Titel:
unbegründete Asylklage (Äthiopien)
Normenketten:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 4, § 28 Abs. 1a
Qualifikations-RL Art. 4 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Die bloße Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation zieht bei einer Rückkehr nach Äthiopien keine negativen Auswirkungen bzw. staatliche Sanktionen nach sich. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem jungen, gesunden und erwerbsfähigen Mann mit einer „soliden“ äthiopischen Schulbildung, der zudem über verwandtschaftlichen Rückhalt in Äthiopien verfügt, ist es zumutbar, auch schlichte Hilfstätigkeiten zur Sicherung des absoluten Existenzminiums auszuüben. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Äthiopien, Widerlegung der Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung aus politischen Gründen, keine herausgehobene exilpolitische Tätigkeit, kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Äthiopien, kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Verhältnisse in Äthiopien, Asyl, mangelnde Glaubhaftmachung, Nachfluchtgrund, exilpolitische Betätigung, Abschiebungsverbot, Existenzminimum
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30311
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger mit oromischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 29.10.2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 07.11.2016 einen Asylantrag.
2
Bei der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 20.04.2016 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er stamme aus dem Kreis Arsi-Negele in der Region Oromia. Die Schule habe er bis zur 8. Klasse besucht. Daneben habe er seinen Eltern in der Landwirtschaft geholfen. In Äthiopien lebten noch seine Mutter, drei Brüder, drei Schwestern und die Großfamilie.
3
Im Jahr 2014, als er in der 8. Klasse gewesen sei, habe man ihn von der Schule suspendiert. Man habe ihn verdächtigt, dass er gegen die Regierung in der Schule und außerhalb der Schule Unruhe gestiftet habe. Dies habe die Regierung durch Spione mitbekommen. Er habe den Schülern gesagt, dass sie an Demonstrationen teilnehmen sollten, weil die Brutalität der Regierung größer geworden sei. Deswegen sei er aus der Schule herausgeworfen worden. Er selbst habe nur an kleinen Demonstrationen teilgenommen. Bei großen Demonstrationen habe er eine Rolle im Hintergrund gehabt. Er habe Propaganda-Arbeit geleistet und verschiedene Leute, z.B. Bauern und Schüler, angesprochen, an den Demonstrationen teilzunehmen. An einer Demonstration im Juli 2015 habe er eine Woche vorher Leute angesprochen. Im Dezember 2015 habe er mehr als zwei Wochen lang Leute angesprochen.
4
Am 27.10.2015 sei er festgenommen und für einen Monat lang inhaftiert worden. Man habe ihm vorgeworfen, dass er in der Schule gegen die Regierung gehetzt habe und dass er mit dieser Tätigkeit nicht aufgehört habe, sondern diese vertieft und auch bei anderen Bürgern außerhalb der Schule Stimmung gegen die Regierung gemacht habe. Ferner habe man ihm vorgeworfen, dass er zu terroristischen Organisationen Verbindung habe, an den Regierungsversammlungen absichtlich nicht teilgenommen habe und dass er Hintermann bei Demonstrationen gewesen sei. Er selbst sei kein Parteimitglied gewesen, jedoch Sympathisant der Oromo-Bewegung, vor allem der OLF und der OFC. Aus dem Gefängnis sei er am 27.11.2015 freigelassen worden unter der Bedingung, dass er für die Regierung arbeite, indem er den Leuten sage, dass diese machen sollten, was die Regierung verlange. Man habe ihm angedroht, dass er wieder festgenommen werde, wenn er dies nicht mache. Daneben hätte er immer kommen sollen, wenn die Sicherheitsbehörden ihn gebraucht hätten. Er habe aber nach seiner Freilassung diese Bedingungen nicht erfüllt, weil es für ihn moralisch inakzeptabel gewesen sei, gegen seine eigenen unterdrückten Bürger vorzugehen.
