Inhalt

LG Schweinfurt, Endurteil v. 11.10.2023 – 11 O 829/22
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Der – möglicherweise – in dem Einbau eines Thermofensters liegende Gesetzesverstoß ist auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht des Fahrzeugherstellers für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für den Fahrzeughersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände (hier verneint). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, EG-Typgenehmigung, Verbotsirrtum
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30597

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 13.377,84 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit einem Pkw mit Dieselmotor.
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Die Klägerseite kaufte am 22.02.2021 einen Pkw Opel Astra zu einem Kaufpreis von 10.280,00 € mit einem Kilometerstand von 67.351 km, dessen Dieselmotor von der Beklagten hergestellt worden war.
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Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ordnete am 17.02.2022 einen Rückruf an, der auch das streitgegenständliche Fahrzeug betraf.
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Die Beklagte teilte der Klägerseite mit Schreiben vom 16.03.2022 und 08.09.2022 mit, dass das KBA angeordnet habe, ein Softwareupdate verpflichtend durchzuführen, das vom KBA Anfang 2021 als freiwilliges Softwareupdate freigegeben worden sei.
Die Klägerseite behauptet:
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Die Beklagte sei dem Kläger gemäß §§ 826 BGB, 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB, 6, 27 Abs. 1 EG-FGV zum Schadensersatz verpflichtet, da das Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sei. Die Beklagte sei daher verpflichtet, der Klägerseite den Kaufpreis zuzüglich Aufwendungen auf das Fahrzeug (Reparaturen und Versicherungen) in Höhe von 1.914,19 € abzüglich Nutzungsersatz sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Weiterhin sei die Eintrittspflicht der Beklagten für sämtliche Schäden festzustellen, die der Klägerseite durch das Handeln der Beklagten entstanden seien.
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Die Beklagte habe das Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Daher sei die EG-Typgenehmigung zu Unrecht erteilt worden, das Fahrzeug sei nicht genehmigungs- und verkehrsfähig.
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Eine unzulässige Abschalteinrichtung bestehe in Form eines sogenannten Thermofensters, das die Abgasreinigung bei Temperaturen unter 17 Grad reduziere. Werde diese Temperatur unterschritten, so setze die Abgasreinigung teilweise oder gar ganz aus, sodass mehr als die zugelassenen 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausgestoßen würden. Bei der Regelungssoftware für das Thermofenster handele es sich um eine Abschalteinrichtung. Die Beklagte bezwecke hauptsächlich, indem sie die Abgasrückführung reduziere, dass eine Leistungssteigerung bei niedrigerem Kraftstoffverbrauch erreicht werde.
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Dieselfahrzeuge der Beklagten verfügten neben dem Thermofenster über mehrere Betriebsstrategien des Emissionsminderungssystems, die abhängig von Umgebungsparametem aktiviert würden. Neben dem Thermofenster sei eine Abschalteinrichtung verbaut, die sich nach dem Umgebungsdruck richte. Der Luftdruck unter Prüfbedingungen liege bei mindestens 92,5 kPa. Unzulässig sei daher eine Abschalteinrichtung, die unterhalb dieses Luftdrucks aktiviert werde. Des Weiteren seien Schaltungen verbaut, welche sich nach bestimmten Drehzahlen oder Lasten richteten. Auch solche Abschalteinrichtung seien unzulässig, sofern diese zwischen Prüfstand und natürlicher Umgebung unterschieden.
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Der Vorstand bzw. Organe der Beklagten hätten von den Manipulationen Kenntnis gehabt, die Beklagte treffe jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast.
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Beim Kauf des Fahrzeugs seien der Klägerseite diese Umstände noch nicht bekannt gewesen, bei Kenntnis hätte sie Abstand vom Kauf genommen. Der Schaden der Klägerseite bestehe bereits darin, dass sie den für sie wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag abgeschlossen habe.
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Aufgrund der neueren Rechtsprechung des EuGH bzw. des BGH stehe der Klägerseite ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 15 % aus der Kaufpreissumme zu, auf welche die Klageforderung hilfsweise gestützt werde.
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Die Klägerseite beantragt:
1.
Die Beklagte werden verurteilt, an die Klägerin 7.377,84 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs Opel Astra ST Edition 1.6 CDTI, Fahrzeug-ldent-Nr.: WOV …
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Rückübereignung des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs, Fahrzeug-Ident-Nr.: WOV …, im Annahmeverzug befindet.
3.
