Titel:
Zulässigkeit präventiver Ingewahrsamnahme von Klimaklebern
Normenketten:
BayPAG Art. 17 Nr. 2, Art. 18
StGB § 240
Leitsätze:
1. Die präventivpolizeiliche Ingewahrsamnahme von Personen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie sich zeitnah zum Zwecke der Verkehrsblockade auf die Straße kleben werden, ist zulässig. Sie ist unerlässlich zur Verhinderung der Begehung/Fortsetzung von Straftaten. (Rn. 13 – 15)
2. Die zeitliche Länge der Maßnahme ist von der Polizei prognostisch zu begründen und vom Gericht zu überprüfen. Droht der Betroffene fortwährend mit der Begehung von konkreten Straftaten, liegt das in seiner Risikosphäre und tangiert nicht die Anordnungsvoraussetzungen. (Rn. 21)
Schlagworte:
Ingewahrsamnahme, Prävention, Klimakleber, Prognose, Dauer, Unerlässlichkeit
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 18.08.2023 – 59 XIV 38/23 (L)
Fundstellen:
LSK 2023, 30677
BeckRS 2023, 30677
NJW 2024, 452
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 18.08.2022, Az. 59 XIV 38/23 (L), aufgehoben und festgestellt, dass dieser den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat.
2. Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.
Gründe
1
Der Betroffene beteiligte sich vor seiner polizeilichen Ingewahrsamnahme in N. an mehreren gezielten und vorab organisierten Verkehrsblockaden, konkret (…). Am (…) hatte sich der Betroffene um (…) auch bereits in M. mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn festgeklebt, um den Verkehr zu blockieren. Nach der ersten Verkehrsblockade am (…) äußerte der Betroffene nach Belehrung in seiner bis (…) andauernden strafrechtlichen Beschuldigtenvernehmung, dass er sich weiterhin an Straßenblockaden beteiligen werde, insbesondere in N.
2
Die Polizei sprach am (…) die insgesamt 60 Personen an, belehrte diese, wies eine andere Versammlungsfläche zu, wiederholte die Ansprachen, löste die Versammlung letztlich mangels Kooperation der Betroffenen auf und trug sämtliche Personen unter Anwendung unmittelbaren Zwangs von der Fahrbahn. Die Auflösung erstreckte sich bis (…), wobei von der Gruppierung gegenüber der Polizei unmissverständlich deutlich gemacht wurde, dass nach vollzogener Sachbearbeitung unmittelbar zu neuerlichen Blockadeaktionen in N. übergegangen werde. Um (…) wurde der Betroffene schließlich unter Berufung auf Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG in Gewahrsam genommen.
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Das Polizeipräsidium Mittelfranken beantragte beim zuständigen Amtsgericht Nürnberg unverzüglich, die Ingewahrsamnahme für zulässig zu erklären und den Verbleib des Betroffenen im polizeilichen Gewahrsam bis längstens 22:00 Uhr zu bewilligen. Dieser Antrag wurde durch Beschluss der zuständigen Richterin abgelehnt und der Betroffene aus dem Gewahrsam entlassen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Antrag des Polizeipräsidiums Mittelfranken auf richterliche Entscheidung nach Art. 18 PAG vom (…) sowie die amtsgerichtliche Entscheidung vom 18.08.2023 (…) Bezug genommen. Nach der Entlassung aus dem Gewahrsam beteiligte sich der Betroffene am (…) unmittelbar an einer weiteren Blockadeaktion auf (…).
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Gegen den ablehnenden Beschluss hat das Polizeipräsidium Mittelfranken am 15.09.2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Beschwerde eingelegt und diese mit gleichem Schreiben begründet. Auf die Beschwerdebegründung (…) wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 15.09.2023 nicht abgeholfen und die Akte dem Landgericht Nürnberg-Fürth zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.
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Die Kammer hat dem Betroffenen die Beschwerdebegründung zugestellt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Weiter hat die Kammer eine persönliche Anhörung des Betroffenen unter Beiladung des Beschwerdeführers angeordnet. Trotz ordnungsgemäßer Ladung erschien der Betroffene zur Anhörung am (…) nicht.
7
Die Beschwerde des Polizeipräsidiums Mittelfranken ist zulässig und begründet.
