Inhalt

LG München I, Endurteil v. 31.10.2023 – 2 O 10468/22
Titel:

unangemessene Benachteiligung, Ordentliche Kündigung, wichtiger Kündigungsgrund, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Gesamtschuldnerische Haftung, Rechtsanwaltsgebühren, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Ausschluß des ordentlichen Kündigungsrechts, Betreuungsvertrag, Rechtsscheingrundsätzen, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Elternzeit, Elterngeld, Fristlose Kündigung, Kündigungsgründe, Kündigungsfolgen, Dreimonatige Kündigungsfrist, Verlängerung der Kündigungsfrist

Schlagworte:
Zuständigkeit, Streitgenossenschaft, Anspruch auf Rückzahlung, Rechtsscheingrundsätze, Unwirksamkeit von Klauseln, Kündigungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30325

Tenor

I.    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger 6.320,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.990,00 € seit dem 15.03.2022 und aus weiteren 1.330,00 € seit dem 02.04.2022 zu bezahlen.
II.    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger weitere 528,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem  01.07.2022 zu bezahlen.  Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
III.    Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.320,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren gegen die Beklagten die Rückerstattung von Gebühren für zwei Kindergartenplätze für vier Monate sowie die Rückerstattung der Aufnahmegebühr.
2
Die Kläger sind Eltern zweier Kinder. Von einem oder beiden der Beklagten wird die Kindertagesstätte „...“ in der ...  betrieben. Im Impressum auf der Webseite des Kinderhauses Vertretungsberechtigte die Beklagte zu 1) und als Rechtsform „Einzelunternehmen“ angegeben (vgl. Anlage K1, K9 bis K11). Eine andere natürliche Person wurde auf der Webseite nicht aufgeführt.
3
Der Antrag der Klägerin zu 2) auf Elternzeit umfasste den Zeitraum Februar 2020 bis einschließlich 04.02.2022 (vgl. Anlage K7).
4
Im November 2020 wandten sich die Kläger an das Kinderhaus, da sie Interesse hatten, beide Kinder dort tagsüber in Betreuung zu geben.
5
Am 10.11.2020 bzw. 30.11.2020 schlossen die Parteien für beide Kinder jeweils einen Vertrag über die Betreuung (vgl. Anlage K2). Diese sollte bei beiden Kindern zum 01.11.2021 beginnen.
6
Im Nachhinein wurde der Beginn einvernehmlich auf den 01.01.2022 verschoben.
7
Zum Thema der Kündigung ist in Ziffer 8 des Vertrags (Anlage K2) folgendes geregelt:
„[…] Ordentliche Kündigung des Betreuungsverhältnisses von Seiten der Sorgeberechtigten
Vor dem vorstehend vereinbarten Beginn der Betreuung, kann das Betreuungsverhältnis, nicht ordentlich gekündigt werden. Das Betreuungsverhältnis kann von den Sorgeberechtigten mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ohne Angaben von Gründen schriftlich gekündigt werden. […]“
8
Im März 2021 erklärten die Kläger die Kündigung beider Verträge bzw. den Rücktritt.
9
Mit E-Mail vom 07.04.2021 (Anlage K3) bestätigte das Kinderhaus den Erhalt der Kündigung, wies diese jedoch insofern zurück, als sie – unter Berufung auf die Verträge – angab, eine Kündigung sei nicht vor Beginn des Vertragsverhältnisses zum 01.01.2022 möglich und es gelte eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende. Sie bestätigte eine Beendigung beider Verträge daher erst zum 30.04.2022.
10
Am 12.07.2021 (Anlage K4) wandte sich ein anwaltlicher Vertreter des Kinderhauses an die Kläger, wobei er den Beklagten zu 2) als alleinigen Inhaber angab. Der Rechtsanwalt forderte die Kläger auf, binnen Frist zum 19.07.2021 einen Betrag in Höhe von 6.720,00 € sowie bei ihm angefallene Mahnkosten von 599,80 € zu zahlen. Dabei berief er sich auf die beiden Verträge mit dem Kinderhaus und gab an, diese hätten bereits zum 01.01.2021 begonnen und die Kläger befänden sich in Verzug. Sollten die Kläger nicht fristgerecht zahlen, drohte er gerichtliche Schritte an. Der Kläger zu 1) widersprach am 15.07.2021 auch im Namen der Klägerin zu 2) dieser Mahnung.
