Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 10.10.2023 – Au 9 S 23.50364
Titel:

Dublin-Verfahren (Kroatien)

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. d, Art. 20 Abs. 5
Leitsatz:
Derzeit besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Personen, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Kroatien überstellt werden, auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende generell eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht. Dies gilt auch für Schwangere und Minderjährige, die nach dem kroatischen Asylgesetz als vulnerable Personen gelten, für die besondere Aufnahme- und Verfahrensgarantien Anwendung finden. (Rn. 32 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, Dublin-Verfahren, Abschiebungsanordnung nach Kroatien, vulnerable Personen, Schwangerschaft, keine systemischen Schwachstellen im kroatischen Asylverfahren, Kroatien, Abschiebungsanordnung, systemische Mängel, vulnerable Person, minderjähriges Kind
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30860

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Az.: Au 9 K 23.50363) gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. September 2023 (Gz.: *) wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Kroatien im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.
2
Die am * 1998 in * (Irak) geborene Antragstellerin zu 1 ist irakische Staatsangehörige mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-sunnitischem Glauben. Sie ist geschieden und reiste nach eigenen Angaben am 25. April 2023 gemeinsam mit ihrem jetzigen Partner und ihren drei in den Jahren 2014, 2017 und 2022 geborenen Kindern erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23. Juni 2023 stellte sie für sich und ihre Kinder einen förmlichen Asylantrag. Die Antragstellerin zu 1 ist erneut schwanger. Der Geburtstermin ist für den * 2024 errechnet.
3
Der Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1 hat in Deutschland ebenfalls einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 31. August 2023 (Gz.: *) als unzulässig abgelehnt wurde. Die Abschiebung des Partners der Antragstellerin zu 1 nach Kroatien wurde angeordnet. Gegen diesen Bescheid wurde am 11. September 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az.: Au 9 K 23.50343), über die noch nicht entschieden worden ist. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 11. September 2023 hat der Partner der Antragstellerin zu 1 beim Verwaltungsgericht Augsburg einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. August 2023 enthaltene Abschiebungsandrohung gestellt. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 15. September 2023 (Az.: Au 9 S 23.50344) abgelehnt.
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Nach den Erkenntnissen des Bundesamts lagen nach dem Abgleich der Fingerabdrücke mit der EURODAC-Datenbank Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor.
5
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) richtete am 27. Juni 2023 für die Antragsteller ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Kroatien. Die kroatischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 11. Juli 2023 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO. Die Zustimmung zur Wiederaufnahme umfasst auch die drei minderjährigen Kinder (Antragsteller zu 2 bis 4). In dem Schreiben zur Wiederaufnahme baten die kroatischen Behörden um Informationen zur physischen und psychischen Situation der Antragsteller oder besonderen Umständen binnen 10 Tagen vor Überstellung.
6
Bei seiner persönlichen Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats am 16. August 2023 führte die Antragstellerin u.a. aus, sie habe sich im Irak zunächst nur religiös scheiden lassen. Erst in der Türkei sei sie standesamtlich von ihrem ersten Mann geschieden worden. Alle drei Kinder würden von ihrem ersten Ehemann stammen. Das dritte Kind sei aber erst in der Türkei geboren worden. Da in der Türkei eine Registrierung nur bei Anwesenheit beider Elternteile erfolgen könne, habe sie ihren neuen Partner als Vater des in der Türkei geborenen Kindes (Antragsteller zu 3) angegeben. Sie sei allerdings von ihrem jetzigen Partner erneut schwanger. Sie seien in Kroatien gezwungen worden, Fingerabdrücke abzugeben, obwohl sie gesagt hätten, dass sie nach Deutschland weiterreisen wollen. In Kroatien sei kein Asylverfahren durchgeführt worden. Sie hätten nie in Kroatien bleiben wollen. Sie hätten sich zwei Tage und eine Nacht in Kroatien aufgehalten. Für das weitere Vorbringen der Antragstellerin wird auf die über die persönliche Anhörung gefertigte Niederschrift des Bundesamts verwiesen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 22. September 2023 (Gz.: *) wurde der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag der Antragsteller als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheids). Nr. 3 des Bescheids ordnet die Abschiebung der Antragsteller nach Kroatien an. Nr. 4 ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 19 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt u.a. aus, dass der Asylantrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) unzulässig sei, da Kroatien aufgrund der dort gestellten Asylanträge nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Nach den Angaben der kroatischen Behörden sei davon auszugehen, dass in Kroatien noch ein laufendendes Asylverfahren anhängig sei. Daher würden die Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Kroatien als zuständigem Mitgliedsstaat innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens durch die kroatischen Behörden durchzuführen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Eine Schwangerschaft stelle kein Überstellungshindernis dar. Eine Abschiebung scheide grundsätzlich sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt aus. In diesem Zeitraum sei von einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter und von einer Reiseunfähigkeit auszugehen. Außergewöhnliche Umstände, die die Antragsgegnerin dazu veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, lägen nicht vor. Eine traditionelle Ehe sei nicht belegt worden, darüber hinaus sei eine rein traditionelle Ehe nach deutschem Recht unbeachtlich. Eine zivilrechtlich wirksame Ehe bestehe nach Aktenlage nicht. Im Übrigen laufe für den Partner ebenfalls ein Dublin-Verfahren bezüglich Kroatien, so dass eine Trennung nicht zwingend bevorstehe. Die Anordnung der Abschiebung nach Kroatien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 19 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Die Antragsteller verfügten nach eigenen Angaben im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen seien.
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Auf den weiteren Inhalt und die ausführliche Begründung des Bescheids des Bundesamts vom 22. September 2023 wird ergänzend verwiesen.
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Der Bescheid wurde den Antragstellern am 26. September 2023 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Die Antragsteller haben gegen den Bescheid mit Schriftsatz vom 29. September 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az.: Au 9 K 23.50363), über die noch nicht entschieden worden ist.
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Ebenfalls mit Schriftsatz vom 29. September 2023 haben die Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. September 2023 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Eine Begründung erfolgte bislang nicht.
15
Das Bundesamt hat dem Gericht die elektronische Verfahrensakte vorgelegt.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte elektronische Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
17
Der am 29. September 2023 gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren Au 9 K 23.50363 anzuordnen, zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Er ist insbesondere nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, weil der Klage der Antragsteller nach § 75 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt und der Antrag, soweit ersichtlich, innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 AsylG bei Gericht eingegangen ist.
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2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedoch nicht begründet.
21
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchzuführenden Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller, die sich maßgeblich, aber nicht ausschließlich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert, fällt im vorliegenden Fall zu Gunsten der Antragsgegnerin aus.
22
Die Abschiebungsanordnung nach Kroatien erweist sich im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich als im Ergebnis rechtmäßig.
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2.1. Der Asylantrag der Antragsteller ist unzulässig.
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Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Solche Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft im Sinne des § 27a AsylG finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO).
25
2.1.1 Für die Durchführung des Asylverfahrens ist vorliegend gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG nach Maßgabe der Dublin III-VO nicht die Antragsgegnerin, sondern Kroatien zuständig.
26
Die Zuständigkeit Kroatiens für die Bearbeitung des Asylantrages ergibt sich vorliegend aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO.
27
Die Antragsteller haben ausweislich des vorliegenden EURODAC-Treffers Nr. * am 18. April 2023 in Kroatien einen Asylantrag gestellt. Die kroatischen Behörden haben mit Schreiben vom 11. Juli 2023 dem Übernahmeersuchen des Bundesamts zugestimmt und sich bereits erklärt, die Antragsteller erneut aufzunehmen und deren Asylverfahren durchzuführen. Die Zustimmungserklärung bezog sich ausdrücklich auch auf die Antragsteller zu 2 bis 4. Damit ist die Zuständigkeit zur Behandlung des Asylantrages der Antragsteller auf Kroatien übergegangen.
28
Dies zieht die Verpflichtung nach sich, angemessene Vorkehrungen für die Ankunft der Antragsteller zu treffen. Die sechsmonatige Überstellungsfrist aus Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht abgelaufen.