Es wird festgestellt, die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, soweit diese aus dem Verkauf des Fahrzeugs Fahrzeug-Ident-Nr.: WOV … mit falschen Abgaserten sowie einer installierten Manipulationssoftware entstanden sind und entstehen werden.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 887,03 EUR außergerichtliche Gebühren für die Einholung der Deckungszusage sowie 1.134,55 EUR außergerichtliche Gebühren für die außergerichtliche Vertretung gegen die Beklagte, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise die Klägerin von diesen Gebühren freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
Die Beklagte behauptet:
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Die klägerseits geltend gemachten Ansprüche bestünden nicht. Die Beklagte habe keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut. Die EG-Typgenehmigung sei daher wirksam, deren Tatbestandswirkung sei zu beachten. Die Klägerseite habe nicht substantiiert dargelegt, in welcher Form eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Die Beklagte treffe insoweit keine sekundäre Darlegungslast. Jedenfalls sei die erforderliche Kenntnis des Vorstandes bzw. sonstiger Organe nicht substantiiert dargelegt worden. Ein Schaden der Klägerseite sei nicht ersichtlich.
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Es bestehe auch kein Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens in Form eines Minderwertes wegen einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung. Es bestehe auch kein Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens in Form eines Minderwertes. Ein derartiger Anspruch scheide schon deshalb aus, weil die Beklagte nicht schuldhaft gehandelt habe, die Beklagte habe sich jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte hinsichtlich einer bestrittenen Rechtswidrigkeit des Emissionskontrollsystems die erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen und das streitgegenständliche Fahrzeug fahrlässig mit einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung in Verkehr gebracht hätte. Die Auslegung und Anwendung der relevanten Vorschriften des europäischen Typgenehmigungrechts habe der Auffassung der Typgenehmigungsbehörden sowie der Industrie insgesamt entsprochen. Weder der TÜV …, noch das Kraftfahrtbundesamt noch die niederländische Typgenehmigungsbehörde hätten in Kenntnis der industrieüblichen Kalibrierung der Parameter irgendwelche Einwände erhoben. Die Systemgenehmigung für das Emissionskontrollsystem durch das KBA sowie die Gesamt-Typgenehmigung durch die niederländische Typgenehmigungsbehörde seien nach Aufdeckung und in voller Kenntnis des Volkswagen-Skandals erfolgt.
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Außerdem sei der Motortyp B16DTH mit dem identischen Emissionskontrollsystem wie beim streitgegenständlichen Fahrzeug im Jahr 2017 im Rahmen der Marktüberwachung einer nachträglichen detaillierten Überprüfung durch die niederländische Typgenehmigungsbehörde unterzogen worden. Die niederländische Typgenehmigungsbehörde habe bestätigt, dass die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems aus Motorschutzgründen gerechtfertigt und damit zulässig sei.
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Darüber hinaus habe das KBA im Januar 2020 seinen Bericht zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“ veröffentlicht. Darin habe das KBA das von der Beklagten bereits im Jahr 2017 entwickelte und zur Freigabe vorgestellte Software-Update zur Verbesserung der Emissionsminderungsleistung für Motoren der Baureihen B13 und B16 mit NO x -Speicherkataiysator (LNT) nicht als rechtlich gebotene, sondern als freiwillige Servicemaßnahme, da „keine unzulässige Abschaltvorrichtung gemäß Verordnung (EG) 715/2007 […] in der Softwarestruktur des auf dem Markt befindlichen Datenstandes zum Zeitpunkt der Erteilung der Freigabe festgestellt [wurde]“ qualifiziert.
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Es sei auch weit nach Aufdeckung des Volkswagen-Dieselskandals gängige Verwaltungspraxis des KBA und der anderen Typgenehmigungsbehörden der Mitgliedstaaten gewesen, Emissionskontrollsysteme mit vergleichbaren Parametern wie hier beanstandungsfrei zu genehmigen, in voller Kenntnis der Details der Emissionssteuerung. Aus einer solch „hinreichend konkreten Verwaltungspraxis könne gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden. Diese „hinreichend konkrete Verwaltungspraxis“ sei eindrücklich auch durch den Umstand belegt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt im Jahr 2016 nach intensiven Überprüfungen und Abstimmungen mit der Volkswagen AG in Kenntnis der gesamten Applikationsrandbedingungen gerade ebenjenes Software-Update freigegeben habe, welches eine Emissionskontrolle u. a. anhand der Temperatur sowie des Luftdrucks vorgesehen habe.
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Die Klägerseite habe auch keinen Schaden erlitten, ein unterstellter etwaiger Minderwert läge jedenfalls allenfalls bei 5 % des Kaufpreises.