11
Die Kinder der Kläger wurden zu keinem Zeitpunkt im Kinderhaus betreut.
12
Am 14.03.2022 zog das Kinderhaus per Lastschrift einen Betrag von 4.990,00 € und am 01.04.2022 weitere 1.330,00 € vom Konto der Kläger ein. Die Klägervertreterin forderte daher die Beklagtenseite auf, den eingezogenen Betrag in Höhe von insgesamt 6.320,00 € sowie weitere angefallene Kosten bis zum 30.06.2022 zu erstatten (Anlage K6).
13
Im Schreiben der Klägervertreterin vom 04.05.2022 (Anlage K5, dort Seite 2, vorletzter Absatz) wurde das Thema der Inhaberschaft des Kinderhauses angesprochen. Die Beklagtenseite antwortete hierauf nicht.
14
Im Schreiben der Klägervertreterin vom 04.05.2022 (Anlage K5, dort Seite 2, vorletzter Absatz) wurde das Thema der Inhaberschaft des Kinderhauses angesprochen. Die Beklagtenseite antwortete hierauf nicht.
15
Vor Einreichung der Klage übersandte die Klägervertreterin am 01.08.2022 den Entwurf der Klage gerichtet an die Beklagte zu 1) an den Beklagtenvertreter. Eine Reaktion hierauf ging nicht ein.
16
Die Kläger tragen vor, sie hätten erst nach Abschluss der beiden Verträge erfahren, dass sich die Mutter des Klägers einer schwierigen Organtransplantation unterziehen musste. Aufgrund der weiter anhaltenden Corona-Pandemie habe die Klägerin zu 2) die Kinder seit Anfang 2021 zu Hause betreut und sich in Isolation begeben, um die Mutter des Klägers zu 1) als Hochrisikopatientin nicht zu gefährden. Sie hätten daher die Kündigung beider Verträge erklärt, um die Kinder weiterhin in Isolation zu halten, um die Mutter des Klägers zu 1), welche sie betreuten, nicht zu gefährden. Sie hätten zudem die beiden Verträge nicht geschlossen, wenn sie gewusst hätten, dass sich die Mutter des Klägers einer schweren Operation unterziehen muss und sich hierdurch ihr Gesundheitsrisiko weiter verschlechtert.
17
Die Kläger sind der Meinung, die Beklagte zu 1) habe einen entsprechenden Rechtsschein für ihre Passivlegitimation gesetzt; dies ergebe sich insbesondere aus dem Impressum auf der Webseite des Kinderhauses und daraus, dass die Kläger seinerzeit nur mit der Beklagten zu 1) gesprochen hätten und Gegenteiliges nicht aus den Verträgen ersichtlich wäre. Ihnen stehe gegen die Beklagten ein Anspruch auf die begehrte Rückzahlung nebst Schadensersatz zu. Es mangle bereits an einem wirksamen Vertrag, da als Vertragspartner lediglich „...“ angeben sei und die Angabe einer vertretungsberechtigten Person fehle. Zudem hätten die Kläger die beiden Verträge wirksam fristlos bzw. ordentlich gekündigt, so dass den Beklagten kein Recht auf irgendwelche Gebühren zustehe. Ein wichtiger Kündigungsgrund liege darin, die Mutter des Klägers zu 1) vor etwaigen Ansteckungen zu schützen. Die Kläger meinen ferner, sie hätten auch ein Recht, vom Vertrag zurückzutreten, da die Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB weggefallen sei. Ferner stünde ihnen nach Ziffer 8 des Vertrags ein jederzeitiges Kündigungsrecht mit Wirkung des auf die Kündigung folgenden Monats zu, da sich die Einkommensverhältnisse der Kläger schwerwiegend geändert hätten. Den Beklagten stünde ein Anspruch auf Leistung zudem nur bei Erbringung der Gegenleistung zu. Da ihre Kinder die Tagesstätte nie besucht hätten, hätten die Beklagten somit keinen Anspruch auf die Leistung. Ziffer 8 des Vertrages stelle zudem eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB dar. Ferner hätten die Beklagten kein Recht dazu gehabt, vom Lastschrifteinzug nach Kündigung Gebrauch zu machen. Des Weiteren sei die vorliegende Angelegenheit sowohl umfangreich als auch schwierig, sodass eine 1,5 Geschäftsgebühr für die Kostennote der Klägervertreterin herangezogen werden könne.
