Inhalt

VG München, Urteil v. 12.01.2023 – M 19L DK 22.2493
Titel:

Disziplinarklage auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (insb. wegen mehrmaliger eigenen Gewährung einer Leistungsprämie, die Beamten gar nicht zusteht)

Normenketten:
BayDG Art. 11, Art. 14 Abs. 2 S. 1
StGB § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3, § 266 Abs. 1, § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 Nr. 4
Leitsätze:
1. Ausgangspunkt einer Disziplinarmaßnahmebemessung ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, falls die schwerwiegenste Verfehlung von mehreren Verfehlungen eines Beamten darin besteht, dass er sich als Geschäftstellenleiter, bei dem im Hinblick auf den Umgang mit den finanziellen Mitteln ein absolut gewissenhaftes und untadeliges Verhalten zu verlangen ist, selbst in 3 aufeinanderfolgenden Jahren eine Leistungsprämie gewährt hat, die ihm als Beamter nicht zustand (hier: sie stand nur Arbeitnehmern nach dem TVöD zu), und er hierdurch einen Schaden iHv 2.864 € verursacht hat. (Rn. 58 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein durchgreifender Milderungsgrund kann nicht darin gesehen werden, dass der Beamte die unrechtmäßigerweise erhaltenen Leistungsprämien letztlich zurückbezahlt hat. Eine Erstattungspflicht besteht hier bereits kraft Gesetzes. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch eine unzureichende Kontrolle beim Bezug von Leistungsprämien wirkt sich regelmäßig nicht entlastend für einen Beamten aus. Von einem Beamten muss erwartet werden, dass er sich auch dann redlich verhält, wenn er nicht besonders überwacht wird. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, 3-fache innerdienstliche Untreue im besonders schweren Fall durch Gewährung von Leistungsprämien an sich selbst, Nichtbearbeitung von Beitragsbescheiden mit der Folge der Verjährung, Weisungsverstöße und Sich-Verschaffen kinder- und jugendpornographischer Schriften durch Geschäftsleitenden, Beamten einer Verwaltungsgemeinschaft, Beamtenrecht, Beamter, Geschäftsstellenleiter, Leistungsprämie, Milderung, Rückzahlung, Fehlende Kontrolle, Untreue, fehlende Überwachung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 22.05.2024 – 16a D 23.341
Fundstelle:
BeckRS 2023, 302

