalte insoweit jedenfalls eine planwidrige Regelungslücke. Es könne nicht Anspruch und Sinn der gesetzlichen Regelung gewesen sein, einen Arbeitnehmenden mit bestehendem Vertrag gegenüber vertragslosen Bürgern oder erkrankten Arbeitnehmern zu benachteiligen, da dies mit Art. 3 GG und Art. 12 GG nicht vereinbar sei.
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Der Beklagte ist der Klage mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Anspruch stehe nur Personen zu, die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Absonderungsanordnung eine Erwerbstätigkeit ausüben würden. Das ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Künftige Erwerbschancen würden nicht geschützt. Die Vorschrift stelle eine Billigkeitsregelung dar, die eng auszulegen sei. Die Entschädigung erfolge, wenn der Betroffene aufgrund staatlicher Anordnung seiner bisherigen regelmäßigen Tagesarbeit nicht mehr nachkommen könne. Da die Erwerbstätigkeit des Herrn K. erst ab dem 14. Juni 2021 hätte ausgeübt werden sollen, die Absonderung jedoch bereits am 11. Juni 2021 wirksam wurde, fehle es zum Zeitpunkt der Absonderung an einer „bisherigen Erwerbstätigkeit“. Es sei unschädlich, dass der Arbeitsvertrag bereits am 11. Juni 2021 geschlossen wurde.
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Mit Schreiben vom 3. Juli 2023 ergänzte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sein Vorbringen. Die bisherige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 56 IfSG müsse zumindest zum Zeitpunkt der Schutzmaßnahme vorgesehen gewesen sein, was vorliegend der Fall sei. Wäre der Arbeitnehmer erkrankt, so hätte die Krankenkasse gem. § 4 Abs. 1a Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) in den ersten Beschäftigungswochen einstehen müssen. Ist der Arbeitnehmer jedoch nicht erkrankt und ordnet der Staat die Absonderung vor Antritt des Arbeitsverhältnisses an, so könne dies nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer anspruchslos sei, nur, weil dieser entschuldigt der Arbeit fernbleibt.
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Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vom Beklagten vorgelegte Behördenakte verweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), da sich die Beteiligten hiermit jeweils einverstanden erklärt haben.
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Die zulässige Klage hat Erfolg. Die Klägerin besitzt einen Anspruch auf Erstattung der beantragten Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) bzw. auf Aufwendungsersatz für gezahlte Sozialversicherungsbeiträge gem. § 57 Abs. 1 Satz 4 IfSG, sodass sich der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 20. April 2023 als rechtswidrig erweist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Für die Sach- und Rechtslage des vorliegend geltend gemachten Anspruchs ist auf § 56 IfSG in der Fassung vom 28. Mai 2021 (BGBl. I S. 1174) gültig bis zum 23. November 2021 abzustellen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem Prozessrecht, so dass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. einen Anspruch auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, das heißt, ob ein belastender Verwaltungsakt einen Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2004 – 8 C 5.03 – juris Rn. 35). Insbesondere bei zeitgebundenen Ansprüchen, d.h. bei Ansprüchen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehen oder die sich auf einen bestimmten Zeitraum beziehen, ergibt sich der zeitliche Bezugspunkt nach dem Fachrecht, weil es andernfalls die Behörde oder das Gericht allein durch die Steuerung der Bearbeitungszeit in der Hand hätten, einen zunächst begründeten Antrag unbegründet werden zu lassen oder umgekehrt (vgl. VG Hannover, U.v. 1.10.2008 – 11 A 7719.06 – juris).
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2. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 56 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im Juni 2021 maßgeblichen Fassung erhält ein Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung an seinen Arbeitnehmer auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch ein Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtigte abgesondert wurden oder werden. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG ist ein vorrangiger, dem Arbeitnehmer des Klägers zustehender Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG, der dann aufgrund der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG auf die Klägerin übergegangen ist.
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a) Der Arbeitnehmer der Klägerin wurde aufgrund der Quarantäneanordnung des Landratsamts ... vom 12. Juni 2021 ab dem 11. Juni 2021 bis zum 20. Juni 2021 abgesondert, weil er als enge Kontaktperson einer an COVID-19 erkrankten Person als Ansteckungsverdächtiger im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG galt. Nach dieser Vorschrift ist „Ansteckungsverdächtiger“ eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Da der Arbeitnehmer selbst nicht erkrankt war, lagen diese Voraussetzungen insoweit vor.
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b) Entgegen der Ansicht des Beklagten geht das Gericht davon aus, dass der Arbeitnehmer durch die Absonderung in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit i.S.d. § 56 Abs. 1 IfSG beeinträchtigt war, auch wenn dieser seine Tätigkeit erst am 14. Juni 2021, mithin drei Tage nach Beginn der Absonderung aufnehmen sollte.
