Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 06.10.2023 – Au 8 V 23.1529
Titel:

Waffenrechtliche Voraussetzungen der Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung nicht erfüllt

Normenketten:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a, § 45 Abs. 2 S. 1, § 46 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
GG Art. 13 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Regelung in § 46 Abs. 4 S. 2 WaffG betrifft nach dem eindeutigen Wortlaut („zu diesem Zweck“) und seiner systematischen Stellung im Anschluss an die Regelung in § 46 Abs. 4 S. 1 WaffG nur die Durchsuchung zum Zweck der sofortigen Sicherstellung. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soll Grundlage einer Widerrufsverfügung der § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a WaffG sein, muss für die insoweit notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens, dh der Benutzung einer Waffe entgegen dem vom Gesetzgeber erlaubten Zweck ihres Gebrauchs, das Vorliegen der Tatschengrundlagen für die Besorgnis missbräuchlicher Waffenanwendung grds. erwiesen sein. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Rechtmäßigkeit des einer Durchsuchungsanordnung nach § 46 Abs. 4 S. 2 WaffG zugrundeliegenden Verwaltungsakts ist nicht Gegenstand der Durchsuchungsanordnung, denn das Gericht hat vielmehr nur das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen. (Rn. 17 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Durchsuchungsanordnung, Betreten und Durchsuchen von Wohnräumen, Widerruf der erteilten Waffenbesitzkarten, Sofortige Sicherstellung von Waffen, Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung, verneint, Verhältnismäßigkeit, Waffenbesitzkarte, sofortige Sicherstellung von Waffen, Unverletzlichkeit der Wohnung, Besorgnis missbräuchlicher Waffenanwendung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30894

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.625,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners zum Zweck der Sicherstellung einer Waffenbesitzkarte und weiterer Dokumente sowie der beim Antragsgegner bei der Durchsuchung aufgefundenen Schusswaffen, Schusswaffenteile und Munition.
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1. Der Antragsgegner ist Inhaber einer im Jahr 2010 erteilten waffenrechtlichen Erlaubnis für Jäger und eines bis zum März 2025 gültigen Jahresjagdscheins. In die Waffenbesitzkarte sind vier Waffen eingetragen.
3
Nach einer polizeilichen Mitteilung an die Waffenrechtsbehörde zur waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung im Jahr 2015, dass der Antragsgegner im Zusammenhang mit einer Bedrohung aufgefallen sei, wurde der Waffenrechtsbehörde im April 2021 eine Anzeige der Polizei übermittelt, in der dem Antragsgegner eine Gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt worden ist. Das Auftreten des Antragsgegners im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurde als „cholerisch“ beschrieben, eine Zuverlässigkeit des Antragsgegners im Sinne der waffenrechtlichen Regelungen wurde vom ermittelnden Polizeibeamten in Frage gestellt. Nach der Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO hat die Waffenrechtsbehörde keine weiteren Schritte unternommen.
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Am 18. September 2023 teilte die Polizei der Waffenrechtsbehörde mit, dass der Antragsgegner seinen Bruder und dessen Lebensgefährtin im Rahmen erbrechtlicher Auseinandersetzungen verbal mit dem Tode bedroht habe. Der Bruder des Antragsgegners habe diesen Vorfall, der im Juli 2023 stattgefunden habe, nunmehr bei der Polizei angezeigt. Er wolle, dass dem Antragsgegner die Waffen ohne vorherige Gefährderansprache entzogen würden. Er nehme die Bedrohung ernst, da sich der Gesundheitszustand des Antragsgegners verschlechtere und er gedroht habe, bevor er selber sterbe auch seinen Bruder vorher töten zu wollen. Insoweit wurde auch eine Nachbarin des Antragsgegners als Zeugin für frühere verbale Drohungen des Antragsgegners vernommen.
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2. Aufgrund dieser Mitteilung der Polizei vom 18. September 2023 beantragte der Antragsteller am 22. September 2023 den Erlass einer gerichtlichen Durchsuchungsgestattung der Wohnung des Antragsgegners zum Zwecke der Sicherstellung von Waffenbesitzkarte und Jagdschein, Waffen und Munition gemäß § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG.
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Es lägen aufgrund des Sachverhalts, der der Mitteilung der Polizei vom 18. September 2023 zugrunde lag, Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen würden, dass der Antragsgegner Waffen missbräuchlich verwenden werde. Noch vor der Durchführung eines waffenrechtlichen Widerrufsverfahrens sollten deshalb die Waffen sofort sichergestellt werden (§ 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 WaffG). Die Durchsuchungsanordnung zur Sicherstellung der Waffen sei gemäß § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG durch das Gericht zu erlassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Zum Verfahren beigezogen wurde die Behördenakte, die die Waffenrechtsbehörde für die Person des Antragsgegners führt.
II.
