Titel:
Ausnahmelose Anordnung von Leinenzwang bei großem Hund rechtswidrig
Normenketten:
LStVG Art. 18 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
GG Art. 2, Art. 14
BayVwZVG Art. 31 Abs. 2 S. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5
Leitsätze:
1. Im Bereich des Sicherheitsrechts kann die Behörde bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung beim besonderen Vollzugsinteresse die für die betroffene Fallgruppe typische Interessenlage aufzeigen und deutlich machen, dass diese Interessenlage auch nach ihrer Auffassung im konkreten Fall vorliegt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung eines Leinenzwangs auf den innerörtlichen Bereich ist gerechtfertigt, wenn eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 1 S. 1 LStVG aufgezählten Rechtsgüter besteht, sofern also bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt im Hinblick auf Leben, Gesundheit oder Eigentum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss. (Rn. 17 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund der hohen Beißkraft, der Muskelkraft und des hohen Gewichts großer Hunde besteht grds. die Gefahr, dass allein das Auftauchen eines solchen Hundes bei ängstlichen Menschen oder Kindern zu Fehlreaktionen im Verhalten führen kann. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Wolfshündin sowie ein Schnauzer-Mix erfüllen die Anforderungen an einen großen Hund. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Anordnung einer Leinenpflicht außerorts erweist sich als nicht verhältnismäßig und damit rechtswidrig, wenn etwa die Wiederholung eines Beißvorfalls auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist. (Rn. 23 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
6. Mit der Anordnung eines ausnahmslosen Leinenzwangs im gesamten Gebiet Bayerns wird dem erforderlichen Bewegungsdrang großer Hunde nicht Rechnung getragen. (Rn. 29 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
7. Eine Zwangsgeldandrohung erweist sich als nicht hinreichend bestimmt, wenn nicht erkennbar ist, für welchen Fall der Nichterfüllung einer Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht ein Zwangsgeld in welcher Höhe droht. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Leinenzwang innerorts, Unbeschränkter bayernweiter Leinenzwang außerorts, Anforderungen an Hundeführer, Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung, Hundehaltung, Beißvorfall, Gefahrenabwehr, konkrete Gefahr, Anordnung der sofortigen Vollziehung, Verhältnismäßigkeit, Leinenzwang, Zwangsgeldandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30265
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids, soweit ein Leinenzwang außerorts angeordnet wird, wird wiederhergestellt und bezüglich Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen zu 3/4 die Antragsteller als Gesamtschuldner und zu 1/4 die Antragsgegnerin.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin verfügten Haltungsanordnungen bezüglich der von den Antragstellern auf dem Grundstück … gehaltenen Hunde. Es handelt sich dabei um eine irische Wolfshündin …, 5 Jahre) und um einen Schnauzer-Mix (* …, 4 Jahre), welcher aus einem rumänischen „Schelter“ stammt.
2
Am 5. Juli 2022 traf der Antragsteller zu 1) beim Ausführen der beiden nicht angeleinten Hunde auf dem Flurbereinigungsweg bei … auf Herrn …, der ebenfalls mit seinem Hund, einem nicht angeleinten Border-Collie-Mischling, spazieren ging. Nachdem die Hunde des Antragstellers zu 1) Herrn … entdeckt hatten, rannten diese sofort auf ihn zu. Die Wolfshündin drückte den Hund des Herrn … zumindest mit der Pfote herunter. Der Antragsteller zu 1) war nicht in der Lage, seine Hunde zurückzurufen. Herr … versuchte zwischenzeitlich, die Hunde durch Tritte bzw. mit einer Leine abzuwehren. Am 20. September 2022 traf der Antragsteller zu 1) mit den beiden gegenständlichen, nicht angeleinten Hunden erneut auf Herrn … mit seinem Hund. Abermals rannten beide Hunde auf den Hund des Herrn … zu und hörten nicht auf den Antragsteller zu 1). Der Schnauzer ging zumindest zum Hund des Herrn … hin.
3
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 22. November 2022 wurden die Antragsteller aufgrund von sicherheitsrechtlich relevanten Vorfällen mit ihren beiden Hunden am 5. Juli 2022 und 20. September 2022 zum Erlass einer Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG angehört. Der Antragsteller zu 1) teilte telefonisch mit, dass er seine beiden Hunde seit den Vorfällen meist an der Leine ausführe. Weiter gab der Antragsteller zu 1) mit Schreiben vom 30. November 2022 an, seine Hunde hätten bei den Vorfällen mitnichten den Passanten angegriffen, sondern seien zu dessen Hund hingelaufen.
