Titel:
Erfolgloser Eilantrag auf Aufnahme in die 6. Jahrgangsstufe einer bestimmten Realschule
Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
BayEUG Art. 44 Abs. 1, Abs. 3
BayRSO § 2 Abs. 7, § 5 Abs. 1 S. 2
BaySchulBauV § 2 Abs. 1
Leitsätze:
1. Aus den Grundrechten des Schülers und seiner Eltern ergibt sich das grundsätzliche Recht, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der bestehenden Kapazität die konkrete einzelne Schule auszuwählen, die das Kind besuchen soll (Anschluss an VGH Mannheim BeckRS 2018, 23533). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Zugangsanspruch des einzelnen Bewerbers findet daher seine Grenze darin, dass eine effektive Unterrichtsgestaltung unter Beachtung allgemeiner pädagogischer Grundsätze möglich bleiben muss (Anschluss an OVG Lüneburg BeckRS 2003, 25123). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Regelungen der bayerischen Schulbauverordnung können als Anhalt dafür dienen, mit welchen Personenzahlen bereits vorhandene Klassenräume belegt werden können. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass für Schulplatzverteilung nur nachprüfbare Kriterien herangezogen werden, und dass das Interesse aller Schüler, die zu Beginn der Sommerferien noch ohne Schulplatz sind, an einer zeitnahen Entscheidung höher gewichtet wird als die Berücksichtigung des nicht zeitnah überprüfaren Kriteriums „Geschwisterkind“. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufnahme in eine bestimmte Realschule in der Jahrgangsstufe 6, Kapazität, Kriterien bei der Zuweisung durch die MB-Dienststelle, Realschule, Zugangsanspruch, Aufnahme, Klassenräume, Auswahlentscheidung, ADHS, Geschwisterkind
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30466
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 5.000,-- festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin, wohnhaft unter der Anschrift D.-Str. 44c, M., begehrt die Aufnahme in die Jahrgangstufe 6 der Städtischen R. …-Realschule, W. …mstr. …, 8... M. (im Folgenden: RH-Realschule), hilfsweise der Städtischen H. …-Realschule, H.str. 130, 8... M. (im Folgenden: HF-Realschule).
2
Die Antragstellerin besuchte im Schuljahr 2022/23 die Jahrgangsstufe 6 der staatlich anerkannten Realschule der P. E. …-Schulen GmbH (im Folgenden: E. …-Realschule). Laut Jahreszeugnis der E. …-Realschule vom 28. Juli 2023 wurde der Antragstellerin die Erlaubnis zum Vorrücken in die nächste Jahrgangstufe nicht erteilt. Mit Schreiben vom 29. Juli 2023 teilte die E. …-Realschule der erziehungsberechtigten Mutter der Antragstellerin mit, dass die Antragstellerin die Jahrgangstufe 6 nicht an der E. …-Realschule wiederholen könne.
3
Mit Antrag vom 24. Juli 2023 beantragte die Mutter der Antragstellerin deren Aufnahme in die RH-Realschule ab Beginn des Schuljahre 2023/24. Als alternative Schule gab sie die HF-Realschule an.
4
Mit E-Mail vom 4. August 2023 teilte der Schulleiter der RH-Realschule der Mutter der Antragstellerin mit, dass die Antragstellerin an der RH-Realschule keinen Platz bekommen habe und ihr von der Dienststelle der Ministerialbeauftragten für die Realschulen in M. (im Folgenden: MB-Dienststelle) ein Platz an der staatlichen T. … …-Realschule (im Folgenden: TG-Realschule) in U. zugewiesen worden sei.
5
Mit E-Mail vom 8. August 2023 wandte sich die Mutter an das Schulamt und die MB-Dienststelle und verwies darauf, dass der Antragstellerin trotz der Anmeldung bei der RH-Realschule und der „Geschwisterschule“ HF-Realschule ein Schulplatz in einer anderen Stadt zugewiesen worden sei, dass die Antragstellerin an ADHS leide und den Schulweg nach U. nicht bewältigen könne. Weiter teilte sie mit, sie melde die Antragstellerin hiermit bei der HF-Realschule an.
