Titel:
Keine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht bei über der Grundsicherungsgrenze liegenden Einkommen
Normenkette:
RBStV § 4 Abs. 1, Abs. 6, Abs. 7
Leitsätze:
1. Das in § 4 Abs. 7 RBStV verankerte System der „bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit“ von der Rundfunkbeitragspflicht kann nicht so weit reichen, dass die Rundfunkanstalten auch im Anwendungsbereich der Härtefallklausel generell von einer Bedürftigkeitsprüfung absehen könnten. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Einkommens- und Mietkostensituation einer Person Schwankungen unterlegen, muss sie bei jeder Änderung einen neuen Antrag auf Sozialleistungen stellen, um vom Rundfunkbeitrag befreit zu werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kein Härtefall bei geringem Einkommen, Rundfunkbeitrag, Befreiung, Härtefall, Einkommen, Bedürftigkeit, Grundsicherung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30270
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt ihre Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht.
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Die Klägerin ist Inhaberin einer Wohnung und wird bei dem Beklagten unter der Beitragsnummer … geführt. Vom 1.3.2019 bis 31.8.2020 war sie aufgrund des Bezugs von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von der Rundfunkbeitragspflicht befreit. Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 30.12.2020 beantragte sie rückwirkend die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht. Sie beziehe seit dem 1.9.2020 keine Grundsicherung im Alter mehr, sondern Erwerbsminderungsrente und Wohngeld. Sie legte dazu einen Bescheid über die Gewährung eines Wohngeldes in Höhe von 117,00 EUR und einen Rentenbescheid vom 1.7.2020 vor, aus dem sich ein Auszahlungsbetrag von 839,22 EUR ergibt.
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Mit Bescheid vom 22.4.2021 lehnte der Beklagte den Befreiungsantrag der Klägerin ab. Zur Begründung führt der Bescheid aus, die Klägerin habe keine Bescheinigung der Sozialbehörde oder der Agentur für Arbeit vorgelegt, aus der sich ergebe, welche soziale Leistung der Klägerin wegen Einkommensüberschreitung versagt worden sei und um welchen Betrag das Einkommen den maßgeblichen Sozialbedarf übersteige.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch mit Schreiben vom 25.5.2021. Zur Begründung führte sie aus, dass sie eine Nettorente in Höhe von 837,34 EUR erhalte und daneben Wohngeld in Höhe von 125 EUR beziehe. Ihre Miete betrage 553 EUR. Die Wohnraumgröße und Höhe der Miete gelte in … bei der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft als angemessen. Aus dem beigelegten Bescheid über die Gewährung von Wohngeld, ergibt sich, dass zu dessen Bemessung von einer gezahlten Nettomiete von 525,38 EUR ausgegangen wurde (Bruttomiete abzüglich Kosten für Heizung und Stellplatz), bei der Berechnung jedoch der Höchstbetrag gem. § 12 Abs. 1 WohnGG in Höhe von 426,00 EUR zzgl. eines Heizkostenentlastungsbetrags von 14,40 EUR angesetzt wurde.
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Der Beklagte forderte die Klägerin daraufhin auf, einen Leistungsbescheid nach dem SGB XII oder eine entsprechende Verzichtserklärung der Klägerin vorzulegen. Die Klägerin legte darauf einen Bescheid über die Aufhebung der Gewährung von Grundsicherungsleistungen samt Berechnungsblatt der Stadt … vom 13.9.2019 vor, aus dem sich ergibt, dass das Einkommen der Klägerin ihren Bedarf um 34,05 EUR übersteigt. Die Klägerin führte dazu aus, dass ihre Einkommens- und Mietzahlungssituation fortlaufend Schwankungen unterworfen sei. Nach der Argumentation des Beklagten müsse sie bei jeder Änderung ihrer Einkünfte und ihrer Miete vorsorglich einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen stellen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 26.1.2022 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Einen Befreiungstatbestand „geringes Einkommen“ sehe das Gesetz nicht vor. § 4 Abs. 6 RBStV stelle keinen pauschalen Auffangtatbestand für all diejenigen dar, die keine der in § 4 Abs. 1 RBStV festgelegten sozialen Leistungen beziehen. Einkommensschwache Personen, die nicht grundsätzlich vom Bezug von Sozialleistungen ausgeschlossen sind, müssten nach dem Konzept der bescheidgebundenen Befreiung ihre wirtschaftlichen Verhältnisse durch die hierfür zuständige Sozialleistungsbehörde prüfen lassen.
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Die Klägerin erhob mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 28.2.2022 Klage gegen den Bescheid vom 22.4.2021 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.1.2022. Die Klägerin sei als besonderer Härtefall von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Der Beklagte müsse eine eigenständige Bedürftigkeitsprüfung vornehmen. Der Bezug von Wohngeld sei gegenüber dem Empfang von Sozialleistungen vorrangig. Die Klägerin verzichte auch nicht auf Sozialleistungen, sondern die einmal gewährte Sozialleistung sei ihr ab Oktober 2019 nicht mehr gewährt worden.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führt er aus, ein Härtefall nach § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV liege im Fall der Klägerin nicht vor, da ihre Einkünfte die sozialhilferechtliche Bedarfsgrenze um 34,05 EUR und damit um mehr als den Rundfunkbeitrag übersteigen würden. Ein Härtefall nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV sei ebenfalls nicht gegeben. Die Klägerin erhalte keine Sozialleistungen, weil ihr Einkommen die Bedarfsgrenze übersteige. Eine Regelungslücke bestehe daher vorliegend gerade nicht.