5
Nach seiner Freilassung habe er ganz normal zu Hause gelebt. Er sei aber vorsichtiger gewesen, weil er weiterhin für die Bürger und nicht für die Regierung gearbeitet habe. Am 08.01.2016 seien dann Sicherheitskräfte zu ihm nach Hause gekommen und hätten nach ihm gesucht. Er sei jedoch nicht zu Hause gewesen, sondern habe sich bei einem Freund aufgehalten. Als ihm seine Mutter gesagt habe, dass Sicherheitskräfte nach ihm gesucht hätten, sei er noch am 08.01.2016 zu seiner Tante gegangen. Die Sicherheitskräfte hätten beim Besuch am 08.01.2016 seine Mutter aufgefordert, der Kläger solle innerhalb von 48 Stunden zu Hause erscheinen, sonst werde dies harte Konsequenzen dergestalt haben, dass man ihn töte, weil er ein Terrorist sei. Am nächsten Tag seien erneut Sicherheitskräfte zu ihm nach Hause gekommen, hätten nach ihm gefragt und die Familie unter Druck gesetzt. Sie hätten gedroht, die ganze Familie zu bestrafen, wenn er nicht aus seinem Versteck herauskomme. Daher habe er sein Heimatdorf verlassen und sei Richtung Metema geflohen. Am 15.01.2016 habe er dann die Grenze zum Sudan überschritten.
6
In Deutschland sei er nicht exilpolitisch aktiv. Er sei im Jahr 2016 aber in Nürnberg auf einer Veranstaltung von OMN Media gewesen, wo er eine Spende und ein Formular für eine Mitgliedschaft bei einer Vereinigung ausgefüllt habe.
7
Seine Frau habe in Äthiopien im Jahr 2016 ein Kind zur Welt gebracht. Diese lebten jetzt bei Angehörigen seiner Frau. Nach Äthiopien könne er nicht zurückkehren, man könne dort nicht überall frei leben, weil die Sicherheitsbehörden alle fremden Leute kontrollierten. Irgendwann werde er auch anderswo in Äthiopien auffallen.
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Mit Bescheid vom 12.05.2017, als Einschreiben zur Post gegeben am 15.05.2017, wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziff. 1). Der Antrag auf Asylanerkennung wurde abgelehnt (Ziff. 2). Der subsidiäre Schutzstatus wurde dem Kläger ebenfalls nicht zuerkannt (Ziff. 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht (Ziff. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6).
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Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Er habe seine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Es sei bereits nicht glaubhaft, dass der Kläger sein Heimatland verlassen habe, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass er damit nur sein Leben gerettet habe und nicht das seiner Familie. Nach dem klägerischen Vortrag sei der Familie ein Ultimatum von 48 Stunden gesetzt worden, innerhalb derer der Kläger hätte erscheinen sollen. Der Familie sei sogar angedroht worden, dass die ganze Familie bestraft werde, wenn der Kläger nicht aus seinem Versteck herauskomme. Auf Nachfrage, ob die Flucht keine Konsequenzen für die Familie nach sich gezogen hätte, habe der Kläger lediglich vorgetragen, dass seine Eltern nach seiner Flucht vernommen worden seien. Bei lebensnaher Betrachtung sei es völlig unverständlich, dass der Kläger seine Familie zurückgelassen und sich bei seiner Tante versteckt habe. Damit hätte er seine Familie sehenden Auges den Sicherheitsbehörden ausgeliefert. Bereits insoweit dränge sich der Verdacht auf, dass die Angaben des Klägers nicht erlebnisfundiert, sondern konstruiert und damit ohne realen Hintergrund seien. Die angebliche Inhaftierung vom 27.10.2015 bis zum 27.11.2015 wirke sich nicht fluchtrelevant aus. Der Kläger sei nach einem Monat unter der Bedingung