6
Mit E-Mail vom 8. August 2023 teilte die MB-Dienststelle der Mutter der Antragstellerin mit, eine Rückmeldung über die Zuteilung eines Schulplatzes erfolge bis zum Nachmittag des 11. September 2023.
7
Mit E-Mail vom 11. August 2023 wandte sich die Mutter der Antragstellerin an die HF-Realschule und bat um Aufnahme der Antragstellerin unter Hinweis darauf, dass die Schwester der Antragstellerin dort im Schuljahr 2023/24 die Jahrgangsstufe 6 besuche. Das Anmeldeformular ging mit Poststempel vom 11. August 2023 bei der HF-Realschule ein.
8
Mit E-Mail vom 4. September 2023 teilte die HF-Realschule der Mutter der Antragstellerin mit, nach den Aufnahmeprüfungen in dieser Woche finde noch einmal eine Schulplatzvergabe statt. Aktuell habe die Schule keine freien Plätze. Über die MB-Dienststelle werde der Antragstellerin ein Platz an einer Realschule zugewiesen.
9
Mit E-Mail vom 7. September 2023 sandte die Mutter der Antragstellerin eine ärztliche Stellungnahme der Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. P., Dr. M. vom 16. August 2023 an die HF-Realschule, wonach die Antragstellerin sich in ambulanter kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung befinde und aufgrund einer derzeit noch bestehenden psychischen Belastungssituation mit fehlender Autonomie aufgrund von Ängsten dringend eine wohnortnahe Beschulung empfohlen werde, idealerweise mit einem kurzen einfachen Schulweg, gegebenenfalls mit Unterstützung durch andere Familienmitglieder.
10
Mit E-Mail vom 7. September 2023 forderte die HF-Realschule die Mutter der Antragstellerin auf, die Anmeldeunterlagen an die MB-Dienststelle zu senden.
11
Mit E-Mail vom 7. September 2023 an die MB-Dienststelle legte die Mutter der Antragstellerin deren Schwierigkeiten mit dem Schulweg nach U. dar und verwies erneut darauf, dass die Schwester der Antragstellerin die HF-Realschule besuche.
12
Am 8. September 2023 beantragt die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin für das Schuljahr 2023/24 vorläufig in die Jahrgangsstufe 6 der R. …-Realschule, hilfsweise der H. …-Realschule aufzunehmen und zu beschulen.
13
Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, die TG-Realschule sei nur sehr umständlich zu erreichen, was der Antragstellerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht zugemutet werden könne. Vorgelegt werden unter anderem Verkehrsverbindungen zur TG-Realschule, E-Mail-Wechsel mit der E. …-Realschule, mit der RH-Realschule, mit der HF-Realschule und mit der MB-Dienststelle sowie das ärztliche Attest vom 16. August 2023.
14
Mit Schriftsatz vom 9. September 2023 führen die Eltern der Antragstellerin im Wesentlichen aus, wegen des unglücklichen Ablaufs um die Gewährung von Nachteilsausgleich und Notenschutz müsse die Antragstellerin die Jahrgangstufe 6 wiederholen. Die TG-Realschule befinde sich in einer anderen Stadt und sei vom Wohnort 10 km entfernt. Es seien bis zu drei bis vier Verkehrsmittel in einer Richtung zu wechseln. Die Familie könne die Antragstellerin nicht mit dem Auto zur Schule bringen. Die Entfernung der Schule sei nicht altersgemäß. Nach der ärztlichen Empfehlung sei die Schule nicht geeignet. In der Familie seien insgesamt vier kleine Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren. Beide Eltern seien in Vollzeit beschäftigt. Der Vater sei ausschließlich in Nachtschicht tätig. Die Mutter sei zu 80% ihrer Arbeitszeit in Besprechungen und somit nicht sofort erreichbar, wenn die Tochter abgeholt werden müsse. Zur TG-Realschule gebe es keine Schülerbeförderung. Vorgelegt wird der E-Mail-Wechsel mit der E. …-Realschule zur Frage der Gewährung von Nachteilsausgleich bzw. Notenschutz im Schuljahr 2022/2023 sowie weiterer E-Mail-Wechsel mit der HF-Realschule.
