Inhalt

LG Ingolstadt, Endurteil v. 27.10.2023 – 81 O 3625/19 Die e
Titel:

 Ansprüche einer spanischen Klägerin wegen des Kaufs eines Diesel-Pkw im Rahmen des Abgasskandals

Normenketten:
Rom II-VO Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Art. 7, Art. 14
CC Art. 1101, Art. 1257, Art. 1969
TRLGDCU Art. 8 lit. c
Leitsätze:
1. Die geltend gemachten Ansprüche sind sowohl auf vertraglicher, als auch auf deliktischer Grundlage jeweils nach spanischem Recht zu beurteilen. (Rn. 76 – 124) (redaktioneller Leitsatz)
2. ES liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Beklagte als Herstellerin den Regelungen des spanischen Verbraucherschutzrechts unterliegt. (Rn. 125 – 145) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs setzt die Entstehung eines von der Nichterfüllung zu unterscheidenden, durch diese verursachten (materiellen oder immateriellen) Schadens voraus, für den grundsätzlich den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast trifft. Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn der dem Schadensersatz zugrunde liegende Verstoß zu einem Schaden in re ipsa führt. (Rn. 146 – 174) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Verjährungsbeginn ist im spanischen Recht in in Art. 1969 CC geregelt und tritt an dem Tag ein, an dem die Ansprüche ausgeübt werden können. (Rn. 187 – 199) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgasskandal, Diesel-Pkw, Dieselmotor Typ EA 189, Thermofenster, Software-Update, spanische Klägerin, anzuwendendes Recht, Massenschadensfall, Schadensersatzansprüche, Verjährung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30499

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des klageabweisenden Versäumnisurteils des Landgerichts Ingolstadt vom 27.07.2021 insoweit verurteilt, an die Klagepartei 500,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2023 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 27.07.2021 aufrechterhalten.
3. Die Klägerin trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet. Die Fortsetzung der Vollstreckung des Versäumnisurteils durch die Beklagte wird von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 3.200 € abhängig gemacht.
5. Der Streitwert wird auf 34.858,52 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die spanische Klägerin macht gegen die Beklagte zuletzt Kaufpreisrückzahlungsansprüche aus dem Kauf eines Diesel-Pkw im Rahmen des Abgasskandals, sowie einen Ersatz des ihr entstandenen materiellen und immateriellen Schadens geltend.
2
Die Klagepartei erwarb bei der Firma S.A., Madrid mit verbindlicher Bestellung vom 16.10.2013 (Anlage K1) einen von der Beklagten, einer 100%-igen Tochter der AG, hergestellten Pkw als Neuwagen zu einem Kaufpreis in Höhe von 30.000,01 €.
3
Das Fahrzeug wurde teilweise über die … fremdfinanziert, wodurch Finanzierungskosten in Höhe von 2.640,52 € entstanden (Anlage K1a).
4
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem vom Mutterkonzern der Beklagten, der AG, entwickelten und hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet und mit der Abgasnorm Euro 5 zertifiziert. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typgenehmigung.
5
Die Beklagte führte selbst keine Werbemaßnahmen in Spanien durch. Die Veröffentlichung, die Anpassung bestehenden Werbematerials für den spanischen Markt und teilweise sogar die eigenständige Entwicklung von Werbemaßnahmen erfolgte für die Marken und durch die (vormals), einer spanischen Firma mit eigener Rechtspersönlichkeit, die sich zu 100% im Eigentum der AG befindet. In den durchgeführten Werbemaßnahmen wurden keinerlei Angaben zu den NOx-Emissionen der vertriebenen Fahrzeuge der Beklagten gemacht.
6
Diese importiert auch die in Spanien vertriebenen Kraftfahrzeuge der o.g. Firmen des Konzerns und damit auch die Fahrzeuge der Beklagten.
7
Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist unstreitig ein sogenanntes Thermofenster verbaut, das die Abgasrückführungsrate mit entsprechenden Auswirkungen auf die Emissionen des Fahrzeugs in Abhängigkeit von der Außentemperatur regelt.
8
Die im streitgegenständlichen Motoraggregat EA 189 ursprünglich verbaute Software verfügte außerdem über eine Umschaltlogik, die erkennt, wenn das Fahrzeug den NEFZ durchfährt. In diesem Fall wird die Abgasrückführung des Fahrzeugs im Modus 1 betrieben und so gesteuert, dass möglichst wenig Stickoxide (NOx) ausgestoßen werden. Demgegenüber ist im normalen Fahrbetrieb der Modus 0 aktiv, der dazu führt, dass höhere NOx-Emissionen ausgestoßen werden.
9
Das Kraftfahrtbundesamt hat die dargestellte Software mit Bescheid vom 15.10.2015 als eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nummer 10 der Verordnung (EU) Nummer 715/2007 eingestuft und Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung getroffen, mit denen die Entfernung der Software und damit die Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge sichergestellt werden sollte.
10
Die Beklagte hat in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt ein Software-Update entwickelt, mit dem die vorstehende, als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizierende Funktionalität der Motorsteuerungssoftware beseitigt und dieses sowohl auf dem Prüfstand als auch im Straßenverkehr in einer gleichbleibenden Funktionalität betrieben wird. Das entsprechende Software-Update ist durch Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts vom 21.07.2016 frei gegeben worden.
11
Mit – bislang nicht rechtskräftigem – Urteil vom 20.02.2023 (Az. VG 3 A 113/18) hat das Verwaltungsgericht Schleswig (allerdings für den Fahrzeugtyp Golf Plus TDI (2,0 Liter) Euro 5, der jedoch auch über den Motor EA189 sowie ein Thermofenster verfügte) entschieden, dass der Freigabebescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes rechtswidrig ist, soweit dieser auch im Hinblick auf das nach wie vor vorhandene Thermofenster bescheinigt, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt und die vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft worden seien.
12
Anders als für in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge wurde das Aufspielen des Software-Updates vom spanischen Industrieministerium als maßgeblicher Genehmigungsbehörde für in Spanien zugelassene Fahrzeuge nicht als verpflichtender Rückruf, sondern als freiwillige Servicemaßnahme ausgestaltet.
13
Die Muttergesellschaft der Beklagten hat wegen der Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstands- und Realbetrieb beim EA 189 – Dieselmotor zum 22.09.2015 eine ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht und bekannt gegeben, dass auch andere Dieselfahrzeuge des Konzerns mit der entsprechenden Steuerungssoftware ausgestattet sind.
14
In der Folge fand eine umfangreiche Berichterstattung über die Thematik durch die spanischen Medien statt. Auf die Darstellung im Schriftsatz der Beklagtenseite vom 29.06.2020, dort S. 20ff (Blatt 146 ff der Akte) wird Bezug genommen.
15
Die Beklagte hat zur Prüfung der Betroffenheit des Fahrzeugs ab 02.10.2015 eine öffentliche Abfragemöglichkeit der FIN auf ihrer Website geschaltet und hierüber in einer Pressemitteilung informiert.
16
Eine entsprechende Abfragemöglichkeit bestand auch über die Webseite der VGED/VAESA.

(Blatt 149/818 der Akte).

17
Die Klagepartei erhielt zudem eine persönliche Information in Form einer Benachrichtigung, die an alle Fahrzeughalter in Spanien zwischen Oktober 2015 und März 2016 an ihren Wohnsitz gesandt wurde. Sowohl (der spanische Importeur für – Fahrzeuge) versandten individualisierte Schreiben an alle Eigentümer und informierten diese über die Thematik der EA189-Motoren, die diesbezüglich geplanten Schritte sowie die Verfügbarkeit der mit der jeweiligen Typgenehmigungsbehörde abgestimmten technischen Maßnahme Das streitgegenständliche Kraftfahrzeug konnte durchgehend bis heute ohne jegliche Einschränkung wegen der verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung benutzt werden.
18
In Spanien war seit 29.09.2015 ein unter anderem von der Spanischen Verbraucherorganisation FACUA angestrengtes Strafverfahren gegen u.a. die wegen Betrugs anhängig, welches

Anlage K30

19
Gegenstand einer Entscheidung des Tr. S. vom 21.09.2021 (Urteil Nr. 710/2021) war (). Das Verfahren wurde an die Staatsanwaltschaft Br. abgegeben, bei der bereits ein entsprechendes Strafverfahren anhängig war. Die Klägerin des hiesigen Verfahrens hatte sich dem spanischen Strafverfahren angeschlossen und am 23.12.2019 ihre Anzeige wieder zurückgenommen (Anlagen K31, K32).
20
Die Klägerseite trägt vor, dass die Klägerin an Hypertonie, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen wegen der Unsicherheit über die künftige Nutzung des Fahrzeugs leide.
21
Sie behauptet, der Klägerin sei bereits beim Kauf ein materieller Schaden in Form eines Minderwerts des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegenüber dem Kaufpreis entstanden. Diese spiegele sich auch darin wieder, dass beim Verkauf des Fahrzeugs lediglich ein geringerer Verkaufswert erzielt werden könne.
22
Die Klägerseite ist rechtlich der Ansicht, dass deutsches Recht zur Anwendung kommen müsse und ihr deshalb ein deliktischer Anspruch nach § 826 BGB auf Rückabwicklung des geschlossenen Kaufvertrags zustehe.
23
Aber auch nach spanischen Recht bestehe ein vertraglicher Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, wobei aufgrund des vorsätzlichen Handelns der Beklagten die Klägerin die erhaltene Leistung (das streitgegenständliche Fahrzeug) nicht zurückzugewähren habe und eine Nutzungsentschädigung für gefahrene Kilometer nach spanischem Recht nicht zu entrichten sei.
24
Die Entscheidungen des Tr. S. vom 11. März 2020 (Urteil Nr. 167/2020) und vom 23. Juli 2021 (Urteil Nr. 561/2021), mit welchen dieser eine Durchbrechung des in Spanien grundsätzlich geltenden Relativitätsgrundsatzes für einen Anspruch nach Art. 1101 CC festgestellt habe, seien so zu verstehen, dass dieser im Falle des so genannten „Abgas-Skandals“ die Passivlegitimation für sämtliche vertraglichen Ansprüche auf den Hersteller ausgeweitet habe; das Vertragsrecht wiederum sehe in verschiedenen Vorschriften (Art. 1303, 1269, 1270 Abs. 1 CC) die Möglichkeit der Rückabwicklung des Vertrages für den Geschädigten vor.
25
Die Klagepartei vertritt die Auffassung, die Frist zur Geltendmachung der Nichtigkeit sei durch die Einleitung des spanischen Strafverfahrens, dem sich die Klagepartei angeschlossen habe (s.o.), gehemmt.
26
Die Voraussetzungen der schweren arglistigen Täuschung nach spanischem Recht lägen vor, da die Klagepartei den Kaufvertrag in Kenntnis der verbauten Abschaltvorrichtungen und der daraus drohenden Stilllegungsgefahr nicht geschlossen hätte.
27
Für die Beweisfrage, ob der Käufer den Vertrag auch in Kenntnis der vorgenommenen Manipulation vorgenommen hätte, könne die Rechtsprechung des BGH herangezogen werden, demzufolge der Erfahrungssatz gelte, es sei auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwerbe, für welches ihm eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohe und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar sei, ob dieses Problem behoben werden könne.
28
Die Beklagte habe der Klagepartei den bezahlten Kaufpreis nebst Zinsen zurückzugewähren. Demgegenüber habe die Klagepartei das Fahrzeug lediglich zurückzugeben, aber keinen Nutzungsersatz zu leisten.
29
Die Klägerin stützt die von ihr geltend gemachten Ansprüche daneben auf Art. 121 TRLGDCU. Entgegen der bislang erfolgten spanischen Rechtsprechung könne nach den jüngsten Urteilen des EuGH nicht mehr von einer geringfügigen Vertragswidrigkeit im Sinne von Art. 121 Abs. 1 Satz TRLGDCU ausgegangen werden. Darüber hinaus stelle das von der Beklagten entwickelte Softwareupdate keine taugliche Nachbesserungsmöglichkeit im Sinne der Vorschrift dar. Aufgrund des andauernden Strafverfahrens sei der Rücktrittsanspruch gehemmt und keine Verjährung nach Art. 123 TRLGDCU eingetreten.
30
Ein Rücktrittsrecht folge auch aus Art. 1124 CC. Aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des EuGH sei die Voraussetzung eines Rücktrittsrechts in Form einer „wesentlichen Nichterfüllung“ vertraglicher Pflichten gegeben.
31
Die Beklagte habe der Klagepartei den Kaufpreis zuzüglich Zinsen zurückzuzahlen.
32
Der streitgegenständliche Kaufvertrag sei auch wegen Verstoßes gegen ein zwingendes Gesetz, hier Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG, der die Verwendung von Abschalteinrichtungen verbiete, nach Art. 1275, 6 Abs. 3 CC nichtig. Die Beklagte habe daher nach Art. 1306 Abs. 2 Satz 2 CC den gezahlten Kaufpreis zurückzuerstatten, während es ihr verwehrt sei, das Fahrzeug herauszuverlangen. Eine Rückgewährverpflichtung ergebe sich zumindest aus Art. 1303 CC.
33
Den geltend gemachten Schadensersatzanspruch sieht die Klägerseite auf Grundlage von Art. 1101 CC gegeben. Dieser könne nach der Rechtsprechung des Tr. S. direkt gegen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs geltend gemacht werden. Eine Vertragsverletzung der Beklagten liege vor. Das hierfür notwendige Verschulden sei gegeben. Der Ersatz der Schäden richte sich nach Art. 1107 Abs. 2 CC. Die Schadensentstehung erfolge hinsichtlich des materiellen wie auch des immateriellen Schadensersatzes auf Grundlage der ex re-ipsa-Regel, die eine konkrete Bezifferung entbehrlich mache.
34
Hinsichtlich des immateriellen Schadens stelle der im Urteil des Tr. S. vom 23.07.2021 zugesprochene Betrag von 500,00 € die Untergrenze dar. Der Zustand der Sorge, Beunruhigung und Unsicherheit, ein Fahrzeug erworben zu haben, das von dem gesellschaftlich besonders sanktionierten Mangel der Umweltverschmutzung befallen sei, habe bei der Klagepartei weitere (körperliche) Beeinträchtigungen verursacht, die zu einem Schmerzensgeld von 2.000,00 € führten.