wieder freigelassen worden, dass er Leuten aus seinem Umkreis sage, sie sollten das machen, was die Regierung verlange. Der Kläger habe dieser Bedingung zwar zugestimmt, sei aber den Anweisungen nicht gefolgt. Die Zustimmung zu dieser Bedingung sei für die Behörden ausreichend gewesen, ihn wieder in Freiheit zu entlassen. Bereits dies sei ein Indiz dafür, dass das Verfolgungsinteresse der Behörden damit abgedeckt gewesen sei und der Kläger nicht als ernstzunehmender Regimefeind angesehen worden sei. Auch die Bedingung, unter der der Kläger freigelassen worden sei, sei lebensfremd und unglaubhaft. Die geschilderte Bedingung sei schon unkonkret formuliert und damit unerfüllbar bzw. nur unter hohem Aufwand der Behörden nachprüfbar und habe allenfalls einen Sinn, wenn der Kläger als Person des öffentlichen Lebens einen gewissen Einfluss auf die Leute gehabt hätte. Der Kläger sei aber weder politisch aktiv, noch in irgendwelchen anderen Funktionen gewesen, bei denen er einen gewissen Einfluss auf das Volk gehabt hätte. Ebenfalls unglaubhaft sei, dass die Sicherheitsleute zwar ein Ultimatum von 48 Stunden gesetzt hätten, aber sofort am nächsten Tag wieder bei der Familie des Klägers erschienen seien, ohne die Zeit tatsächlich abzuwarten. Im Übrigen sei auffällig, dass die Polizei in Äthiopien immer dann zur Festnahme schreiten wolle, wenn die Gesuchten mit Sicherheit nicht zu Hause und anschließend von der Familie gewarnt worden seien. Eine derart unprofessionelle Vorgehensweise ohne vorausgehende Observierung sei unglaubhaft und völlig lebensfremd. Äußerst widersprüchlich sei auch, dass sich der Kläger bereits am 08.01.2016 bei seiner Tante versteckt haben wolle, also am selben Tag, als auch die Sicherheitsbehörden nach ihm gesucht hätten. Erst auf Nachfrage habe er erklärt, dass er den ganzen Tag nicht zu Hause gewesen sei. Als er kurz nach Hause gekommen sei, habe ihn seine Mutter informiert und er habe sich sofort auf den Weg zur Tante gemacht. Dies erkläre allerdings nicht, wie er innerhalb kürzester Zeit einen Fluchthelfer gefunden habe. Die Geschwindigkeit, mit der der Kläger seine Ausreise betrieben habe, sei unglaubhaft. So habe er innerhalb eines Tages einen Fluchthelfer aufgetrieben, alles geplant und sei nach Addis Abeba gegangen. Am 15.01.2016 habe er dann die äthiopische Grenze mit Hilfe eines Schleppers verlassen. Nach den hier vorliegenden Erkenntnissen dauerten derartige Pläne einige Zeit, insbesondere müsse ein zuverlässiger und vertrauenswürdiger Fluchthelfer gefunden werden. Ferner seien die notwendigen Gelder aufzutreiben, die normalerweise nicht sofort zur Verfügung stünden. Der Sachvortrag des Klägers sei daher in keiner Weise geeignet, den Eindruck einer lebensechten Schilderung zu erwecken. Er habe während des Gesprächs auch immer wieder ausweichende Antworten gegeben, so dass die eigentlichen Fragen unbeantwortet geblieben seien. Im Übrigen sei es dem Kläger bei hypothetischer Wahrunterstellung des Sachvortrags zumindest möglich, in Bulbula bei seiner Frau und seinem Kind zu leben. Ihm stehe damit eine inländische Fluchtalternative offen. Die klägerischen Angaben zur Situation in ganz Äthiopien und damit auch in Bulbula seien schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil er seine Frau und sein Kind dort zurückgelassen habe. Aus dem Vortrag gehe nicht hervor, dass diese dort nicht sicher seien. Demnach könne es dem Kläger zugemutet werden, sich zumindest in diesem sicheren Landesteil aufzuhalten (§ 3e AsylG).