15
Mit Schriftsatz vom 11. September 2023 verweist die Antragstellerin durch ihre Eltern unter Vorlage eines Schreibens der logopädischen Praxis S. vom 11. September 2023 darauf, dass sie sich in logopädischer Therapie befinde, deren Wahrnehmung bei Besuch der zugewiesenen Schule unmöglich sei.
16
Die Antragsgegnerin beantragt,
17
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin darauf, dass im Zeitpunkt der Zuweisung an die TG-Realschule am 4. August 2023 weder die RH-Realschule noch die HF-Realschule über freie Plätze in der Jahrgangsstufe 6 verfügt hätten. Zum 11. September 2023 seien an der RH-Realschule in den beiden Klassen der Jahrgangsstufe 6 31 Schüler (Raumgröße 63 qm) bzw. 33 Schüler gewesen. An der HF-Realschule seien in den drei Klassen der Jahrgangsstufe 6 27 Schüler (Raumgröße 54 qm), 33 Schüler und 29 Schüler (Raumgröße 58 qm) gewesen. Ein frei gewordener Platz an der HF-Realschule sei durch Zuweisung an einen Schüler vergeben worden. Die Obergrenze für Realschulen liege bei 33 Schüler je Klasse. Vorliegend sei zudem § 2 Abs. 1 Satz 2 SchulBauV zu beachten, wonach die Grundfläche eines Klassenraums einschließlich des Arbeitsplatzes für die Lehrkraft und des Tafelbereichs 2 qm je Schüler, der Luftraum 6 Kubikmeter je Schüler betragen solle. Hierauf könnten sich die öffentlichen Schulen berufen. Diese Richtwerte seien u.a. aus Gründen des Lärm-, Infektions- und Brandschutzes normiert worden. Auch pädagogische Gesichtspunkte dürften hierfür von Belang sein. Eine effektive Unterrichtsgestaltung sei umso schwerer, je mehr Schüler sich in einem zu kleinen Klassenraum aufhielten. Ein Anspruch auf eine zusätzliche Klasse bestehe nicht, da es sich dabei um eine Organisationsmaßnahme handele.
18
Auf telefonische Nachfragen des Gerichts teilt die MB-Dienststelle am 18. und 19. September 2023 im Wesentlichen mit, bei Aufnahmeanträgen bis Ende Juli würde an den jeweiligen Realschulen unter anderem das Kriterium „Geschwisterkind“ berücksichtigt. Sofern die Schule über keine freien Plätze mehr verfüge, würden die Aufnahmeanträge an die MB-Dienststelle weitergeleitet. Bis zum 4. August 2023 seien die Schüler zugewiesen worden; hierbei spiele das Kriterium „Geschwisterkind“ mangels zeitnaher Nachprüfbarkeit keine Rolle mehr. Wenn Bewerber mit dem zugewiesenen Schulplatz nicht zufrieden seien, würden sie bei einer zweiten Verteilung am letzten Ferienwochenende berücksichtigt. Auch hierbei spiele das Kriterium „Geschwisterkind“ keine Rolle, sondern z.B., ob die Schule als Wunschschule angegeben sei, ob der freie Platz ein Ganztags- oder Halbtagsplatz sei und ob der Fahrtweg zumutbar sei. Der Platz, der am 8. September 2023 an der HF-Realschule freigeworden sei, sei ein Ganztagsplatz gewesen. Die Antragstellerin habe einen Halbtagsplatz beantragt. Die Antragstellerin sei am 11. September 2023 an die H.K. -Realschule (im Folgenden: HK-Realschule) verteilt worden.
19
Das Gericht hat mit Schreiben vom 19. September 2023 den Vermerk der Antragstellerin zugesandt und um Mitteilung gebeten, ob an dem Antrag festgehalten wird.
20
Mit Schriftsatz vom 25. September 2023 bittet die Antragstellerin um Fristverlängerung.