18
Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 23.08.2022 zunächst Klage gegen die Beklagte zu 1) erhoben. Mit Schriftsatz vom 20.12.2022 haben die Kläger dann auch Klage gegen den Beklagten zu 2) erhoben.
19
Die Kläger beantragen zuletzt,
Die Beklagten zu 1) und zu 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger einen Betrag in Höhe von 6.320,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 4.990,00 € seit dem 15.03.2022 und aus weiteren 1.330,00 € seit dem 02.04.2022 sowie vorgerichtlich angefallene, nicht anrechenbare Anwaltskosten in Höhe von brutto 581,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu bezahlen.
20
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
21
Die Beklagten tragen vor, alleiniger Inhaber des Kinderhauses sei der Beklagte zu 2). Die Beklagte zu 1) arbeite nur für das Kinderhaus und sei als Vertreterin des Beklagten zu 2) tätig. Die gekündigten Kindergartenplätze hätten nicht anderweitig vergeben werden können. Der Kläger zu 1) habe Anfang Januar 2022 mitgeteilt, er werde beide Kinder am folgenden Tag in die Einrichtung bringen.
22
Die Beklagten sind der Meinung, die Beklagte zu 1) sei nicht passivlegitimiert. Inhaber des Kinderhauses sei allein der Beklagte zu 2) (vgl. Anlage B1 bis B3). Die Kündigung der beiden Verträge sei unwirksam, da kein hinreichender Grund für eine sofortige Beendigung des Vertragsverhältnisses vorgelegen habe. Eine ordentliche Kündigung vor dem vereinbarten Vertragsbeginn sei wirksam ausgeschlossen worden. Bei Unterschrift des Betreuungsvertrages im November 2020 sei der Klägerin zu 2) bewusst gewesen, dass ihr Einkommen ab Beginn der Elternzeit zurückgehen würde, sie aber andererseits auch vom staatlichen Elterngeld würde profitieren können. Schon aus diesen Gründen sei eine Berufung auf diese den beiden Eltern bekannte und bewusste Veränderung im Familieneinkommen nicht statthaft. Aus dem gleichen Grund greife auch § 313 BGB nicht. Eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB liege ebenfalls nicht vor; insbesondere sei hier die Situation und der Planungsbedarf von Kinderbetreuungseinrichtungen zu berücksichtigen. Es sei daher auch nicht unbillig, wenn das ordentliche Kündigungsrecht nur einseitig ausgeschlossen sei.
23
Mit Beschluss vom 08.11.2022 ist der Rechtsstreit dem Einzelrichter gemäß § 348a Abs. 1 ZPO zur Entscheidung übertragen worden (Bl. 32 d.A.).
24
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2023 (Bl. 74/79 d.A.) Hinweise erteilt.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 24.10.2023 (Bl. 74/79 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26
Die zulässige Klage (A.) ist überwiegend begründet (C.).
A.
27
Das Landgericht München I ist sachlich nach §§ 1, 5 Hs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sowie örtlich nach §§ 12, 13 ZPO in Verbindung mit § 7 BGB zuständig.
B.
28
Die Streitgenossenschaft ist gemäß §§ 59, 60 in Verbindung mit § 260 ZPO analog zulässig.
C.
29
Die Kläger haben gegen die Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung der eingezogenen 6.320,00 € nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, da die Kläger den Vertrag wirksam bereits vor Beginn der Vertragslaufzeit kündigen konnten.
30
I. Neben dem Beklagten zu 2) als Inhaber des Kinderhauses ist auch die Beklagte zu 1) passivlegitimiert. Auch wenn die Beklagte zu 1) nicht die Inhaberin des Kinderhauses sein mag, so hat sie doch einen entsprechenden Rechtsschein gesetzt, wobei dieser Rechtsschein nicht durch das Schreiben des Beklagtenvertreters vom 12.07.2021 erschüttert werden konnte (Anlage K4).