35
Der materielle Schaden, der von der Klägerin auch deliktsrechtlich geltend gemacht werden könne, resultiere daraus, dass ihr Fahrzeug aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung einen Minderwert im Vergleich zum gezahlten Kaufpreis aufweise und was im Fall zudem einen Wertverlust auf dem spanischen Gebrauchtwagenmarkt erlitten habe.
36
Als Referenz für die konkrete, vom Gericht nach seinem Ermessen festzusetzende Schadenshöhe könne die Rahmenvereinbarung zwischen der Verbraucherzentrale der Klägerin eine Schadenshöhe von 3.511,00 € ergäbe und VW aus dem vor dem OLG Braunschweig geführten Musterfeststellungsverfahren herangezogen werden. Hilfsweise bietet die Klagepartei Sachverständigenbeweis zum Wertverlust auf dem spanischen Gebrauchtwagenmarkt bzw. Minderwert bei Kauf an, ohne diesen konkret zu beziffern.
37
Im Rahmen des materiellen Schadensersatzanspruchs seien der Klagepartei außerdem die Finanzierungskosten zu ersetzen.
38
Schließlich stehe der Klagepartei der gesetzliche Zinssatz aus Art. 1106 CC seit Kaufvertragsschluss zu.
39
Der Klagepartei stehe darüber hinaus ein Schadensersatzanspruch nach Art. 1270 Abs. 2 CC wegen einer beiläufigen Arglist zu. Der Umfang der Haftung richte sich nach 1107 Abs. 2 CC.
40
Die Klagepartei hält darüber hinaus einen Schadensersatzanspruch nach spanischem Wettbewerbsrecht für gegeben. Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Handelsgerichts Madrid bestehe ein Schadensersatzanspruch in Höhe von mindestens 3.000,00 €.
41
Darüber hinaus sei auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch nach Art. 1902 CC gegeben.
42
Eine Verjährung sei nicht eingetreten, da der Fristbeginn erst mit der Fertigstellung des in Auftrag gegebenen Gutachtens zu materiellem Schaden anzusetzen sei und im Übrigen durch das Strafverfahren, dem sich die Klagepartei angeschlossen habe, unterbrochen sei.
43
In der mündlichen Verhandlung vom 27.07.2021 erging auf Antrag der Beklagten gegen die nicht erschienene Klagepartei ein klageabweisendes Versäumnisurteil. Gegen das der Klagepartei am 27.07.2021 zugestellte Urteil hat diese form- und fristgerecht mit Schriftsatz vom 08.08.2021 Einspruch eingelegt.
44
Die Klagepartei beantragt nach mehrmaliger Umstellung der Klageanträge zuletzt,
unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts Ingolstadt vom 27.07.2021, Aktenzeichen 81 O 3625/19, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 34.858,52 € nebst 8% Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 23.10.2013 zu zahlen.
Hilfsweise unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts Ingolstadt vom 27.07.2021, Aktenzeichen 81 O 3625/19, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 34.858,52 € nebst 8% Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 23.10.2013 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer …97 zu zahlen.
Weiter hilfsweise, auf derselben Ebene wie der erste Hilfsantrag festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 30.12.2019 mit der Rücknahme des im hilfsweise gestellten Klageantrag bezeichneten PKW in Annahmeverzug befindet.
Weiter hilfsweise:
die Beklagte unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts Ingolstadt vom 27.07.2021 zu verurteilen, an die Klägerin 8.511,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8% über dem Basiszinssatz seit dem 23.10.2013 zu bezahlen.
45
Die Beklagte beantragt,
das klageabweisende Versäumnisurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 27.07.2021 aufrecht zu erhalten.
46
Die Beklagte bestreitet in tatsächlicher Hinsicht die klägerseits behaupteten Beeinträchtigungen aufgrund der so genannten Diesel-Thematik mit Nichtwissen.
47
Nach Auffassung der Beklagten ist sowohl für vertragliche als auch für deliktische Ansprüche spanisches Recht anwendbar.
48
Sie erhebt die Einrede der Verjährung.
49
Die Beklagte trägt vor, dass die NOx-Belastung des streitgegenständlichen Fahrzeugs keinen Einfluss auf die Kaufentscheidung der Klagepartei gehabt habe.
50
Die durch die Umschaltlogik betroffenen Fahrzeuge und damit auch das klägerische Fahrzeug hätten keinen durch diese Umschaltlogik vermittelten Restwertverlust erlitten.
51
Die Fahrzeuge der Beklagten, die mit dem streitgegenständlichen Motorenaggregat ausgestattet seien, erzeugten sowohl in Labortests, als auch unter realen Fahrbedingungen NOX-Emissionen, die weit unter denen der Fahrzeuge anderer Automobilhersteller liegen.
52
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die zu Schadenersatzansprüchen wegen eines immateriellen Schadens ergangene Rechtsprechung des Tr. S. zur Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes in den Urteilen vom 11.03.2020 und 23.07.2021 nicht auf sämtliche vertraglichen Anspruchsgrundlagen, insbesondere solche, die eine Rückabwicklung des Kaufvertrages als Rechtsfolge vorsähen, ausgedehnt werden könne.
53
Die von der Klägerseite gewünschte Rückabwicklung könne auch nicht als Schadensersatzanspruch mit der Konstruktion eines Vermögensschadens im Sinne einer unerwünschten Verpflichtung geltend gemacht werden. Diese sei dem spanischen Recht fremd. Das spanische Schadenersatzrecht kenne nur die finanzielle Entschädigung eingetretener Vermögenseinbußen. Die Rückabwicklung eines wirksam geschlossenen Vertrages könne demgegenüber nicht auf Schadensersatzansprüche nach spanischem Recht gestützt werden.
54
Die Beklagte sieht einen Anspruch der Klagepartei aus Wettbewerbsrecht nicht als gegeben. Dieser könne insbesondere nicht auf das fehlerhafte Urteil des Handelsgerichts Madrid vom 25.01.2021 gestützt werden.
55
Die Beklagte sieht auch den Anwendungsbereich des Verbraucherschutzgesetzes nicht eröffnet.
56
Eine Vertragswidrigkeit gemäß Art. 116 TRLGDCU liege nicht vor. Ein Rücktritt nach Art. 121 TRLGDCU scheitere an der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten, die weder das im Fahrzeug verbaute Motorenaggregat entwickelt, noch das Fahrzeug an die Klagepartei verkauft habe.
57
Das Rücktrittsverlangen könne nicht auf Art. 124 TRLGDCU gestützt werden. Insoweit sei einerseits eine Passivlegitimation der Beklagten nicht gegeben, andererseits berechtige die Vorschrift nicht zum Rücktritt vom Vertrag.
58
Nach Auffassung der Beklagten ist die Klagepartei der sie treffenden Darlegungs- und Beweislast weder für den Nachweis einer arglistigen Täuschung, geschweige denn einer zur Nichtigkeit des Vertrags führenden schwerwiegenden arglistigen Täuschung nachgekommen. Entsprechende Ansprüche könnten auch gegenüber der Beklagten, die am Vertrag nicht beteiligt gewesen sei, nicht geltend gemacht werden.
59
Nach Auffassung der Beklagten unterlag die Klagepartei bei Vertragsabschluss keinem die Nichtigkeit bewirkenden Irrtum.
60
Ein Rücktrittsrecht nach Art. 1124 CC scheitere an der hierfür notwendigen erheblichen oder wesentlichen Vertragsverletzung.
61
Es liege weder ein strafrechtlich relevantes Handeln, noch eine Sittenwidrigkeit auf Seiten der Beklagten vor.
62
Selbst für den Fall, dass von einer Rückabwicklung des Kaufvertrags auszugehen sei, seien die von der Klagepartei gezogenen Vorteile aus der Nutzung des Fahrzeugs im Wege der Vorteilsanrechnung in Abzug zu bringen.
63
Die Beklagte sieht auf Klägerseite weder einen materiellen noch einen immateriellen Schaden gegeben. Die in den Entscheidungen des Tr. S. zur Anwendung gebrachte re in ipsa-Regel sei alleine auf den immateriellen Schaden anwendbar. Ihre Anwendung scheide im vorliegenden Fall allerdings bereits deswegen aus, weil anders als in den vom Tr. S. entschiedenen Fällen die Erhebung der zivilrechtlichen Klage nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bekanntwerden des Dieselskandals erfolgt sei.
64
Ein materieller Schaden sei nicht ausreichend dargelegt und auch nicht gegeben. Ein Schadensnachweis sei der Klagepartei möglich und zumutbar.
65
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
66
Das Gericht hat am 27.07.2021, 14.09.2021 und 20.06.2023 mündlich zur Sache verhandelt. Die Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2023 persönlich angehört. Auf die von den mündlichen Handverhandlungen angefertigten Protokolle (Blatt 291,/292, 358/361 und 896/906 der Akte) wird Bezug genommen.
67
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zum spanischen Recht aufgrund Beweisanordnung vom 06.10.2020 (Blatt 198/201 der Akte), sowie eines Ergänzungsgutachtens zum spanischen Recht aufgrund Beweisanordnung vom 07.06.2022 (Blatt 593/597 der Akte). Auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. vom 14.05.2021 (Blatt 233/285 der Akte) und deren Ergänzungsgutachten vom 24.02.2023 (Blatt 645/701 der Akte) wird verwiesen. Die Sachverständige wurde zusätzlich persönlich angehört. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2023 (Blatt 896/906 der Akte) wird Bezug genommen.
68
Die Klägerseite hat zur Anwendbarkeit spanischen Rechts Privatgutachten von Professor vom 26.09.2019 und 06.10.2020 sowie von Professor vom 19.02.2021 vorgelegt.
69
Die Beklagtenseite hat zur Anwendbarkeit spanischen Rechts ein Privatgutachten von Professor vom 07.10.2021 vorgelegt.
70
Die Klägerseite hat zur Anwendung spanischen Rechts Privatgutachten von Professor vom 20.07.2020/31.07.2020 nebst Ergänzungen vom 18.10.2021 und 25.10.2021, von Professor /Dr. vom 01.10.2021 und eine gutachterliche Stellungnahme des Richters am Tribunal S. a.D. r vorgelegt.
71
Die Beklagtenseite hat zur Anwendung des spanischen Rechts Privatgutachten von Professor vom 10.03.2021 und ein Ergänzungsgutachten hierzu vom 21.09.2022, eine gutachterliche Stellungnahme des Richters am Tribunal S. a.D. vom 20.11.2022 sowie Gutachten von e vom Januar bzw. Juni 2023 vorgelegt.
72
Dem Gericht stand darüber hinaus zur Anwendung des spanischen Rechts das vom Landgericht Braunschweig im Verfahren 11 O 7364/19 eingeholte Gutachten des Sachverständigen P. vom 11.10.2022 zur Verfügung.
73
Auf die vorgenannten, im Anlagenordner „Unterlagen span. Recht“ befindlichen Unterlagen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

74
Die zulässige Klage erweist sich mit dem zuletzt gestellten Sachantrag lediglich in geringem Umfang begründet. Der Klägerin steht auf Grundlage des anzuwendenden spanischen Rechts der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises nicht, der von ihr daneben geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz lediglich unter dem Gesichtspunkt eines immateriellen Schadens in der sich aus dem Tenor ergebenden Höhe zu.
75
Die von der Klägerseite geltend gemachten materiellen Schadensersatzansprüche erweisen sich vollumfänglich unbegründet.
1. Anwendbarkeit spanischen Rechts
76
Nach Auffassung des Gerichts sind die von der Klägerseite geltend gemachten Ansprüche sowohl auf vertraglicher, als auch auf deliktischer Grundlage jeweils nach spanischem Recht zu beurteilen.
1.1 Anwendbarkeit spanischen Deliktsrechts nach der Rom II – Verordnung
77
Der Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung eröffnet. Eine Rechtswahl der Beteiligten nach Art. 14 Rom II-VO liegt nicht vor.
78
Es ist weder ein vorrangiger Anknüpfungstatbestand nach Art. 5 ff Rom II-Verordnung noch der Anknüpfungstatbestand nach Art. 4 II Rom II Verordnung gegeben.
1.1.1 Voraussetzungen Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO liegen vor
79
Die Voraussetzungen nach Art. 4 Abs. 1 Rom II Verordnung sind gegeben und ergeben in vorliegendem Falle die Anwendung spanischen Rechts.
80
Nach dieser Vorschrift bestimmt sich das anzuwendende Recht nach dem Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob man hinsichtlich des maßgeblichen Orts des Schadenseintritts auf den Abschluss des für den Geschädigten nachteiligen Vertrags als frühestem Zeitpunkt oder diesem nachfolgende Zeitpunkte, beispielsweise die Übereignung des mangelbehafteten und damit dem Wert der Gegenleistung evtl. nicht entsprechenden Pkw oder den Ort des Mittelabflusses zur Begleichung der Kaufpreiszahlung abstellt, weil in allen diesen Fällen der Schadenseintritt in Spanien erfolgt wäre.
1.1.2 Keine Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Rom II – VO
81
Die Voraussetzungen zur Anwendung des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO sind nicht gegeben:
1.1.2.1 Regelungsverhältnis von Art. 4 Abs. 1 und 3 Rom II-VO
82
Das Gericht teilt im Ausgangspunkt die Auffassung der Klägerin, wonach die Regelungen des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 3 der Rom II-Verordnung in einem Regel-Ausnahme-Verhältnisse stehen. Der besondere Ausnahmecharakter kommt in vorliegenden Fall über die Konzeption eines Regel-/Ausnahmeverhältnisses hinaus insbesondere auch dadurch zum Ausdruck, dass die Regelung in Art. 4 Abs. 3 Rom II-Verordnung in der Verordnung selbst als „Ausweichklausel“ bezeichnet wird (Ziffer 14 der Erwägungen) und ihre Anwendung unter den qualifizierten Vorbehalt einer „offensichtlich“ engeren Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat gestellt wird. Art. 4 Abs. 3 Satz 2 der Rom II-Verordnung nennt als Beispielsfall („insbesondere“) hierfür, ohne diesem den Charakter eines Regelbeispiels beizumessen (“könnte“), eine vertragsakzessorische Anknüpfung, die einerseits den bei weitem wichtigsten Anwendungsfall der Ausweichklausel benennen dürfte (Palandt-Thorn, Art. 4 Rom II Randziffer 11), andererseits den Vergleichsmaßstab vorgibt, anhand dessen der qualifizierte Vorbehalt zu beurteilen ist.