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Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gem. Art. 16a Abs. 1 GG seien nicht gegeben, da nicht einmal die weitergefassten Voraussetzungen des § 3 AsylG einschlägig seien.
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Dem Kläger sei auch nicht der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen. Es lägen keine Hinweise vor, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohten (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG). Insoweit werde auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Eine Schutzfeststellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG scheide ebenfalls aus, da im Herkunftsland des Klägers kein derartiger Konflikt bestehe.
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Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK seien nicht festzustellen. Zwar komme eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht, wenn der Kläger im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr laufe, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne jedoch nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden. Die derzeitigen humanitären Bedingungen Äthiopiens führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers die hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab erfüllt seien. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Für den Kläger seien keine individuell gefahrerhöhenden Umstände ersichtlich. Unter Verweis auf die Ausführungen zur internen Fluchtalternative lägen keine Hinweise vor, dass der Kläger durch Arbeitsaufnahme nicht das Existenzminimum für sich und seine Familie erreichen könne. Der Kläger habe vor seiner Ausreise in der Landwirtschaft seiner Eltern gearbeitet und damit seinen Lebensunterhalt verdient. Somit seien keine Gründe ersichtlich, warum es ihm nicht möglich sei, seine Existenz durch eine Arbeitsaufnahme zu sichern. Im Übrigen lebten noch seine Mutter, drei Brüder, drei Schwestern sowie die Großfamilie in Äthiopien, so dass von gegenseitiger Unterstützung durch die Großfamilie oder andere sich unterstützende Netzwerke ausgegangen werden könne.
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Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.
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Die Abschiebungsandrohung sei gem. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen folge aus § 38 Abs. 1 AsylG.
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Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Mit Schriftsatz vom 17.05.2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Ansbach am 19.05.2017 unter dem Az. AN 3 K 17.33268 und von dort verwiesen mit Beschluss vom 22.05.2023 an das Verwaltungsgericht Bayreuth, erhob die Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragte,
- 1.
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Der Bescheid der Beklagten vom 12.05.2017, Gz. 6975268-225, wird aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, hilfsweise den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Eine Begründung der Klage erfolgte nicht.
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Mit Schriftsatz vom 26.05.2017 beantragte das Bundesamt für die Beklagte,
19
Zur Begründung bezog sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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Mit Schriftsätzen vom 27.06.2023 bzw. 14.07.2023 verzichteten die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Mit Beschluss der Kammer vom 17.07.2023 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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I. Das Gericht konnte vorliegend über die Klage durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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II. Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG scheidet ebenfalls aus. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben. Die Abschiebungsandrohung sowie die Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
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Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschl. internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
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Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
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Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss ist nicht ausreichend. Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
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Nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Kläger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Kläger eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Kläger, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
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Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt.
31
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht verweist insoweit zunächst auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 3 AsylG).
Ergänzend wird noch auf Folgendes hingewiesen:
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a) Auch nach Auffassung des Gerichts spricht Überwiegendes dafür, dass der Kläger sein Herkunftsland nicht vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen hat. Insbesondere ist dem Bundesamt beizupflichten, dass die Einlassungen zur Suche nach dem Kläger kaum glaubwürdig erscheinen (vgl. insoweit Seite 3 unten/4 oben bzw. Seite 4 unten des Bescheids).
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b) Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Kläger Äthiopien vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen hat. Denn selbst wenn man eine Vorverfolgung zugunsten des Klägers annehmen würde, sprechen infolge der Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit dem Jahr 2018 triftige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung, sodass die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU als widerlegt anzusehen ist (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; BayVGH, U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30252 – juris; BayVGH, B v. 8.3.2021 – 23 ZB 20.32340; BayVGH, B.v. 17.10.2021 – 23 ZB 19.33385 – juris; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris; VG Bayreuth, U.v. 9.2.2023 – B 7 K 22.31001; VG Gießen, U.v. 1.2.2023 – 6 K 2222/19.GI.A – juris; VG Trier, U.v. 14.02.2023 – 6 K 2236/22.TR – juris; VG Ansbach, U.v. 9.2.2023 – AN 9 K 19.30681 – juris; VG Frankfurt/Main, U.v. 1.6.2023 – 5 K 5265/17.F.A – juris). Zur aktuellen Lage in Äthiopien, insbesondere zu den politischen Verhältnissen und den Konsequenzen für Oppositionelle verweist das Gericht vollumfänglich auf die aktuellen Ausführungen des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 01.06.2023 in der Sache 5 K 5265/17.F.A, dort Seite 11 ff., und macht die dortigen Ausführungen auch zum Gegenstand der hiesigen Entscheidung. Im Übrigen ist vorliegend weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass es sich beim hiesigen Kläger um einen „herausgehobenen“ Oppositionellen gehandelt hat, der trotz des politischen Umbruchs und der Tatsache, dass er Äthiopien schon vor über sieben Jahren verlassen hat, gegenwärtig noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung wegen oppositioneller Tätigkeit in Äthiopien zu befürchten hätte. Der lediglich vage Vortrag des Klägers, er habe bei großen Demonstrationen eine Rolle im Hintergrund gehabt und Propagandaarbeit geleistet, ist nicht ansatzweise geeignet, dem Kläger die Rolle eines herausgehobenen Oppositionellen zuzuschreiben.
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c) Auf den Nachfluchtgrund der exilpolitischen Betätigung kann sich der Kläger ebenfalls nicht mit Erfolg berufen.
35
Zwar ermöglicht § 28 Abs. 1a AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignisse beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat.
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Nach Überzeugung des Gerichts ist es aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien eine Verfolgung wegen exilpolitischer Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland drohen würde. Der Kläger erklärte gegenüber dem Bundesamt am 20.04.2017, er sei in Deutschland nicht exilpolitisch tätig. Auf Nachfrage führte er aus, er sei jedoch am 15.04.2016 auf einer Veranstaltung von OMN Media, einen oppositionellen Sender, in Nürnberg gewesen und habe gespendet. Ferner habe er ein Formular ausgefüllt und sich als Mitglied registrieren lassen. Selbst wenn man insoweit schon eine exilpolitische Tätigkeit des Klägers erblicken möchte, bleibt völlig offen, für welche exilpolitische Vereinigung der Kläger sich hat registrieren lassen und ob er dort tatsächlich Mitglied wurde bzw. gegenwärtig immer noch ist. Insoweit wurden von Klägerseite auch keine ergänzenden Ausführungen gemacht, geschweige denn irgendwelche Bescheinigungen vorgelegt.
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Im Übrigen ist das erkennende Gericht bereits vor dem politischen Umbruch in Äthiopien im Jahr 2018 davon ausgegangen, dass nicht jede, wie auch immer geartete, Form der Betätigung für eine der zahlreichen exilpolitischen Gruppen in der äthiopischen exilpolitischen Szene im Ausland bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu einer beachtlichen Verfolgungsgefahr führt. Vielmehr kommt bzw. kam es für die Feststellung des relevanten Gefährdungsgrades grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen etwa als terroristisch eingestuft wird und in welcher Art und in welchem Umfang der oder die Betreffende sich im Einzelfall exilpolitisch tatsächlich und wahrnehmbar betätigt hat. Jedenfalls seit dem „politischen Umbruch“ im Frühjahr 2018 kann auch nach der Rechtsprechung des BayVGH nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie (einfaches) Mitglied der TBOJ/UOSG oder einer anderen exilpolitischen Organisation sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. BayVGH, U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30252 – juris; VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 – B 7 K 17.32826 – juris; VG Bayreuth, U.v. 9.2.2023 – B 7 K 22.30001; VG Ansbach, U.v. 9.2.2023 – AN 9 K 19.30681 – juris). Die Entwicklungen in Äthiopien sprechen sogar dafür, dass selbst solchen Äthiopiern, die sich in herausgehobener Art und Weise exilpolitisch in Deutschland engagieren, nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr droht, sondern dass dies allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen (noch) beachtlich wahrscheinlich erscheint (VG Bayreuth, U.v. 5.9.2018 – B 7 K 17.33349 – juris). Auch wenn die Reformbewegungen inzwischen teilweise Rückschläge erlitten haben, ist aktuell jedenfalls nicht davon auszugehen, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei einer Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen bzw. staatliche Sanktionen nach sich zieht (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 23 ZB 20.32340; BayVGH, B.v. 17.10.2021 – 23 ZB 19.33385 – juris; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris).