29
2.1.2 Die Zuständigkeit ist nicht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Vorschrift wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständig, wenn keine Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat erfolgen kann.
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Die Überstellung nach Kroatien ist indes nicht unmöglich, denn es bestehen im Ergebnis vorliegend keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Schwachstellen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Antragsteller in Folge der Schwangerschaft der Antragstellerin zu 1 und der Minderjährigkeit der Antragsteller zu 2 und 4 als vulnerable Personen einzustufen sind.
31
Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtscharta (GRCh) mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel III der Dublin III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
32
Dieser Regelung liegt das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) zugrunde. Danach gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung widerleglich. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragstellerin führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist jedoch nicht bereits bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat widerlegt. An die Feststellung systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
33
Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 93). Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen (VG München B.v. 17.6.2021 – M 3 S 21.50230 – BeckRS 2021, 19885 Rn. 25).
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Derartige systemische oder allgemeine Mängel sind für Kroatien als Mitgliedstaat im Einklang mit der nahezu einhelligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für – wie vorliegend – Dublin-Rückkehrer nicht anzunehmen (VGH BW, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris; VG Leipzig, B.v. 6.12.2022 – 6 L 678/22.A – juris; VG Stuttgart, B.v.30.9.2022 – A 13 K 4446/22 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 4. 2 2022 – 12 L 59/22.A – juris Rn. 44; VG Hannover, B.v. 31.1. 2022 – 7 B 6223/21 – juris Rn. 15). In Kroatien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben prinzipiell vollen Zugang zum kroatischen Asylsystem. Für Vulnerable gibt es spezielle Verfahrens- und Unterbringungsgarantien (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kroatien, 18. Mai 2020). Als problematisch erweisen sich in den letzten Jahren Berichte zum eingeschränkten Zugang zum Asylsystem für Schutzsuchende, die über Serbien oder Bosnien und Herzegowina nach Kroatien illegal einreisen wollten und durch sog. Pushbacks hieran gehindert worden seien, wobei es auch zum Einsatz von Polizeigewalt gekommen sei (a.a.O.). Ob es sich angesichts des Bemühens der kroatischen Regierung zur Einhaltung seiner Verpflichtungen und zum Schutz der Menschenrechte insoweit um systemische Schwachstellen mit der erforderlichen Erheblichkeit handelt oder Verfehlungen einzelner Beamter kann dahinstehen, da die insoweit bisher nicht betroffenen Antragsteller bei einer Rückkehr nach Kroatien keine Gefahr von Pushbacks oder Kettenabschiebungen oder von polizeilicher Gewalt bei Grenzübertritten nach Kroatien zu befürchten hätten. Die Antragsteller sind im Asylsystem Kroatiens bereits erfasst und Kroatien hat am 11. Juli 2023 positiv seine Aufnahmebereitschaft erklärt. Belastbare Erkenntnisse oder Anhaltspunkte dafür, dass auch Dublin-Rückkehrer von weiteren illegalen Pushbacks oder Kettenabschiebungen betroffen sein könnten, liegen nicht vor (VGH BW, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 31 m.w.N.).
35
Auch für den konkreten Einzelfall der Antragsteller, die als schwangere, allein reisende Mutter mit einem minderjährigen Kind als schutzbedürftige Personen im Sinne der der RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu erachten sind, ergibt sich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, die mit Art. 3 EMRK unvereinbar wäre. Schwangere und Minderjährige gelten nach dem kroatischen Asylgesetz als vulnerable Personen, für die besondere Aufnahme- und Verfahrensgarantien Anwendung finden, diese hat das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid unter Bezugnahme auf die einschlägigen Erkenntnismittel ausführlich dargestellt, auf die das Gericht verweist. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Antragsteller gemeinsam mit dem Partner der Antragstellerin zu 1 nach Kroatien zurückkehren, so dass sie auch auf dessen Unterstützung zurückgreifen können.
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2.1.3 Ein Anspruch auf einen Selbsteintritt Deutschlands nach Art. 17 Dublin III-VO besteht nicht.