31
1. Personen können nach Rechtsscheingrundsätzen haften, wenn sie in zurechenbarer Weise einen entsprechenden Rechtsschein gesetzt haben oder gegen den durch einen anderen gesetzten Rechtsschein nicht pflichtgemäß vorgegangen sind und der Dritte sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat (vgl. z.B. BGH, B. v. 21.12.2010, Az. IX ZR 199/10; U. v. 18.10.2016 – Az.: II ZR 314/15, Rn. 15; BGH, U. v. 11.03.1955 – Az.: I ZR 82/53, BGHZ 17, 13, 19; U. v. 24.01.1978 – Az.: VI ZR 264/76, BGHZ 70, 247, 249; U. v. 24.01.1991 – Az.: IX ZR 121/90, NJW 1991, 1225 f.; U. v. 08.07.1999 – Az.: IX ZR 338/97, NJW 1999, 3040, 3041; U. v. 29.01.2001 - Az.: II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 359; U. v. 01.06.2010 – Az.: XI ZR 389/09, NJW 2011, 66 Rn. 23; U. v. 17.01.2012 – Az.: II ZR 197/10, ZIP 2012, 369 Rn. 19).
32
2. Die Beklagte zu 1) hat durch ihr Auftreten und durch ihre Nennung im Impressum auf der Webseite des Kinderhauses (vgl. Anlage K1, K9 bis K11) den Anschein gesetzt, Inhaberin des Kinderhauses zu sein. Sie war unstreitig in die Vertragsanbahnung involviert und die Ansprechpartnerin für die Kläger. Eine andere Person als die Beklagte zu 1) war nicht auf der Webseite des Kinderhauses angegeben.
33
Der Rechtsschein konnte auch nicht durch das Schreiben des Beklagtenvertreters vom 12.07.2021 (Anlage K4) erschüttert werden bzw. dieses Schreiben führte nicht zu einer Bösgläubigkeit der Kläger im Hinblick auf die Klageerhebung. Den gesetzten Rechtsschein muss sich nämlich auch dann jemand weiter zurechnen lassen, wenn er nicht pflichtgemäß gegen den Rechtsschein vorgeht. Im Schreiben der Klägervertreterin vom 04.05.2022 (Anlage K5) wurde bereits die Frage de Inhaberschaft aufgeworfen, ohne dass die Beklagtenseite hierzu Stellung genommen hätte. Gleichzeitig übermittelte die Klägervertreterin den Entwurf der Klageschrift, welche als Beklagte die Beklagte zu 1) angab, am 01.08.2022 an den Beklagtenvertreter. Der Beklagtenvertreter reagierte hierauf nicht. Es gibt zwar das Schreiben des Beklagtenvertreters vom 12.07.2021 (Anlage K4), jedoch nahm die Beklagtenseite in der Folge keinerlei Stellung mehr zu der Thematik der Inhaberschaft. Auch ein Jahr diesem Schreiben war auf der Webseite des Kinderhauses keine Angabe zum konkreten Inhaber aufgeführt. Die Kläger konnten also nicht sichergehen, dass tatsächlich nur der Beklagte zu 2) Inhaber war, zumal nähere Ausführungen der Beklagtenseite vor der Klageerhebung unterblieben. Spätestens mit Übermittlung des Klageentwurfs an den Beklagtenvertreter hätte die Beklagtenseite gegen den objektiv gesetzten Rechtsschein vorgehen müssen. Dies ist unterblieben und führt daher zur gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten zu 1) mit dem Beklagten zu 2).
34
II. Die Betreuungsverträge wurden wirksam gekündigt. Die Klausel in Ziffer 8 des Vertrages, wonach das Recht zur ordentlichen Kündigung für die Erziehungsberechtigten bis zum Beginn der Vertragslaufzeit ausgeschlossen ist und erst ab Beginn der Vertragslaufzeit eine dreimonatige Kündigungsfrist greift, ist nach § 307 Abs. 1, 2 BGB unwirksam. Es gelten aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion nach § 306 BGB daher die gesetzlichen Regelungen.