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt. 
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Disziplinarklage die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Diesem werden 3 Fälle der innerdienstlichen Untreue im besonders schweren Fall durch Gewährung von Leistungsprämien an sich selbst, die Nichtbearbeitung von Abwasser- und Wasserbeitragsbescheiden mit der Folge der Verjährung, Weisungsverstöße und das außerdienstliche Sich-Verschaffen kinder- und jugendpornographischer Schriften vorgeworfen.
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1. Der am... 1966 geborene Beklagte absolvierte von 1988 bis 1992 eine Ausbildung zum Beamten im gehobenen Dienst bei der Landeshauptstadt München. Am 20. November 1992 wurde er bei der Gemeinde N. … zum Verwaltungsinspektor z.A. ernannt, am 1. Juli 1995 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Es folgten Tätigkeiten als Geschäftsstellenleiter bei den Verwaltungsgemeinschaften U. … und I. … sowie beim Zweckverband kommunale Verkehrsüberwachung sowie von Mai 2002 bis April 2008 als Erster Bürgermeister der Gemeinde O. … Die letzte Ernennung zum Geschäftsstellenleiter (Besoldungsgruppe A 12) erfolgte mit Wirkung vom 1. Dezember 2010. Seit 1. November 2013 ist der Beklagte Geschäftsstellenleiter der aus den 4 Gemeinden G. …, G. …, M. … und R. … bestehenden Verwaltungsgemeinschaft A. …
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Mit Bescheiden der Verwaltungsgemeinschaft A. … vom 31. Mai und 12. Juli 2021 wurde dem Beklagten wegen der hier inmitten stehenden Sachverhalte mit sofortiger Wirkung die Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) verboten. Ein vom Beklagten hiergegen angestrengtes Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz blieb mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. September 2021 (Au 2 S 21.1701) erfolglos. Die Landesanwaltschaft Bayern ordnete mit Verfügung vom 23. November 2021 seine vorläufige Dienstenthebung unter Einbehalt von 30% der monatlichen Dienstbezüge an.
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Der Beklagte ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet. Er ist in 2. Ehe verheiratet und Vater von 2 volljährigen Töchtern.
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2. Dem vorliegenden Disziplinarverfahren liegen die folgenden strafrechtlichen Verurteilungen des Beklagten zugrunde:
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2.1. Das Amtsgericht Lindau verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 28. Mai 2021, rechtskräftig seit 5. Juni 2021, wegen Untreue im besonders schweren Fall (§§ 266 Abs. 1, 2, 263 Abs. 3 Nr. 4, 53 Strafgesetzbuch - StGB) in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Urteil lassen sich folgende tatsächliche Feststellungen entnehmen:
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Der Beklagte ist Geschäftsleitender Beamter der Verwaltungsgemeinschaft A. … und überwiegend im Personalwesen tätig. Ihm war u.a. Anordnungs- und Unterschriftsbefugnis erteilt und ihm oblag u.a. die Eingabe und Meldung der erforderlichen Daten für die Gehalts- und Bezügeberechnung an das Rechenzentrum (AKDB) sowie die Freigabe der errechneten Gehälter und Bezüge für Banküberweisungen an die Mitarbeiter einschließlich seiner selbst.
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Ein bestimmter prozentualer Anteil der Personalkosten der Angestellten kann als Leistungsentgelt, sog. Leistungsprämie, an die beschäftigten Tarifangestellten ausbezahlt werden.
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Den Beklagten oblag insoweit, jährlich die Leistungen der Angestellten der Verwaltungsgemeinschaft anhand eines Punktesystems zu bewerten und dem Gemeinschaftsvorsitzenden zur Unterschrift vorzulegen. Die von ihm ermittelten Punktwerte leitete er - nach Genehmigung durch den Vorsitzenden - zur Berechnung der Leistungsprämien weiter: die Berechnung des Anteils der jeweiligen Mitarbeiter an dem für Zulagen insgesamt verfügbaren Betrag innerhalb der Verwaltungsgemeinschaft erfolgte anhand der vom Beklagten gemeldeten Punktwerte EDVgestützt.
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Pflichtwidrig stellte er in den Jahren 2016 bis 2018 seine eigenen Bezüge als Beamter in die Berechnung des Etats für die Leistungsprämien für Angestellte ein, um dessen Volumen zu erhöhen. Zudem erstellte er für sich selbst nach dem für Tarifbeschäftigte vorgesehenen Muster eine solche Punktebewertung und legte sie dem Gemeinschaftsvorsitzenden zur Genehmigung vor.
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Obwohl ihm eine solche Genehmigung nicht erteilt worden war und ihm bereits grundsätzlich keine „Leistungsprämie“ nach dem TVöD zustand, berücksichtigte er auch seinen Punktwert bei der Berechnung etwaiger Leistungsprämien und gab den so errechneten bzw. den auf ihn entfallenden Prämienwert sodann als Betragsvorgabe bzw. einmalige Zulage mit dem Schlüssel 126 in das Programm „…“ der Firma … für die Bezügeabrechnung ein.
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Nach Erstellung der auf diesem Fehler beruhenden Bezügeabrechnung, deren Bruttobetrag für den Monat Dezember jeweils um die eingebuchte Leistungsprämie überhöht war, gab der Beklagte die Überweisung dieser überhöhten Bezüge an sich frei und ließ damit die Banküberweisung zu seinen Gunsten ausführen.
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Im Einzelnen handelt es sich um folgende Einzelfälle, in denen er pflichtwidrig eine Leistungsprämie für sich in die Bezügeabrechnung einstellte und damit den daraus resultierenden Nettowert an sich zur Auszahlung bringen ließ:
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1) Eingabe am 12.12.2016 „Leistungsprämie“: 801,50 € brutto
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2) Eingabe am 6.12.2017 „Leistungsprämie“: 1.059,37 € brutto