83
Das Gericht sieht hierbei entgegen der im Gutachten dort Seite 22 oben vertretenen Auffassung den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht bereits dann eröffnet, wenn die in Art. 4 Abs. 1 Rom II-Verordnung enthaltene Regel „konkret ihre Funktion verfehlt, das mit dem Sachverhalt am engsten verbundene Recht zu bezeichnen“. Dies wäre nämlich bereits dann der Fall, wenn ein zur Entscheidung gestellter Sachverhalt eine engere Verbindung zur Rechtsordnung eines Landes aufweist als zu der eines anderen Landes. Das zusätzliche Erfordernis der Offensichtlichkeit wird dabei ebenso außer Acht gelassen wie der Ausnahmecharakter der Vorschrift. Die Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Rom II-Verordnung dürfte demgegenüber nur dann gegeben sein, wenn in einem konkreten Einzelfall über die notwendigerweise typisierenden Regelanknüpfungen die kollisionsrechtliche Einzelfallgerechtigkeit am Maßstab eines angemessenen Interessensausgleichs zwischen Personen, deren Haftung geltend gemacht wird und Geschädigten (Erwägungsgrund Nummer 16) nicht hergestellt werden kann.
1.1.2.2 Massenschadensfall
84
Nach Ansicht des Gerichts vermag auch die Annahme eines „Massenschadensfalls“im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 Rom II-Verordnung keinen Beitrag zu leisten.
85
Hierbei könnte bereits die Grundannahme „Vorliegen eines Massenschadensfalls“ insoweit infrage gestellt werden, als es sich zwar um eine Vielzahl von eingetretenen Schäden handelt, es aber andererseits schwer fällt, diese in ihrer Gesamtheit auf eine einzige oder mehrere gleichartige schädigende Handlungen (vgl. Gutachten S. 23 „aus demselben Ereignis“) zurück zu führen. Auch zeigt die Dieselthematik im Hinblick auf die Vielzahl von Fallgestaltungen (u.a. verschiedene Motoren, zeitliche Dimension, unterschiedliches Handeln der zuständigen Verwaltungsbehörden, Voraussetzungen in der Person des Geschädigten) im Vergleich mit den genannten „klassischen Beispielen für Massenschäden“ bei Opfern von Massenunfällen im Zug-, Auto- oder Flugverkehr (Gutachten S. 23), dass es nicht möglich scheint, Massenschadensfälle in ihrer Gesamtheit – auch was die Frage betrifft, welches Recht zur Anwendung gelangt – einer einheitlichen Bewertung zu unterziehen.
86
Selbst wenn man mit der Klägerin unter Berufung auf von einem Massenschadensfall ausgeht, gebietet dieser weder unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Anspruchsverfolgung noch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung zwischen den Fällen die Anwendung eines anderen als des sich aus Art. 4 Abs. 1 Rom II-Verordnung ergebenden Rechts. Dies weder per se noch im Rahmen einer Gesamtabwägung. Eine derartige Sichtweise ließe sich bereits mit dem Erwägungsgrund Nummer 14 am Ende, es dem angerufenen Gericht zu ermöglichen, Einzelfälle in einer angemessenen Weise zu behandeln, nicht in Einklang bringen. Es bestünde zudem die Gefahr, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil verkehrt wird. Im Übrigen bleibt offen, ab welcher Anzahl von mehr oder weniger gleich gelagerten Fällen von „Massenschäden“ in dem genannten Sinn auszugehen ist und anhand welcher Kriterien von gleich gelagerten Fällen auszugehen ist. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die eingangs genannten Aspekte zwar dafür sprechen, für sämtliche Fälle einer (anhand welcher Kriterien auch immer) bestimmten Gruppe dieselben Rechtsregeln an zu wenden, dies jedoch bei den Geschädigten eines Landes keinen Beitrag zur Entscheidung, ob das Recht nach Art. 4 Abs. 1 oder Abs. 3 Rom II Verordnung anzuwenden ist, leisten kann.
87
Das Vorliegen eines Massenschadensfalls kann auch deswegen keinen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Umstand darstellen, weil die in Art. 4 Abs. 3 Rom II-Verordnung genannte „Gesamtheit der Umstände“ sich auf die für das jeweilige Delikt relevanten Umstände des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Schadenseintritts (vgl. BeckOGK-Rühl, Rom II-Verordnung, Art. 4, Rz. 116) beschränkt. Hierzu zählt nach Ansicht des Gerichts die im maßgeblichen Zeitpunkt des Schadenseintritts noch gar nicht überschaubare Tatsache, ob das schädigende Ereignis Bestandteil eines Massenschadens ist, nicht.
88
Diese gibt auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit/Vorhersehbarkeit einerseits und der Einzelfallgerechtigkeit andererseits keinen Anlass, von der Regelung in Art. 4 Abs. 1 Rom II-Verordnung abzuweichen.
1.1.2.3 Ausweichklausel
89
Soweit sich die Klägerin unter Bezugnahme auf das Gutachten dort Seite 23 zur Rechtfertigung der von ihr angenommenen Anwendung der Ausweichklausel auf eine „einheitliche Anspruchsverfolgung“ und arbeitsökonomische Vorteile für die Streitentscheider beruft, kann auch dies keine Berücksichtigung finden (so auch BeckOGK-Rühl, Rom II-Verordnung, Art. 4, Rz. 111). Es handelt sich insoweit um Gesichtspunkte, die bei der Erfüllung des Zwecks der Rom II-Verordnung, das anzuwendende Recht in jedem Sachverhalt mit Verbindung zum Recht mehrerer Staaten objektiv festzustellen, um unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Gleichlaufs im gesamten Anwendungsbereich das räumlich nächste Recht unabhängig von dessen Inhalt zur Anwendung zu bringen, keine Rolle spielen (dürfen).
90
Aus demselben Grund spielen auch eventuell höhere Kosten durch Einholung von Sachverständigengutachten zur Anwendung ausländischen Rechts und die fehlende Vertrautheit des Streitentscheiders mit dem dann anzuwendenden ausländischen Recht (vgl. Gutachten S. 23 Punkt 4 d.bb., 2. Absatz a.E.) keine Rolle (so auch MüKoBGB-Junker, 7. Aufl. 2018, Rom II Verordnung Art. 4 Rn. 149, BeckOGK-Rühl, Rom II-Verordnung, Art. 4, Rz. 111).
1.1.2.4 Opferschutz nicht maßgeblich
91
Nach Ansicht des Gerichts spielt auch der im Gutachten angesprochene Gesichtspunkt des Opferschutzes (Blatt 30 des Gutachtens) im Rahmen der Abwägung nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Rom II-Verordnung keine Rolle. Bei der Anwendung dieser Vorschrift kommt es nicht auf die Auswirkungen einer bestimmten Anknüpfung an, insbesondere nicht darauf, ob das aufgrund der Ausweichklausel anzuwendende Recht für das Opfer bessere oder günstigere Rechtsfolgen vorsieht (vergleiche MüKoBGB-Junker, 7. Aufl. 2018, Rom II Verordnung Art. 4 Rn. 150,). Auf die zusätzlichen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben würden, die möglicherweise anzuwendenden Rechtslagen mehrerer Staaten auf Grundlage eines nicht feststehenden Sachverhalts zu vergleichen, wird ergänzend hingewiesen.
1.1.2.5 Prozessuale Vorteile unerheblich
92
Entgegen der Auffassung der Kläger kann weder die Beweisnähe (vergleiche Gutachten Seite 29 unter 4.d. cc) (2) (h.)) noch die Bündelung der Ermittlungs- und Strafverfahren in Deutschland (Seite 29 unter 4.d. cc) (2) (g.)) im Rahmen der Gesamtschau nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-Verordnung Berücksichtigung finden. Soweit sich die Kläger darauf berufen, dass die Verfügbarkeit der Beweismittel, insbesondere der Zeugen dazu führt, dass mögliche im Ausland Geschädigte in Deutschland klagen müssen, hat dies mit der Frage des anzuwendenden Rechts nichts zu tun. Es handelt sich insoweit vielmehr um die Frage, vor welchen Gerichten und unter Anwendung welcher Prozessordnung die jeweiligen Klagen geführt werden.
93
Auch die Bündelung von Ermittlungs- und Strafverfahren in Deutschland ist kein im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 Rom II-Verordnung zu berücksichtigender Gesichtspunkt. Eine Berücksichtigung scheidet regelmäßig bereits deswegen aus, weil die Abgabe der entsprechenden Verfahren an die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland Ereignisse nach dem Schadenseintritt darstellen, die im Rahmen der Gesamtschau keine Berücksichtigung (mehr) finden (Lehmann in: Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen-EUErbVO-HUP, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4 Rz. 154, BeckOGK-Rühl, Rom II-Verordnung, Art. 4, Rz. 111). Im Übrigen ist die Kompensation möglicher prozessualer Nachteile im Ausland aufgrund der Abgabe von Ermittlungsverfahren nach Deutschland kein im Rahmen der Rom II-Verordnung zu berücksichtigender Gesichtspunkt.
1.1.3 Gleichbehandlung
94
Die im Gutachten als hilfreich angesehene „Gleichbehandlung zwischen den Fällen dieser Gruppe“ ist nach Ansicht des Gerichts ohnehin gegeben, soweit sich der Erfolgsort jeweils in demselben Staat befindet. Soweit es aufgrund des Vertriebs der Fahrzeuge in eine Vielzahl von Ländern zur Anwendung einer Vielzahl ausländischer Rechtsordnungen kommt, ist diese nicht systemwidrig und damit (ausnahmsweise) über Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Rom II-Verordnung zu korrigieren. Sie ist vielmehr die Konsequenz daraus, dass die jeweils Geschädigten am Erfolgsort mit den Maßstäben der Umwelt geschützt werden, in der sie Verletzungen erlitten haben und damit gerade die konsequente Folge der systematischen Regelung der Art. 4 Abs. 1-3 Rom IIVerordnung.
1.1.4 Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts
95
Das Gericht sieht im vorliegenden Fall eine enge Verbindung zum Königreich Spanien und der dort geltenden Rechtsordnung gegeben. Dort befindet sich unbestrittenermaßen der Erfolgsort unabhängig davon, ob hierbei auf den Abschluss des Kaufvertrags, den Geldabfluss beim Geschädigten oder die Übertragung des Kfz abgestellt wird. Dort wurde auch der Kaufvertrag zwischen den Beteiligten abgeschlossen. Dort erfolgte auch der Vertrieb des Fahrzeugs durch eigenständige, dort ansässige Kfz Händler mit Wissen und Wollen der Beklagten. Dort befindet sich auch der Wohnort des Geschädigten. Auch unter dem Gesichtspunkt der objektiven Voraussehbarkeit musste eine vernünftig denkende Person in der Situation der Parteien angesichts der Rahmenumstände – Ankauf eines deutschen Pkw durch einen Spanier von einem Spanier in Spanien – auch in deliktsrechtlichen Fragestellungen wie der vorliegenden alleine mit der Anwendbarkeit spanischen Rechts rechnen (zur Einbeziehung objektiver Erwartungshaltungen: Lehmann in: Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen-EUErbVO-HUP, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4 Rz. 148).
96
Es erscheint abwegig, in diesen Fällen alleine aufgrund der Herkunft des Produkts und den Umständen, die zu dessen Herstellung und dem Inverkehrbringen geführt haben, die Anwendung einer anderen Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit zulasten der Rechtssicherheit/Voraussehbarkeit in Betracht zu ziehen. Soweit ersichtlich haben sich die mit vergleichbaren Fallgestaltungen in Spanien beschäftigten Gerichte auch mit der Frage, ob deutsches Recht anzuwenden ist, nicht im mindesten auseinandergesetzt, obwohl auch insoweit unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Rom II-Verordnung hierzu Veranlassung bestanden hätte.
97
Es kann dahingestellt bleiben, ob die vorstehend festgestellte enge Bindung zum Königreich Spanien bereits der Anwendung der Ausweichklausel entgegen steht (so Lehmann in: Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen-EUErbVO-HUP, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4 Rz. 140). Die darüber hinaus von der Klägerin genannten Gesichtspunkte vermögen eine qualifiziert engere Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtsordnung nicht herzustellen. Das Gericht geht hierbei mit der Klägerin davon aus, dass der Ort des schadensbegründenden Ereignisses in die Abwägung mit einzustellen ist. Diesem kann aber durch eine Aufgliederung in eine Vielzahl von getroffenen unternehmerischen Entscheidungen und Handlungen, wie sie von Seiten der Klägerin und im Gutachten dargestellt wurden, keine zusätzliche, besondere Bedeutung beigemessen werden. Dies gilt vor allen Dingen, soweit es sich um unternehmerische Entscheidungen der Beklagten handelt, die zunächst allein ihren Binnenbereich betroffen haben oder um Handlungen Dritter (GmbH). Dies gilt aber auch unter Berücksichtigung des gewöhnlichen Aufenthalts des Schädigers – hier der AG – in Deutschland nach Art. 23 Rom II-Verordnung. Auch die Tatsache, dass die EG-Typenzulassung ihrem Konzept entsprechend im Herkunftsland Deutschland durchgeführt wurde, führt in der Gesamtschau zu keiner qualifiziert engeren Bindung an die deutsche Rechtsordnung in der hier maßgeblichen Frage des anwendbaren Rechts für die deliktische Haftung. Ein Gleichklang zwischen dem öffentlich-rechtlichen Zulassungsverfahren und und dem in Haftungsfragen anzuwendenden Recht erscheint unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit/Einzelfallgerechtigkeit nicht geboten, zumal sich ein Käufer regelmäßig darüber, in welchem Land und durch welche Behörden die Zulassungsverfahren durchgeführt werden keine Gedanken macht. Im Übrigen gilt es festzuhalten, dass mögliche, auch im Nachgang von deutschen Behörden ergehende Bestimmungen keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Frage haben, ob und inwieweit es dem Geschädigten in Spanien möglich ist, das von ihm angekaufte Fahrzeug nach wie vor zu benutzen.
1.1.5 Keine Anwendung von Art. 7 Rom II – VO
98
Entgegen der Auffassung der Klägerseite, die diese unter Berufung auf das von ihr vorgelegte Gutachten von Professor Dr. vertritt, vermag Art. 7 der Rom II-Verordnung die Anwendung deutschen Deliktsrechts nicht zu rechtfertigen.