35
1. Bei dem von den Parteien am 10.11.2020 bzw. 30.11.2020 unterzeichneten Vertrag (vgl. Anlage K2) handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, da das von der Klägerin verwendete Vertragsformular für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert ist, § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, sodass die im Streit stehende Regelung in Ziffer 8 des Vertrags (Anklage K2) am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu messen ist.
36
2. Da keine besonderen Klauselverbote greifen (vgl. insoweit LG Bonn, U. v. 10.05.2017 – Az.: 5 S 192/16, in: BeckRS 2017, 151048) ist die streitgegenständliche Regelung in Ziffer 8 des Vertrags (Anlage K2) an der Generalklausel des § 307 BGB zu messen. Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind danach gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel gemäß § 307 Abs. 2 BGB anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Nr. 1) oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (Nr. 2).
37
3. Betreuungsverträge sind grundsätzlich als Dienstverträge einzuordnen. Das Gesetz sieht für unbefristete Dienstverträge (wie hier) in § 621 Nr. 3 BGB vor, dass eine Kündigung zum 15. eines Monats zum Monatsende zulässig ist. Von dieser Regelung weicht die streitgegenständliche Klausel in Ziffer 8 des Vertrags (Anlage K2) ab. Da § 621 BGB durch Allgemeine Geschäftsbedingungen abdingbar ist, führt jedoch nicht jede Abweichung sofort zur Unwirksamkeit der verwendeten Klausel, sondern nur ein Verstoß gegen den wesentlichen Grundgedanken der Vorschrift. Der wesentliche Grundgedanke des § 621 BGB ist, dass bei unbefristeten Dienstverhältnissen, deren Vergütung nach bestimmten Zeitabschnitten bemessen ist, eine Kündigung möglich sein muss, wobei die Länge der Frist eben nicht zwingend ist.
38
4. Bei der im Rahmen von § 307 Abs. 1 BGB gebotenen Abwägung der Interessen des Kinderhauses als Verwender der Klausel, durch welche das ordentliche Kündigungsrecht vor Beginn der Vertragslaufzeit einseitig ausgeschlossen wird, mit den Interessen der typischerweise beteiligten Eltern als Vertragspartner, kommt die zuständige Einzelrichterin zu dem Ergebnis, dass der Ausschluss der ordentlichen Kündigung die Eltern unangemessen benachteiligt.
39
a) Im Hinblick auf die Verwendung der Klausel durch das Kinderhaus ist zwar zu berücksichtigen, dass die Beklagenseite ein großes Interesse daran hat, dass Eltern Ihre Kinder nicht „auf Vorrat“ bei ihr anmelden und vor Betreuungsbeginn – etwa wenn und weil sie einen günstigeren staatlich geförderten Kindertagesstättenplatz erhalten – kündigen. Dieses Interesse ist bezüglich der Planungsanforderungen der Beklagenseite im Hinblick auf die Einstellung von Personal, die Anschaffung von Sachmittel und das Vorhalten der Räumlichkeiten durchaus legitim und verwirklicht sich auch in der Verlängerung der Kündigungsfrist auf insgesamt drei Monate. Ein zwingender Grund, aus dem vor Beginn der Betreuung ein erheblich längerer Planungszeitraum erforderlich sein soll, ist jedoch nicht ersichtlich, da eine frühzeitige Kündigung bereits vor Beginn der Betreuung der Beklagtenseite eine entsprechende Umplanung und Neuvergabe des Platzes ermöglicht.
40
b) Die Dispositionsfreiheit der Eltern, sich von dem geschlossenen Betreuungsvertrag innerhalb angemessener Frist wieder lösen zu können, wird durch die Klausel nicht ausreichend sichergestellt, auch wenn zumindest das Recht zur außerordentlichen Kündigung weiter fortbesteht. Die Klausel schließt das Recht zur ordentlichen Kündigung vor Betreuungsbeginn für alle Eltern aus und nicht nur für diejenigen, die sich allein wegen des Erhalts eines staatlich geförderten Kindertagesstättenplatzes umentscheiden. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass der Ausschluss der ordentlichen Kündigung hier nur einseitig für die Eltern greift. Die Planungssicherheit, welche sich die Beklagtenseite hier wünscht, wird nicht gleichzeitig den Eltern gewährt. Eltern suchen jedoch gerade in angespannten Großstädten wie München, in denen es schwierig ist, eine passende Kinderbetreuung zu finden, eine hinreichende Planungssicherheit. Die hier verwendete Klausel verwehrt jedoch der einen Vertragsseite, was der anderen Vertragsseite gerade essentiell wichtig ist und schließt die Dispositionsmöglichkeit daher einseitig aus. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass im Mietrecht der formularmäßige Ausschluss der ordentlichen Kündigung nur für zulässig erachtet wird, soweit er beidseitig vereinbart wird (vgl. BGH, U. v.m 30.06.2004 – Az.: VIII ZR 379/03).