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Mit Schreiben des Gerichts vom 9.2.2023 wurde die Klägerin zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid angehört. Die Klägerin verzichtete mit Schreiben vom 27.2.2023 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Beklagte hat bereits mit Schreiben vom 27.6.2022 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Ergänzend wird hinsichtlich des Sachverhalts auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten auf die Durchführung einer solchen verzichtet haben.
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1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht.
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1.1 Von der Beitragspflicht nach § 2 Absatz 1 werden gem. § 4 Abs. 1 RBStV auf Antrag Personen befreit, die Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind. Die Klägerin erhält seit 1.9.2020 keine solchen Leistungen mehr.
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1.2 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Befreiung aufgrund eines Härtefalles gem. § 4 Abs. 6 RBStV. Unbeschadet der Beitragsbefreiung nach § 4 Abs. 1 RBStV hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 RBStV in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Gemäß dem von der Klägerin vorgelegten Bescheid der Stadt … überschreitet ihr Einkommen den sozialhilferechtlichen Bedarf um 34,05 EUR, also um mehr als die Höhe des Rundfunkbeitrags. Das Regelbeispiel des § 4 Satz 2 RBStV ist daher nicht erfüllt. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass sich ihre Einkommens-/Bedarfssituation sei dem Zeitpunkt der Erstellung des Bescheides zu ihren Lasten verändert hätte.
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Bei der Klägerin liegt auch kein sonstiger Härtefall vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ermöglich die Härtefallklausel des § 4 Abs. 6 S. 1 RBStV dem Rechtsanwender die das Existenzminimum schonende Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, auch ohne dass ein normierter Befreiungstatbestand erfüllt ist. Das in § 4 Abs. 7 RBStV verankerte System der „bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit“ kann dabei nicht so weit reichen, dass die Rundfunkanstalten auch im Anwendungsbereich der Härtefallklausel generell von einer Bedürftigkeitsprüfung absehen könnten. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Betroffener dem Grunde nach einer der in § 4 Abs. 1 RBStV katalogisierten Bedürftigkeitsgruppen unterfällt, aber deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt, oder aber einer Personengruppe angehört, deren Bedürftigkeit der Rundfunkgesetzgeber in § 4 Abs. 1 RBStV von vornherein nicht erfasst hat (BVerfG, B.v. 19. Januar 2022 – 1 BvR 1089/18 –, juris). Gemäß den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen wurde ihre Einkommens- und Bedarfssituation von der Sozialbehörde geprüft. Das Einkommen der Klägerin übersteigt nach dieser Berechnung ihren Bedarf um mehr als den Rundfunkbeitrag. Soweit die Klägerin im Widerspruchsverfahren darauf verwies, dass ihre Einkommens- und Mietkostensituation Schwankungen unterlegen ist und sie nach der Ansicht des Beklagten bei jeder Änderung einen neuen Antrag auf Sozialleistungen stellen müsse, um vom Rundfunkbeitrag befreit zu werden, so ist dies eine logische Folge dessen, dass Sozialleistungen nur bei Bedarf gewährt werden. Auch dem Beklagten müsste die Klägerin für alle Zeiträume ihre aktuelle Einkommenssituation nachweisen, da auch eine rundfunkbeitragsrechtliche Härtefallbefreiung nur für den Zeitraum gewährt werden kann, in dem die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen. Soweit die Klägerin bei einer für sie negativen Änderung der Einkommens- und Bedarfssituation nicht bereit ist, einen Antrag auf Sozialleistungen zu stellen, so liegt hierin keine Ungleichbehandlung gegenüber anderen einkommensschwachen Personen. Verzichtet ein Rundfunkteilnehmer aus eigenem Entschluss trotz Vorliegens der Voraussetzungen auf die ihm mögliche und zumutbare Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV, so ist das Festhalten an dem gewählten gesetzlichen Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit, das der Verwaltungsvereinfachung dient, weil es den Rundfunkanstalten grundsätzlich eine mit schwierigen Berechnungen verbundene Bedürftigkeitsprüfung erspart, nicht unbillig. Denn der Rundfunkteilnehmer hat es in diesem Fall grundsätzlich selbst in der Hand, durch einen entsprechenden Antrag auf Sozialleistungen eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zu bewirken. Seine Schlechterstellung gegenüber den nach § 4 Abs. 1 RBStV auf Antrag von der Beitragspflicht befreiten Personengruppen beruht in diesem Fall auf einem sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt (VGH BW, B.v. 5. August 2022 – 2 S 1214/22 –, Rn. 12, juris, m.w.N.).
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Es kann daher vorliegend dahinstehen, ob eine tatsächliche Bedürftigkeit der Klägerin vorliegend gegeben war/ist. Die Angabe der Klägerin, bei der von ihr bewohnten Wohnung handele es sich um angemessenen Wohnraum entspricht jedenfalls nicht der Beurteilung im vorgelegten Wohngeldbescheid, in dem die berücksichtigungsfähigen Wohnkosten erheblich vermindert wurden. Aktuell dürfte die Klägerin zudem deutlich mehr Wohngeld erhalten, als zum Zeitpunkt der Klageerhebung, da durch die Wohngeldreform zum 1.1.2023 das Wohngeld mehr als verdoppelt wurde.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr.11 ZPO.