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Wegen der übrigen Einzelheiten, insbesondere der geäußerten Rechtsansichten, wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
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Hinsichtlich der im Termin gestellten Anträge ist die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches der Klägerseite gegen die Beklagte wegen der von der Klägerseite angeführten Anspruchsgrundlagen liegen nicht vor bzw. sind nicht ausreichend substantiiert dargetan. Der mit Schriftsatz vom 11.09.2023 ausformulierte Hilfs-Antrag ist als nicht sachdienlich gemäß § 263 ZPO zurückzuweisen.
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I. Die Klägerseite hat keine Ansprüche gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte, da es an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten fehlt.
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1. Die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB unter dem Gesichtspunkt eines sog. „Thermofensters“ wurden von Klägerseite nicht ausreichend substantiiert dargetan.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19) ist selbst bei Zugrundelegung des – von der Beklagten bestrittenen – Umstandes, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klägerseite nach ihrem Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems reduziert und letztlich ganz abgeschaltet werden soll, für sich genommen nicht ausreichend, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Der – möglicherweise – darin liegende Gesetzesverstoß ist auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen, bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehlt es für sich genommen an einem arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit würde voraussetzen, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klägerseite als Anspruchsteller.
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Die Klägerseite hat keinen Sachvortrag erstattet, der nach diesen Maßstäben ausreichen würde, Sittenwidrigkeit annehmen zu können. Die Klägerseite hat nicht substantiiert dargestellt, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der behaupteten Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Es wurden auch keine Umstände vorgetragen, aus denen man ein solches Bewusstsein der handelnden Personen ableiten könnte. Der Vortrag der Klägerseite beschränkt sich im wesentlichen auf die Darstellung technischer Zusammenhänge sowie hinsichtlich der Motivlage der handelnden Personen auf allgemeine Annahmen bzw. rechtliche Ausführungen.
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2. Auch hinsichtlich der übrigen behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen hat die Klägerseite ein vorsätzliches sittenwidriges schädigendes Verhalten der Beklagten nicht ausreichend substantiiert dargetan.
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Die Klägerseite hat zwar vorgetragen, Dieselfahrzeuge der Beklagten verfügten neben dem Thermofenster über mehrere Betriebsstrategien des Emissionsminderungssystems, die abhängig von Umgebungsparametern aktiviert würden. Neben dem Thermofenster sei eine Abschalteinrichtung verbaut, die sich nach dem Umgebungsdruck richte. Der Luftdruck unter Prüfbedingungen liege bei mindestens 92,5 kPa. Unzulässig sei daher eine Abschalteinrichtung, die unterhalb dieses Luftdrucks aktiviert werde. Des Weiteren seien Schaltungen verbaut, welche sich nach bestimmten Drehzahlen oder Lasten richteten. Auch solche Abschalteinrichtung seien unzulässig, sofern diese zwischen Prüfstand und natürlicher Umgebung unterschieden.
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Dieser Vortrag reicht aber nicht aus, um die geltend gemachten Ansprüche der Klägerseite begründen zu können oder Anlass zur Beweiserhebung zum Beispiel durch
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Einholung von Sachverständigenbeweis zu bieten. Auch insoweit hat die Klägerseite keinen Sachvortrag erstattet, der nach den unter Ziff. 1.1. aufgezeigten Maßstäben ausreichen würde, Sittenwidrigkeit annehmen zu können. Die Kläqerseite hat nicht substantiiert dargestellt, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der behaupteten Entwicklung und/oder Verwendung der Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Es wurden auch keine Umstände vorgetragen, aus denen man ein solches Bewusstsein der handelnden Personen ableiten könnte.
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Die Beklagte hingegen hat substantiiert aufgezeigt, dass das KBA noch im Jahr 2020 in einem Bericht zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“ das von der Beklagten bereits im Jahr 2017 entwickelte und zur Freigabe vorgestellte Software-Update zur Verbesserung der Emissionsminderungsleistung für Motoren der Baureihen B13 und B16 mit NO x-Speicherkatalysator (LNT) nicht als rechtlich gebotene, sondern als freiwillige Servicemaßnahme eingeordnet habe, da „keine unzulässige Abschaltvorrichtung gemäß Verordnung (EG) 715/2007 […] in der Softwarestruktur des auf dem Markt befindlichen Datenstandes zum Zeitpunkt der Erteilung der Freigabe festgestellt [wurde]“ qualifiziert. Weiterhin habe die niederländische Typgenehmigungsbehörde im Jahr 2017 bestätigt, dass die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems aus Motorschutzgründen gerechtfertigt und damit zulässig sei. Die Beklagte leitet hieraus schlüssig ab, dass es auch weit nach Aufdeckung des Volkswagen-Dieselskandals gängige Verwaltungspraxis des KBA und der anderen Typgenehmigungsbehörden der Mitgliedstaaten gewesen sei, Emissionskontrollsysteme mit vergleichbaren Parametern wie hier beanstandungsfrei zu genehmigen, in voller Kenntnis der Details der Emissionssteuerung.
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Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden kann, die bei der Beklagten handelnden Personen hätten bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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3. Die Klägerseite kann sich hierbei auch nicht darauf berufen, dass nach ihrem Vortrag eine Diskrepanz zwischen den Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße vorliege, da die im sog. NEFZ-Verfahren gemessenen Werte grundsätzlich auch ohne unzulässige Beeinflussung des Messverfahrens nicht den im Rahmen des tatsächlichen Gebrauchs des Fahrzeugs anfallenden Emissionswerten entsprechen (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, OLG Bamberg, Urteil vom 18.10.2021, 4 U 311/20).
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II. Der Klägerseite steht auch der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB, 6, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht zu.
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Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg (OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 30.06.2023 – 3 U 48/23 e), die die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umsetzt, ergibt sich ein solcher Anspruch auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 zum Vorabentscheidungsverfahren EuGH – C 00/21 s. 2 BGB, wenn sich die Beklagte auf die Prüfungskompetenz der Typgenehmigungsbehörde verlassen und damit ohne Verschulden – d.h. Vorsatz oder Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 1 BGB – von der Zulässigkeit ihres Verhaltens ausgehen durfte und sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand.
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Hierbei ist nach der nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg (OLG Bamberg a.a.o.) zwar zu berücksichtigen, dass sich der Hersteller grundsätzlich bei der zuständigen Typgenehmigungsbehörde, über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung hätte erkundigen müssen, sofern er im Zweifel über deren rechtliche Zulässigkeit war; für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums reicht es aber aus, wenn der Hersteller für den Fall, dass er eine entsprechende Anfrage gestellt hätte, er die Antwort erhalten hätte, dass die Funktionsweise des Emissionsminderungssystems nicht als unzulässige Abschalteinnchtung zu qualifizieren sei.
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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagte hat substantiiert aufgezeigt, dass das KBA noch im Jahr 2020 in einem Bericht das von der Beklagten bereits im Jahr 2017 entwickelte und zur Freigabe vorgestellte Software-Update zur Verbesserung der Emissionsminderungsleistung für Motoren der Baureihen B13 und B16 mit NO x -Speicherkatalysator (LNT) nicht als rechtlich gebotene, sondern als freiwillige Servicemaßnahme eingeordnet habe, da „keine unzulässige Abschaltvorrichtung gemäß Verordnung (EG) 715/2007 […] in der Softwarestruktur des auf dem Markt befindlichen Datenstandes zum Zeitpunkt der Erteilung der Freigabe festgestellt [wurde]“ qualifiziert. Weiterhin habe die niederländische Typgenehmigungsbehörde im Jahr 2017 bestätigt, dass die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems aus Motorschutzgründen gerechtfertigt und damit zulässig sei. Die Beklagte leitet hieraus schlüssig ab, dass es auch weit nach Aufdeckung des Dieselskandals gängige Verwaltungspraxis des KBA und der anderen Typgenehmigungsbehörden der Mitgliedstaaten gewesen sei, Emissionskontrollsysteme mit vergleichbaren Parametern wie hier beanstandungsfrei zu genehmigen, in voller Kenntnis der Details der Emissionssteuerung.
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III. Der mit Schriftsatz vom 11.09.2023 ausformulierte Hilfs-Antrag ist als nicht sachdienlich gemäß § 263 ZPO zurückzuweisen.
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Die Antragstellung erfolgte erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung, es besteht keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Die Klägerseite hatte ausreichend Gelegenheit, ihre Anträge zu formulieren und zu stellen. Dies zeigt sich bereits daran, dass die hilfsweise Geltendmachung eines Prozentsatzes des Kaufpreises auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits im Schriftsatz vom 07.08.2023 als hilfsweise Begründung der Klageanträge genannt wurde, die Klägerseite hätte ohne weiteres bereits in diesem Schriftsatz und damit rechtzeitig vor dem Termin einen entsprechenden Hilfsantrag stellen können.
39
Die Klageänderung ist nicht von der im Termin gewährten Schriftsatzfrist umfasst, da die Klageänderung keine Reaktion auf den letzten Schriftsatz der Beklagten darstellt. Auch dies ergibt sich daraus, dass die hilfsweise Geltendmachung eines Prozentsatzes des Kaufpreises auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits im Schriftsatz vom 07.08.2023 angeführt worden war.
B.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs.1, 709 ZPO, 48 GKG.