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Auch der Kläger hat nicht annähernd dargelegt, dass gegenwärtig jedem „Exilpolitiker“ bei einer Rückkehr eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht. Selbst wenn der Kläger seit seiner „Anmeldung“ im Jahr 2016 (vereinzelt) exilpolitische Veranstaltungen besucht haben sollte, ist nicht annähernd ersichtlich, dass sein Engagement über ein bloßes „Mitläufertum“ hinausgegangen ist bzw. hinausgeht. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine herausgehobene Position in der exilpolitischen Szene vor. Es kann daher mangels jeglicher Anhaltspunkte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Kläger vom äthiopischen Staat als vermeintlicher Regimegegner wegen exilpolitischer Tätigkeit in Deutschland angesehen wird.
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a GG zu, da nicht einmal die weitergefassten Voraussetzungen des § 3 AsylG gegeben sind.
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3. Der Kläger hat kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen.
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a) Es gibt – insbesondere im Hinblick auf die obigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz – keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht. Selbst unter dem Gesichtspunkt der gegenwärtigen humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG schon deswegen aus, weil eine Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausginge, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Bayreuth, U.v. 9.2.2023 – B 7 K 22.31001).
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b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
43
Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen, hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, kann aber umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise belegen kann, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation liegenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465.7 – juris).
44
Trotz der vorherrschenden Unruhen ist es angesichts der Größe Äthiopiens nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass es sich um landesweite oder doch zumindest weite Teile des Heimatlandes des Klägers (zur Tigray-Region siehe sogleich) betreffende anhaltende Unruhen handelt, die zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit Unbeteiligter führen könnten (vgl. VG Bayreuth, U.v. 9.2.2023 – B 7 K 22.31001; VG Ansbach, U.v. 9.2.2023 – AN 9 K 19.30681 – juris). Ob die Unruhen bzw. kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region Tigray (noch) die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen (vgl. hierzu auch VG Bayreuth, U.v. 9.6.2023 – B 7 K 22.31123 – juris), kann vorliegend dahinstehen, da der Kläger nicht aus der Region Tigray stammt, die tigrinische Sprache nicht spricht und auch kein tigrinischer Volkszugehöriger ist. Von einer „Rückkehr“ in die Tigray-Region bzw. einer dortigen Niederlassung ist mithin keinesfalls auszugehen. Vorliegend kommt vor allem in Betracht, dass sich der Kläger in Addis Abeba bzw. dem zugehörigen Umfeld oder in einer (anderen) Oromo-Region niederlässt. Es gibt keine greifbaren Hinweise, dass die Lage im Bereich von Addis Abeba (oder in einer anderen Stadt/urbanen Region Oromias) die im Rahmen von § 4 AsylG anzulegende Schwelle auch nur ansatzweise erreichen würde (vgl. auch VG Frankfurt/Main, U.v. 1.6.2023 – 5 K 5265/17.F.A – juris). Dabei wird nicht verkannt, dass die Lage in einigen Bereichen Oromias keineswegs als durchgehend „ruhig und friedlich“ beschrieben werden kann. Angesichts der Größe des Landes ist es aber nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass es sich hierbei um einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt handeln könnte, der mit dem notwendigen „real risk“ zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit Unbeteiligter führen könnte (vgl. zum Ganzen: VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris m.w.N.).