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Die Beschwerde ist statthaft und zulässig erhoben, Art. 99 PAG i. V. m. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 68 Abs. 2 FamFG. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FamFG.
a) Beschwerdeberechtigung der Polizei
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§ 59 Abs. 3 FamFG gewährt ein besonderes Beschwerderecht von Behörden nach den besonderen Vorschriften dieses oder eines anderen Gesetzes. Das PAG enthält eine entsprechende Sonderregelung nicht. Fehlt es an einer solchen Vorschrift, besteht ein eigenes Beschwerderecht einer Behörde somit nur nach Maßgabe des § 59 Abs. 1 FamFG. Für eine Behörde kann sich aus § 59 Abs. 1 FamFG eine Beschwerdeberechtigung nur dann ergeben, wenn sie durch eine gerichtliche Entscheidung in gesetzlich eingeräumten eigenen Rechten unmittelbar betroffen ist. Das ist nicht schon immer dann der Fall, wenn das öffentliche Interesse an der Erfüllung der einer Behörde übertragenen öffentlichen Aufgabe durch die gerichtliche Entscheidung beeinträchtigt wird (BGH 08.10.2014 – XII ZB 406/13, NJW 2015, 58 Rn. 15; BGH 17.06.2015 – XII ZB730/12, NJW 2015, 2800 (2801) Rn. 16). Eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung kann aber in Fällen vorliegen, in denen das Gesetz der Behörde ein echtes Antragsrecht einräumt und deren Antrag durch das Gericht zurückgewiesen wird (BGH 17.06.2015 – XII ZB730/12, NJW 2015, 2800 (2801) Rn. 16), vgl. auch § 59 Abs. 2 FamFG. Das ist vorliegend zu bejahen. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG gewährt der Polizei ausdrücklich eine originäre Berechtigung („kann … nehmen“) und knüpft diese an eine unverzügliche richterliche Entscheidung, stellt sie somit unter einen – nachgelagerten – Richtervorbehalt, Art. 18, 97 Abs. 1 PAG.
b) Feststellungsinteresse
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Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn dieser ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Hat sich die Hauptsache nach Erlass der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts erledigt, ist zwar im Regelfall ein mit der Beschwerde zu verfolgendes Rechtsschutzinteresse des Beteiligten nicht mehr gegeben, weil der Beteiligte nach Erledigung durch die Entscheidung lediglich noch Auskunft über die Rechtslage erhalten kann, ohne dass damit noch eine wirksame Regelung getroffen werden könnte. Im Einzelfall kann trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels aber ein Bedürfnis nach einer gerichtlichen Entscheidung fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage besonders geschützt ist. In Anbetracht dessen, dass das Amtsgericht nicht bezogen auf den konkreten Sachverhalt entschieden hat, sondern die beantragte Maßnahme, bei welcher es sich um eine häufiger vorkommende polizeiliche Präventivmaßnahme handelt, als generell nicht von der geltend gemachten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im präventivpolizeilichen Bereich gedeckt erachtet hat, ist eine konkrete Wiederholungsgefahr nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zu bejahen. Es handelt sich nicht ausschließlich um die Klärung einer allgemeinen Rechtsfrage, sondern ein ähnlich gelagerter Antrag steht hinreichend konkret zu erwarten.
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Die zulässige Beschwerde des Polizeipräsidiums Mittelfranken erweist sich auch in der Sache als begründet. Dem polizeilichen Antrag auf Bestätigung der Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Nr. 2, 18 PAG hätte das Amtsgericht zu entsprechen gehabt.
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Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG berechtigt die Polizei zur Ingewahrsamnahme einer Person, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern.
a) Bevorstehende Straftat
13
Es bestand die Gefahr für die unmittelbar bevorstehende Begehung von Straftaten durch den Betroffenen. Hiervon ging auch das Amtsgericht zutreffend aus.
14
Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut genügt jede Straftat (Grünewald, in: Möstl/Schwabenbauer, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Ed. 2023, Art. 17 PAG Rn. 28). Dies deckt sich mit der Auffassung des BayVerfGH, wonach es Aufgabe des Staates ist, seine Bürger umfassend vor Straftaten zu schützen (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 117). Das im Raum stehende Festkleben stellt jedenfalls eine Nötigung i. S. d. § 240 StGB dar (BayObLG 21.04.2023 – 205 StRR 63/23, BeckRS 2023, 8998 Rn. 36 ff.), gegebenenfalls zusätzlich einen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (KG 16.08.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23, NJW 2023, 2792 (2794) Rn. 19 ff.) sowie die Mitgliedschaft in oder das Unterstützen einer kriminellen Vereinigung (v. Heintschel-Heinegg, StGB, 58. Ed. 2023, § 129 Rn. 49).
15
Ob die Tatbegehung/-fortsetzung wie von der Norm vorausgesetzt unmittelbar bevorsteht, ist durch die Polizei im Rahmen einer in der Situation zu erstellenden Prognose zu beurteilen (Grünewald, in: Möstl/Schwabenbauer, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Ed. 2023, Art. 17 PAG Rn. 41). Eine solche Prognose, die zwangsläufig auch die Gefahr von Fehlprognosen in sich birgt, ist als Grundlage jeder Gefahrenabwehr unverzichtbar (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 159). Die Begehung/Fortsetzung der Straftat muss sofort oder aber zumindest in allernächster Zeit mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, was durch konkrete Anhaltspunkte zu belegen ist (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 159; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz/Polizeiorganisationsgesetz, 6. Aufl. 2023, Art. 17 PAG Rn. 35). Das Gericht hat diese polizeiliche Prognose zu überprüfen, ohne sie dabei durch seine eigene zu ersetzen (Grünewald, in: Möstl/Schwabenbauer, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Ed. 2023, Art. 17 PAG Rn. 44). Vorliegend zeigen der dokumentierte Ablauf des (…) und das von der Polizei geschilderte Verhalten des Betroffenen sowie der Gruppierung um den Betroffenen, ebenso wie die Aussage des Betroffenen in seiner Vernehmung vom (…), eindeutig die Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit der polizeilich gestellten Prognose.
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Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war unerlässlich i. S. d. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG.
17
Die gesetzlich betonte Unerlässlichkeit des Gewahrsams stellt die Bedeutung des Art. 4 PAG heraus. Sie geht in der Intensität der Prüfung noch über das Attribut der Erforderlichkeit hinaus (BVerfG 30.10.1990 – 2 BvR 562/88, BVerfGE 83, 24 = NJW 1991, 1283 (1284 f.)) und verlangt eine besonders sorgfältige Erörterung etwaiger milderer Maßnahmen. Sie akzentuiert die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Form der Ultima Ratio (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 118, 157).
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aa) Zunächst bedarf es daher einer Wirksamkeit oder Geeignetheit des Gewahrsams, d. h. dieser muss in der Lage sein, die Begehung/Fortsetzung der Straftat zu verhindern (Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz/Polizeiorganisationsgesetz, 6. Aufl. 2023, Art. 17 PAG Rn. 41). Diese Wirksamkeit ist zu bejahen, denn die ins Auge gefasste Ingewahrsamnahme hätte weitere Straftaten des Betroffenen (…) (konkret etwa die Blockadeaktion um (…)) unterbunden. Es geht in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG allein darum, die Straftat des Betroffenen zu verhindern. Die hypothetische Überlegung, ob im Falle der Ingewahrsamnahme andere Personen sich angespornt fühlen könnten, die Straftat anstelle des Betroffenen zu unternehmen, ist unbehilflich. Sie verkennt den Prüfungsmaßstab und wäre auch im Übrigen von fragwürdiger Konsequenz, als der Rechtsstaat in den Tatbestandsmerkmalen seiner Eingriffsbefugnisse nicht vor einer vermuteten „Übermacht“ von Alternativtätern zurückweicht. Vielmehr wäre – die Hypothese zu Ende gedacht – in diesem Fall schlicht der Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG auch betreffend dieser anderen Personen eröffnet.
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Ebenso ändert es an der Wirksamkeit/Geeignetheit der Maßnahme nichts, dass der Betroffene sich mutmaßlich nicht dauerhaft von der Begehung von Straftaten nach dem Ende des Gewahrsams abhalten lassen wird. Zum einen handelt es sich bei solchen zukünftigen Straftaten um andere, wenngleich im Wesen vergleichbare, Straftaten. Denn voraussichtlich werden im Vergleich mit den unterbundenen Straftaten andere Verkehrsteilnehmer an anderen Orten und zu anderen Zeitpunkten geschädigt. Insofern werden durchaus konkrete Straftaten verhindert. Nach dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG muss sich die Unterbindung auf die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat beziehen. Hiermit ist eine konkrete Straftat gemeint; nicht erforderlich ist, dass weitere, wenngleich im Wesen vergleichbare Straftaten ebenfalls verhindert werden. Zum anderen widerspräche es dem Zweck des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG, wenn der Staat tatenlos zusehen und die Begehung einer (oder einer vergleichbaren) Straftat dulden müsste, wenn die Gefahr der Begehung einer (oder einer vergleichbaren) Straftat zu einem anderen Zeitpunkt nicht dauerhaft gebannt werden könnte. Das würde dazu führen, dass der Staat seiner Aufgabe und Pflicht, seine Bürger vor der Begehung von Straftaten zu schützen, nicht nachkommen könnte. Der Zweck des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG ist es aber gerade, dem Staat für diese Pflichterfüllung ein Eingriffsinstrument zur Verfügung zu stellen.
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bb) Ferner darf es keine mildere, ebenfalls ausreichende Maßnahme geben. Die infrage stehende Maßnahme muss dabei indessen nicht nur milder an sich sein, sondern sie hat auch denselben Erfolg zu versprechen wie die Ingewahrsamnahme (Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz/Polizeiorganisationsgesetz, 6. Aufl. 2023, Art. 17 PAG Rn. 42). Solche milderen Maßnahmen lagen am (…) nicht vor. Eine bloße Beschlagnahme von Gegenständen genügte nicht zur Verhinderung der Straftat. Gleiches gilt für eine etwaige Observation des Betroffenen mit fortgesetzten Platzverweisen und Durchsetzungsmaßnahmen. Erstere ist ersichtlich schon nicht geeignet. Zweitere wäre wohl kaum lückenlos möglich, zumal ob der vielfältigen in Betracht kommenden Tatzeiten und Tatorte. Außerdem erscheint sie angesichts des großen Unterstützerkreises auch logistisch und kräftemäßig nicht in gleich geeigneter Form zu leisten. Auch ein Verbringungsgewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG verspricht nicht den gebotenen Erfolg, weil bereits nicht ersichtlich ist, wohin der Betroffene hätte verbracht werden sollen. Gesetzt den Fall, die Polizei hätte den Betroffenen etwa an seinen Wohnort gebracht, wäre eine neuerliche Reise nach N. noch am selben Tag problemlos möglich gewesen. Es steht erkennbar außer jedem Verhältnis, wie vorliegend insgesamt 60 Personen an (zur fehlenden Möglichkeit der Verbindung und Organisation zudem unterschiedliche) „entlegene Orte“ in verschiedene, mehrere Stunden Fahrtstrecke entfernte Ecken der Bundesrepublik zu verbringen, um eine neuerliche Anreise nach N. innerhalb von 7,5 Stunden zu verhindern.
21
So sich das Amtsgericht – wie im Nichtabhilfebeschluss anklingt – an einer präzise auszumachenden Dauer des Gewahrsams gehindert sieht, als nämlich die in Rede stehende Straftat schließlich auch noch nach dem Ende des polizeilich beantragten Gewahrsams konkret drohe, darf dies nicht dazu verleiten, die Tatbestandsvoraussetzungen zu negieren. Vielmehr drängt sich in einem solchen Fall schlicht die gesetzlich vorgesehene Verlängerung des Gewahrsams (gegebenenfalls bis zur zulässigen Höchstdauer von zwei Monaten) auf. Die zeitliche Länge der Maßnahme ist von der Polizei prognostisch zu begründen und vom Gericht zu überprüfen. Droht der Betroffene fortwährend mit der Begehung von konkreten Straftaten, liegt das in seiner Risikosphäre und tangiert nicht die Anordnungsvoraussetzungen. Selbstredend ist ein Gewahrsam – von Amts wegen – unverzüglich zu beenden, sobald die Anordnungsvoraussetzungen entfallen sind, Art. 20 Abs. 1 Nr. 1, 96 Abs. 2 Satz 1 PAG (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 120), was bei fortgesetzter Drohung mit Straftaten allerdings ersichtlich nicht der Fall ist. Nach dem Gesagten wäre es am zuständigen Richter – bei entsprechendem polizeilichen Antrag – das Fortbestehen der Gefahrenlage und die sukzessive Verlängerung des angeordneten Gewahrsams zu überprüfen, um sowohl der von der Norm bezweckten Verhinderung von Straftaten zu genügen, als auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner besonderen Ausprägung der Unerlässlichkeit zu entsprechen. Das Gesetz sieht eine auch mehrfache Verlängerung schließlich explizit vor, falls der Gewahrsamsgrund fortdauert (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 136). Das Gesetz weist die Risikoverantwortlichkeit mithin eindeutig dem – autonom agierenden – Störer und nicht etwa der schutzbedürftigen Rechtsgemeinschaft zu. Dabei wurde gesehen, dass eine anhaltende Gefahrenlage nicht notwendig nach einer bestimmten Zeit entfällt (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 148). Die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG benannten zulässigen Höchstdauern des Gewahrsams einerseits und der insgesamten Verlängerung andererseits sind verfassungsgemäß (BayVerfGH 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18, BeckRS 2023, 19409 Rn. 125 ff.). Die Polizei hatte vorliegend in ihrem Antrag mit 7,5 Stunden jedoch ohnehin eine überaus maßvolle Zeitspanne benannt und diese auch nachvollziehbar begründet.
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Der beantragte Gewahrsam zur Straftatverhinderung war mithin Ultima Ratio.