41
c) Schließlich spricht gegen die Wirksamkeit der Klausel die Nähe zu dem Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit aus § 309 Nr. 9a BGB.
42
Gemäß § 309 Nr. 9a BGB ist bei einem Vertragsverhältnis, das die regelmäßige Erbringung von Dienstleistungen durch den Verwender zum Gegenstand hat, eine Klausel unwirksam, durch die der andere Vertragsteil länger als zwei Jahre an die Laufzeit des Vertrags gebunden wird. Durch den frühzeitigen Vertragsabschluss von mehr als einem Jahr und der langen Kündigungsfrist von de facto 4 Monaten ergibt sich eine Vertragsbindung von bereits knapp 1,5 Jahren. Von dem gesetzlichen Leitbild des § 621 Nr. 3 BGB, wonach eine Kündigung zulässig ist bis spätestens am 15. eines Monats für den Schluss des Kalendermonats, wird hier erheblich abgewichen. Vielmehr nähert sich die hier durch die Klausel in Ziffer 8 des Vertrags (Anlage K2) vorgesehene Vertragsbindung vielmehr dem Rahmen des § 309 Nr. 9a BGB an, welcher eine Bindung von zwei Jahren für per se unangemessen erachtet und insoweit keinerlei Wertung zulässt.
43
d) Ferner ergibt sich eine Unangemessenheit der Klausel auch bei wirtschaftlicher Betrachtung. Der Vertrag bindet die Eltern eine sehr lange Zeit und führt gleichzeitig zur Zahlung des Betreuungsentgelts von vier Monaten – ohne dass den Eltern eine gleichgelagerte Betreuungssicherheit eingeräumt wird.
44
Zugleich besteht der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts bis zum Vertragsbeginn selbst dann, wenn die Kindertagesstätte durch weitere Anmeldungen die zu vergebenden Betreuungsplätze ausgeschöpft hat. Durch die verwendete Klausel wird nicht sichergestellt, dass der gekündigte Platz nicht unter Umständen doppelt vergeben und damit auch doppelt bezahlt wird.
45
III. Ob ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung vorliegt, ist daher nicht weiter zu prüfen. Grundsätzlich ist es nicht ausgeschlossen, dass die Verpflichtung zur Betreuung einer Person während der COVID-19 Pandemie, die zum Personenkreis der besonders gefährdeten Hochrisikopatienten gehört, abstrakt betrachtet einen wichtigen und berechtigten Kündigungsgrund darstellt. Eine nähere Überprüfung und Auseinandersetzung, ob dies auch im konkreten Fall einen wichtigen Kündigungsgrund begründet hätte oder nicht war vorliegend jedoch nicht veranlasst.
D.
46
I. Ein Anspruch auf Zinsen besteht gemäß §§ 280 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
47
II. Es besteht ein Anspruch auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltgebühren gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Höhe von 528,00 €.
48
1. Die Kläger konnten zulässigerweise bereits vor Einzug der Kindergarten-Beiträge durch die Beklagtenseite einen Rechtsanwalt beauftragen, da die Beklagtenseite sich weigerte, die Kündigungen der Kläger anzuerkennen.
49
2. Gleichwohl ist hier der Ansatz der Mittelgebühr nach VV RVG Nr. 2300 nicht gerechtfertigt, da es sich um eine überschaubare Angelegenheit durchschnittlichen Schwierigkeitsgrads handelt. Besondere Schwierigkeiten und Herausforderungen sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, U. v. 31.10.2006 – Az.: VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420 Rn. 6 mwN).
50
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 100 Abs. 4 ZPO.
51
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.
52
V. Der Streitwert beruht auf § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO.