Titel:
unzulässiger Asylantrag (internationaler Schutz in Bulgarien)
Normenkette:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Weder das Asylverfahren in Bulgarien noch die dortigen Aufnahmebedingungen leiden an systemischen Mängeln; es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass nicht vulnerablen gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der freiwillige Verzicht auf einen bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewährten Flüchtlingsschutz ist ebenso zu behandeln ist wie der Fortbestand des Schutzes. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Drittstaatenbescheid Bulgarien, freiwilliger Verzicht auf Schutzstatus, Bulgarien, Abschiebungsandrohung, Sekundärmigration
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30636
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen einen Bescheid, in dem u.a. ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihnen die Abschiebung nach Bulgarien angedroht wurde.
2
Die Kläger sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit islamischen Glaubens. Sie reisten am 25.9.2022 in Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 20.2.2023 einen Asylantrag.
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Ausweislich eines in der Bundesamtsakte befindlichen Auszugs aus der EURODAC-Datei vom 24.10.2022 lag hinsichtlich des Klägers zu 1) ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 mit der Kenn-Nr. B…03 in Bezug auf Bulgarien vor. Der Kläger zu 1) hatte demnach am 26.2.2021 in RRC Banya einen Asylantrag gestellt und ihm wurden am selben Tag Fingerabdrücke genommen. Hinsichtlich der Klägerin zu 2) lag ebenfalls ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 für Bulgarien mit der Kenn-Nr. B…01 vor. Sie hatte dort demnach am 18.5.2022 in RPC VRACZHDEBNA einen Asylantrag gestellt und ihr wurden am selben Tag Fingerabdrücke genommen.
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Bezüglich des Klägers zu 1) teilten die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 23.12.2022 mit, dass ihm in Bulgarien subsidiärer Schutz am 3.6.2021 gewährt wurde. Hinsichtlich der Klägerin zu 2) teilten die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 23.12.2022 mit, dass ihr subsidiärer Schutz am 15.7.2022 gewährt wurde.
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Bei der Erstbefragung gab der Kläger zu 1) an, er habe Syrien am 20.11.2020 verlassen und sei u.a. über Bulgarien, wo er sich ein Jahr und neun Monate aufgehalten habe, am 25.9.2022 in Deutschland eingereist. Er habe ca. am 26.6.2021 in Bulgarien Schutz erhalten. Die Klägerin zu 2) gab bei der Erstbefragung an, sie habe am 10.5.2022 ihr Heimatland verlassen und sei über Bulgarien (Familiennachzug) am 25./26.9.2022 in Deutschland eingereist. Sie sei am 11.5.2022 in Bulgarien eingereist und habe sich in Sofia vier Monate lang aufgehalten. Sie habe ca. Ende Mai/Anfang Juni 2022 in Bulgarien Schutz erhalten und habe in Sofia gelebt.
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Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG, § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG gab der Kläger zu 1) im Wesentlichen an, Dokumente aus Bulgarien habe er entsorgt, bevor er in Deutschland angekommen sei. Der Schutz müsste im Juni 2023 ablaufen. Er sei für drei Jahre gültig gewesen. Er habe in Sofia gelebt, die genaue Anschrift wisse er nicht. Zunächst habe er bei einem Freund gelebt. Als die Familie gekommen sei, hätten sie eine eigene Wohnung gemietet. Auf Frage, wovon sie in Bulgarien gelebt hätten, gab er an, er habe erst in einem Restaurant zehn Stunden täglich gearbeitet und 15 Euro pro Tag erhalten. Die Miete mit der Familie habe 350 Euro incl. Nebenkosten betragen. Das habe er von dem Geld bezahlt. Er habe alles selbst bezahlt ohne staatliche Unterstützung. Staatliche Unterstützung habe er nicht beantragt. Man würde so etwas nicht bekommen, weshalb sollten sie es dann beantragen. Als er die ersten vier Monate im Camp gewesen sei, habe er im Monat 5 Euro bekommen. Er habe dort gegen seinen Willen den Antrag gestellt. Man habe ihn wegen der Einreise festgenommen. Wenn er den Asylantrag nicht dort gestellt hätte, hätten sie ihn für 1,5 Jahre in Haft gesteckt. Das Rote Kreuz habe mit ihm im Gefängnis gesprochen und ihm empfohlen, den Antrag zu stellen, sonst wäre er nicht rausgekommen. Anschließend habe er gedacht, wenn er das schon gemacht habe und nun da sei, könne er auch seine Familie nachholen. Aber dort gebe es für die Kinder keine Zukunft. Sie könnten weder in die Schule noch in den Kindergarten. Bulgarien sei kein sicheres Land. Er müsste die Kinder selbst im Kindergarten anmelden und das koste pro Kind 350 Euro im Monat. Wie soll er das bezahlen, wenn er nur 400 Euro im Monat verdiene? Er habe wegen staatlicher Unterstützung für die Kinder und im Kindergarten gefragt, aber es habe nichts gegeben. Er sei in einem C.-büro gewesen und sie sagten, der Staat helfe nicht. Selbst im Krankenhaus müsse man alles selber zahlen. Die Tochter habe manchmal Anfälle wegen einer Allergie. Aber im Krankenhaus hätten sie sie nicht angenommen. Er habe dann seinen Vater in Syrien angerufen und der habe mit einem Arzt in Syrien gesprochen und habe ihm dann gesagt, welches Medikament er holen solle. Die habe er dann in der Apotheke gekauft. Das seien seine Gründe. Die Tochter habe eine Allergie auf verschiedene Gerüche. Er sei hier beim Arzt gewesen und der meinte, es werde verschwinden, wenn sie älter sei. Er selbst habe keine Erkrankungen. Er habe hier einen Bruder, der deutscher Staatsangehöriger sei und seit 2014 in Deutschland sei. Es sei sein Zwillingsbruder.
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Bei der Anhörung nach § 25 AsylG gab der Kläger zu 1) u.a. an, er habe die Großfamilie und eine Schwester im Heimatland. Er habe Abitur und Mechatronik studiert (Fachschule). In Syrien habe er in einem Shisha-Café und als Friseur gearbeitet. In Bulgarien habe er keine Verwandtschaft. Ausgereist sei er wegen der Kinder.
8
Bei der Anhörung nah § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG, § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG am 23.3.2023 gab die Klägerin zu 2) im Wesentlichen an, die Dokumente hätten sie alle weggeworfen, damit sie nicht abgeschoben werden könnten. Die ganze Familie habe Schutz in Bulgarien für drei Jahre. Wann der Schutz ablaufen würde, wisse sie nicht mehr genau. Das Ziel sei von Anfang an Deutschland gewesen. Der Mann sei erst in Bulgarien gewesen. Sie sei mit den Kindern durch Familiennachzug nach Bulgarien gekommen. Der Mann sei zwei Monate im Gefängnis gewesen und sie seien danach dorthin gekommen und weiter nach Deutschland. Sie wolle Sicherheit für die Kinder und die gebe es in Bulgarien nicht. Hier kümmere man sich schon vor dem Asylverfahren um die Kinder. So etwas gebe es in Bulgarien nicht. Das alltägliche Leben dort sei schwierig. Es habe einen Vorfall gegeben, bei dem zwei Polizisten ums Leben gekommen seien. Seitdem betrachte man die Syrer bzw. die Flüchtlinge anders dort. Sie seien vier Monate in Bulgarien gewesen. Ihr Mann sei im Gefängnis gewesen aufgrund der illegalen Einreise. Er sei an der bulgarisch-rumänischen Grenze festgenommen worden und zwei Monate in Einzelhaft gewesen. In Bulgarien habe sie etwas Geld vom Schwiegervater mitgenommen. Ihr Mann habe dort in der Gastronomie gearbeitet und sie hätten sich eine Wohnung gemietet. Sie selbst habe nicht versucht, dort Arbeit zu finden. Sie habe nicht nach Arbeit gesucht, weil sie sich um die Kinder gekümmert habe. Der Mann habe in der Gastronomie gearbeitet und später als Friseur. Die Kinder seien nicht im Kindergarten gewesen, weil sich die Behörden nicht um die Anmeldung gekümmert hätten. Sie selbst hätten nicht versucht, die Kinder im Kindergarten anzumelden, weil sie finanziell dazu nicht in der Lage gewesen wären. Die Tochter habe eine Art Allergie, Beschwerden mit der Lunge und sei anfällig gegen Infekte. Sie nehme Medikamente bei Bedarf. Sie habe zwei Brüder und eine Schwester in Deutschland.
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Bei der Anhörung nach § 25 AsylG am 23.3.2023 gab sie u.a. an, sie habe am 9.5.2022 ihre Heimat verlassen und habe in Bulgarien in Sofia gelebt. Sie seien mit dem Flugzeug über Griechenland und Italien in die Niederlande gefahren und dann mit dem Auto nach Deutschland, die gesamte Familie im September 2022. In der Heimat habe sie zwei Brüder, zwei Schwestern und die Großfamilie. Sie habe studiert, speziell für Kindererziehung. Ihr Mann sei im November 2020 ausgereist. Sie habe dann bei den Schwiegereltern und Eltern gelebt und die hätten sie versorgt. Die Gründe würden auch für die Kinder gelten. Sie habe im Bundesgebiet Brüder und eine Schwester.
10
Mit Bescheid vom 19.7.2023 (Gz. 953355-475), wurde der Asylantrag der Kläger als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und es wurde ihnen die Abschiebung nach Bulgarien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht. Nach Syrien dürfen sie nicht abgeschoben werden. Ferner wurde die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist, und im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Begründung wird Bezug genommen.
11
Am 27.7.2023 haben die Kläger Klage erheben lassen (RN 15 K 23.30798) und einen Eilantrag gestellt. Auf den Beschluss vom 3.8.2023 im Verfahren Az. RN 15 S 23.30796 wird Bezug genommen.