21
Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2023 teilt die Antragstellerin sinngemäß mit, die neu zugewiesene Schule sei 9,2 km vom Wohnort entfernt und ähnlich schwer zu erreichen wie die TG-Realschule. Die Antragstellerin müsse vier unterschiedliche öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Die Antragstellerin sei bereits viermal zu spät gekommen. Der Bus sei häufig verspätet. Der Weg sei zu umständlich für die Antragstellerin. Aufgrund von ADHS sei sie mehrmals falsch gefahren.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
23
1. Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Aufnahme der Antragstellerin in die Jahrgangsstufe 6 der RH-Realschule, hilfsweise der HF-Realschule für das Schuljahr 2023/24 ist zulässig, jedoch unbegründet.
24
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung ergeht, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs, sowie eines Anordnungsgrundes, d.h. der Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung, glaubhaft (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) gemacht wurde.
25
Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache sachlich und zeitlich vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 9/12 – juris Rn. 22).
26
Ein Anspruch auf eine bestimmte Ermessensentscheidung – wie sie die Antragstellerin mit ihrem Antrag begehrt – kann in Anbetracht des prinzipiellen Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren nach § 123 VwGO einerseits und der grundrechtlich verbürgten Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG andererseits nur dann als für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinreichend glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die ablehnende Entscheidung als ermessensfehlerhaft erscheint und wenn ermessensfehlerfrei vermutlich nur dem abgelehnten Antrag entsprochen werden könnte oder zumindest die Neubescheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Antragstellerin erfolgen würde.
27
Das durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht des Schülers auf freie Wahl der Ausbildungsstätte und das vom Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasste Recht auf freie Wahl des von dem Kind einzuschlagenden Bildungswegs verleihen keinen Anspruch auf Aufnahme in eine konkret gewünschte Schule. Allerdings schließen diese Grundrechte grundsätzlich das Recht ein, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der bestehenden Kapazität die konkrete einzelne Schule auszuwählen, die das Kind besuchen soll (VGH Mannheim, B.v. 5.9.2018 – 9 S 1896/18 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 30.11.2016 – 19 B 1066/16 – juris Rn. 9 ff.). Vor diesem Hintergrund und in Ansehung der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG kann die Verweisung der Antragstellerin auf den Rechtsweg in der Hauptsache nicht allein mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt werden, dass sie nur das Begehren auf Zugang zu einer bestimmten Schule derselben Schulart verfolge, ihr aber der Besuch einer anderen Realschule zumutbar sei.
28
Nach diesen Maßgaben hat der Antrag der Antragstellerin weder im Hauptantrag noch im Hilfsantrag Erfolg.
29
a) Im Hauptantrag ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Denn voraussichtlich war die Ablehnung der Aufnahme der Antragstellerin an der RH-Realschule nicht rechtswidrig und verletzt sie nicht in ihren Rechten, da sie keinen Anspruch auf eine Neuverbescheidung, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in ihrem Sinne erfolgen würde, hat.
30
Nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juli 2023 (GVBl. S. 443), haben die Erziehungsberechtigten und die volljährigen Schüler das Recht, Schulart, Ausbildungsrichtung und Fachrichtung zu wählen. Für die Aufnahme sind Eignung und Leistung des Schülers maßgebend (Art. 44 Abs. 1 Satz 2 BayEUG). Ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule an einem bestimmten Ort besteht nicht (Art. 44 Abs. 3 BayEUG). Das Recht der freien Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG) steht dem nicht entgegen, da es sich nicht auf eine bestimmte Schule, sondern nur auf eine bestimmte Schulart bezieht (VG Regensburg, B.v. 11.9.2008 – RO 7 E 08.1376 – juris Rn. 24).
31
Für die Aufnahme in die unterste Jahrgangsstufe sieht § 2 Abs. 7 der Realschulordnung (RSO) vom 18. Juli 2007 (GVBl. S. 458, 585, BayRS 2234-2-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. August 2022 (GVBl. S. 494), vor, dass sich die staatlichen und nichtstaatlichen Schulen um einen örtlichen Ausgleich bemühen, sofern mehr Bewerber vorhanden sind, als im Hinblick auf die räumlichen und personellen Verhältnisse der Schule aufgenommen werden können. Gelingt dieser nicht, so entscheidet der Ministerialbeauftragte mit Wirkung für die öffentlichen Schulen (§ 2 Abs. 7 Satz 2 RSO). Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 RSO für die Aufnahme in eine höhere Jahrgangsstufe ordnet die entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 7 RSO an und regelt im Übrigen die Voraussetzungen für den – hier nicht einschlägigen – Wechsel von einer anderen Schulart an eine öffentliche Realschule. Nach dem Regelungszusammenhang und dem Sinn und Zweck der Vorschriften zur Aufnahme ist jedoch auch für den von der Antragstellerin beantragten Wechsel von einer Realschule an eine andere § 2 Abs. 7 RSO jedenfalls entsprechend anwendbar.
32
Vorliegend ist nicht glaubhaft gemacht, dass an der RH-Realschule weitere Plätze in der Jahrgangsstufe 6 vorhanden waren, und die Antragstellerin an der Verteilung dieser Plätze zu beteiligen gewesen wäre.
33
Die Kapazitätsgrenze wird grundsätzlich unter Berücksichtigung der vorhandenen Raumausstattung, der Personalausstattung und der pädagogischen Zielsetzungen bestimmt. Bei der konkreten Bestimmung der Kapazitätsgrenzen an Schulen ist mit Blick auf die Frage der Funktionsfähigkeit zu berücksichtigen, dass das Schulverhältnis durch den Klassenverband geprägt ist, in dem der Schüler der besonderen Aufmerksamkeit und Zuwendung der Lehrkräfte bedarf; auch obliegt die Beobachtung und Kontrolle des Lernerfolgs den Lehrkräften. Der Zugangsanspruch des einzelnen Bewerbers findet daher seine Grenze darin, dass eine effektive Unterrichtsgestaltung unter Beachtung allgemeiner pädagogischer Grundsätze möglich bleiben muss (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 8.10.2003 – 13 ME 343/03 – juris Rn. 35f.; VG München, B.v. 20.8.2013 – M 3 E 13.3028 – juris; VG Regensburg, B.v. 11.9.2008 – RO 7 E 08.1376 – juris Rn. 26).
34
aa) Die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Aufnahmekapazität in der Jahrgangsstufe 6 an der RH-Realschule ist nicht zu beanstanden.
35
(1) Eine der beiden Klassen der Jahrgangsstufe 6 ist wegen Erreichen der Höchstzahl von 33 Schülern nicht weiter aufnahmefähig.
36
Was die Schülerzahl pro Klasse anbelangt, sind nach den Maßgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Unterrichtsplanung für das Schuljahr 2023/2024 Klassen mit mehr als 33 Schülern in allen Jahrgangsstufen zu vermeiden (S. 9 der Anlage zum KMS v. 30.03.2023 IVI.3-BS6400.1 – 5a.24 307). Bedenken gegen diese Obergrenze bestehen nicht. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass bei einer höheren Schülerzahl als 33 Schülern der Bildungsauftrag noch effizient erfüllt und ein geordneter Unterrichtsablauf noch sichergestellt werden könnte.
37
Nach der vorgelegten Klassenliste besuchen bereits 33 Schüler die Klasse 6b der RH-Realschule.
38
(2) In der weiteren Klasse der Jahrgangsstufe 6 an der RH-Realschule ist über die bereits vergebenen 31 Plätze hinaus aus räumlichen Gründen kein weiterer Schulplatz frei.
39
§ 2 Abs. 1 Satz 1 der Schulbauverordnung (SchulbauV) vom 30. Dezember 1994 (GVBl. 1995 S. 61, BayRS 2230-1-1-3-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. August 2012 (GVBl. S. 443), sieht vor, dass jede Klasse in der Regel einen eigenen Klassenraum benötigt. Einschließlich des Arbeitsplatzes für die Lehrkraft und des Tafelbereichs soll seine Grundfläche 2 qm je Schüler, sein Luftraum 6 Kubikmeter je Schüler betragen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SchulbauV).