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Für den zulässig erhobenen Antrag vom 22. September 2023 auf die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil die begehrte Durchsuchungsanordnung nach § 46 Abs. 4 WaffG im Zusammenhang mit der Vollstreckung einer (bisher nicht erlassenen) waffenrechtlichen Sicherstellungsanordnung steht (vgl. VG Trier, B.v. 13.3.2012 – 1 N 261/12.TR – juris Rn. 1). Die Anordnung der Durchsuchung, die über das bloße Betreten hinausgeht und das ziel- und zweckgerichtete Suchen der Vollstreckungsorgane umfasst, unterliegt dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG (vgl. § 46 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 WaffG; VG Trier, B.v. 13.3.2012 a.a.O. Rn. 2).
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Der Antrag bleibt ohne Erfolg, die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners ist unverhältnismäßig.
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1. Die vorliegend beantragte richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners hat die verfassungsrechtlichen Grenzen des Art. 13 Abs. 1 GG zu beachten. Nach den von der Verfassung vorgegebenen Grundsätzen (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2004 – 2 BvR 2105/03 – NJW 2005, 275 f. – juris Rn. 4 ff. m.w.N.; stRspr) ist die Durchsuchung der Wohnung, die den Kern der durch das Grundgesetz geschützten Privatsphäre des Betroffenen darstellt, als schwerwiegender (Grundrechts-) Eingriff nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach richterlicher Prüfung zulässig. Dabei ist insbesondere, weil auch regelmäßig eine vorherige Anhörung des Betroffenen nicht erfolgt, zu prüfen, ob die Schwere des der Durchsuchung zugrundeliegenden Sachverhalts so bedeutend ist, dass gerade diese Zwangsmaßnahme im angeordneten Umfang notwendig ist.
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Für den Prüfungsmaßstab hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass sich die gerichtliche Beurteilung – da sich aus der Regelung in Art. 13 Abs. 2 GG neben dem Richtervorbehalt keine unmittelbaren Anhaltspunkte dafür ergeben – „in erster Linie (an) den gesetzlichen Bestimmungen, welche die Voraussetzungen für die Durchsuchung festlegen“, zu orientieren hat (BayVGH, B.v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 25). Notwendig ist somit die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme, die im Rahmen der Durchsuchung erfolgen soll, vorliegen und ob ohne die Durchsuchung der Vollstreckungserfolg gefährdet wäre (BayVGH, B.v. 23.2.2000 a.a.O.).
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2. Unter Beachtung dieser verfassungs- und einfachrechtlichen Grundsätze gilt vorliegend das Folgende:
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a) Die Regelung in § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG, auf die vorliegend der Antragsteller den Antrag auf Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners stützt, betrifft nach dem eindeutigen Wortlaut („zu diesem Zweck“) und seiner systematischen Stellung im Anschluss an die Regelung in § 46 Abs. 4 Satz 1 WaffG nur die Durchsuchung zum Zweck der sofortigen Sicherstellung. Die danach eingeräumte Befugnis dient der unverzüglichen Wegnahme unter Begründung behördlichen Gewahrsams entweder zur Sicherung einer Besitzuntersagung nach § 41 Abs. 1 und Abs. 2 WaffG (§ 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 WaffG) oder bei tatsachengestützten Anhaltspunkten einer Gefahr für die Allgemeinheit zur umgehenden Beseitigung dieser Gefahr (§ 46 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 WaffG). Mit der sofortigen Sicherstellung soll daher entweder schon für die Zeit bis zur Erfüllung aller Vollzugsvoraussetzungen das Unterlaufen einer Besitzuntersagung verhindert werden oder es sollen – wie hier – ohne eine Besitzuntersagung, bei tatsachengestützten Anhaltspunkten für eine missbräuchliche Waffen- und Munitionsverwendung bzw. für einen Erwerb vom Nichtberechtigten Gefahren für die Allgemeinheit umgehend unterbunden werden.
14
Vorliegend dient die Durchsuchung der Sicherstellung von im Besitz des Antragsgegners befindlichen Waffen, ohne dass es sich um die Vollziehung waffenrechtlicher Entscheidungen nach § 46 Abs. 2 WaffG handelt. Es besteht weder ein waffenrechtliches Besitz- oder Erwerbsverbot noch ist der Antragsgegner (vollziehbar) verpflichtet, die in seinem Besitz befindlichen Waffen abzugeben.
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b) Grundlage einer (nicht erlassenen) Widerrufsverfügung wäre nach dem Vortrag der Antragstellerseite vorliegend die Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a WaffG, nach der die erforderliche Zuverlässigkeit für den Umgang mit Waffen (vgl. § 1 Abs. 3 WaffG) Personen nicht besitzen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden. Für diese Prognoseentscheidung ist ein auf tatsächlichen Feststellungen beruhender Verdacht des Waffenmissbrauchs notwendig. Die insoweit notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens, d.h. der Benutzung einer Waffe entgegen dem vom Gesetzgeber erlaubten Zweck ihres Gebrauchs, setzt nicht bloß die Befürchtung des Missbrauchs voraus, vielmehr muss das Vorliegen der Tatschengrundlagen für die Besorgnis missbräuchlicher Waffenanwendung grundsätzlich erwiesen sein (VG Augsburg, B.v. 18.4.2018 – Au 4 V 14.1198 – Rn. 13 des BA; vgl. ausführlich etwa zuletzt OVG LSA, B.v. 12.6.2023 – 3 L 23/23.Z – juris Rn. 12; Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, § 5 WaffG Rn. 31).