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3) Eingabe am 7.12.2018 „Leistungsprämie“: 1.003,45 € brutto.
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Der Beklagte wusste, dass ihm als Beamter keine Leistungsprämie nach dem TVöD zustand, ihm eine solche durch keinen der Vorsitzenden der Verwaltungsgemeinschaft oder der Gemeinschaftsversammlung zuerkannt bzw. genehmigt wurde und ihm auch eine Leistungsprämie nach Art. 66 bzw. 67 Bayerisches Besoldungsgesetz (BayBesG) nicht genehmigt oder gewährt worden war.
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Der Beklagte handelte jeweils in der Absicht, sich auf Kosten der Verwaltungsgemeinschaft (bzw. anteilig den ihr angeschlossenen Kommunen) unberechtigt zumindest um den resultierenden Nettowert zu bereichern. Der Verwaltungsgemeinschaft bzw. den Kommunen entstand dadurch ein Vermögensschaden in Höhe des Bruttomehraufwandes, insgesamt 2.864,52 € [richtig: 2864,32 €].
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2.2. Das Amtsgericht Wangen verhängte mit Strafbefehl vom 19. August 2018, rechtskräftig seit 10. Oktober 2018, wegen tateinheitlichen Sich-Verschaffens kinder- und jugendpornographischer Schriften (§§ 184b Abs. 3, 184c Abs. 3, 52 StGB) eine Geldstrafe i.H.v. 35 Tagessätzen zu je 40 € (1400 €) gegen den Beklagten. Diese Verurteilung beruht auf folgendem Sachverhalt:
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Der Beklagte stand im Zeitraum 27. bis 30.10.2014 per E-Mail in Kontakt mit dem von der Staatsanwaltschaft Deggendorf gesondert verfolgten R.S., wobei es u.a. auch um den Austausch kinderpornographischer Dateien ging. Am 30.11.2014 in der Zeit zwischen 10:07 und 15:02 Uhr übermittelte S. dem Beklagten in 5 E-Mails insgesamt 9 kinderpornographische und 2 jugendpornographische Bilddateien.
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Auf diesen Bilddateien sind neben Jugendlichen auch Personen unter 14 Jahren (Kinder) in einer aufdringlich vergröbernden, auf den Sexualtrieb abzielenden Weise bei sexuellen Manipulationen abgebildet. Darunter befinden sich Bilddateien, die zur sexuellen Stimulierung des entsprechend veranlagten Betrachters sexuelle Handlungen, wie etwa das Berühren der Geschlechtsteile oder das aufreizende Zur-Schau-Stellen der Genitalien oder der Schamgegend an und von weiblichen Personen unter 14 Jahren und an und von weiblichen Jugendlichen zeigen. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen nehmen dabei unnatürliche Körperhaltungen ein, etwa indem sie die Beine spreizen, wodurch die Genitalien und das Gesäß betont werden. 3 der Bilder präsentieren die Selbstbefriedigung von Mädchen unter 14 Jahren, eines davon ein Kleinkind, wobei jeweils ein Sexspielzeug (Dildo) in die Vagina eingeführt wird. Darüber hinaus haben mehrere der Bildaufnahmen auch den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, teilweise Kleinkindern, zum Gegenstand bis hin zum Vaginal- und Oralverkehr mit erwachsenen Männern. Ein Bild zeigt den sexuellen Missbrauch eines Babys, bei dem ein erwachsener Mann versucht, das Baby zu penetrieren. Bei einem Teil der Abbildungen handelt es sich um sog. „Posing“-Aufnahmen von Mädchen im Alter von ca. 7-15 Jahren, die nackt in aufreizender Pose bewusst sexualisierte Haltungen einnehmen. Die Bilder und Videos dienten allein der sexuellen Erregung des Betrachters.
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3. Nach ordnungsgemäßer Durchführung des Disziplinarverfahrens, hinsichtlich dessen Ablauf auf S. 3 bis 8 der Disziplinarklage verwiesen wird, erhob der Kläger durch die Landesanwaltschaft Bayern als Disziplinarbehörde am 5. Mai 2022 Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,
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den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
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Zur Begründung wurden gegen ihn folgende Vorwürfe erhoben:
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(1) Der Beklagte habe sich in den Jahren 2016 bis 2018 selbst Leistungsprämien i.H.v. insgesamt 2.864,52 € bewilligt. Näheres ergebe sich aus dem Urteil des Amtsgerichts Lindau vom 28. Mai 2021, dessen tatsächliche Feststellungen nach Art. 25 Abs. 1 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) bindend seien.
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(2) Der Beklagte sei weiter einer dienstlichen Weisung des Gemeinschaftsvorsitzenden mit E-Mail vom 20. Mai 2020 nicht nachgekommen. Darin sei er angewiesen worden, bis 31. Juli 2020 alle Wasser- und Abwasserbescheide aller 4 Gemeinden zu erlassen, bei denen die Verjährungsfrist über 3 Jahre liege, bis 30. September 2020 alle Wasser- und Abwasserbescheide aller 4 Gemeinden zu erlassen, bei denen die Verjährungsfrist über 2 Jahren liege, bis 30. November 2020 alle Wasser- und Abwasserbescheide aller 4 Gemeinden zu erlassen, bei denen die Verjährungsfrist über einem Jahr liege sowie den 4 Bürgermeistern bis 15. Juli 2020 jeweils eine vollständige Auflistung vorzulegen, bei welchen ausstehenden Bescheiden die Verjährungsfrist über 4 Jahre liege. Zudem sei der Beklagte einer ergänzenden dienstlichen Weisung des Gemeinschaftsvorsitzenden mit E-Mail vom 1. Juli 2020 nicht nachgekommen, jeder Gemeinde bis 15. Juli 2020 eine komplette Auflistung vorzulegen, in der alle offenen Wasser- und Abwasserbescheide mit dem Verjährungstermin erfasst seien.
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(3) Der Beklagte habe 2014 zu Beginn seiner Dienstzeit in der Verwaltungsgemeinschaft A. … das gesamte Beitragswesen (Wasser/Abwasser) aus dem Bauamt übernommen. Es habe sich nun herausgestellt, dass eine Vielzahl an Beitragsbescheiden nicht abgerechnet, nicht erstellt oder keine beitragspflichtigen Flächen ermittelt worden seien. Insgesamt seien Abwasser- und Wasserbeiträge i.H.v. 140.557,33 € verjährt und damit uneinbringlich. Der Gesamtbetrag der verjährten Beiträge verteile sich auf die 4 Mitgliedsgemeinden wie folgt:

Abwasser

Wasser

Gesamt

G. …

2.606,25 €

6.905,14 €

9.511,39 €

G. …

50.273,12 €

18.105,50 €

68.378,62 €

M. …

50.490,19 €

6777,27 €

57.267,46 €

R. …

4.342,78 €

1.057,08 €

5.399,86 €

Gesamt

107.712,34 €

32.844,99 €

140.557,33 €

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Die einzelnen Beiträge ergeben sich aus S. 13 bis 15 der Disziplinarklage, auf die verwiesen wird.
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Die Sachverhalte unter (2) und (3) stünden fest aufgrund der Aktenlage.
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(4) Der Beklagte habe am 30. November 2014 von dem anderweitig verfolgten R.S. in 5 E-Mails 9 kinderpornographische und 2 jugendpornographische Bilddateien erhalten. Die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts Wangen vom 19. August 2018 könnten nach Art. 25 Abs. 2 BayDG im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden.
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Die unter (1) bis (3) genannten Dienstpflichtverletzungen habe der Beklagte innerdienstlich begangen, bei dem Vorwurf (4) liege ein außerdienstliches Dienstvergehen vor. Mit den Taten (1) und (4) habe er gegen seine Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (i.V.m. §§ 266 Abs. 1, 2, 263 Abs. 3 Nr. 4 StGB und §§ 184b Abs. 3, 184c Abs. 3, 52 StGB) und seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG a.F. verstoßen; zusätzlich liege bei der Tat unter (1) ein Verstoß gegen seine Pflicht zur uneigennützigen Aufgabenwahrnehmung nach § 34 Satz 2 BeamtStG a.F. vor. Durch den in (2) genannten Sachverhalt habe der Beklagte gegen seine Pflicht zur Ausübung dienstlicher Anordnungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG verstoßen. Das in (3) dargestellte Verhalten begründe einen Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung (§ 34 Satz 1 BeamtStG a.F.). Wegen der Strafandrohung einer Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren bestehe auch für das außerdienstliche Sich-Verschaffen kinder- und jugendpornographischer Schriften ein disziplinarrechtliches Sanktionsbedürfnis. Der Beklagte habe jeweils vorsätzlich gehandelt.
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Das schwerste Gewicht komme im vorliegenden Fall der Untreue im besonders schweren Fall in 3 Fällen zu, für die der Strafrahmen bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe betrage. Liege ein Strafrahmen von 3 Jahren vor - hier seien es 10 Jahre -, so könne das strafbare Verhalten bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen. Ein Orientierungsrahmen bis zur Entfernung sei daher eröffnet. Zulasten des Beklagten sei zu berücksichtigen, dass er als Geschäftsstellenleiter der Verwaltungsgemeinschaft A. … in einer Führungsposition tätig sei und mit der Selbstbewilligung von Leistungsentgelten im Kernbereich seiner Pflichten versagt habe. Soweit er auf eine unzureichende Kontrolle hinweise, wirke sich eine solche nicht entlastend für einen Beamten aus. Als zusätzliche Verfehlung träten die unter (3) dargestellten Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Beitragswesen hinzu, durch die ein erheblicher Einnahmeausfall i.H.v. über 140.000 € entstanden sei. Soweit sich der Beklagte auf eine nichtige Beitragssatzung der Gemeinde G. … berufe, hätte er mangels Verwerfungskompetenz auch diese vollziehen oder jedenfalls auf ihre Änderung hinwirken müssen. Zu berücksichtigen seien weiter die Weisungsverstöße und der Austausch kinder- und jugendpornographischer Dateien. Der Beklagte sei an die Weisungen seines Dienstvorgesetzten gebunden gewesen und habe diese nicht einfach ignorieren dürfen. Die im Disziplinarverfahren geäußerte Auffassung, dem außerdienstlichen Erhalt der kinder- und jugendpornographischen Dateien komme keine disziplinarrechtliche Relevanz zu, werde nicht geteilt, allein schon wegen des schwerwiegenden Inhalts der Bilder. Das Dienstvergehen sei als schwer einzustufen und eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis angemessen und erforderlich. Anerkannte Milderungsgründe oder sonstige Entlastungsgründe lägen nicht vor.
33
Der Beklagte beantragt unter Verweis auf sein Vorbringen im Disziplinarverfahren,
34
die Klage abzuweisen,
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hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
36
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt (Art. 11 BayDG).
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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Solche hat der Beklagte auch nicht geltend gemacht. Er erhielt in allen Verfahrensabschnitten Gelegenheit zur Äußerung, die er mit Schriftsätzen seines Bevollmächtigten vom 20. September 2021, 24. Februar und 29. April 2022 wahrnahm.
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2. Das Gericht legt dem Beklagten sämtliche in der Disziplinarklage aufgeführten Handlungen zur Last.
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2.1. Der Vorwurf der Untreue im besonders schweren Fall in 3 Fällen durch Bewilligung einer Leistungsprämie an sich selbst in den Jahren 2016 bis 2018, strafbar nach §§ 266 Abs. 1, 2, 263 Abs. 3 Nr. 4, 53 StGB, ergibt sich aus dem Urteil des Amtsgerichts Lindau vom 28. Mai 2021, dessen tatsächliche Feststellungen nach Art. 55 Halbs. 1, Art. 25 Abs. 1 BayDG für das Gericht bindend feststehen. Nach den dortigen Feststellungen war dem Beklagten - entgegen seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung am 12. Januar 2023 - durch keinen der Vorsitzenden der Verwaltungsgemeinschaft oder der Gemeinschaftsversammlung eine Leistungsprämie zuerkannt worden. Die Leistungsprämien in den 3 Jahren beliefen sich auf insgesamt 2.864,52 €.
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2.2. Der Beklagte hat weiter die Weisungen des Gemeinschaftsvorsitzenden mit E-Mail vom 20. Mai und 1. Juli 2020 nicht befolgt. Beide Nachrichten sind als „Weisung“ deklariert und geben ihm unter Fristsetzung bestimmte Handlungsanweisungen. Nach der E-Mail vom 20. Mai 2020 sollte er bis zu bestimmten Terminen alle Wasser- und Abwasserbescheide aller 4 Gemeinden erlassen, bei denen die Verjährungsfrist über 3 bzw. 2 Jahren bzw. einem Jahr lag und den 4 Bürgermeistern bis zum 15. Juni 2020 jeweils eine vollständige Auflistung vorlegen, bei welchen ausstehenden Bescheiden die Verjährungsfrist über 4 Jahre lag. Nach der E-Mail vom 1. Juli 2020 hatte er bis 15. Juli 2020 jeder Gemeinde eine komplette Auflistung vorzulegen, in der jeweils alle offenen Wasser- und Abwasserbescheide mit dem Verjährungstermin erfasst waren. Beiden Weisungen ist er nicht nachgekommen.
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2.3. Dem Beklagten ist weiter zur Last zu legen, dass er die Abrechnung und bescheidsmäßige Veranlagung einer Vielzahl von Beitragsforderungen (Wasser/Abwasser) aller 4 Gemeinden nicht vorgenommen hat, weshalb Verjährung eingetreten und den Gemeinden ein Schaden von insgesamt 140.557,33 € entstanden ist. Die betroffenen Grundstücke ergeben sich dabei im Einzelnen aus der in der Disziplinarklage (S. 13 bis 15) enthaltenen Aufstellung. Diese Aufstellung wurde im Laufe des Disziplinarverfahrens zwar mehrfach verändert (vgl. Disziplinarakte S. 106-111, 175-179, 410-415 und 524-529), auch als Summe der verjährten Beiträge wurden unterschiedliche Beträge genannt. Die Änderungen sind jedoch dadurch erklärbar, dass die zuständigen Mitarbeiter der Verwaltungsgemeinschaft A. … offene Bauvorhaben nochmals gesichtet, neu berechnet und bei den Beitragspflichtigen die Einzugstermine bzw. Nutzungsaufnahmen abgefragt haben und so Bauvorhaben aus der Liste herausgefallen oder hinzugekommen sind. Soweit die Schadenssumme zuletzt auf 140.557,33 € (S. 524-529) beziffert wurde und von der vorher genannten Summe i.H.v. 116.578,32 € (S. 410-415) abweicht, liegt dies daran, dass nach Auffinden eines weiteren Ordners zusätzliche Anwesen hinzukamen.
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Zum Vorbringen des Beklagten im Disziplinarverfahren ist Folgendes auszuführen: Entgegen seinem Vortrag verjährten Beitragsforderungen nicht nur der Gemeinde G. …, sondern auch der anderen 3 Gemeinden. Dies ergibt sich aus der detaillierten Aufstellung auf S. 13 bis 15 der Disziplinarklage. Im Übrigen belaufen sich selbst die verjährten Forderungen der Gemeinde G. … auf 68.378,62 €. Selbst bei Nichtigkeit der einschlägigen Satzung der Gemeinde G. … hätte er diese vollziehen oder aber als Geschäftsstellenleiter auf ihre Änderung hinwirken müssen. Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass einzelne der genannten Vorhaben nicht beitragspflichtig gewesen seien, eine entsprechende Nutzung nicht aufgenommen worden sei, die Verjährung jedenfalls teilweise vor seiner Zuständigkeit eingetreten sei und in der Verwaltungsgemeinschaft kein Mitarbeiter ausreichend Fachkenntnisse gehabt habe, die beitragspflichtigen Vorhaben zusammenzustellen, werden alle diese Einwände durch die detaillierte Aufstellung widerlegt, deren einzelne Positionen er nicht substantiiert angreift und entkräftet. Offenbleiben kann, ob der Beklagte das Beitragswesen an sich gezogen hat oder ob ihm dieser Bereich übertragen wurde. Der Umstand, dass bei einer Bürgermeisterbesprechung am 4. Juli 2017 vereinbart wurde, dass er die Abwicklung der Beitragsbescheide an das Bauamt zurückgibt, und dies nicht geschah, spricht dafür, dass er den Aufgabenbereich aus eigenem Antrieb betreut hat. Jedenfalls lag diese Aufgabe in seinem Zuständigkeitsbereich, den er ordnungsgemäß und zeitgerecht abzuarbeiten hatte.