99
Die Tatsache, dass die Klägerseite vorrangig den Schaden geltend macht, der ihr dadurch entstanden ist, dass sie einen unerwünschten Vertrag geschlossen hat, führt dazu, dass Art. 7 1. Halbsatz Variante 1 Rom II-Verordnung der einen „Umweltschaden“ voraussetzt, ausscheidet.
100
Es scheidet aber auch die Anwendung von Art. 7, 1. Halbsatz Var. 2 Rom II-Verordnung aus, weil bereits kein aus einer Umweltschädigung herrührender Sachschaden vorliegt.
101
Der vorrangig geltend gemachte unerwünschte Vertragsschluss stellt einen reinen Vermögensschaden dar, der der vorgenannten Vorschrift nach Auffassung des Gerichts nicht unterfällt.
102
Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch reine Vermögensschäden der Vorschrift unterfallen, muss zwischen dem eingetretenen Schaden und der Umwelteinwirkung eine Kausalbeziehung dergestalt bestehen, dass nur Vermögensschäden erfasst werden, die unmittelbar aus einer Umweltschädigung resultieren (BeckOGK/Huber, 1.6.2022, Rom II-VO Art. 7 Rn. 19 m.w.N.). Der von der Klägerseite geltend gemachte Schaden, sei es in Form des Abschlusses eines ungewollten Kaufvertrags, sei es in Form eingetretener materieller und immaterieller Schäden, ist allerdings keine unmittelbare Folge einer von den Kraftfahrzeugen ausgehenden Luftverschmutzung. Diese und der behauptete Eingriff in die wirtschaftliche Selbstbestimmung der geschädigten Verbraucher durch den ungewollten Vertragsschluss oder ihnen entstandene materielle Schäden sind nicht durch eine Kausalkette verknüpft, sondern stehen unabhängig nebeneinander (so auch – Gutachten vom 07.10.2021, Seite 25/26 unter Hinweis auf OLG Braunschweig, Beschluss vom 15.04.2021 – 4 MK 1/20).
1.1.6 Anwendbarkeit über Art. 4 Abs. 1 Rom I (!) -VO
103
Die von der Klagepartei erstmals im Termin vom 22.06.2023 vertretene Ansicht, die von der Beklagten als Herstellerin gegenüber der Klagepartei abgegebene Garantieerklärung habe zu einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien geführt, das zur Anwendung deutschen Rechts führe und hierbei dann deutsches Deliktsrecht anwenden möchte (Prot. vom 20.06.2023, Seite 2 – Blatt 897 der Akte), wird vom erkennenden Gericht nicht geteilt.
104
Hierbei ist zunächst festzustellen, dass der diesbezügliche Vortrag der Klagepartei in Widerspruch zu ihrem schriftsätzlichen Vorbringen steht. Noch im Schriftsatz vom 20.12.2021 (Bl. 420 d.A.) hat die Klagepartei sich nämlich auf den Standpunkt gestellt, für vertragliche Ansprüche sei spanisches Recht anzuwenden, während die deliktischen Ansprüche deutschem Recht folgen müssten.
105
Die Annahme der Klägerseite ist aber auch bereits im Ausgangspunkt unzutreffend, selbst wenn man von unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen der Klägerseite und der Beklagten in Form eines Garantievertrages ausginge. Einer möglicherweise sich ergebenden Anwendbarkeit deutschen Rechts nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-Verordnung steht Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b der Rom I-Verordnung entgegen. Unzweifelhaft handelt es sich im vorliegenden Fall um einen Verbrauchervertrag im Rahmen einer gewerblichen, unter anderem auch auf Spanien ausgerichteten Tätigkeit der Beklagten.
106
Die weitere Schlussfolgerung der Klägerseite, wonach im Rahmen der über die Bestimmungen des Rom I-Vertrags eröffneten Anwendbarkeit des (Vertrags-)Rechts eines Staates auch dessen Deliktsrechts Anwendung finden soll, erscheint angesichts des Anwendungsbereichs der Rom I-Verordnung (Art. 1 Abs. 1) abwegig.
1.2 Anwendbarkeit spanischen Rechts für vertragliche Ansprüche nach der ROM I-VO
107
Die Anwendbarkeit spanischen Rechts für vertragliche Ansprüche ergibt sich, worauf das Gericht bereits mit Beschluss vom 21. 6. 2021 hingewiesen hat, aus Art. 4 Absatz 1 Buchstabe a in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b Rom I-VO.
2. Hauptantrag: Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises
108
Der Klägerseite steht der von ihr geltend gemachte Anspruch auf (Rück-) Zahlung des Kaufpreises gegen die Beklagte nach dem anzuwendenden spanischen Recht weder aufgrund vertraglicher noch aufgrund außervertraglicher Anspruchsgrundlage zu.
2.1 Kein Anspruch auf Rückabwicklung wegen Wegfalls der vertraglichen Verpflichtungen mangels Passivlegitimation der Beklagten
109
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung der Klägerseite zutrifft, derzufolge in vorliegendem Fall die vertraglichen Verpflichtungen aus dem streitgegenständlichen sei es aufgrund von Nichtigkeit, sei es aufgrund eines Rücktritts – unwirksam sind und zum Wegfall der vertraglichen Verpflichtungen und infolgedessen zur Rückgewähr der im Rahmen des streitgegenständlichen Kaufvertrags erbrachten Leistungen führen. Sämtliche klägerseits ins Feld geführten Anspruchsgrundlagen auf vertraglicher Grundlage ((schwere) arglistige Täuschung nach Art. 1269, 1270 CC, Irrtum nach Art. 1266 CC, Rücktritt nach Art. 1124 CC, rechtswidriges Verhalten nach Art. 1303ff. CC) können nämlich nur gegenüber dem unmittelbaren Vertragspartner geltend gemacht werden. Eine Passivlegitimation der Beklagten ist insoweit nicht gegeben. Der von der Klägerseite insoweit angenommenen Passivlegitimation steht Art. 1257 CC entgegen. Nach dieser Vorschrift rufen Verträge Wirkungen nur zwischen den Parteien hervor, die sie schließen.
2.1.1 Kein Vertragsschluss zwischen den Parteien des Rechtsstreits
110
Der streitgegenständliche Kaufvertrag ist unstreitig nicht zwischen den Parteien des Rechtsstreits geschlossen worden.
2.1.2 Keine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 1257 CC
111
Entgegen der Auffassung der Klägerseite führt auch die Rechtsprechung des Tr. S., insbesondere dessen Urteile vom 11.03.2020 (Aktenzeichen 167/2020) und 23.07.2023 (Aktenzeichen 561/2021), nicht dazu, dass die Klagepartei gegen die Beklagte entgegen Art. 1257 CC sämtliche vertragliche Ansprüche – damit auch Rückabwicklung des Vertrages – geltend machen kann.
2.1.2.1 Keine Vorgaben des Tr. S. in den bisher ergangenen Entscheidungen
112
Der Klägerseite ist zwar zuzugeben, dass der Tr. S. in den beiden vorgenannten Entscheidungen Ausnahmen vom Grundsatz der Relativität vertraglicher Verpflichtungen zugelassen hat. Beide Entscheidungen befassen sich allerdings nur mit der (vom Tr. S. bejahten) Frage, ob der Hersteller eines Kraftfahrzeugs für Schäden in Anspruch genommen werden kann, die dem Käufer aufgrund einer Vertragsverletzung, insbesondere einer Vertragswidrigkeit der hergestellten Produkte entstehen, auch wenn der Hersteller nicht Vertragspartei war. Der Tr. S. spricht in den beiden hier streitrelevanten Entscheidungen ausdrücklich (nur) von einer dem Hersteller zuzurechnenden „Verletzung“, die es rechtfertigt, dass „der Käufer des Fahrzeugs daher wegen Vertragsverletzung Haftungsklage (…) erheben“ kann (vergleiche Urteil des Tr. S. vom 23.07.2021, Entscheidungsgrund FÜNFTENS Ziffer 5.2).
113
Demgegenüber hat sich der Tr. S. bislang und insbesondere in den beiden vorgenannten Entscheidungen weder ausdrücklich noch mittelbar zu der Frage verhalten, ob die von ihm aufgestellte Ausnahme eine Ausdehnung auf sämtliche vertraglichen Ansprüche, insbesondere auf Ansprüche im Zusammenhang mit der Unwirksamkeit des Vertrags infolge Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, Rücktritt oder Vertragsauflösung erfährt.
114
Angesichts des Ausnahmecharakters der vom Tr. S. in den beiden genannten Entscheidungen vertretenen Meinung (vgl. 2.1.2.2), der auch in der Herausstellung der Besonderheiten im „Bereich der Herstellung, des Vertriebs und des Verkaufs von Kraftfahrzeugen“ zum Ausdruck kommt so auch (vergleiche Urteil des Tr. S. vom 23.07.2021 Entscheidungsgrund FÜNFTENS Ziffer 1) und darin seine Begründung, aber nach Auffassung der Kammer auch Beschränkung findet, hätte es hierzu einer ausdrücklichen und klaren Äußerung bedurft.
115
Aus der fehlenden Äußerung des Tr. S. hinsichtlich der Reichweite des aufgestellten Ausnahmetatbestandes kann entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht gefolgert werden, dass sich der Tr. S. für den Fall einer Äußerungsmöglichkeit in der von ihr angenommenen Art und Weise positioniert hätte, geschweige denn, dass er sich in Zukunft in dieser Art und Weise positionieren wird (Dr. in der mündlichen Anhörung, vgl. Prot. vom 20.06.2023 Seite 7, Bl. 902 der Akte).
2.1.2.2 Ausnahmecharakter der Durchbrechung
116
Die Gutachterin Dr. hat in ihrem schriftlichen Gutachten vom 14.5.2021 (dort S. 11) betont, dass der Tr. S. eine Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes in der Vergangenheit nur ausnahmsweise zugelassen hat und insoweit auf die Entscheidung vom 25.04.1975 verwiesen. Demnach sind zwar nach Art. 1257 Abs. 2 CC Vereinbarungen zugunsten Dritter erlaubt und es gäbe auch Fälle, in denen die schuldrechtlichen Wirkungen einer Vereinbarung einer Person zugewiesen werden könnten, die beim Vertragsschluss nicht mitwirkte. Hierbei handele es sich aber um „Ausnahmefälle, die mit äußerster Vorsicht und mit einer restriktiven Haltung zu analysieren“ seien, „zumal es sich dabei um Aufhebungen der allgemeinen und normalen Vorgehensweise“ handle.
2.1.2.3 Ausdehnung bewusst auf Schadensersatzansprüche beschränkt
117
Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit der Tr. S. aufgrund der ihm zur Entscheidung vorgelegten Fragen daran gehindert war, sich auch zur Frage weiterer Ausnahmeregelungen vom Relativitätsgrundsatz und der sich dadurch ergebenden Möglichkeit für den Käufer, vertragliche Ansprüche gegenüber dem Hersteller geltend zu machen, zu äußern, wie die Klägerseite vorträgt. Gerade in der vorliegenden Konstellation, die den Gegenstand zahlreicher Verfahren und Gerichtsentscheidungen in Spanien bildete und bildet, hätte es nach Auffassung der Kammer nahe gelegen, dass sich der Tr. S. in einem obiter dictum auch zu dieser Frage äußert, was er jedoch nicht getan hat.
118
Die erkennende Kammer geht demgegenüber davon aus, dass der Tr. S. die in den Urteilen vom 11.03.2020 und 23.07.2021 enthaltene Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes bewusst auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beschränkt hat. Die Äußerungen des Tr. S. gerade im Urteil vom 11.03.2020 (Entscheidungsgrund VIERTENS Ziffer 15) führen zu dem Schluss, dass er die von ihm aufgestellte Ausnahme ausschließlich mit dem Ziel entwickelte, in Fällen wie dem entschiedenen eine Lücke im System des Verbraucherschutzes zu füllen und nicht, um einen allgemeingültigen Rechtssatz aufzustellen, dass vertragliche Ansprüche des Verbrauchers (und sei es auch nur in Fällen aufgrund des Diesel-Skandals) generell auf den Hersteller ausgeweitet werden sollen. Das Verbraucherschutzrecht enthält nämlich keine Regelungen zum Schadenersatz wegen Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen, sodass sich bei strikter Anwendung des Relativitätsgrundsatzes eine Lücke im Rechtsschutz gegenüber dem Hersteller ergibt, die dem in Art. 8 lit. c TRLGDCU enthaltenen grundlegenden Recht des Verbrauchers auf die Entschädigung seiner Schäden widerspricht (Gutachten vom 14.05.2021, Seite 13 – Blatt 245 der Akte).
2.1.2.4 Gleich behandelnde Ausdehnung trägt den Unterschieden der Ansprüche keine Rechnung
119
Die von der Klägerseite für sich in Anspruch genommene Ausdehnung der Ausnahmen vom Relativitätsgrundsatz trägt nach Auffassung des Gerichts auch den dem spanischen Recht zu entnehmenden Unterschieden zwischen einem Schadensersatzanspruch einerseits und Ansprüchen auf Rückgewähr auf vertraglicher Grundlage erbrachter Leistungen in Folge der Nichtigkeit, Unwirksamkeit oder Auflösung des Vertrags andererseits (vgl. Ergänzungsgutachten vom 21.09.2022, Seite 13 Ziffer 40) keine Rechnung. Dies gilt sowohl im Hinblick auf deren Zweck, die Haftungsvoraussetzungen als auch deren Folgen.
120
Während ersterer darauf ausgerichtet ist, einen aufgrund der Nicht- oder Schlechterfüllung vertraglicher Pflichten eingetretenen Schaden auszugleichen, verfolgen Letztere den Zweck, die Unwirksamkeit/Nichtigkeit der vertraglichen Verpflichtungen oder deren Beendigung festzustellen und die vor dem Vertrag und dessen Durchführung bestehende Sach- und Rechtslage wieder herzustellen, d. h. die ausgetauschten Leistungen zurück zu gewähren.
121
Die Verpflichtung, Schadenersatz zu leisten, ist grundsätzlich auf Naturalrestitution oder Zahlung eines Geldbetrags gerichtet, wodurch der dem Geschädigten entstandene Schaden kompensiert werden soll. Diese Verpflichtung kann grundsätzlich von jedem, also auch einer am Vertrag nicht beteiligten Partei getragen werden.