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aa) Wie bei dem Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist auch für den Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG die Beeinträchtigung der Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit als Voraussetzung genannt. Die Formulierung des Wortlauts des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG „Das Gleiche gilt für“ zeigt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch für den Anspruch abgesonderter Personen erfüllt sein müssen (vgl. Eckart/Kruse in BeckOK IfSchR, Stand: 8.7.2023, § 56 IfSG Rn. 22).
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bb) Wie der vom Gesetzgeber in § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG verwendete Begriff „bisherige Erwerbstätigkeit“ zu verstehen ist, ist umstritten.
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Einer sich eng am Wortlaut orientierenden Ansicht nach steht der Anspruch grundsätzlich nur Personen zu, die im Zeitpunkt der Absonderungsanordnung eine Erwerbstätigkeit bereits ausüben. Künftige Erwerbstätigkeiten würden hingegen nicht genügen (vgl. Eckart/Kruse in BeckOK IfSchR, Stand: 8.7.2023, § 56 IfSG Rn. 22). Das Verbot der Ausübung der Erwerbstätigkeit, bzw. hier die Absonderungsanordnung, müsse Bezug zur bisherigen Erwerbstätigkeit haben. Dies sei nur eine Erwerbstätigkeit, die zum Zeitpunkt des Verbotseintritts bereits ausgeübt worden sei. Folge die Aufnahme der Erwerbstätigkeit, für welche Verdienstausfall beansprucht wird, dem Eintritt des Verbots zeitlich erst nach, so handele es sich nicht um die bisherige Erwerbstätigkeit, weshalb für den insoweit erlittenen Verdienstausfall kein Anspruch bestehe (vgl. Gerhardt, IfSG, 6. Aufl., § 56 Rn. 8).
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Die Gegenansicht vertritt hingegen die Auffassung, dass die bisherige Erwerbstätigkeit im Zeitpunkt der Schutzmaßnahme, hier der Absonderungsanordnung, zumindest vorgesehen gewesen sein muss. Es sei auch noch vom Wortlaut des § 56 IfSG erfasst, wenn im Zeitpunkt des Beginns der Schutzmaßnahme die Tätigkeit hätte ausgeübt werden sollen, auch wenn sich das „bisher“ ggf. auf eine logische Sekunde verkürzt. Es komme sonst auf den Zufall an, ob die Tätigkeit vorher bereits ausgeübt wurde (vgl. Sangs in Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 56 Rn. 57).
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cc) Das Gericht schließt sich der letztgenannten Auffassung an, sodass auch in der hier streitgegenständlichen Fallkonstellation die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllt sind.
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Eine eng am Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG orientierte Auslegung hätte zur Folge, dass der Anspruch davon abhinge, ob der Arbeitnehmer vor dem vertraglich vereinbarten Beginn der Tätigkeit die Absonderungsanordnung erhält oder diese zeitlich erst nach Aufnahme der vereinbarten Beschäftigung ergeht. Es obläge somit dem Zufall, ob der Anspruch auf Entschädigung entsteht oder nicht, da die von der Absonderung betroffenen Personen keinen Einfluss auf den Zeitpunkt des Erhalts der Absonderungsanordnung haben. Dies widerspricht jedoch der Intention des Gesetzgebers, der mit § 56 Abs. 1 IfSG eine Billigkeitsregelung geschaffen hat, die betroffene Personen vor materieller Not schützen soll (vgl. BT-Drs. 3/1888, S. 27 zu der Vorgängervorschrift § 48 BSeuchG).
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Der hier betroffene Arbeitnehmer, der über eine vertraglich zugesicherte Arbeitsstelle verfügt, befindet sich grundsätzlich in derselben schutzwürdigen Situation wie ein Arbeitnehmer, der erst kurz nach Aufnahme seiner Tätigkeit eine Absonderungsanordnung erhält und danach seine Tätigkeit quarantänebedingt vorübergehend nicht weiter ausüben kann.
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Ausgehend hiervon ist ein Entschädigungsanspruch daher nur dann abzulehnen, wenn die betroffene Person ohne konkrete Aussicht auf ein Beschäftigungsverhältnis die Absonderungsanordnung erhält und erst zeitlich nachfolgend einen Arbeitsvertrag unterzeichnet. So ist der hier zu entscheidende Fall jedoch nicht gelagert.
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Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die gesetzliche Konzeption im Fall einer Erkrankung des Arbeitnehmers. Wer erkrankt ist, wird durch die Lohnfortzahlungsansprüche durch den Arbeitgeber bzw. die Krankenkasse abgesichert. Kann ein Arbeitnehmer wegen Erkrankung am ersten Arbeitstag zur Arbeitsaufnahme nicht erscheinen, so hätte er nach § 44 Abs. 1 SGB V für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Bezug von Krankengeld. Der von der Absonderungsanordnung vor Arbeitsaufnahme betroffene Arbeitnehmer ist in gleicher Weise schutzwürdig.