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Nach Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO kann jeder Mitgliedstaat, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutzes nicht zuständig wäre, abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO beschließen, einen bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen.
38
Der nach dieser Vorschrift vorgesehene Selbsteintritt steht im weiten Ermessen (zur Vorgängervorschrift: EuGH, U. v. 10.12 2013 – C-394112, juris Rn. 57) des Mitgliedstaates, das an keine besonderen Bedingungen geknüpft ist und den Mitgliedstaaten ermöglichen soll, sich aus politischen, humanitären oder praktischen Erwägungen bereit zu erklären, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er hierfür nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist. Es obliegt allein dem betreffenden Mitgliedstaat, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von der Befugnis, die durch die Ermessensklausel eingeräumt wird, Gebrauch machen möchte (EuGH, U.v. 23.1.2019 – C-661/17 – juris Rn. 58 ff.).
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Nach diesen Maßgaben können sich die Antragsteller auf einen Selbsteintritt Deutschlands nicht berufen. Ein gebundener Anspruch auf Ausübung des Selbsteintritts besteht nicht. Die Voraussetzungen für eine Reduktion des den nationalen Behörden in Art. 17 Dublin III-VO eingeräumten Ermessens zum Selbsteintritt liegen ersichtlich nicht vor. Ein atypischer und außergewöhnlicher Härtefall, der jede andere Entscheidung als die Erklärung des Selbsteintritts als unvertretbar erscheinen ließe, besteht nicht. Eine unangemessen lange Verfahrensdauer ist nicht gegeben (EuGH, U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – juris Rn. 35). Persönliche Umstände der Antragsteller muss der Mitgliedstaat bei der Ausübung des Ermessens grundsätzlich nicht berücksichtigen (EuGH, U.v. 23.1. 2019 – C-661/17 – juris Rn. 71).
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2.1.4. Ausgehend von den bisherigen Ausführungen hat das Bundesamt in Nr. 2 des angegriffenen Bescheids unter Anwendung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch zutreffend festgestellt, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Diese Entscheidung hat es auch zutreffend auf den Dublin-Überstellungsstaat Kroatien und nicht auf das Herkunftsland der Antragsteller bezogen.
41
2.1.5. Schließlich ist die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des angegriffenen Bescheids auch im Übrigen rechtmäßig ergangen. Soll ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden, so ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies setzt nicht nur voraus, dass der Asylantrag mit Blick auf die Situation im Dublin-Überstellungsstaat gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu Recht als unzulässig eingestuft und nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zutreffend verneint wurden, sondern auch, dass einer Überstellung in diesen Staat keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse entgegenstehen. Solche liegen hier zugunsten der Antragsteller nicht vor. Die Antragsgegnerin hat die Schwangerschaft der Antragstellerin zu 1 berücksichtigt und zutreffend darauf abgestellt, dass nach der Rechtsprechung unter Anwendung der gesetzlichen Schutzfristen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Mutterschutzgesetz (MuSchG) eine Abschiebung lediglich sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt wegen Reiseunfähigkeit nicht möglich ist. Dieser Zeitraum ist vorliegend noch nicht erreicht, da der Entbindungstermin laut des in der Akte vorliegenden Mutterpasses erst für den * 2024 zu erwarten ist. Die nur religiöse Heirat der Antragstellerin zu 1 ist im hier maßgeblichen Verfahren unbeachtlich. Im Übrigen wurde für den Partner der Antragstellerin zu 1 ebenfalls ein Dublin-Verfahren durchgeführt und die Abschiebung nach Kroatien angeordnet, sodass es möglich ist, die Familieneinheit, soweit diese schützenswert ist, in Kroatien fortzusetzen.
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2.2 Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG und dessen Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 19 Monate ab dem Tag der Abschiebung sind ebenfalls rechtmäßig. Die Befristung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten gesetzlichen Rahmens von bis zu fünf Jahren. Das nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen wurde erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
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3. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles war daher der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vor allem im Hinblick auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Klage abzulehnen. Besondere Umstände, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage entgegen der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Wege der Interessenabwägung erforderlich erscheinen ließen, liegen nicht vor.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen haben die Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.