122
Demgegenüber kann die aus dem Wegfall der vertraglichen Vereinbarungen erwachsende Verpflichtung zur Rückabwicklung, insbesondere die Rückgewähr erbrachter Waren bzw. Leistungen in natura verlangt werden, dies aber regelmäßig nur durch den Vertragspartner.
123
Soweit ein Vertrag über mehrere Handelsstufen wie im vorliegenden Fall im Raum steht, gilt es zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Hersteller in diesem Falle eine Leistung/Zahlung zu bewirken hätte, die die an ihn auf einer früheren Handelsstufe erbrachte Leistung/Zahlung übersteigt.
124
Haftungsvoraussetzung für einen Rückgewähranspruch des Geschädigten ist ein Anspruch auf Beseitigung des Vertrages gegen den jeweiligen Vertragspartner. Die Nichtigkeit eines Vertrags nach spanischem Recht (mit der Folge der Rückgewähr der vertraglichen Leistungen) kann nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. (vgl. S. 21ff. ihres schriftlichen Gutachtens vom 14.05.2020) nur gegenüber denjenigen geltend gemacht werden, die Partei des Vertrages waren. Auch eine Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung („dolo“) mit dem Ziel der Rückabwicklung müsste gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden.
2.1.2.5 Fehlende Vereinbarkeit einer Ausdehnung mit dem Verbraucherschutzrecht
125
Die von der Klägerseite angenommene Möglichkeit, sämtliche vertraglichen Ansprüche auch gegenüber der Beklagten als Herstellerin geltend zu machen, ließe sich auch mit den Regelungen des spanischen Verbraucherschutzrechts nicht in Einklang bringen.
126
Das für den streitgegenständlichen Fall anwendbare spanische Verbraucherschutzrecht sieht in Art. 121 TRLGDCU a.F. ein Rücktrittsrecht des Verbrauchers vor, das allerdings nur gegenüber dem jeweiligen Verkäufer besteht. Die demgegenüber nach Art. 124 TRLGDCU a. F. gegenüber dem Hersteller bestehenden Direktansprüche sind den Ansprüchen nach Art. 121 TRLGDCU a. F. gegenüber subsidiär und auf das Recht zur Nachbesserung bzw. Ersatzlieferung beschränkt. Die Rücktrittsmöglichkeit aufgrund von Ansprüchen aus dem TRLGDCU wurde bewusst ausgeschlossen (Gutachten vom 14.5.2021, Seite 13). Die von der Klägerseite befürwortete Ausdehnung der Ansprüche aus Art. 121 TRLGDCU würde dem Verbraucher dem Hersteller gegenüber Rechte einräumen, die sich weder mit der aus Art. 124 TRLGDCU ergebenden subsidiären Anwendung noch der Rechtsbeschränkung in Einklang bringen ließen (so auch Martin Casals, Gutachten vom 31.07.2020, Seite 41 Ziffer 110).
127
Soweit demgegenüber die Ausdehnung der vertraglichen Ansprüche auf die Vorschriften des CC beschränkt bliebe, hätte die von der Klägerseite vertretene Rechtsauffassung zur Folge, dass dem Verbraucher aufgrund allgemeiner Rechtsvorschriften weitergehende Rechte zustünden als nach den speziellen Verbraucherschutzvorschriften. Die Vorschrift des Art. 124 TRLGDCU würde damit komplett ausgehöhlt (so auch Gutachten vom 14.05.2021, Seite 12).
2.1.2.6 Ausdehnung widerspricht europäischen Haftungsgrundsätzen
128
Auch die Tatsache, dass der TS mit seinem Urteil vom 11.03.2020 und der darin enthaltenen Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes die europäischen Harmonisierungsinstrumente, die eine klare Abgrenzung der Haftung des Herstellers einerseits und der Haftung des Käufers andererseits vorsehen, konterkariert (Gutachten vom 14.05.2021, S. 10), führt zur Überzeugung der Kammer dazu, dass eine weitergehende Auslegung der Rechtsprechung des TS über den konkret entschiedenen Fall hinaus zur Überzeugung des Gerichts nicht in Frage kommt.
2.1.2.7 Keine weitere Fortschreibung spanischen Rechts durch die Rechtsprechung
129
Entgegen der Auffassung der Klagepartei erscheint eine Ausdehnung der Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes auf sämtliche vertraglichen Ansprüche auch nicht naheliegend, geschweige denn zwingend. Im Gegenteil ist angesichts der Tatsache, dass das höchste spanische Gericht im Rahmen der Rechtsprechung eine Durchbrechung des die gesamte spanische Rechtsordnung durchziehenden Grundsatzes der Relativität vorgenommen hat, bereits bei der Auslegung und Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes durch die Rechtsprechung, erst recht aber bei einer Ausdehnung äußerste Zurückhaltung geboten. Der Forderung der Klagepartei an das hiesige (deutsche) Gericht, die Entscheidungen des Tr. S. in ihrem Sinne (erweiternd) auszulegen, ist im Übrigen – soweit erkennbar – bislang auch noch kein einziges spanisches Gericht nachgekommen. Auch die spanischen Gerichte vertreten damit ganz offensichtlich nicht die im Rahmen des hiesigen Verfahrens geäußerte Rechtsauffassung der Klagepartei.
2.2 Kein Anspruch auf Rückabwicklung auf Grundlage eines Schadensersatzanspruchs
130
Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit das spanische Recht überhaupt die Möglichkeit bietet, auf Grundlage desselben Lebenssachverhalts sowohl außervertragliche als auch vertragliche Ansprüche geltend zu machen (verneinend: Gutachten vom Januar 2023, Seite 43 unter VII. Nrn. 140ff; Gutachten vom 10.03.2021 Seite 63ff Nrn. 168ff unter Hinweis auf die Rechtspr. des Tr. S.).
131
Der von der Klägerseite geltend gemachte Rückgewähranspruch kann jedenfalls nach spanischem Recht nicht auf deliktsrechtlicher Grundlage erhoben werden, da das spanische Deliktsrecht – anders als das deutsche Deliktsrecht – zwar keine Beschränkung im Hinblick auf den zu ersetzenden Schaden kennt, der (ungewollte) Vertragsschluss aber anders als im deutschen Recht keinen ersatzfähigen Schaden darstellt (Gutachten vom 14.05.2021, Seite 50).
132
Der Rückabwicklung auf Grundlage eines Schadensersatzanspruchs steht auch entgegen, dass das spanische Recht einen Schadensersatzanspruch, der die vor dem Schadensereignis bestehende Sach- und Rechtslage durch Rückabwicklung eines Vertragsverhältnisses wiederherstellt, nicht kennt. Ein verbindlicher Vertrag kann nicht durch Ansprüche mit strikt kompensatorischen Gehalt aufgehoben und rückgängig gemacht werden, weil ansonsten die im spanischen Recht bestehende Trennung zwischen der Rückabwicklung in Folge der Nichtigkeit, Unwirksamkeit oder Auflösung des Vertrags einerseits und Ersatz der aufgrund Nichterfüllung entstandenen Schäden andererseits aufgehoben würde. Im Ergebnis würden damit die speziellen Voraussetzungen der Nichtigkeit/Unwirksamkeit bzw. Auflösung des Vertrags umgangen (Gutachten vom 14.05.2021, Seite 50 – Blatt 282 der Akte; Gutachten vom 20.11.2022, Seite 38 Ziffer 40; Gutachten vom 10.03.2021, Seite 37 Ziffer 90ff und Seite 82 Ziffer 244; Gutachten von Janauar 2023, Seite 47 Ziffer 157).
133
Dies gilt gleichermaßen für vertragliche, wie außervertragliche Schadensersatzansprüche.
2.3 Kein Anspruch nach dem Verbraucherschutzgesetz
134
Entgegen der Auffassung der Klägerseite rechtfertigen die Vorschriften des Verbraucherschutzgesetzes den Rücktritt vom Vertrag mit der Folge der von ihm beantragten Rückabwicklung der erbrachten Leistungen ebenfalls nicht.
2.3.1 Anwendbare Vorschriften
135
Im vorliegenden Fall sind die Regelungen des spanischen Verbraucherschutzgesetzes (Texto Refundido de la Ley General para la defensa de los consumidores y usuarios – im folgenden TRLGDCU) in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung anzuwenden. Das Gericht geht hierbei davon aus, dass der spanische Gesetzgeber, der mit der ab 01.01.2022 geltenden Neufassung des Gesetzes die Warenkauf-Richtlinie (EU) 2019/771 vom 20.05.2019 umsetzen wollte, auch im Hinblick auf die intertemporale Bestimmung nicht von den vorgenannten Richtlinien abweichen wollte. Diese sieht die Anwendbarkeit der Regelungen für Sachverhalte ab 01.01.2022 voraus.
2.3.2 Kein Anspruch aus Artikel 121 TRLGDCU a. F.
136
Der von der Klägerseite geltend gemachte Rückabwicklungsanspruch kann nicht auf Artikel 121 TRLGDCU a. F. gestützt werden. Zwar bestimmt Art. 121 Satz 1 a. F. TRLGDCU, dass dem Käufer das Recht, vom Vertrag zurückzutreten, zusteht, wenn dieser eine Nacherfüllung nicht verlangen kann oder in den Fällen, in denen die Nacherfüllung nicht innerhalb einer für den Verbraucher vernünftigen Frist oder ohne größere Unannehmlichkeiten für ihn vorgenommen worden ist.
137
Unstreitig ist die Klagepartei Verbraucherin im Sinne der vorgenannten Vorschrift. Nach Auffassung des Gerichts liegt mit der unzulässigen Abschalteinrichtung auch einen Sachmangel vor, der zur Anwendung der Produkthaftungsvorschriften berechtigt. Nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH handelt es sich auch bei dem unstreitig mit dem Softwareupdate aufgespielten Thermofenster um einen Mangel, welcher nicht geringfügig sein dürfte.
138
Es kann jedoch dahingestellt bleiben, inwieweit die weiteren Voraussetzungen für die Geltendmachung des Rücktrittsrechts nach Art. 121 Abs. 1 Satz 1 a. F. TRLGDCU gegeben sind. Es kann weiter dahingestellt bleiben, inwieweit die Klägerin ein ihr evtl. zustehendes Rücktrittsrecht bereits ausgeübt hat oder die Ausübung eines entsprechenden Rücktrittsrechts spätestens mit der Erhebung der Klage erfolgt ist.
139
Denn entgegen der klägerischen Auffassung kann die Ausübung eines Rücktrittsrechts gegenüber der Beklagten als Voraussetzung des geltend gemachten Rückabwicklungsanspruch nicht auf die vorgenannte Vorschrift gestützt werden, da insoweit eine Passivlegitimation der Beklagten nicht gegeben ist.
140
Die in Art. 121 a. F. TRLGDCU normierten Rechte des Käufers richten sich gegen den Verkäufer im Sinne des Art. 114 a. F. TRLGDCU. Hierunter ist unter Rückgriff auf die Definition in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (EWG 1999/44) die Person zu verstehen, die zu unternehmerischen Zwecken durch Vertrag einem Verbraucher ein Gut verkauft. Die Verkäuferstellung setzt damit unmittelbare vertragliche Beziehungen mit dem Verbraucher voraus, die im vorliegenden Fall gegenüber der Beklagten nicht gegeben sind. Entgegen der Auffassung der Klägerseite kommt im vorliegenden Fall auch eine analoge Anwendung der vorgenannten Vorschrift im Sinne eines Direktanspruchs gegenüber dem Hersteller nicht in Betracht.
141
Zwar hat der Tr. S. in den Urteilen vom 11.03.2020 bzw. 23.07.2021 Ausnahmen vom Grundsatz der Relativität eines Vertrags, wie er sich aus Art. 1257 CC ergibt, bei Verträgen im Automobilsektor zugelassen. Entgegen der Auffassung der Klägerseite erscheint es allerdings nicht angebracht, die hierzu ergangene Rechtsprechung, die sich ausdrücklich nur auf die dem Tr. S. vorgelegte Frage, ob Ansprüche nach 1101 CC auch gegenüber dem Hersteller geltend gemacht werden können, bezog, auf die Vorschriften des Verbraucherschutzgesetzes auszudehnen.
142
Auf die Ausführungen unter 2.1.2 wird Bezug genommen.
143
Darüber hinaus steht der von der Klägerseite vertretenen Sichtweise nach Auffassung der Kammer auch Art. 124 a. F. TRLGDCU entgegen. Diese Vorschrift sieht zwar einen Direktanspruch gegen den Hersteller vor, der allerdings subsidiär nur für den Fall, dass es dem Verbraucher und Nutzer unmöglich oder zu aufwendig ist, gegen den Verkäufer wegen der fehlenden Vertragsmäßigkeit der Produkte vorzugehen vor. Darüber hinaus steht dem Verbraucher auf Grundlage der vorgenannten Vorschrift lediglich das Recht auf Ersatzlieferung oder Nachbesserung des Produkts zu. Die Möglichkeit, auf Grundlage dieser Vorschrift den Rücktritt vom Vertrag zu verlangen, ist demgegenüber nicht gegeben. Die Annahme eines in Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes auf Grundlage von Art. 121 TRLGDCU aF behaupteten Rücktrittsrechts würde entgegen Art. 124 TRLGDCU aF der Klägerseite ein von der letztgenannten Vorschrift nicht umfasstes (Rücktritts-)Recht zusprechen und dieses an lediglich geringere Voraussetzungen knüpfen. Gegen die Annahme einer Anwendung der Rechtsprechung des Tr. S. spricht nach Auffassung der Kammer auch die Tatsache, dass das vom Tr. S. in den genannten Entscheidungen verwandte Argument, Art. 1257 CC müsse gemäß Art. 3 CC im Lichte der sozialen Gegebenheiten der Zeit, in welcher die Norm angewendet werde, ausgelegt werden, wohl im Verhältnis zu dem aus der Jahrtausendwende stammenden CC, nicht aber auf das aus dem Jahr 2007 stammende TRLGDCU anzuwenden ist.
2.4 Kein Anspruch aus Artikel 128 TRLGDCU a. F.
144
Die Klagepartei kann den von ihr geltend gemachten Rückzahlungsanspruch auch nicht auf Art. 128 TRLGDCU a. F. stützen. Der der Klagepartei hierdurch eingeräumte Schadensersatzanspruch ist nicht in der Lage, das Klageziel Rückerstattung des Kaufpreises zu erreichen (vergleiche 2.2). Eine Anwendung der vorgenannten Norm scheitert aber auch daran dass mit der vorgenannten Vorschrift Schäden ausgeglichen werden sollen, die sich nicht im Produkt selbst widerspiegeln.
145
2.5 Nebenansprüche zur Rückabwicklung Da ein Anspruch der Klagepartei auf Rückzahlung des Kaufpreises nicht besteht, ist über die Frage einer Verzinsung des Anspruchs auf Rückzahlung des Kaufpreises nicht zu entscheiden. Die Finanzierungskosten als Teil des geltend gemachten Rückabwicklungsanspruchs teilen das Schicksal des Hauptanspruchs.
3. Hauptantrag: Anspruch auf immateriellen Schadensersatz
146
Die Klägerin hat zur Überzeugung der Kammer nach spanischem Recht in Verbindung mit der Fortentwicklung desselben durch den Tr. S. in dessen Urteilen vom 11.03.2020 und vom 23.07.2021 einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gemäß Art. 1101 CC aufgrund des von der Beklagten als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu verantwortenden Umstandes, dass dieses über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Der Anspruch besteht jedoch nur in Höhe von 500,00 €, da die Klagepartei weitere Umstände, die für eine Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages sprechen, nicht dargetan hat.
3.1 Passivlegitimation der Beklagten
147
Obwohl es sich bei dem Anspruch nach Art. 1101 CC um einen vertraglichen Anspruch handelt, ist die Beklagte als Herstellerin vorliegend passivlegitimiert, auch wenn sie nicht Vertragspartnerin der Klagepartei ist.
148
Dies ergibt sich aufgrund der für die Kammer im Rahmen der Anwendung spanischen Rechts bindenden Rechtsprechung des Tr. S. (vgl. Gutachten vom 14.05.2021, Seite 12) in dessen Urteilen vom 11.3.2020 und 23.7.2021. In diesen hat der Tr. S. den in Art. 1257 CC verankerten Grundsatz der Relativität von Verträgen für den Kauf von Fahrzeugen bei Vertragshändlern im Hinblick auf einen möglichen (immateriellen) Schadensersatz für den nach Art. 1101 CC erhobenen Anspruch ausdrücklich aufgehoben und dies u.a. mit der besonderen Verbindung zwischen dem Hersteller, dem Vertragshändler und dem Käufer, sowie mit der Treue des Verbrauchers gegenüber der Automarke und dem Einfluss der Marke bei der Kaufentscheidung begründet. Eine Notwendigkeit für die vorgenommene Rechtsfortbildung wurde schließlich auf die massenhafte Betroffenheit von Fahrzeug-Erwerbern gestützt, die PKWs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen der Beklagten erworben hatten. Der oberste spanische Gerichtshof hat diesbezüglich weiter ausgeführt, dass zwischen dem Käufer und dem Hersteller trotz des Fehlens einer unmittelbaren vertraglichen Verbindung eine Reihe von rechtlich relevanten Beziehungen entstünden, hervorgerufen durch zusätzliche Herstellergarantien oder vom Hersteller konzipierte Werbeaussagen, so dass es zum Zwecke eines effektiven Verbraucherschutzes gerechtfertigt sei, in derartigen Konstellationen den Relativitätsgrundsatz zu durchbrechen und den Hersteller in das Vertragsverhältnis mit dem Käufer mit einzubeziehen. Die vorliegende Vertragsverletzung sei dem Hersteller zuzurechnen, da er durch sein Händlernetzwerk das Produkt in den Markt eingeführt habe, obwohl bestimmte technische Merkmale, die er selbst beworben habe, nicht erfüllt waren.
3.2 Anspruch nach Art. 1101 CC dem Grunde nach
149
Die Anspruchsvoraussetzungen des Art. 1101 CC sind vorliegend gegeben.
150
Der Wortlaut der Norm lautet
„Diejenigen, die sich bei der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten vorsätzlich, fahrlässig oder säumig verhalten oder die auf irgendeine Weise dem Inhalt der Verbindlichkeit zuwiderhandeln, sind zum Ersatz der verursachten Schäden und Nachteile verpflichtet“.
151
Auch hier hat sich das erkennende Gericht im Rahmen der Anwendung spanischen Rechts an den Ausführungen des Tr. S. zur entscheidenden Rechtsfrage zu orientieren.
3.2.1 Verletzung einer vertraglichen Verbindlichkeit und Zurechnung
152
Der Einsatz einer verbotenen Motorsteuerungssoftware im Motorenaggregat EA189 stellt eine Vertragsverletzung im Sinne des Art. 1101 CC dar.
153
Eine Vertragsverletzung im vorgenannten Sinn ist dann gegeben, wenn der Schuldner gegen eine vertragliche, vor dem schädigenden Ereignis existierende Verbindlichkeit verstößt und dadurch das Gläubigerinteresse verletzt. Auf den Inhalt der vertraglich übernommenen Verpflichtung kommt es dabei ebenso wenig an wie auf den Grad der Verletzung oder dessen Auswirkungen auf das Gläubigerinteresse. Die Vorschrift erfasst damit neben dem ausdrücklich genannten Verzug insbesondere auch fehlerhafte Leistungen.
154
Es liegt eine Verletzung einer vertraglichen Verbindlichkeit vor, weil das streitgegenständliche, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtungen versehene Kraftfahrzeug „nicht die technischen Merkmale aufwies, mit denen es vom Hersteller selbst öffentlich angeboten wurde“ (Urteil des Tr. S. vom 11.03.2020, Nr. 167/2020, Erwägungsgründe VIERTENS Ziffer 16, Urteil des Tr. S. vom 23.07.2021, Nr. 561/2021, Erwägungsgründe FÜNFTENS Ziffer 1 iii).
155
Die Vertragspflichtverletzung ist der Beklagten aufgrund der vorstehenden Überlegungen zur Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes (vgl. 3.1) auch zurechenbar (Urteil des Tr. S. vom 11.03.2020, Nr. 167/2020, Erwägungsgründe VIERTENS Ziffer 14).
156
Hierbei bleibt die Tatsache, dass nicht die Beklagte, sondern die VW AG Herstellerin des im streitgegenständlichen Kraftfahrzeug verbauten Motorenaggregats war, unberücksichtigt. Der Umstand, dass der Motor von einem anderen Unternehmen hergestellt wurde, lässt die Herstellereigenschaft der Beklagten für das von der Klägerin erworbene Kraftfahrzeug nicht entfallen. Der Klägerin kann es demgegenüber nicht zugemutet werden, im Rahmen der Geltendmachung ihrer Rechte mit einer aufwändigen Datenrecherche die Herstellereigenschaft für einzelne Bestandteile des von ihr gekauften Fahrzeugs zu klären (Tr. S. für den Fahrzeughersteller SEAT S. A., Urteil vom 11.03.2020, Nr. 167/2020, Erwägungsgrund VIERTENS Ziffer 14).
157
Auch eine mögliche Haftungsübernahme durch die VGED/VAESA lässt die Möglichkeit, daneben auch die Beklagte in Anspruch zu nehmen, unberührt.
158
Nach den maßgeblichen Feststellungen des Tr. S. handelte die Beklagte dabei vorsätzlich (vgl. Urteil vom 23.7.2021), weshalb sie grundsätzlich auch für immaterielle Schäden haftet.
3.2.2 Entstehung eines Schadens
159
Die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs setzt die Entstehung eines von der Nichterfüllung zu unterscheidenden, durch diese verursachten (materiellen oder immateriellen) Schadens voraus, für den grundsätzlich den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast trifft (u.a. Gomez-Pomar, Gutachten vom 21.09.2022 Seite 22 Rz. 61 (iv) unter Hinweis auf das Urteil des Tr. S. vom 02.07.2019, Nummer 382/2019). Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn der dem Schadensersatz zugrunde liegende Verstoß zu einem Schaden in re ipsa führt.
3.2.2.1 Immaterieller Schaden nach der re in ipsa-Regel
160
Das Gericht geht mit den Parteien auf Grundlage der Rechtsprechung des Tr. S., wie sie den Urteilen vom 11.03.2020 und 23.07.2021 zu entnehmen ist, davon aus, dass der Klagepartei ein kausaler immaterieller Schaden entstanden ist.
161
Dieser ergibt sich unter Anwendung der „in re ipsa“-Regel, die der Tr. S. in den vorgenannten Urteilen nach Auffassung der Kammer in Fällen wie dem vorliegenden ausdrücklich für anwendbar erklärt hat, „da die Verwendung einer illegalen Software einen Vertragsbruch darstellt, der einen immateriellen Schaden ex ipsa nach sich zieht.“ (Urteil von 23.07.2021 Entscheidungsgrund SECHSTENS Ziffer 3.).
162
Dieser wird verursacht „durch die Ungewissheit und das Unbehagen, die sich daraus ergeben, dass im Rahmen eines schweren öffentlichen Skandals festgestellt worden ist, dass das von ihm gekaufte Fahrzeug mit einer illegalen Vorrichtung ausgestattet war, die die Ergebnisse der Typgenehmigungsprüfung des Fahrzeugs hinsichtlich der Schadstoffemissionen verfälschte, mit ungewissen Folgen (Auswirkungen des am Fahrzeug vorzunehmenden Eingriffs, steuerliche Sanktionen, Möglichkeit der Entziehung der Betriebserlaubnis, weil das Fahrzeug aufgrund der nach Ar. 5.1. der VO 715/2007 verbotenen Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspricht, die Möglichkeit, den Zugang zu bestimmten städtischen Gebieten zu beschränken usw.), wobei zu berücksichtigen ist, dass es für einen Autokäufer wichtig ist, sicher zu sein, dass er nicht – auch nicht vorübergehend – seiner Nutzung beraubt oder auf bestimmte Gebiete beschränkt wird.“
163
Die Klägerseite muss also in Fällen der vorliegenden Art das Bestehen eines immateriellen Schadens nicht beweisen. Allein aus dem Beweis der Nichterfüllung des Vertrags folgt das Bestehen eines (dadurch verursachten) immateriellen Schadens (Gutachten vom 24.02.2023, Seite 24).
164
In seinem Urteil vom 23.07.2021 führt der Tr. S. ferner aus, dass im Falle einer arglistigen Vertragsverletzung – welche im Falle des Verbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen in PKWs vorliegenden gegeben sei – dem Hersteller diese zugerechnet werde und er zudem gemäß Art. 1107 CC nicht nur für vorhersehbare Schäden hafte, sondern auch für solche, die sich „bekanntermaßen aus der Nichterfüllung ergeben“ (vgl. Urteil des Tr. S. vom 23.7.2021, Entscheidungsgrund SIEBTENS Ziffer 6).
3.2.2.2 Kein Wegfall der Vermutungswirkung
165
Zu Unrecht beruft sich die Beklagtenseite darauf, dass die Klägerseite einen immateriellen Schaden nicht (ausreichend) nachgewiesen habe, weil die re in ipsa Regel in vorliegendem Fall keine Anwendung finde. Die von der Beklagtenseite für die von ihr vertretene Auffassung bemühte Notwendigkeit eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Bekanntwerden der unzulässigen Abschalteinrichtung und dem Einreichen einer Klage auf Ersatz immateriellen Schadens (Schriftsatz vom 01.09.2023, Seite 2 bzw. 9, Blatt 918 bzw. 925 der Akte) besteht nicht.
166
Dem Wortlaut der maßgeblichen Urteile des Tribunal Suprem nach lässt sich eine Einschränkung der ex re ipsa-Regel im Hinblick auf den von der Beklagtenseite in Anspruch genommenen zeitlichen Zusammenhang nicht entnehmen.
167
Es ist für das Gericht auch nicht nachvollziehbar, warum eine aus Sicht der Beklagtenseite verspätete Klageerhebung zu einem Wegfall der zugunsten der Klageseite streitenden Beweiserleichterung für regelmäßig in der Vergangenheit liegende immaterielle Schäden führen soll.
168
Dies gilt umso mehr, als es durchaus nachvollziehbare Gründe geben kann und mit dem Anschluss an das Strafverfahren, das eine parallele Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche ausschließt, in vorliegendem Fall auch ein nachvollziehbarer Grund dafür vorliegt, warum die geschädigten Käufer zunächst davon abgesehen haben, gegen die Beklagte eine gesonderte Zivilklage zu erheben.
169
Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der aus Sicht des Schuldners verspäteten Geltendmachung von Ansprüchen typischerweise über die Rechtsinstitute der Verjährung bzw. der Verwirkung in ausreichendem Maße Rechnung getragen wird.

(Schriftsatz vom 01.09.2023 Seite 9, Blatt 925 der Akte)

170
Die von der Beklagtenseite für ihre Rechtsmeinung in Anspruch genommenen einzelnen Urteile 1. Instanz sind für das erkennende Gericht nicht maßgeblich.
171
Hierbei kann dahingestellt bleiben, inwieweit überhaupt einzelne erstinstanzliche Entscheidungen für das Gericht bei der Anwendung des spanischen Rechts eine maßgebliche Wirkung entfalten, ihnen insbesondere die von der Beklagten behauptete „Rechtsprechungstendenz“ zugesprochen werden kann.
172
Sämtliche von der Beklagtenseite zitierten Entscheidungen messen der Klageerhebung im Jahr 2016 in dem vom Tr. S. am 23.07.2021 entschiedenen Fall zu Unrecht eine maßgebliche Bedeutung für die Anwendung der re in ipsa-Regel bei und schlussfolgern aus der bei Ihnen erst nach Jahren erfolgten Klageerhebung deren Nichtanwendbarkeit. Demgegenüber kann dem Urteil des Tr. S. der Zeitpunkt der Klageerhebung als weitere Voraussetzung für die Anwendung der re in ipsa-Regel nicht entnommen werden.
173
Der Tr. S. beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die Feststellung:
„Diese Doktrin ist auf den vorliegenden Fall anwendbar, da die Verwendung einer illegalen Software einen Vertragsbruch darstellt, der einen immateriellen Schaden ex ipsa nach sich zieht.“ (Urteil von 23.07.2021 Entscheidungsgrund SECHSTENS, Punkt 3 am Ende). und
„Der immaterielle Schaden, den der Kläger erlitten hat, ist nicht so sehr dadurch verursacht worden, dass die tatsächlichen Schadstoffemissionen bestimmte Grenzwerte überschritten hat, sondern durch die Ungewissheit und das Unbehagen, die sich daraus ergeben, dass im Rahmen eines schweren öffentlichen Skandals festgestellt worden ist, dass das von ihm gekaufte Fahrzeug mit einer illegalen Vorrichtung ausgestattet war, die die Ergebnisse der Typgenehmigungsprüfung des Fahrzeugs hinsichtlich der Schadstoffemissionen verfälschte, mit ungewissen Folgen (Auswirkungen des am Fahrzeug vorzunehmenden Eingriffs, steuerliche Sanktionen, Möglichkeit der Entziehung der Betriebserlaubnis, weil das Fahrzeug aufgrund der nach Artikel 5.1 der Verordnung 715/2007 verbotenen Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspricht., die Möglichkeit, den Zugang zu bestimmten städtischen Gebieten zu beschränken usw.), wobei zu berücksichtigen ist, dass es für einen Autokäufer wichtig ist, sicher zu sein, dass er nicht – auch nicht vorübergehend – seiner Nutzung beraubt oder auf bestimmte Gebiete beschränkt wird.“ (Urteil vom 23.07.2021, Entscheidungsgrund SIEBTENS, Punkt 3).
174
Die vorgenannten Urteile lassen sich nach Auffassung des Gerichts aber auch bereits deswegen nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, weil die Klagepartei sich bereits im Jahr 2017 über die FACUA dem Strafverfahren angeschlossen hatte.
3.3 Schadenshöhe
175
Die Höhe des der Klägerin zustehenden Schadensersatzanspruchs wegen immaterieller Schäden bemisst das Gericht mit 500 €.
3.3.1 Pauschaler Schadensbetrag
176
Das Gericht legt seiner Auffassung das Verständnis der Rechtsprechung des Tr. S. dahingehend zugrunde, dass dieser für den von ihm angenommenen immateriellen Schaden aufgrund der allgemein vorliegenden Besorgnis der betroffenen Autokäufer auf Grundlage der re in ipsa-Regel von einer pauschalen Entschädigungssumme in Höhe von 500 € ausgeht.
177
Zwar hat sich der Tr. S. ausdrücklich zur Höhe des zuzubilligenden Schadensersatzes wegen eines immateriellen Schadens nur im Urteil vom 23.07.2021 geäußert, da die Höhe des Schadenersatzanspruchs in dem dem Urteil vom 11.03.2020 zugrunde liegenden Verfahren nicht zur Überprüfung durch den Tr. S. gestellt wurde. Er hat sich dort aber ausdrücklich zur Höhe des Schadenersatzanspruchs geäußert und diesem die regelmäßig bei sämtlichen betroffenen Fahrzeugkäufern vorliegenden und deshalb auch von ihm zur Grundlage der re in ipsa-Regel gemachten Befindlichkeiten (Ungewissheit und Unbehagen) zugrunde gelegt, für die er den Betrag von 500 € als „angemessen“ erachtete.
178
Nach Auffassung des Gerichts kommt demgegenüber dem vom Tr. S. in dem vorgenannten Urteil angesprochenen Kriterium des Fahrzeugalters (Urteil vom 23.07.2021 Entscheidungsgrund SIEBTENS Ziffer 8) bei der Bemessung der Schadenersatzhöhe keine eigenständige unmittelbare Bedeutung zu. Die Nutzungsdauer wurde vom Tr. S. lediglich in Zusammenhang mit den Erwartungen des Käufers und dessen Unsicherheiten als Grundlage des Schadensersatzanspruchs thematisiert. Es wurde zudem in dem genannten Urteil lediglich zur Begründung für die Einschätzung des dort geltend gemachten Schadens als „offensichtlich unverhältnismäßig“ angeführt.
179
Das Gericht sieht es sich in seinem Verständnis auch durch die Handhabung der spanischen (Ober-) Gerichte bestätigt. Diese haben nach dem Urteil des Tr. S. in mehreren Fällen Schadenersatz für immateriellen Schaden in Höhe von 500 € zugesprochen, ohne dessen Höhe näher zu begründen (vergleiche Gutachten vom 24.02.2023, Seite 27).
3.3.2 Kein Abweichen vom Pauschalbetrag
3.3.2.1 Grundsätzliche Möglichkeit
180
Das Gericht geht zwar davon aus, dass die vorgenannte Rechtsprechung ihm die Möglichkeit einräumt, von dem vorgenannten Entschädigungsbetrag abzuweichen und die Höhe des Ersatzanspruchs für immateriellen Schaden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach billigem Ermessen zu bestimmen (so auch Gutachten vom 24.02.2023 Seite 25, Gutachten vom 21.09.2022, Seite 23f)). Es sieht im vorliegenden Fall aber keine Veranlassung, aufgrund der von den Parteien dargelegten und bewiesenen Umstände von dem oben genannten Pauschalbetrag abzuweichen.
3.3.2.2 Fahrzeugalter kein Kriterium
181
Soweit die Klägerseite eine Erhöhung des Schmerzensgeldbetrags auf 2000 € unter Bezugnahme auf das Fahrzeugalter bzw. die restliche Nutzungsdauer bei Bekanntwerden abstellen möchte, ist das Kriterium der Lebensdauer wie oben dargestellt für sich alleine nicht geeignet, einen gegenüber dem Standardfall größeren immateriellen Schaden und einen dadurch höheren Schadenersatzbetrag zu rechtfertigen. Dies gilt nach Auffassung des Gerichts umso mehr, als mit dem Angebot eines Software-Updates durch die Beklagte und der Ausgestaltung als „freiwillige Maßnahme“ durch das zuständige Ministerium die Grundlagen der vom Tr. S. festgestellten Besorgnisse/Unsicherheiten für alle Fahrzeugeigentümer unabhängig von der restlichen Nutzungsdauer (weitgehend) entfallen war.
3.3.2.3 Keine Erhöhung aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen
182
Soweit sich die Klagepartei zur Rechtfertigung eines höheren Ersatzbetrags auf körperliche Beeinträchtigungen beruft und hierbei vorträgt, an Unwohlsein, Schlafproblemen und Kopfschmerzen gelitten zu haben, bleibt sie damit erfolglos. Das klägerische Vorbringen, das in diesem wie in Dutzenden gleich gelagerten Fällen vor dem erkennenden Gericht unter Verwendung von Textbausteinen vorgetragen wird, lässt bereits jegliche Substantiierung vermissen, die es dem Gericht erst ermöglichen würde, von der pauschalen Schadenssumme zugunsten der Klägerseite abzuweichen.
183
Die genannten körperlichen Beeinträchtigungen nehmen nach Auffassung des Gerichts auch an der Beweiserleichterung der re in ipsa-Regel nicht teil, weil sie keine natürlichen, zwangsläufigen oder unvermeidbaren Folgen der Nichterfüllung (vergleiche Ergänzungsgutachten Seite 28 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Tr. S., Urteil Nummer 692/2008) sind.
184
Das Gericht geht im Übrigen mit der Beklagtenseite davon aus, dass sich die pauschal behaupteten körperlichen Beeinträchtigungen weder mit dem uneingeschränkten Nutzungsverhalten der Klägerin noch mit deren Aussage in ihrer Anhörung, sie wisse nicht, ob sie das Fahrzeug behalten wolle oder nicht, in Einklang bringen lassen.
3.3.2.4 Keine Erhöhung wegen des Umweltbewusstseins
185
Dies gilt auch für das von der Klägerseite pauschal behauptete Umweltbewusstsein der Klägerin (Schriftsatz vom 22.05.2023 Seite 32, Blatt 751 der Akte), das damit ebenso wenig geeignet ist, eine höhere Schadenersatzsumme zu rechtfertigen. Die von der Klägerseite hierbei im Rahmen ihrer Befindlichkeit vorgenommene Differenzierung zwischen der Belastung von Umwelt und Dritten mit zulässigen und unzulässigen Mengen gesundheitsschädlichen Stickoxids ist für das Gericht nicht nachvollziehbar.
186
Auch die Berufung auf einzelne Urteile, in denen Entschädigungssummen über den Pauschalbetrag von 500 € zugesprochen wurden (Schriftsatz vom 22.05.2023, Seite 29ff, Blatt 748ff der Akte), vermag der Klägerseite hinsichtlich eines über diesen Betrag hinausgehenden Schadenersatzbetrags nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Bezugnahme entbindet die Klägerseite nicht von der Notwendigkeit, im vorliegenden Fall konkrete Umstände darzulegen und zu beweisen, aufgrund derer ein von der Pauschalsumme abweichender Betrag zuzusprechen ist.
3.4 keine Verjährung eingetreten
187
Der Anspruch der Klagepartei auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 1101 CC ist nicht verjährt, weil der Verjährungseintritt durch die Einreichung der Klage unterbrochen wurde.
3.4.1 Unterbrechungswirkung der Klage für sämtliche Ansprüche
188
Das Gericht legt seine Auffassung die Annahme zugrunde, dass bereits mit der ursprünglichen, lediglich auf Rückabwicklungsansprüche gerichteten Klage die Verjährung hinsichtlich sämtlicher streitgegenständlichen Ansprüche, auch soweit diese erst im laufenden Verfahren erhoben wurden, unterbrochen wurde.
189
Das Gericht legt hierbei die Rechtsprechung des Tr. S. zugrunde, derzufolge die Verjährung auf dem Verzicht oder der Nachlässigkeit bezüglich der Geltendmachung eigener Ansprüche beruht und deren Annahme damit restriktiv zu handhaben ist, während die Unterbrechungsgründe auszulegen sind, um der Durchsetzung des Anspruchs und den damit verfolgten Interessen des Anspruchsinhabers Genüge zu tun (vergleiche Gutachten vom 21.05.2021, Seite 17 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Tr. S. mit zahlreichen Nachweisen in Fußnoten 34 und 36 – Blatt 249 der Akte).
190
Demzufolge erfolgt eine Verjährungsunterbrechung dann, wenn der Anspruchsinhaber ein Verhalten an den Tag legt, das von dem Anspruchsgegner nur dahingehend interpretiert werden kann, dass er sich die ihm zustehenden Ansprüche erhalten möchte. Auch das Rechtsverhältnis, auf dem die Ansprüche beruhen, muss hinreichend individualisiert werden.
191
Die Voraussetzungen hierfür sieht das Gericht mit der Klageerhebung als gegeben. Die Klägerseite hat nach Auffassung des Gerichts damit zum Ausdruck gebracht, dass sie sämtliche ihr zustehenden (Schadensersatz-)Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Kauf des mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen Pkw aufrecht erhalten möchte. Die Unterbrechungswirkung wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die Ansprüche zunächst unzutreffenderweise auf deutsches Recht gestützt wurden und im Nachhinein eine Konkretisierung hinsichtlich des immateriellen Schadenersatzes gefunden haben.
3.4.2 Verjährungsbeginn nach dem 07.10.2015 – Art. 1964 CC n. F.
192
Der Verjährungsbeginn ist in Art. 1969 CC geregelt und tritt an dem Tag ein, an dem die Ansprüche ausgeübt werden können. Die Sachverständige Dr. führt in ihrem Gutachten vom 14.05.2021 (dort S. 15 – Blatt 247 der Akte) aus, dass Zeitpunkt, in dem der Anspruch ausgeübt werden kann, in Spanien einerseits der Tag, an dem die subjektive Rechtsverletzung erfolgte, diskutiert wird („Verletzungstheorie“ teoría de la lesión), andererseits der Tag, an dem der Anspruch nicht erfüllt wurde („Erfüllungstheorie“, teoría de la insatisfacción). Dieser Meinungsstreit spielt vorliegend jedoch keine Rolle, da nach den weiteren Ausführungen der Sachverständigen nach der Rechtsprechung des Tr. S. jedenfalls die mögliche Ausübung eines Anspruchs von seiner objektiven Erkennbarkeit durch den Anspruchsträger abhängt.
193
Das Gericht ist der Ansicht, dass eine Geltendmachung des streitgegenständlichen Anspruchs frühestens ab dem 15.10.2015 möglich war, als das Kraftfahrtbundesamt eine Verletzung von Art. 3 Nr. 10 der VO 715/2007 EG festgestellt hat. Frühestens ab diesem Zeitpunkt stand eine Einschränkung der Fahrzeugnutzung als Grundlage eines immateriellen Schadensersatzanspruchs im Raum.
194
Die Gutachterin weist in ihrem Gutachten vom 14.05.2021 (dort S. 35) darauf hin, dass die Verjährungsfristen des CC im Jahr 2015 reformiert wurden. Während bis zum 06.10.2015 die allgemeine Verjährungsfrist fünfzehn Jahre betrug, beträgt nach Art. 1964 CC n.F. die neue Verjährungsfrist nur noch fünf Jahre. Für Ansprüche, die vor dem 07.10.2015 entstanden sind, wurde die Übergangsvorschrift des Art. 1939 CC geschaffen, wonach auf Ansprüche, die vor dem 07.10.2015 entstanden sind und zwischen dem 07.10.2015 und der Geltendmachung der Ansprüche nach neuem Recht nicht verjährt sind, die alten Verjährungsfristen anzuwenden sind. Ferner müssen aufgrund der Hemmung der Verjährungsfristen durch die 4. Zusatzbestimmung des königlichen Dekrets 463/2020 in Verbindung mit Art. 10 des königlichen Dekrets 537/2020 im Hinblick auf die Covid-Pandemie eine Hemmung der Verjährungsfristen vor, die vor dem 14.03.2020 begonnen haben (vgl. Gutachten Dr. vom 14.05.2020, dort S. 19) diesem Datum 82 Kalendertage hinzugefügt werden.
195
Dies führt nach der Übergangsregelung des am 05.10.2015 erlassenen und am 07.10.2010 in Kraft getretenen Gesetzes 42/2015 in Verbindung mit Art. 1939 CC dazu, das auf die immateriellen Schadensersatzansprüche die 5-jährige Verjährungsfrist des Art. 1964 CC n. F. anzuwenden ist. Ferner müssen aufgrund der Hemmung der Verjährungsfristen durch die 4. Zusatzbestimmung des königlichen Dekrets 463/2020 in Verbindung mit Art. 10 des königlichen Dekrets 537/2020 im Hinblick auf die Covid-Pandemie dem Verjährungsende für Verjährungsfristen, die vor dem 14.03.2020 begonnen haben (vgl. Gutachten Dr. vom 14.05.2020, dort S. 19) 82 Kalendertage hinzugefügt werden.
196
Die Klageerhebung ist damit in noch offener Verjährungsfrist erfolgt und hat diese unterbrochen.
3.4.3 Verjährungsbeginn vor dem 07.10.2015 – Art. 1964 CC a. F.
197
Nichts anderes würde gelten, wenn man – entgegen der Auffassung des erkennenden Gerichts – davon ausgehen wollte, dass bereits vor dem 07.10.2015, beispielsweise mit der Ad-hoc-Mitteilung der VW AG vom 22.09.2015 eine objektiv aussichtsreiche Geltendmachung der Ansprüche durch die Klagepartei möglich gewesen wäre.
198
In diesem Fall wäre aufgrund der Übergangsregelung in Verbindung mit Art. 1939 CC von einem Verjährungsende zum 28.12.2020 auszugehen (vgl. Gutachten Dr. vom14.05.2021, Seite 36 – Bl. 268 der Akte).
3.4.4 Keine Verjährung bei Kenntnis 2016
199
Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass die Klagepartei nicht bereits im Jahr 2015 Kenntnis vom Schaden erlangt hat, sondern erst mit der von der Beklagten erfolgten persönlichen Benachrichtigung, welche diese nach unwidersprochenem Vortrag bis ca. Mitte 2016 an die betroffenen Fahrzeuginhaber versandte, würde sich der maßgebliche dies a quo nur nach hinten verschieben, so dass eine Verjährung umso weniger in Frage käme.
3.4.5 keine Relevanz des spanischen Strafverfahrens
200
Auf die Frage einer wirksamen Verjährungsunterbrechung durch den Anschluss der Klagepartei an das spanische Strafverfahren kommt es demnach vorliegend nicht mehr an.
3.5 Zinsanspruch
201
Der klägerische Anspruch ist wie tenoriert gemäß Art. 576 der spanischen Zivilprozessordnung ab dem Verkündungsdatum des vorliegenden Urteils zu verzinsen (vgl. Urteil des Tr. S. vom 23.7.21 Rz 10 S. 22). Wie auch im Urteil des Tr. S. hat die Klagepartei vorliegend einen erheblich überzogenen Klageantrag gestellt, so dass eine Verzinsung nach Art. 1101 und 1108 CC bereits ab Abschluss des Kaufvertrags nicht in Betracht kommt.
202
Die Zinshöhe entspricht nach Art. 1108 CC dem gesetzlichen Zinssatz und beträgt gemäß Art. 7 des Gesetzes Nr. 3/2004 über die Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr acht Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz.
Hilfsantrag 1:
4. Anspruch auf Rückabwicklung Zug um Zug
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Die unter 2. und 3. genannten Gründe stehen auch der hilfsweise beantragten Verurteilung Zug um Zug entgegen. Da eine Rückabwicklung nicht in Betracht kommt, befindet sich die Beklagte auch nicht im Annahmeverzug.
Hilfsantrag 2:
5. Schadensersatzanspruch
5.1 Zulässigkeit
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Die zulässige innerprozessuale Bedingung, dass ein Rückgewähranspruch nicht gegeben ist, ist eingetreten.
205
Soweit die Klagepartei mit dem Antrag einen immateriellen Schaden geltend macht, ist der Hilfsantrag unzulässig, da dieser bereits Gegenstand des Hauptantrags ist.
5.2 Begründetheit
5.2.1 Kein Anspruch auf Ersatz der Finanzierungskosten
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Die von der Klägerseite geltend gemachten Finanzierungskosten stellen keinen ersatzfähigen Schaden der Klägerseite dar. Die Finanzierung des Kaufpreises steht in keinem kausalen Zusammenhang zur Vertragsverletzung der Beklagten.
5.2.2 kein Anspruch auf sonstigen materiellen Schadensersatz
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Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf materiellen Schadensersatz, weil die nach allgemeinen Grundsätzen beweisbelastete Klägerseite unabhängig von der möglichen Anspruchsgrundlage den behaupteten materiellen Schaden nicht hinreichend dargelegt und bewiesen hat.
5.2.2.1 keine Anwendung der in re ipsa-Regel
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Entgegen der Auffassung der Klägerseite kann diese sich für den Nachweis eines ihr entstandenen materiellen Schadens nicht auf die in re ipsa-Regel berufen.
209
Anders als zum immateriellen Schaden hat sich der Tr. S. in den Urteilen vom 11.03.2020 und 23.07.2021 nicht zur Anwendung der Beweiserleichterung auf materielle Schäden geäußert, weil diese nicht Gegenstand der Revision waren.
210
Entgegen der Auffassung der Klägerseite liegen die Voraussetzungen für die Anwendung der Beweiserleichterung „in re ipsa“ im streitgegenständlichen Fall für materielle Schäden nicht vor.
211
Die Kammer geht hierbei im Grundsatz davon aus, dass es sich bei der vorstehenden Beweiserleichterung um eine Ausnahme zur grundsätzlich bestehenden Darlegungs- und Beweislast der Klägerseite als Geschädigter handelt, die lediglich restriktiv zu handhaben ist und einer Rechtfertigung bedarf.
212
Diese sieht das Gericht entsprechend der Handhabung des Tr. S. dann als gegeben an, wenn ein Sachverhalt vorliegt, in dem die Existenz eines Schadens die „natürliche, zwangsläufige und unvermeidbare Folge der Nichterfüllung ist oder es sich um unbestreitbare, offenkundige oder eindeutige Schäden handelt“ (Urteil des TS Nr. 692/2008 zitiert nach Gutachten vom 24.02.2023, Seite 28, Blatt 672).
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Nach Auffassung des Gerichts liegen diese Voraussetzungen für die Annahme der Beweiserleichterung nach der in re ipsa-Regel im streitgegenständlichen Fall nicht vor. Die Tatsache, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über die gesamte Zeit seit seinem Kauf der Klägerseite uneingeschränkt zur Nutzung zur Verfügung stand und die bestehenden Genehmigungen in Spanien zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt wurden, steht der Annahme eines offenkundigen oder eindeutigen Schadens sowohl im Zeitpunkt des Kaufs bis zum Zeitpunkt der Entscheidung entgegen.
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Die von der Klägerseite für sich in Anspruch genommene Beweiserleichterung kann auch nicht darauf gestützt werden, dass sich die Klägerseite im vorliegenden Fall unverhältnismäßigen Schwierigkeiten bei der Bezifferung des ihr entstandenen Schadens ausgesetzt sieht. Hierfür ist nach Auffassung des Gerichts nicht ausreichend, dass die Klägerseite zu Bezifferung des Schadens gegebenenfalls ein außergerichtliches Schadensgutachten einholen muss.
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Dies wird von der Klägerseite offensichtlich ebenso gesehen, da diese eine konkrete Bezifferung unter Bezugnahme auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten angekündigt hat.
216
Entgegen der Auffassung der Klägerseite kann auch das Urteil der Audiencia Provincial Madrid vom 01.07.2019 Nummer 301/2019 nicht zur Begründung der Anwendung der re in ipsa-Regel herangezogen werden. Mit der Beklagtenseite geht das Gericht davon aus, dass es sich insoweit um eine nicht an den Vorgaben des Tr. S. für die Anwendung der re in ipsa-Regel orientierte und damit unzutreffend begründete Einzelfall-Entscheidung handelt.
5.2.2.2 Konkreter materieller Schaden nicht dargelegt
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Soweit sich die Klägerseite für ihre Behauptung, einen materiellen Vermögensschaden erlitten zu haben, darauf beruft, dass das ihr im Rahmen des Kaufvertrags übereignete Fahrzeug weniger wert gewesen sei, als der von ihr bezahlte Kaufpreis ist sie einen konkreten Sachvortrag sowohl im Hinblick auf den Eintritt eines Schadens als solchen, als auch auf dessen Höhe schuldig geblieben. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob der Schadensersatzanspruch auf Ansprüche nach dem CC, TRLDGCU oder Wettbewerbsrecht gestützt wird.
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Die Klägerseite beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die Feststellung, den Kaufpreis für ein der Euro 5-Norm entsprechendes Fahrzeug bezahlt zu haben, während sie lediglich ein der Euro 4 Norm entsprechendes Fahrzeug bekommen habe. Die Differenz zwischen dem Wert des Fahrzeugs, den sie zunächst im Rahmen ihres Rückübereignungsverlangens mit 0 beziffert hat (vergleiche Schriftsatz vom 27.09.2020, Seite 18 – Blatt 195 der Akte) und dem von ihr bezahlten Kaufpreis sieht sie als den ihr entstandenen Schaden. Diesen hat sie bislang nicht beziffert, sondern eine Bezifferung unter Hinweis auf ein in Spanien in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten lediglich in Aussicht gestellt (vergleiche Schriftsatz vom 20.12.2021, Seite 36 – Blatt 406 der Akte).
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Mit ihrem Sachvortrag ist die Klägerseite die Darlegung eines konkreten Schadens schuldig geblieben. Dieser bietet auch keine Veranlassung, das als Beweis angebotene Sachverständigengutachten einzuholen. Die Annahme der Klägerseite erweist sich bereits im Ausgangspunkt insofern als falsch, als die Klägerin im Rahmen des streitgegenständlichen Kaufvertrags ein technisch sicheres, jederzeit fahrbereites und keinerlei durch die unzulässigen Abschalteinrichtung bedingten Nutzungsbeschränkungen unterliegendes Kraftfahrzeug erhalten hat, das nach der Abgasnorm Euro 5 genehmigt war und nach wie vor genehmigt ist. Die Genehmigung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs ist von der für die Beklagte allein zuständigen Genehmigungsbehörde, dem spanischen Industrieministerium, bislang zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt worden. Die Genehmigung ist anders als in Deutschland auch nicht mit einer gesetzlichen Nebenbestimmung in Form einer Verpflichtung, das von der Beklagten angebotene Software-Update aufspielen zu lassen, versehen worden. Ein konkreter Schaden ist der Klägerseite damit bislang nicht entstanden.
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Dieser kann nach Auffassung des Gerichts auch nicht durch das zuletzt ergangene Urteil des VG Schleswig begründet werden, das den entsprechenden Feststellungsbescheid des KBA im Hinblick auf das im Update enthaltene Softwarefenster beanstandet hat. Auch insoweit liegt ein konkreter Schaden der Klägerseite nicht vor, da dieses nicht rechtskräftige Urteil die Genehmigungslage für die Klägerseite in Spanien völlig unberührt lässt und das Kraftfahrtbundesamt, als Behörde, die zunächst tätig werden müsste, darauf hingewiesen hat, dass es keine Veranlassung sieht, von seiner bisherigen Genehmigungspraxis abzuweichen.
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Auch die Berufung der Klägerseite auf eine Minderung des Wiederverkaufswerts ist nicht geeignet, einen ihr entstandenen konkreten materiellen Schaden zu begründen. Es erscheint bereits im Ausgangspunkt fraglich, ob angesichts des fehlenden Sachvortrags zu einem tatsächlich erfolgten oder bevorstehenden Wiederverkauf mit entsprechenden Einbußen überhaupt ein ersatzfähiger Schaden vorliegt oder es sich insoweit lediglich um einen bislang im Vermögen der Klägerseite nicht realisierten, nach spanischem Recht nicht ersatzfähigen hypothetischen Schaden handelt.
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Der Sachvortrag der Klägerseite entbehrt jedenfalls jeglichen Sachvortrags dazu, weshalb die Klägerseite angesichts der uneingeschränkten rechtlichen und tatsächlichen Einsatzmöglichkeit von einem Wertverlust des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs ausgeht und ob dieser nach wie vor besteht. Hierzu hätte zumindest nach dem als qualifizierten Parteivertrag der Beklagten zu wertenden Gutachten der Firma Deloitte Anlass bestanden, wonach eine empirische Auswertung von Gebrauchtpreisen auf dem spanischen Markt im relevanten Zeitraum ergeben hat, dass das Bekanntwerden der sogenannten Diesel-Thematik keinen Einfluss auf das Kaufverhalten der Verbraucher in Spanien hatte und ein Preisverfall bei den Marken des VW-Konzerns nicht zu verzeichnen war.
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Zur Höhe des von der Klägerseite behaupteten materiellen Schadens mangelt es bislang an jeglichem Sachvortrag. Soweit sich die Klägerin für die Bemessung des materiellen Schadens auf die vergleichsweisen Regelungen zwischen den Geschädigten und der AG in dem vor dem Oberlandesgericht Braunschweig geführten Musterverfahren bezieht, handelt es sich um keine konkrete Schadensbezifferung, sondern um eine von der Klägerseite vorgenommene Ermessensausübung zur Feststellung der Schadenshöhe unter der Annahme, dass ein Schadensnachweis bereits nach der re in ipsa-Regel erfolgt sei.
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Die Klägerseite hat entgegen ihrer Ankündigung bislang auch das von ihr in Auftrag gegebene Privatgutachten (Schriftsatz vom 20.12.2021, Seite 36 – Blatt 409 der Akte) nicht vorgelegt.
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6. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Ersatz ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Die Kammer schließt sich der spanischen ständigen Rechtsprechung an, wonach ein Kostenerstattungsanspruch für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten regelmäßig nicht in Betracht kommt (so auch von Gessaphe, Gutachten vom 11.10.2022 Seite 94).
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Selbst wenn man von der Ersatzfähigkeit außergerichtlicher Kosten gemäß Art. 1106 CC ausgeht, liegt die hierfür erforderliche Verhältnismäßigkeit (vgl. Gutachten vom 14.05.2021, S. 51f.) nicht vor, nachdem in dem die Rechtfertigung für die Kosten bildenden außergerichtlichen Standardschreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin unzutreffenderweise von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgegangen und Ansprüche auf unzutreffender Rechtsgrundlage und in unzutreffender, deutlich übersetzter Höhe geltend gemacht wurden.
7. Nebenentscheidungen
Kosten: 92 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO
8. vorläufige Vollstreckbarkeit:
Klägerseite § 708 Nr. 11, 711
Beklagtenseite § 709 S. 1 und 3 ZPO.