45
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
46
Bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG ist ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind, liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vor (BVerwG, B.v. 22.9.2020 – 1 B 39.20 – juris; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547). Dies ist der Fall, wenn der Schutzsuchende seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält oder sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre psychische oder physische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist bereits dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können, wobei zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten auch Tätigkeiten zählen, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden können, selbst wenn diese Bereiche der so genannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ angehören (BVerwG, B.v. 19.1.2022 – 1 B 83.21 – juris; BayVGH, B. v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547). Maßstab für die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit, das heißt bei einer auf absehbare Zeit ausgerichteten Zukunftsprognose muss aufgrund einer sorgfältigen Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls mehr für als gegen die Annahme sprechen, der Betreffende werde bei seiner Rückkehr einer Behandlung im oben dargelegten Sinne ausgesetzt sein (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – juris, BayVGH, B. v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547).
47
Gemessen daran ist beim Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht festzustellen.
48
Der Kläger ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat die Schule bis zur 8. Klasse besucht und besitzt daher für afrikanische Verhältnisse eine „solide“ Schulbildung. Auch wenn der Kläger offensichtlich in Äthiopien keinen Beruf erlernt hat, hat er dennoch Berufserfahrung in der Landwirtschaft seiner Eltern sammeln können. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien an vergleichbare Tätigkeiten nicht anknüpfen könnte. Insbesondere ist es dem Kläger zumutbar auch schlichte Hilfstätigkeiten zur Sicherung des absoluten Existenzminiums auszuüben. Im Übrigen verfügt der Kläger nach Angaben beim Bundesamt über verwandtschaftlichen Rückhalt in Äthiopien. Dort kann er auf seine Mutter, drei Brüder, drei Schwestern und die Großfamilie zurückgreifen. Aufgrund der bekannten afrikanischen Verhältnisse ist davon auszugehen, dass der Kläger auch jederzeit von seiner Familie wiederaufgenommen und in Notsituationen unterstützt werden wird. Darüber hinaus verfügt der Kläger über eine Frau und ein Kind in Äthiopien, die gegenwärtig bei den Angehörigen der Frau leben. Von daher ist davon auszugehen, dass der Kläger zunächst auch dort unterkommen und mit dem Notwendigsten versorgt werden kann. Insbesondere kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass er bei einer Rückkehr nach Äthiopien – trotz Ehe und Kind – sofort eine kleine Familie versorgen müsste, da Frau und Kind offensichtlich seit Jahren anderweitig ihr Existenzminimum ohne Zutun des Klägers sichern können. Vielmehr ist daher zu erwarten, dass neben seinen Verwandten auch seine Ehefrau und deren Verwandte den Kläger bei einer Rückkehr hinreichend unterstützen können, sodass dieser – insbesondere in der Anfangszeit – nicht in eine Situation extremer materieller Not geraten wird.
49
Mit zu berücksichtigten ist ferner, dass der Kläger erhebliche Rückkehrhilfen beanspruchen kann. Aus dem sog. REAG/GARP-Programm können bei freiwilliger Rückkehr die Reisekosten übernommen werden. Vor allem aber können Rückkehrer eine finanzielle Unterstützung für die Reise (sog. Reisebeihilfe) sowie eine einmalige finanzielle Starthilfe erhalten, nämlich 1.000,00 EUR für volljährige und 500,00 EUR für minderjährige Personen, pro Familie maximal 4.000,00 EUR. Weiterhin können Rückkehrer nach Äthiopien auch Unterstützung aus dem Programm „StarthilfePlus“ beantragen. Es liegt auf der Hand, dass die genannten und verfügbaren Rückkehrhilfen und Leistungen aus den Programmen gerade in der Anfangszeit nach der Rückkehr und vor dem Hintergrund der humanitären Lage in Äthiopien und den teilweise noch anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie mit dazu beitragen, dass der Kläger im Falle der Rückkehr in Äthiopien Fuß fassen kann. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass die genannten Hilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Äthiopien freiwillig Zurückkehrenden gewährter Hilfe in Anspruch zu nehmen.