40
Diese Regelungen der Schulbauverordnung können zugleich als Anhalt dafür dienen, mit welchen Personenzahlen bereits vorhandene Klassenräume belegt werden können. Denn nach § 1 Satz 1 SchulbauV sind Maßstab für die Gestaltung und Ausstattung von Schulanlagen die Anforderungen an die Schule als eine Stätte des Unterrichts und der Erziehung. Es muss ein einwandfreier Schulbetrieb in Übereinstimmung mit den Zielen der staatlichen Schulorganisation gewährleistet sein (§ 1 Satz 2 SchulbauV). Demnach erfolgte die Festlegung einer (Mindest-) Grundfläche pro Schüler in § 2 Abs. 1 Satz 2 SchulbauV mit Blick auf die Gewährleistung eines einwandfreien Schulbetriebs. Dies rechtfertigt es, die Festlegungen auch als Maßgabe für die Belegung vorhandener Räumlichkeiten heranzuziehen. Es liegt auf der Hand, dass für eine effektive Unterrichtsgestaltung nicht allein eine Begrenzung der Schülerzahl pro Klasse ausreichend ist; vielmehr muss der Klassenraum über eine an der Schülerzahl orientierte Mindestgröße verfügen, um für die Dauer der täglichen Unterrichtszeit für die Schüler und die Lehrkraft erträgliche Unterrichtsbedingungen zu gewährleisten.
41
Für den Klassenraum der Klasse 6a der RH-Realschule sind keine besonderen Umstände ersichtlich, die ein Abweichen von diesen Vorgaben rechtfertigen würden. Die Antragsgegnerin geht daher zu Recht davon aus, dass der Klassenraum bei einer Grundfläche von 63 qm nicht mehr als 31 Schüler fasst, da andernfalls die Mindestgrundfläche von 2 qm pro Schüler nicht mehr gewährleistet wäre.
42
bb) Eine Auswahlentscheidung, bei der die von der Antragstellerin vorgebrachten gesundheitlichen Umstände hätten berücksichtigt werden können, war vorliegend nicht zu treffen. Denn ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Aufnahme besteht nur im Rahmen der Aufnahmekapazität der Schule. Nur soweit überhaupt noch (Rest-) Plätze zu vergeben sind, ist eine Entscheidung, welche Bewerber aufgenommen werden und welche im Wege des örtlichen Ausgleichs oder durch Entscheidung des Ministerialbeauftragten einen Platz an einer anderen Schule erhalten, anhand sachgerechter Auswahlkriterien zu treffen. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin war sowohl im Zeitpunkt des Antrags auf Aufnahme der Antragstellerin am 24. Juli 2023 als auch im weiteren Verlauf bis zum Schuljahresbeginn die Aufnahmekapazität der RH-Realschule erschöpft.
43
b) Auch der Hilfsantrag der Antragstellerin auf vorläufige Beschulung an der HF-Realschule bleibt ohne Erfolg. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass an der HF-Realschule weitere Plätze in der Jahrgangsstufe 6 vorhanden wären, und die Antragstellerin an der Verteilung dieser Plätze zu beteiligen gewesen wäre.
44
aa) Die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Aufnahmekapazität der HF-Realschule ist nicht zu beanstanden. Für eine der drei Klassen der Jahrgangsstufe 6 wird die Höchstzahl von 33 Schülern zugrunde gelegt. Eine weitere Klasse verfügt über einen Klassenraum mit einer Grundfläche von 54 qm und nach den oben dargestellten Maßgaben damit einer Aufnahmekapazität von 27 Schülern, eine weitere über einen Klassenraum von 58 qm und damit einer Aufnahmekapazität von 29 Schülern.
45
bb) Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass bis zum Schuljahresbeginn Plätze an der HF-Realschule freigeworden wären, an deren Verteilung die Antragstellerin zu beteiligen gewesen wäre.