16
Ob der Antragsgegner aufgrund einer Erkrankung persönlich nicht mehr geeignet zum Waffenbesitz ist (vgl. § 6 WaffG), ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Waffenrechtsbehörde hat die beantragte Durchsuchung darauf nicht gestützt.
17
c) Im vorliegenden Verfahren der gerichtlichen Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung sind abschließend allerdings nicht die Widerrufsvoraussetzungen des § 5 WaffG zu prüfen. Die Rechtmäßigkeit des der Durchsuchungsanordnung nach § 46 Abs. 4 Satz 2 WaffG zugrundeliegenden Verwaltungsakts – vorliegend eines auf die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG gestützten Bescheids – ist nicht Gegenstand der Durchsuchungsanordnung, das Gericht hat vorliegend vielmehr nur das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen (VG Augsburg, B.v. 18.4.2018 – Au 4 V 14.1198 – Rn. 11 des BA; VG Trier, B.v. 13.3.2012 – 1 N 261/12.TR – juris Rn. 3).
18
Die vom Antragsteller insoweit vorgelegten Unterlagen lassen nicht erkennen, dass diese Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen.
19
Der Antragsgegner ist nach den im Verfahren vorgelegten Akten, die im Rahmen der ihm erteilten waffenrechtlichen Erlaubnissen angefallen sind, seit mehr als zehn Jahren im Besitz von Waffen und den dazugehörigen Erlaubnissen. Beanstandungen des Waffenbesitzes, der Aufbewahrung der Waffen etc. sind in dieser Zeit erkennbar nicht erfolgt. Dass der Antragsgegner entgegen der waffenrechtlichen Bestimmungen unsachgemäß oder nicht ausreichend sorgfältig mit Waffen umgegangen ist, ist insoweit nicht erkennbar.
20
Der Anlass für die Prüfung der Zuverlässigkeit des Antragsgegners, der Vorfall vom Juli 2023, lässt zwar erkennbar die Befürchtung des unsachgemäßen Umgangs mit Waffen entstehen. Dass der Antragsgegner die bei ihm vorhandenen Waffen auch gegenüber Personen einsetzen könnte, erscheint nach der Äußerung des Antragsgegners nicht ausgeschlossen, findet allerdings in dem bisherigen Verhalten des Antragsgegners keine Grundlage. Zur Bewertung der Äußerung des Antragsgegners ist insoweit nämlich auch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner und sein Bruder offensichtlich seit längerer Zeit im Streit stehen und insoweit, wie von der ebenfalls vernommenen Nachbarin geschildert, vielfache verbale Auseinandersetzungen in der Vergangenheit stattgefunden haben. Dass der Gesundheitszustand des Antragsgegners in der Zukunft über diese Streitigkeiten hinaus zu einer Nutzung einer Waffe durch den Antragsgegner führt, lässt sich anhand der Aussagen der Beteiligten, die im Kern von der innerfamiliären Auseinandersetzung bzw. von einer aufgrund vereinzelter nachbarschaftlicher Wahrnehmungen bestimmten Einschätzung geprägt sind, nicht ableiten.
21
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht nicht davon aus, dass für den Fall, dass die Waffenrechtsbehörde ein waffenrechtliches Widerrufsverfahren einleitet, der Antragsgegner nicht bereit ist, vollziehbaren behördlichen Anordnungen nachzukommen. Der Antragsgegner hat in diesen Verfahren die Möglichkeit zur Äußerung. Diese Beteiligtenrechte lassen nach dem Vorstehenden nicht darauf schließen, dass eine vorherige, mit der Durchsuchungsanordnung verfolgte Sicherstellung von Waffen notwendig ist, und dass ohne diese Durchsuchung der Erfolg eines Widerrufsverfahrens gefährdet ist. Insbesondere ist es für das Gericht nicht erkennbar, dass der Antragsgegner die in seinem Besitz befindlichen Waffen einer vollziehbaren Abgabeverpflichtung entziehen könnte.
22
d) In Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Position des Antragsgegners ist für das Gericht die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners unverhältnismäßig. Dass kein weniger einschneidendes Mittel, um eine mögliche Gefahr abzuwehren, besteht (vgl. zu diesem Kriterium BVerfG (Kammer), B.v. 26.10.2011 – 2 BvR 1774/10 – BVerfGK 19,167 = juris Rn. 26), ist nicht erkennbar.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Ziffern 50.2, 20.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Unter Berücksichtigung des für die Durchsuchung zugrunde zu legenden (möglichen) Widerrufs der Waffenbesitzkarte, der Einziehung der darin eingetragenen Waffen sowie der Einziehung des Jagdscheins ergibt sich insgesamt ein Gegenstandswert von 15.250,00 – EUR, der vorliegend halbiert worden ist.