50
Bei zusammenfassender Würdigung ist daher festzustellen, dass aufgrund der hier gegebenen Umstände des konkreten Einzelfalls des Klägers nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der Kläger trotz der insgesamt schwierigen humanitären Verhältnisse in Äthiopien nicht in der Lage sein wird, das notwendige Existenzminimum zu sichern. Dabei wird nicht übersehen, dass viele Menschen in Äthiopien auf Hilfe von dritter Seite angewiesen sind und das Land sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert sieht (u.a. Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelknappheit, eingeschränkte Gesundheitsversorgung, fortbestehende ethnische Konflikte sowie der teilweise auf die angrenzenden Regionen übergreifende Tigray-Konflikt [wobei diesbezüglich zuletzt Tendenzen der Entspannung festzustellen sind], Corona-Pandemie, Heuschreckenplage und nicht zuletzt die Folgen des Russland-Ukraine-Kriegs). Gleichwohl gibt es jedoch keine durchgreifenden Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Äthiopien gegenwärtig jedenfalls außerhalb der Tigray-Region und angrenzender Gebiete des nördlichen Äthiopiens derart desolat wäre, dass dem Kläger der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten (vgl. auch BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris m.w.N.; VG Bayreuth, U.v. 9.6.2023 – B 7 K 22.31123 – juris). Die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzulegende (Gefahren-) Schwelle wird nach alledem nicht erreicht (vgl. auch VG Frankfurt/Main, U.v. 1.6.2023 – 5 K 5265/17.F.A – juris; VG Ansbach, U.v. 9.2.2023 – AN 9 K 19.30681 – juris; VG Gießen, U.v. 1.2.2023 – 6 K 2222/19.GI.A – juris).
51
5. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
52
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Würzburg, Gb.v. 11.5.2020 – 8 K 20.50114 – juris).
53
a) Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch infolge der Verbreitung des Coronavirus bzw. der Ausbreitung der Heuschrecken in Äthiopien – begründet derartige Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45; VG Würzburg, U.v. 3.7.2020 – W 3 K 19.31666 – juris unter Verweis auf BayVGH, B.v. 19.05.2020 – 23 ZB 20.31096; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 - B 7 K 22.30087 – juris m.w.N.).; vgl. auch BayVGH, B.v. 17.8.2020 – 23 ZB 20.31574).
54
Es ist für das Gericht aber nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung durchbrechen könnte, ausgesetzt wäre. Im Übrigen sind – wie oben ausgeführt – schon nicht die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben, da es sich vorliegend nicht um einen „ganz außergewöhnlichen Fall“ bzw. um eine „besondere Ausnahmesituation“ handelt. Daher ist eine „Extremgefahr“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG erst recht nicht gegeben.
55
b) Individuelle Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen, die sich alsbald nach der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG), sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
56
6. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber der Klägerin entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtling oder Asylberechtigter anzuerkennen. Ihm steht auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besitzt zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
57
7. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 6 des Bescheides) begegnet im Ergebnis ebenfalls keinen beachtlichen Bedenken. Die in Anwendung von § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verfügte Befristung, die notwendig das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG a.F. voraussetzt, ist bei einer Gesamtbetrachtung nach dem Inkrafttreten der Neufassung des § 11 AufenthG (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.08.2019, BGBl. I S. 1294) umzudeuten (§ 47 VwVfG) in eine behördliche Anordnung eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3/21 – juris).
58
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.