12
Zur Begründung von Klage und Antrag wird im Wesentlichen vorgetragen, es lägen im bulgarischen Asylverfahren systemische Mängel vor. Bezogen hat sich die Klägerseite auf eine Entscheidung des VG Karlsruhe vom 23.6.2020, Az. A 13 K 6311/19, eine Entscheidung des VG Oldenburg vom 29.4.2020, Az. 12 A 6134/17, das VG Stuttgart vom 28.12.2016, Az. A 5 K 8144/16 und den Hessischen VGH vom 4.11.2016, Az. 3 A 1322/16.A, ferner auf weitere Entscheidungen des OVG Niedersachsen vom 14.4.2023, 10 LA 27/23 und des VG Frankfurt/Oder vom 6.1.2023, Az. 10 K 803/22. Die Kläger und Kläger gehörten mit drei betreuungsbedürftigen Kleinkindern zu besonders vulnerablen Personengruppe; Existenz und Obdach sei nicht gesichert.
13
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 19.7.2023 aufzuheben, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
14
Ferner haben sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung beantragt. Auf den Beschluss vom 3.8.2023 wird Bezug genommen.
15
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 1.8.2023 beantragt,
16
Mit Schreiben vom 31.7.2023 teilte die Klägerseite ferner mit, es bestehe Einverständnis mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter im Klageverfahren.
17
Mit Beschluss vom 27.7.2023 wurde der Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. Für die Angaben weiterer Tatsachen und Beweismittel wurde der Klägerseite mit Schreiben des Gerichts vom 3.8.2023 Frist bis 30.8.2023 nach § 74 Abs. 2 AsylG, § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO gesetzt.
18
Mit Schreiben vom 21.9.2023 teilten die bisherigen Klägerbevollmächtigten die Mandatsbeendigung mit. Mit Schreiben vom 18.10.2023 legte der nunmehrige Bevollmächtigte zwei beglaubigte Übersetzungen von bulgarischen Dokumenten und die bulgarischen Dokumente vom 4.10.2023 und 19.9.2023 in Kopie vor, wonach der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) mit den Kindern (Kläger zu 3 bis 5) auf den in Bulgarien gewährten Schutz am 23.8.2023 verzichteten und daher der mit Beschluss vom 3.6.2021 bzw. vom 15.7.2022 gewährte humanitäre Schutzstatus mit Beschluss vom 4.10.2023 bzw. 19.9.2023 beendet werde. Als Rechtsmittelfrist gegen die Beschlüsse wurden 14 Tage nach Zustellung angegeben. Der Beschluss vom 4.10.2023 wurde dem bulgarischen Bevollmächtigten am 6.10.2023, der Beschluss vom 19.9.2023 am 29.9.2023 zugestellt.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakten Eilrechtsschutz- und Hauptsacheverfahren Bezug genommen, sowie auf das Protokoll vom 24.10.2023.
Entscheidungsgründe
20
Dahinstehen kann, ob die Klage (noch) zulässig ist.
21
Mit Verzicht auf den in Bulgarien gewährten Schutzstatus haben die Kläger zu erkennen gegeben, dass sie keinen humanitären Schutz brauchen und wollen. Für das selektive Verständnis der Kläger, nur in Deutschland schutzbedürftig zu sein, aber nicht in einem anderen Staat der Europäischen Union, das den Klägern bereits einen Schutzstatus zuerkannt hat, welches durch Verzicht auf den bestehenden Schutztitel ausgedrückt wird, um sich dann in Deutschland vermeintlich ein Recht auf ein Asylerstverfahren zu sichern, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Eine derartige Vorgehensweise der Kläger, auf den Schutz eines europäischen Landes zu verzichten, mit dem Ziel, in der Bundesrepublik Deutschland berechtigterweise ein erneutes Asylerstverfahren durchzuführen, erscheint vielmehr rechtsmissbräuchlich.
22
Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
23
Die gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids gerichtete Anfechtungsklage ist unbegründet, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24
Der Asylantrag ist unzulässig, da den Klägern in Bulgarien internationaler Schutz in der Gestalt des subsidiären Schutzstatus zuerkannt wurde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus den im Behördenakt befindlichen Schreiben der bulgarischen Behörden vom 23.12.2022. Die Kläger haben im Übrigen im Verwaltungsverfahren bestätigt, dass sie in Bulgarien Dokumente bekommen haben und dort anerkannt worden seien.
25
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Nach letzterer Vorschrift umfasst der internationale Schutz den Schutz vor Verfolgung nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und den subsidiären Schutz. Da den Klägern in Bulgarien der subsidiäre Schutz zuerkannt wurde, ist ihr in Deutschland gestellter Asylantrag unzulässig. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Kläger in Bulgarien keinen Asylantrag stellen wollten und ihr Ziel von Anfang an Deutschland war. Ein entsprechendes Wahlrecht steht ihnen nicht zu.
26
Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass die Kläger den in Bulgarien gewährten internationalen Schutz auf Grund der in der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes) abschließend (vgl. EuGH, Urteile v. 19.3.2019, Az. C-297/17 u.a. (Ibrahim u.a.) – juris Rn. 76) benannten Gründe nicht mehr innehat. Der in Bulgarien gewährte internationale Schutz, d.h. sowohl der Flüchtlingsstatus als auch der subsidiäre („humanitäre“) Schutzstatus ist unbefristet (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Version 3 vom 17.5.2023, S. 20; aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 2021, S. 90; OVG Lüneburg, U. v. 7.12.2021, Az. 10 LB 257/20 – juris Rn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 22.9.2020, Az. OVG 3 B 33.19 – juris Rn. 24). Einzig die Gültigkeitsdauer von Ausweisdokumenten, die anerkannten Schutzberechtigten aufgrund ihres Schutzstatus ausgehändigt werden, ist zeitlich beschränkt. Während Ausweisdokumente für anerkannte Flüchtlinge fünf Jahre gültig sind, beschränkt sich die Gültigkeitsdauer von Ausweisdokumenten für subsidiär Schutzberechtigte auf drei Jahre. Nach Ablauf der Gültigkeit werden die Ausweisdokumente auf Antrag verlängert (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Version 3 vom 17.5.2023, S. 20; aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 2021, S. 90).
27
Soweit von einer Praxis der bulgarischen Staatlichen Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat (State Agency for Refugees with the Council of Ministers, im Folgenden: SAR) berichtet wird, wonach anerkannten Schutzberechtigten in mutmaßlich unionrechtswidriger Weise nach Durchlauf eines Überprüfungsverfahrens über die in der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Fälle hinaus der Schutzstatus wieder entzogen wird (vgl. aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 2020, S. 93), ist dieser Umstand nicht entscheidungserheblich. Potentiell betroffen sind hiervon nur anerkannte Schutzberechtigte, die es versäumen, rechtzeitig – d.h. binnen 30 Tagen – die Verlängerung ihrer abgelaufenen bulgarischen Ausweisdokumente zu beantragen. Zu diesem Personenkreis gehören die Kläger nicht. Ihnen wurde am 3.6.2022 und 15.7.2022 subsidiärer Schutz gewährt. Die Schutzgewähr besteht daher zur Überzeugung der Einzelrichterin fort.
28
Zwar hat die Beklagte über den Wortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hinaus zu beachten, dass Asylanträge nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden dürfen, wenn den Klägern in dem anderen Mitgliedstaat, in dem ihnen bereits internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Lebensverhältnisse erwarten würden, die sie der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bzw. des inhaltsgleichen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) zu erfahren (vgl. EuGH, B. v. 13.11.2019, Az. C-540/17).
29
Das Gericht geht aufgrund der Gesamtwürdigung der vorliegenden Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH sowie des EGMR (EuGH, B. v. 13.11.2019, Az. C-540/17, C-541/17 sowie U. v. 19.03.2019, Az. C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris; EGMR, U. v. 23.03.2021, Az. 46595/19) und im vorliegenden gerade aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls jedoch davon aus, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Bulgarien keine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh oder des Art. 3 EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
30
Nach Auffassung der erkennenden Einzelrichterin leiden das Asylverfahren in Bulgarien und die dortigen Aufnahmebedingungen weder an systemischen Mängeln noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass nicht vulnerablen gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. z.B. VG Bremen, U. v. 22.2.2023, Az. 2 K 1419/22 – juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, B. v. 16.12.2022, Az. 11 A 1397/21.A – juris Rn 76ff., VGH Baden-Württemberg, U. v. 24.2.2022, Az. A 4 S 162/22 – juris, Rn. 32; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, B. v. 15.2.2022, Az. 11 A 1625/21.A – juris, Rn. 52 ff.; VG Minden, B. v. 30.3.2022, Az. 12 L 233/22.A – juris, S. 16 ff.; VG Aachen, B. v. 7.4.2022, Az. 8 L 123/22.A – juris, S. 24 ff.; VG München, B. v. 2.6.2022, Az. M 10 S 22.50254 – juris, Rn. 22; VG Leipzig, U. v. 28.6.2022, Az. 7 K 289/22.A – juris, Rn. 28 ff.; zum Ganzen nochmals ausführlich: VG Karlsruhe, B. v. 27.9.2022, Az. A 19 K 2565/22 – juris Rn. 23).
31
Die konkrete Gefahr einer extremen Verelendung ist nicht anzunehmen. Die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin verkennt dabei nicht, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien nach den aktuellen Erkenntnismitteln mit verschiedenen Problemen konfrontiert werden, die ihnen die Sicherung des Lebensunterhalts erschweren. Diese sind jedoch – jedenfalls für den vorliegenden Fall eines gesunden und arbeitsfähigen alleinstehenden Mannes – in der Gesamtschau nicht als derart gravierend anzusehen, dass aus ihnen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer extremen materiellen Not erwachsen wird. Es bestehen keine konkreten Erkenntnisse, wonach es ihm unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Bulgarien nicht (mehr) möglich wäre, seinen Lebensunterhalt perspektivisch selbst zu erwirtschaften.
32
Im Einzelnen liegen dem unter Zugrundelegung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel folgende Erwägungen zugrunde:
33
Anerkannte Schutzberechtigte können in Bulgarien nicht dauerhaft die materiellen Leistungen für Asylbewerber (Verpflegung, Unterkunft usw.) in Anspruch nehmen, sondern sind auf die eigene Sicherung des Lebensunterhaltes angewiesen. Ob darüber hinaus eine Sicherung durch Sozialleistungen in Betracht zu ziehen ist, erscheint zweifelhaft. Einerseits wird die Möglichkeit einer Sozialhilfe in Höhe von monatlich 40 € und jährlicher Einmalhilfe von 192 € erwähnt (vgl. SFH, Auskunft vom 8.7.2022, an das OVG NRW in der Verwaltungsstreitsache 11 A 223/21.A, S. 2); andererseits gibt es Hinweise, dass die bürokratischen Hindernisse der Antragstellung praktisch kaum oder allenfalls mit Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen überwindbar sind (vgl. BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Bulgarien, Situation von subsidiär Schutzberechtigten, vom 19.7.2021, S. 3).
34
Anerkannte Schutzberechtigte haben jedoch uneingeschränkten, automatischen und bedingungslosen Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt (vgl. aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 2021, S. 97), der sich jedoch praktisch aufgrund fehlender Sprachkenntnisse und fehlender staatlicher Unterstützung schwierig gestalten kann. Arbeitsmöglichkeiten finden sich überwiegend in schlechter bezahlten, unqualifizierten Tätigkeiten (z. B. Landwirtschaft, Gastronomie) und über Kontakte zu Landsleuten, die sich ein eigenes Gewerbe aufgebaut haben (vgl. Auswärtiges Amt, Amtshilfeersuchen in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten, Lage von in Bulgarien anerkannt Schutzberechtigten vom 11.3.2021, S. 5). Nach Angaben von UNHCR besteht Interesse von Arbeitgebern an der Beschäftigung von Flüchtlingen, und UNHCR beteiligt sich an der Kontaktvermittlung (z. B. durch Jobmessen; vgl. Auswärtiges Amt, Amtshilfeersuchen in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten vom 7.4.2021, S. 4). Auch weitere Nichtregierungsorganisationen können bei entsprechender Initiative Hilfe und Vermittlung bieten (vgl. BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Bulgarien vom 19.7.2021, S. 5 f.). Insgesamt erscheint eine Teilnahme am Arbeitsmarkt bei entsprechender Eigeninitiative, die von den gesunden und arbeitsfähigen Klägern zu 1) und 2) erwartet werden können, realistisch möglich. Damit ist ein Lebensstandard im unteren Bereich der bulgarischen Lebensverhältnisse zugrunde zu legen. Hierbei ist allerdings auch zu sehen, dass der schlechten Einkommenssituation vergleichsweise niedrige Lebenshaltungskosten in Bulgarien gegenüberstehen. Zudem ist bei lebensnaher Betrachtung auch eine zunehmende Integration der Kläger in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu erwarten, wodurch sie nicht auf eine randständige Position innerhalb der bulgarischen Gesellschaft festgelegt sind. Die genannten mittelfristigen Risiken der Unterhaltssicherung stützen daher derzeit nicht die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der extremen Verelendung.
35
Eine solche ergibt sich auch nicht hinsichtlich der Erlangung einer Unterkunft. Zwar endet nach dem Abschluss des Asylverfahrens die Möglichkeit der Unterkunft in den Aufnahmezentren und die Wohnungssuche gestaltet sich für anerkannte Schutzberechtigte aufgrund der generellen Integrationsprobleme (Sprachkenntnisse, behördliche Registrierung, gleichzeitige Arbeitssuche, Vorbehalte bei Vermietern) schwierig. In einigen Erkenntnismitteln wird dies so dargestellt, dass die Erlangung einer privaten Unterkunft für anerkannte Schutzberechtigte praktisch ausgeschlossen sei (vgl. SFH, Auskunft vom 8.0.2022, S. 3). Andererseits gibt es keine Hinweise auf eine größere Zahl von Obdachlosen unter den anerkannten Schutzberechtigten (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an BAMF vom 25.3.2019; VG Bremen, B. v. 4.7.2022, Az. 2 V 153/22 – juris, Rn. 45 m.w.N.). Denn den Schwierigkeiten stehen auch Berichte über verschiedene Hilfsangebote wie beispielsweise Sprach- und Integrationskurse, die Drittstaatsangehörigen den Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt erleichtern, gegenüber, die den Klägern bei entsprechender Initiative zugutekommen können. So betreibt das Bulgarische Rote Kreuz ein Informations- und Integrationszentrum in Sofia, das Bulgarisch-Kurse durchführt, zu Fragen im Zusammenhang mit dem Leben und den Rechten von Flüchtlingen in Bulgarien sowie beim Zugang zu medizinischer Versorgung berät, bei der Suche nach einem Arbeitsplatz unterstützt, die Bildung von Kindern durch zusätzlichen Bulgarisch-Unterricht und Unterrichtsmaterialien fördert und Flüchtlingen mit besonderen Bedürfnissen wie Behinderten, Alleinerziehenden, Erwachsenen und unbegleiteten Minderjährigen hilft. Ein weiteres Integrationszentrum für Flüchtlinge und Migranten wird von der Caritas Bulgarien in Sofia betrieben und bietet psychologische Hilfe, Bildungsservices, soziale Beratung, humanitäre Hilfe und Unterstützung bezüglich Wohnen und Arbeit. Für anerkannte Schutzberechtigte betreibt die Caritas Bulgarien das sog. Refugee and Migrant Integration Center St. Anna in Sofia, wo soziale Beratung, psychologische Hilfe, Sprachtraining, Hilfe bei Meldeangelegenheiten, Registrierung beim praktischen Arzt, Unterstützung bezüglich Arbeit, ein Mentoringprogramm und weitere Integrationsmaßnahmen angeboten werden. Die Nichtregierungsorganisation Council of Refugees and Migrants listet auf ihrer Internetseite einige Organisationen, die Schutzberechtigte unterstützen, so beispielsweise das bereits erwähnte St. Anna Integrationszentrum der Caritas Sofia und das Informations- und Integrationszentrum des bulgarischen Roten Kreuzes (und des UNHCR), darüber hinaus u.a. das Centre for Social Rehabilitation and Integration of Refugees in Plovdiv, die UNHCR-Vertretung in Sofia, das Büro von IOM in Sofia, das Bulgarian Council on Refugees an Migrants in Sofia, die Sofioter Ombudsmann-Stelle, das Bulgarische Helsinki Komitee, die Foundation of Access to Rights, das Centre for Legal Aid-Voice in Bulgaria, das Council of Refugee Women in Bulgaria, das Bulgarische Rote Kreuz und die Stiftung Center Nadya für psychologische Beratung (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Version 3 vom 17.5.2023, S. 23f. m.w.N.). Mit Hilfe dieser zahlreichen Hilfsangebote von Nichtregierungsorganisationen wird es dem Kläger gelingen, sich in den bulgarischen Arbeitsmarkt zu integrieren, eine Unterkunft zu finden und seinen Lebensunterhalt selbständig bestreiten zu können.
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Zudem wird die Gefahr der Obdachlosigkeit auch durch die Möglichkeit abgemildert, in einer Übergangszeit weiter in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (nach Aida, Country Report Bulgaria, 2021 Update, S. 97, nahmen dies Ende 2021 212 anerkannte Schutzberechtigte in Anspruch). Wenngleich anerkannt Schutzberechtigte keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme in einer Flüchtlingsunterkunft mehr haben, ist angesichts der bereits erwähnten fortbestehenden geringen Auslastung der staatlichen Aufnahmezentren davon auszugehen, dass sie dort auch weiterhin Unterkunft erhalten können. Schließlich sind für Flüchtlinge und Personen mit humanitärem Status zwei Arten von Notunterkünften zugänglich: Zentren für die vorübergehende Unterbringung und Notunterkünfte für Obdachlose. Zentren für die vorübergehende Unterbringung können bis zu drei Monate in einem Kalenderjahr eine Unterkunft bieten mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere drei Monate; die Antragstellung erfolgt bei der örtlichen Sozialhilfeeinrichtung am Meldeort. Darüber hinaus gibt es im Winter Notunterkünfte für eine Nacht für Obdachlose. Die meisten Notunterkünfte verlangen Ausweispapiere, um eine Person unterzubringen, Ausnahmen sind allerdings möglich (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Version 3 vom 17.5.2023, S. 24).
37
Die medizinische Versorgung ist in Notfällen kostenfrei und wird im Übrigen durch die staatliche Krankenversicherung mit einem Beitragssystem bei Beschäftigten und einem Mindestbeitrag bei Arbeitslosen gewährleistet (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Version 3 vom 17.5.2023, S. 23; Auswärtiges Amt, Amtshilfeersuchen in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten, Lage von in Bulgarien anerkannt Schutzberechtigten vom 11.3.2021, S. 6). Zweifel an der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse anerkannt Schutzberechtigter ergeben sich insoweit nicht. Einen besonderen medizinischen Behandlungsbedarf haben die Kläger nicht substantiiert dargelegt.
38
Nach dem VG Darmstadt (B.v. 12.9.2023 – 7 L 1373/23.DA.A) drohe auch anerkannten schutzberechtigten alleinstehenden jungen arbeitsfähigen Frauen bei Rückkehr nach Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Situation, in der die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden könnten.
39
Im vorliegenden Fall liegt zwar die Besonderheit vor, dass die Kläger als Familie mit kleinen Kindern (geboren 2017, 2018 und 2020) als besonders schutzbedürftig und vulnerabel zu betrachten sind.
40
Allerdings zeigt der Vortrag der Kläger, dass sehr wohl eine Integration möglich war. Die Einzelrichterin geht daher nicht davon aus, dass ihnen bei Rückkehr nach Bulgarien die Verelendung droht. Vielmehr erscheinen in diesem Fall trotz der Vulnerabilität „Bett, Brot und Seife“ ausreichend gesichert.
41
Es wurde vorgetragen, dass der Kläger zu 1) gearbeitet hat und zwar zunächst in einem Restaurant und dann als Friseur. Der Kläger zu 1) war und ist jung und arbeitsfähig und konnte sich dem bulgarischen Arbeitsmarkt stellen und sich seiner Erwerbstätigkeit uneingeschränkt widmen. Er war nach der Anerkennung noch über ein Jahr in Bulgarien und hat sich hinreichend mit den dortigen Verhältnissen vertraut gemacht. Nach Ankunft der übrigen Kläger hat er für sie gesorgt. Während er vorgetragen hat, zuvor bei einem Freund gewohnt zu haben, woraus sich ein soziales Netz in Bulgarien erkennen lässt, haben die Kläger gemeinsam eine Wohnung gefunden und angemietet. Sie waren nicht obdachlos. Dass überhaupt ein Zeitraum der Obdachlosigkeit vorlag, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
42
Demgegenüber haben sie nur kurze Zeit, nachdem der restlichen Familie, den Klägern von 2) bis 5), der Schutzstatus zuerkannt worden war, aus eigenem bereits längst gefassten Entschluss (Zitat der Klägerin zu 2): „Das Ziel ist von Anfang an Deutschland gewesen.“) nicht weiter versucht, sich in Bulgarien zu integrieren, sondern haben sich ihrem vorrangigen Ziel zugewandt, nach Deutschland zu kommen. Offensichtlich war für den Kläger zu 1) die bulgarische Sprache faktisch auch kein größeres Problem und er hat ohne Weiteres Arbeit gefunden, nämlich nach übereinstimmendem Vortrag in der Gastronomie und als Friseur. Der bulgarische Arbeitsmarkt bietet sogar und gerade für ungelernte Kräfte Möglichkeiten (vgl. OVG Nordrheinwestfalen Beschluss vom 16.12.2022 – 10 A 1397/21.A – juris Rn.Nr. 104). Bei erforderlicher Eigeninitiative ist sowohl weder Obdachlosigkeit noch Arbeitslosigkeit zu erwarten und auch die Sprache keine Barriere. Der Kläger zu 1) ist nach eigenen Angaben überdurchschnittlich gebildet und es kann von ihm erwartet werden, dass er ausreichend Eigeninitiative aufbringt. Zudem kann sich die Familie durch Verwandte in Deutschland finanziell unterstützen lassen, damit sie nach Ankunft gerade nicht obdachlos werden. So hat der Kläger zu 1) einen Bruder in Deutschland, der hier seit 2014 lebt und der die Kläger in Bulgarien bereits unterstützt hat. Auch die Klägerin zu 2) hat zwei Brüder und eine Schwester in Deutschland. Das Gericht geht davon aus, dass die Kläger für die Übergangszeit bis zur einer Registrierung, die weitere staatliche Hilfen eröffnet, von ihren Verwandten aus Deutschland unterstützt werden können. Zudem können sie sich an den Staat wie auch caritative Einrichtungen wenden. Es ist davon auszugehen, dass diese ihnen helfen werden.
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Dass die Kläger keinen öffentlichen Platz für den Kindergarten der Kinder bekamen, und die mangelnde Initiative der bulgarischen Stellen insofern beklagen, übersteigt die Kriterien „Bett, Brot und Seife“ bei weitem und erscheint als Luxusproblem. Auch in Deutschland fehlen lt. ZDF vom 7.6.2023 378.000 Kitaplätze (vgl. www.zdf.de).
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Hinsichtlich der Frage nach caritativer und staatlicher Hilfe ergibt sich aus dem Vortrag schon nicht, dass die Kläger nachdrücklich danach gesucht haben, zumal sie wenige Wochen nach der Anerkennung der Klägerin zu 2) bereits aus Bulgarien ausgereist sind.
45
Soweit angeblich keine Gesundheitsfürsorge für die Tochter verfügbar gewesen sein soll, widerspricht dies der Auskunftslage. Es ist den Klägern zudem zumutbar ggf. ein Medikament gegen eine Allergie selbst in einer Apotheke zu erwerben. Zudem wurde die angebliche Allergie nicht hinreichend betreffend einer Behandlungsbedürftigkeit belegt. In Deutschland haben die Kläger lt. eigenem Vortrag die Auskunft erhalten, dies verwachse sich ohnehin.
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Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, dass der Schutzstatus in Bulgarien aufgrund ihres freiwilligen Verzichts beendet wurde. Die Rechtsbehelfsfrist gegen die entsprechenden Beschlüsse dürfte mittlerweile abgelaufen sein.
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Zwar spricht vieles dafür, dass der Unzulässigkeitstatbestand nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG den Fortbestand des Schutzstatus in dem anderen Mitgliedstaat voraussetzt, dieser also nicht zurückgenommen oder widerrufen worden sein darf und der bzw. die Betroffene damit von dem internationalen Schutz in diesem Mitgliedstaat tatsächlich Gebrauch machen kann (vgl. VG Halle/Saale, U.v. 1.6.2022 – juris m.w.N.), auch wenn der Wortlaut der Norm („gewährt hat“) dies nicht vorschreibt und sich dem – anders als im Fall des Nichtigkeitsgrundes nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG – auch nicht entnehmen lässt, dass eine Unzulässigkeitsentscheidung nur dann erfolgen, wenn sich die Rücknahmebereitschaft des Mitgliedstaates im jeweiligen Einzelfall feststellen lässt (vgl. dazu SächsOVG, U.v. 15.6.2020 – 5 A 382/18 – juris).