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2.4. Fest steht weiter das Sich-Verschaffen von 9 kinder- und 2 jugendpornographischen Schriften am 30. November 2014. Die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts Wangen vom 19. August 2018, rechtskräftig seit 10. Oktober 2018, sind zwar nicht bindend, das Gericht kann sie dem Urteil jedoch nach Art. 55 Halbs. 1, Art. 25 Abs. 2 BayDG ohne nochmalige Prüfung zugrunde legen. Eine Entkräftung der Indizwirkung des Strafbefehls hat der Beklagte nicht vorgenommen. Die erhebliche Tragweite der dargestellten sexuellen Handlungen ergibt sich aus dem Strafbefehl.
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3. Durch die dem Beklagten zur Last gelegten Taten hat er innerdienstlich (Vorwürfe 2.1. bis 2.3.) und außerdienstlich (Vorwurf 2.4.) ein einheitliches Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat.
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3.1. Durch die Straftaten (vgl. 2.1. und 2.4.) hat er gegen seine Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (i.V.m. §§ 266 Abs. 1, 2, 263 Abs. 3 Nr. 4 StGB und §§ 184b Abs. 3, 184c Abs. 3, 52 StGB in der bei Tatbegehung geltenden Gesetzesfassung) und gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG a.F. verstoßen. Die Leistungsgewährung an sich selbst begründet zusätzlich einen Verstoß gegen seine Pflicht zur uneigennützigen Aufgabenwahrnehmung nach § 34 Satz 2 BeamtStG. Durch die Weisungsverstöße (vgl. 2.2.) hat er gegen seine Pflicht zur Ausübung dienstlicher Anordnungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG verstoßen. Die unterlassene bescheidsmäßige Veranlagung von Beitragsforderungen (vgl. 2.3.) führt zu einem Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung aus § 34 Satz 1 BeamtStG.
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3.1.1. Soweit der Beklagte zur Gewährung einer Leistungsprämie an sich selbst vorträgt, dass er diese rechtswidrige Praxis bereits bei der Amtsübernahme durch seinen Vorgänger vorgefunden habe, der ebenfalls Leistungsprämien erhalten habe, ist dem entgegenzuhalten, dass der Vorgänger nicht Beamter, sondern Tarifbeschäftigter war, was im Hinblick auf die Gewährung einer Leistungsprämie einen entscheidenden Unterschied begründet. Gerade vom Beklagten als Geschäftsleitendem Beamten war zu erwarten, dass er sich der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Leistungsprämie bewusst ist. Der Umstand, dass er in den Jahren 2014 und 2015 keine Leistungszulage erhalten, eine solche nach seiner Ansicht aber verdient hatte, berechtigt ihn nicht zur Gewährung einer finanziellen Leistung an sich selbst.
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3.1.2. Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass ein Weisungsverstoß nicht vorliege, weil die Weisung vom 20. Mai 2021 sprachlich falsch formuliert gewesen sei und deshalb nicht ausgeführt werden habe können, ist zwar zuzugestehen, dass die Weisung nur nach vorheriger Auslegung verständlich ist. Diese Auslegung der Weisung hätte er jedoch vornehmen oder bei seinem Vorgesetzten nochmals nachfragen müssen. Soweit der Beklagte meint, dass eine Sachbearbeitung bis zu den angegebenen Terminen zeitlich und technisch nicht zu schaffen gewesen wäre, ändert auch dies am Vorliegen eines Weisungsverstoßes nichts. Er hat die angeordnete Erstellung von Bescheiden oder einer Auflistung weder in Angriff genommen noch gegen die Weisung remonstriert oder gerichtlichen Rechtsschutz gesucht. Die dienstliche Weisung liegt innerhalb der Weisungsbefugnis seines Vorgesetzten und betrifft den dienstlichen Aufgabenbereich des Beklagten. Dieser war ohne Einschränkung daran gebunden, selbst wenn er sie für nicht sinnvoll oder unzweckmäßig hielt (Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2022, MatR/II Rn. 262 ff.), etwa im Hinblick auf die Auflistung bereits verjährter Beitragsforderungen, und hätte sie nicht einfach außer Acht lassen dürfen.