46
(1) Die HF-Realschule hatte zum Zeitpunkt des Aufnahmeantrags am 24. Juli 2023, als die Antragstellerin die HF-Realschule noch lediglich als Alternativschule angegeben hatte, keine freien Plätze mehr (Bl. 32 d.A.); bei der Anfang August 2023 durchgeführten Verteilung durch Entscheidung der MB-Dienststelle wurden auch keine Plätze an der HF-Realschule vergeben. Auch im Zeitpunkt des Aufnahmeantrags am 10. August 2023 war nach der Stellungnahme der HF-Realschule in den drei vorhandenen Klassen der Jahrgangstufe 6 kein Platz mehr frei.
47
(2) Dass die Antragstellerin an der Verteilung des am 8. September 2023 frei gewordenen Platzes an der HF-Realschule nicht beteiligt wurde, ist voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden.
48
Übersteigt die Zahl der Bewerber für eine bestimmte Schule die Zahl der nach der vorhandenen Kapazität ermittelten Plätze, ist die Entscheidung, welche Bewerber aufgenommen werden und welche im Wege des örtlichen Ausgleichs oder durch Entscheidung des Ministerialbeauftragten einen Platz an einer anderen Schule erhalten, anhand sachgerechter Auswahlkriterien zu treffen (BayVGH, B.v. 15.11.2013 – 7 CE 13.1934 – juris Rn. 8 ff.; Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Stand Mai 2023, BayEUG Art. 44 Anm. 12). Der Spielraum der Schule oder des Ministerialbeauftragten bei der Auswahl und Kombination von Auswahlkriterien ist somit nicht unbeschränkt; insbesondere sind Art. 3 Abs. 1 GG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Was sachgerecht ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
49
Nach der Stellungnahme der MB-Dienststelle vom 18. und 19. September 2023 bleibt bei der Verteilung von Schulplätzen am Ende der ersten Ferienwoche sowie bis zum Schuljahresbeginn durch die MB-Dienststelle das Auswahlkriterium „Geschwisterkind“ außer Betracht. Die Auswahl richte sich zunächst danach, ob die jeweilige Schule als Wunschschule genannt sei, sodann, ob – je nachdem, ob ein Ganztags- oder Halbtagsplatz bzw. ein Platz nur für Jungen/Mädchen frei sei – ein entsprechender Schulplatz beantragt sei. Im Übrigen werde nach der Zumutbarkeit des Fahrtwegs zur Schule verteilt.
50
Diese Auswahlkriterien begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass die MB-Dienststelle bei den Auswahlkriterien das Kriterium „Geschwisterkind“ unberücksichtigt lässt. Die Aufnahme von Geschwistern von bereits aufgenommenen Schülern ist zwar im Hinblick auf die für die Eltern damit verbundene Erleichterung ein grundsätzlich sachgerechtes Auswahlkriterium (vgl. VG München, B.v. 20.8.2013 – M 3 E 13.3028 – juris). Allerdings hat die MB-Dienststelle nachvollziehbar dargelegt, dass bei Verteilungsentscheidungen während der Sommerferien das tatsächliche Vorliegen dieses Kriteriums für die MB-Dienststelle nicht zeitnah überprüfbar ist. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass für Schulplatzverteilung nur nachprüfbare Kriterien herangezogen werden, und dass das Interesse aller Schüler, die zu Beginn der Sommerferien noch ohne Schulplatz sind, an einer zeitnahen Entscheidung höher gewichtet wird als die Berücksichtigung des Kriteriums „Geschwisterkind“.
51
Nach der Stellungnahme der MB-Dienststelle vom 18. und 19. September 2023 war der am 8. September 2023 an der HF-Realschule freigewordene Platz ein Ganztagsplatz gewesen. Die Antragstellerin hat einen Halbtagsplatz beantragt. Es begegnet daher keinen rechtlichen Bedenken, dass sie bei der Verteilung von Ganztagsplätzen nicht berücksichtigt wurde.
52
Da vorliegend nicht davon auszugehen ist, dass eine Neubescheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zugunsten der Antragstellerin erfolgen würde, ist der Antrag der Antragstellerin abzulehnen.
53
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.1.4, 1.5, 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.