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Der Wortlaut der Vorschrift steht der vorgenommenen Auslegung nicht entgegen (a.A. VG Würzburg, U.v. 29.11.2021 – W 8 K 21.896). Eine Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers in Widerspruch treten würde (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 6.11.2014 – 5 C 7/14 – juris Rn. 16; BVerfG, B.v. 11.7.2013 – 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12 – BVerfGE 134, 33 Rn. 77 m.w.N.). Nach der Gesetzesbegründung stellt die Entschädigungsregelung eine Billigkeitsregelung dar, die eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not bezweckt. Da sie vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke, erscheine es angezeigt, ihnen Leistungen zu gewähren, wie sie sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung im Krankheitsfalle erhalten würden (vgl. BT-Drs. 3/1888, S. 27 zu der Vorgängervorschrift § 48 BSeuchG). Dieser Gesetzeszweck ist auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Dem Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist nicht zu entnehmen, ob unter dem Begriff „bisherige Erwerbstätigkeit“ ausschließlich eine bereits konkret aufgenommene Arbeitstätigkeit zu verstehen ist, oder ob insoweit auch eine vertraglich vereinbarte Pflicht zur Arbeitsaufnahme genügt.
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c) Der Anspruch ist auch nicht aufgrund eines dem Arbeitnehmer anderweitig zustehenden gesetzlichen oder vertraglichen Lohn- oder Gehaltsfortzahlungsanspruch ausgeschlossen.
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Ein Verdienstausfall des Arbeitnehmers liegt nur dann vor, wenn das Verbot bzw. die Absonderung ursächlich für den Ausfall geworden sind. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer einen gesetzlichen oder vertraglichen Lohnfortzahlungsanspruch hat (vgl. Kümper in Kießling, IfSG, § 56 Rn. 25ff.).
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aa) Vorliegend kann sich der Arbeitnehmer nicht auf anderweitige Lohnfortzahlungsansprüche berufen. Ein Anspruch aus § 3 EFZG ist vorliegend nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war. Der Arbeitnehmer war im vorliegenden Fall jedoch an der Arbeitsleistung nicht wegen seiner Erkrankung gehindert, sondern wegen der behördlich angeordneten Absonderung.
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bb) Ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse nach § 44 Abs. 1 SGB V ist ebenfalls nicht gegeben. Voraussetzung ist auch hier, dass der Arbeitnehmer aufgrund einer Erkrankung arbeitsunfähig ist. Dem Antrag der Klägerin vom 13. Juli 2022 ist aber zu entnehmen, dass der Arbeitnehmer während der Quarantäne nicht arbeitsunfähig erkrankt war. Die für den Erhalt des Krankengelds erforderliche Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit lag demnach nicht vor.
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cc) Es besteht auch kein gegenüber § 56 IfSG vorrangiger Anspruch des Arbeitnehmers gegen die Klägerin gemäß § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach dieser Vorschrift wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Ein Verdienstausfall ist somit nicht anzunehmen, wenn die 10tägige Absonderung als infektionsschutzrechtliches Beschäftigungshindernis ein in der Person des Arbeitnehmers liegendes unverschuldetes Leistungshindernis für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit nach § 616 Satz 1 BGB darstellt und diese Vorschrift nicht abbedungen wurde.
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Die Voraussetzungen des § 616 BGB liegen hier jedoch nicht vor, da der Arbeitnehmer der Klägerin nicht für „eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ an der Dienstleistung verhindert war. Dieses Kriterium bemisst sich aus dem Verhältnis der Verhinderungsdauer zur (erwarteten) Gesamtbeschäftigungsdauer und einer an den Gegebenheiten des Einzelfalls orientierten Abwägung (vgl. Bieder in BeckOK, Stand: 1.7.2022, § 616 BGB Rn. 37 ff.). Vorliegend dauerte das Arbeitsverhältnis vom 14. Juni 2021 bis 18. Juni 2021. In genau diesen Zeitraum fiel auch die Absonderung des Arbeitnehmers, weshalb er für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses und somit nicht eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit des Arbeitsverhältnisses an der Ausübung seiner Tätigkeit verhindert war.
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d) Somit besteht nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entschädigung in Höhe von 268,41 EUR. Da die Klägerin diesen Betrag verauslagt hat, steht ihr gem. § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG der Anspruch auf Erstattung zu.
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3. Folglich sind der Klägerin gem. § 57 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 IfSG ebenso die für den Arbeitnehmer verauslagten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 159,26 EUR zu erstatten, da Voraussetzung hierfür das Bestehen des Anspruchs aus § 56 Abs. 1 IfSG ist.
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4. Der Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus dem im Verwaltungsprozessrecht entsprechend anwendbaren § 291 Satz i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der streitgegenständliche Erstattungsanspruch ist mit Erhebung der Klage am 16. Mai 2023 rechtshängig geworden.
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5. Nach allem war der Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Als im Verfahren unterlegen hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).