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3.2. Disziplinarrechtlich relevant ist auch das außerdienstliche Sich-Verschaffen kinder- und jugendpornographischer Schriften. Als Dienstvergehen ist außerdienstliches Fehlverhalten von Beamten nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nur dann zu qualifizieren, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Erforderlich ist insoweit, dass das Fehlverhalten des Beamten ein Mindestmaß an Relevanz überschreitet, was bei einer Straftat, deren gesetzlicher Strafrahmen bis zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren reicht, zu bejahen ist (vgl. BVerwG, B.v. 18.6.2014 - 2 B 55.13 - juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 5.2.2014 - 16a D 12.2494 - juris Rn. 35). Dieser Strafrahmen ist hier nach § 184b Abs. 3 StGB (3 Jahre) und § 184c Abs. 3 StGB (2 Jahre) in der bei Strafbegehung maßgeblichen Gesetzesfassung erreicht.
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3.3. Der Beklagte handelte auch vorsätzlich. Dies ergibt sich hinsichtlich der strafrechtlich sanktionierten Vorwürfe bereits aus den Entscheidungen der Strafgerichte. Auch die Nichtbefolgung der Weisungen und die unterlassene Abrechnung der Beitragsforderungen ist vorsätzlich erfolgt. Durch die expliziten Weisungen war ihm bewusst, was von ihm verlangt wurde.
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4. Mit seinem Verhalten hat der Beklagte ein schweres Dienstvergehen begangen. Die Pflichtenverstöße sind gleichzeitig zu verfolgen und führen nach dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens zu einer Ahndung durch eine einheitliche Disziplinarmaßnahme. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es im Disziplinarrecht nicht primär um die Feststellung und Maßregelung einzelner Verfehlungen geht, sondern um die dienstrechtliche Bewertung des Gesamtverhaltens des Beamten, das im Dienstvergehen als der Summe der festgestellten Pflichtverletzungen seinen Ausdruck findet (BVerwG, U.v. 17.11.2017 - 2 C 25.17 - juris Rn. 96).
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Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BayDG. Es hat zur Folge, dass er das Vertrauen sowohl des Dienstherrn als auch der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Daher ist auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) zu erkennen.
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4.1. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 - 2 C 9.14 - juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 - 16a D 14.2285 - juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 - 16b D 13.993 - juris Rn. 36).
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Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 16b D 14.2351 - juris Rn. 73).
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Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gutzumachende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (BayVGH, U.v. 11.5.2016 - 16a D 13.1540 - juris Rn. 67).
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4.2. Bei mehreren Verfehlungen ist die schwerwiegendste maßgeblich (BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 16b D 14.2351 - juris Rn. 74). Dies ist hier die mit Strafurteil des Amtsgerichts Lindau geahndete Untreue im besonders schweren Fall.
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Zur konkreten Bestimmung der disziplinaren Maßnahmebemessung ist auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (BVerwG, B.v. 5.7.2016 - 2 B 24.16 - juris Ls. und Rn. 15). Für die disziplinarrechtliche Ahndung einer innerdienstlichen Straftat mit einem Strafrahmen von bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 5.10.2016 - 16a D 14.2285 - juris Rn. 59). Damit ist hier im Hinblick auf den nach §§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB eröffneten Strafrahmen von bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet. Ein besonders schwerer Fall liegt vor, weil der Beklagte seine Befugnisse als Amtsträger missbraucht hat.
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Die konkrete Betrachtung der Tat ergibt, dass er sich selbst in 3 aufeinanderfolgenden Jahren eine Leistungsprämie gewährt hat, die ihm als Beamter nicht zustand, und hierdurch einen Schaden i.H.v. 2.864 € verursacht hat. Gerade im Hinblick auf seine hervorgehobene Stellung als Geschäftsstellenleiter ist von ihm im Hinblick auf den Umgang mit den finanziellen Mitteln der Verwaltungsgemeinschaft ein absolut gewissenhaftes und untadeliges Verhalten zu verlangen.
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Ausgangspunkt der Disziplinarmaßnahmebemessung ist daher die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