48
Jedoch beseitigt ungeachtet dieser Erwägungen jedenfalls der – wie hier – freiwillig erklärte Verzicht auf den Schutzstatus in dem anderen Mitgliedstaat die Unzulässigkeit nicht (vgl. BayVGH, B.v. 21.5. 2019 – 21 ZB 16.50029 – juris). Es ist ein zentrales Ziel des gemeinsamen europäischen Asylsystems, eine Weiterwanderung nach erfolgter Schutzgewährung – eine sog. „Sekundärmigration“ – zu vermeiden (Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU). Denn die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz erfolgt nur durch einen einzigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III VO). Der Unionsgesetzgeber hat mit der vorzitierten Regelung die schon zuvor bestehende Möglichkeit, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, dahin erweitert, dass die Mitgliedstaaten einen Asylantrag nunmehr auch bei Gewährung subsidiären Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat als unzulässig behandeln dürfen (BVerwG, EuGH-Vorlage v. 1. 6.2017 – 1 C 22/16 – juris). Dieser Gesetzeszweck liegt der vorliegend in Rede stehende Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zugrunde (s. BayVGH, aaO). Dem wird letztlich nur die Auslegung der Norm dahingehend gerecht, dass der freiwillige Verzicht des Betroffenen auf einen ihm bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewährten Flüchtlingsschutz ebenso zu behandeln ist, wie der Fortbestand des Schutzes (s. BayVGH, aaO.). Der Gesetzeszweck würde verfehlt, wenn ein Asylbewerber es in der Hand hätte, durch freiwilligen Verzicht auf seinen ihm von einem anderen Mitgliedstaat zuerkannten Flüchtlingsstatus herbeiführen zu können, dass er in der Bundesrepublik Deutschland erneut einen Anspruch auf internationalen Schutz geltend machen kann, möglicherweise allein mit dem Ziel, seine wirtschaftliche und persönliche Stellung zu verbessern (vgl. auch BVerwG, U.v. 2.12.1986 – 9 C 105/85 –, BVerwGE 73, 181-188, Rdn. 12;).
49
Die Beklagte hat den Asylantrag der Kläger folglich zu Recht als unzulässig abgelehnt.
50
Die Anfechtungsklage gegen Ziffer 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheids ist ebenfalls unbegründet. Das Bundesamt durfte eine schriftliche Abschiebungsandrohung erlassen, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorliegen. In dem Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer gemäß § 35 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt eine Woche, § 36 Abs. 1 AsylG.
51
Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Das Bundesamt ist gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG bei Abschiebungsandrohungen nach den §§ 34, 35 AsylG für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG zuständig. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten, § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen hier vor. Die Zeitdauer der Befristung hält sich im gesetzlich vorgegebenen Rahmen und lässt keine Ermessensfehler erkennen. Insoweit wird auch auf den Bescheid Bezug genommen.
52
Die Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO hinsichtlich der Zuerkennung nationaler Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Klageantrag Ziffer 2) ist neben der Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung statthaft (vgl. BVerwG vom 14.12.2016 Az. 1 C 4/16). Diese Klage ist nach der im Eilrechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung jedoch aller Voraussicht nach nicht begründet, da der Bescheid in Ziffer 2 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
53
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dabei löst nicht jede Verletzung der EMRK im Abschiebezielstaat ein Abschiebungsverbot aus (vgl. BVerwG, B. v. 08.02.1999, Az. 1 B 2/99). Die Gefahr einer Rechtsgutverletzung muss – ohne dass indessen eine Extremgefahr vorliegen muss – erheblich und schwerwiegend sein (vgl. BVerwG, B. v. 8.8.2018, Az. 1 B 25/18).
54
Ausgehend hiervon liegt kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor. Die humanitären Bedingungen in Bulgarien führen nicht zu der Annahme, dass die Abschiebung des Klägers dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt. Auf die Ausführungen oben unter I.3. wird insoweit verwiesen.
55
Ferner besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Bulgarien.
56
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (vgl. BVerwG, U. v. 17.10.1995, Az. 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324 ff. – zu § 53 Abs. 6 AuslG). Dies gilt auch für die Geltendmachung von Erkrankungen als Abschiebungshindernis. Nur wenn eine in Deutschland diagnostizierte Erkrankung eine ärztliche Behandlung erfordert, die dem Betroffenen im Zielland nicht oder nicht in ausreichendem Maße zuteilwerden kann und sich deshalb sein Gesundheitszustand bei einer Rückkehr wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, kommt ein Abschiebungshindernis in Betracht (vgl. BVerwG, U. v. 25.11.1997, Az. 9 C 58/96 – BVerwGE 105, 383-388; BVerwG, U. v. 29.10.2002, Az. 1 C 1.02).
57
Nach § 60a Abs. 2c AufenthG hat die Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests zu erfolgen (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit: BayVGH, B. v. 10.1.2018, Az. 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8; BayVGH, B. v. 24.1.2018, Az. 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
58
Nach Aktenlage und Vortrag liegen die Voraussetzungen von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
59
Soweit ein Kind der Kläger zu 1) und 2) eine Allergie habe, wurden schon entsprechende ärztliche Atteste nicht vorgelegt. Abgesehen davon erscheint nicht schlüssig, dass damit die Schwelle des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht werden könnte.
60
Im Übrigen wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG.
61
Die Klage ist daher abzuweisen.
62
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
63
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
64
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
65
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).