Titel:
Nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers für sehbehinderten Beschuldigten
Normenkette:
StPO § 140 Abs. 1 Nr. 11, § 142
Leitsätze:
1. Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn ein sehbehinderter Beschuldigter mit einem GdB von 40 in Bezug auf seine Sehminderung die Bestellung eines Pflichtverteidigers beantragt. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die nachträgliche Bestellung zum Pflichtverteidige nach Abschluss des Verfahrens kann dann erfolgen, wenn der Antrag rechtzeitig vor Verfahrensabschluss gestellt worden ist und die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und eine Entscheidung über die Beiordnung unterblieben war. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
notwendige Verteidigung, Pflichtverteidiger, Sehbehinderung, Antragstellung, nachträgliche Bestellung
Fundstellen:
StV Spezial 2023, 160
LSK 2023, 30650
BeckRS 2023, 30650
1
Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil ein seh-, hör oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt. Ausweislich des Bescheides des ZBFS liegt ein GdB von 40 in Bezug auf die Sehminderung vor (Bl. 14 d. Akte).
2
Das Gericht geht hier vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine nachträgliche Bestellung zum Pflichtverteidiger aus. Eine nachträgliche Bestellung zum Pflichtverteidiger kann auch noch dann erfolgen, wenn der Antrag rechtzeitig vor Verfahrensabschluss gestellt wurde die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und eine Entscheidung über die Beiordnung unterblieben war. Der Verteidiger stellte bereits mit Schriftsatz vom 19.12.2022 einen entsprechenden Antrag und wiederholte diesen am 27.03.2023. Die Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft A. erfolgte am 21.02.2023. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren mit Verfügung vom 23.05.2023 nach § 154 Abs. 1 StPO ein. Zu diesem Zeitpunkt war aber den Antrag des Verteidigers noch nicht entschieden worden.