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4.3. Maßgeblich zu Lasten des Beklagten sprechen die weiteren Taten. Dabei kommt der unterlassenen Abrechnung und bescheidsmäßigen Veranlagung von Beitragsforderungen (Wasser/Abwasser) der 4 Gemeinden das größere Gewicht zu, weil hierdurch ein erheblicher Schaden i.H.v. 140.557,33 € entstanden ist. Selbst nach dem Vortrag des Beklagten beträgt dieser mit Blick nur auf die Gemeinde G. … 68.378,62 €. Den Beklagten kann dabei nicht entlasten, dass dieser Schaden letztlich über die Versicherung abgedeckt wurde. Zu den Dienstpflichtverletzungen im Beitragswesen kommen der zweifache Weisungsverstoß und das außerdienstliche Sich-Verschaffen von 9 kinder- und 2 jugendpornographischen Bildern mit erheblich vorwerfbarem Inhalt hinzu.
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4.4. Von der danach auszusprechenden Höchstmaßnahme ist hier auch nicht ausnahmsweise zugunsten einer milderen Disziplinarmaßnahme abzusehen, weil Milderungsgründe vorliegen, die geeignet sind, das schwere Dienstvergehen des Beklagten als weniger gravierend erscheinen zu lassen.
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4.4.1. Angesichts der Schwere des Dienstvergehens kann die Tatsache, dass er straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist und jedenfalls das Zwischenzeugnis vom 6. November 2020 seine dienstlichen Leistungen positiv darstellt, nicht zum Ausspruch einer milderen Disziplinarmaßnahme führen. Ein solches Verhalten stellt lediglich den Regelfall dar, führt bei einem derart gravierenden Fehlverhalten aber nicht zum Absehen von der angemessenen Maßnahme (BayVGH, U.v. 18.3.2015 - 16a D 09.3029 - juris Rn. 96).
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4.4.2. Ein durchgreifender Milderungsgrund kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Beklagte die unrechtmäßigerweise erhaltenen Leistungsprämien letztlich zurückbezahlt hat. Eine Erstattungspflicht besteht hier bereits kraft Gesetzes.
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4.4.3. Auch der Aspekt fehlender Kontrolle beim Bezug der Leistungsprämien begründet keinen Milderungsgrund. Selbst eine unzureichende Kontrolle wirkt sich regelmäßig nicht entlastend für einen Beamten aus. Gerade Beamte müssen aufgrund ihres dienstrechtlich gesteigerten Vertrauens- und Treueverhältnisses auch dann zuverlässig Dienst tun, wenn eine lückenlose Kontrolle der Betriebsabläufe und des Personals nicht durchführbar ist. Von einem Beamten muss erwartet werden, dass er sich auch dann redlich verhält, wenn er nicht besonders überwacht wird. Aufgrund der beamtenrechtlichen Treuepflicht darf erwartet werden, dass Beamte fehlende innerdienstliche Kontrollen nicht zur Begehung von Pflichtwidrigkeiten nutzen. Der Beamte hat seine Pflichten ohne Rücksicht darauf zu erfüllen, inwieweit er überwacht wird. Zweck der Dienstaufsicht ist nicht, den Beamten vor pflichtwidrigem Verhalten zu bewahren, sondern die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung sicherzustellen. Nur in einer besonderen Situation kann eine unzureichende Dienstaufsicht durch Vorgesetzte unter dem Blickwinkel der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden. Hierfür müssen aber konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machten, solche aber pflichtwidrig unterblieben oder nur unzureichend durchgeführt wurden (BayVGH, U.v. 20.9.2021 - 16b D 19.1302 - juris Rn. 58 f.). Solche Anhaltspunkte bestanden jedoch nicht.
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5. Die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis ist auch nicht unverhältnismäßig. Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Verfassung - BV) folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung. Danach muss die einem Beamten staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Zudem darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom Beamten hinzunehmenden Einbußen stehen. Die Entfernung eines aktiven Beamten aus dem Beamtenverhältnis als disziplinare Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung auch die Zwecke der Generalprävention, der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Abzuwägen sind das Gewicht des Dienstvergehens und des dadurch eingetretenen Vertrauensschadens einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis wie hier gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann nämlich auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Folge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen (BayVGH, U.v. 11.10.2017 - 16a D 15.2758 - juris Rn. 56).
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Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Der Beklagte, gegen den im Disziplinarklageverfahren auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt die Kosten des Verfahrens.