4
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2022, zugestellt am 20. Dezember 2022, wurden die Antragsteller verpflichtet, ihre Hunde künftig nur noch an einer reißfesten maximal zwei Meter langen Leine und einem geeigneten durchschlupfsicheren Halsband angeleint auszuführen oder entsprechend ausführen zu lassen. Dabei seien die Leine und das Halsband bereits vor Verlassen der Wohnung der Antragsteller, anderer Wohnungen oder umfriedeter (Privat-) Grundstücke anzulegen und dürften erst nach Rückkehr wieder abgelegt werden. Bei Verwendung eines Kraftfahrzeuges oder anderer Transportmittel müsse das Anleinen im jeweiligen Transportmittel vor dessen Verlassen erfolgen (Ziffer 1). Die Hunde der Antragsteller dürften nur von körperlich und geistig geeigneten, volljährigen Personen, die Erfahrung im Umgang mit Hunden hätten und jederzeit auf die Hunde einwirken könnten, ausgeführt werden (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der vorstehenden Ziffern 1 und 2 werde angeordnet (Ziffer 3). Für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnungen aus den Ziffern 1 und 2 dieses Bescheids werde ab Zustellung des Bescheids jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 500,00 EUR fällig (Ziffer 4). Die Kosten des Verfahrens hätten die Antragsteller zu tragen (Ziffer 5). Die Gebühr für diesen Bescheid werde auf 50,00 EUR festgesetzt (Ziffer 6).
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Beim Vorfall am 5. Juli 2022 und am 20. September 2022 hätten die Hunde der Antragsteller Herrn … sowie dessen Hund attackiert. Rechtsgrundlage für die Anordnungen in den Ziffern 1 und 2 des Bescheids sei Art. 18 Abs. 2 LStVG. Für den Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung sei nicht erforderlich, dass bereits ein schädigendes Ereignis stattgefunden habe. Sei es jedoch bereits zu Beißvorfällen oder sonstigen Zwischenfällen durch Anbellen, Anspringen, Nachlaufen etc. gekommen, seien sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Abwehr der eingetretenen Gefahr geboten. Der angeordnete generelle Leinenzwang erhöhe die Bindung vom Hundeführer zum Hund und erlaube eine erhöhte Einwirkung, so dass bei achtsamer Hundeführung eine Sicherheitsstörung vermieden werden könne. Zur Verhinderung von Beißgefahren sei ein Leinenzwang nur bedingt geeignet, da auch ein angeleinter Hund zubeißen oder sich losreißen könne. Ggf. könne daher auch ein kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang verhängt werden, was hier vorerst nicht notwendig sei. Nur durch die Anordnung in Ziffer 2 des Bescheids werde gewährleistet, dass Sicherheitsstörungen, die von den die Hunde ausführenden Personen ausgingen, vermieden würden. Alle Hunde müssten entsprechenden Reizen begegnen können, ohne dass die Situation eskaliere und für Menschen oder Tiere beängstigende Momente entstünden. Es folgen Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit. Ein milderes Mittel komme nicht in Betracht. Ohne den Leinenzwang und die Anordnung zum Ausführen durch geeignete Personen bestehe die Gefahr, dass die Unversehrtheit von Leib und Leben von Menschen sowie deren Eigentum verletzt werde. Das grundsätzliche Recht der Antragsteller, ihre Hunde ohne die angeordneten Maßnahmen zu halten, müsse daher zurücktreten. Im Rahmen der Gefahrenprognose erscheine es der Antragsgegnerin aufgrund der wiederholten Vorfälle dringend erforderlich, einzuschreiten, zumal die Anordnungen in den Ziffern 1 und 2 relativ geringe Eingriffe darstellten. Jene Anordnungen seien auch verhältnismäßig, da es um den Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter – Leben, Gesundheit und Eigentum – gehe. Die Handlungsfreiheit des Hundehalters müsse zurücktreten. Es liege kein Eingriff in die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 GG vor. Es folgen Ausführungen zu derartigen Grundrechtsbeeinträchtigungen. Die Anordnung zum Sofortvollzug liege im öffentlichen Interesse. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass in der Zeit zwischen dem Erlass des Bescheids und seiner Bestandskraft weitere Menschen von den Hunden attackiert würden und Schäden an Gesundheit und Leben erlitten. Die Anordnung des Zwangsgelds beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 des Bayerischen Verwaltungs- und Vollstreckungsgesetzes (BayVwZVG). Die Höhe des Zwangsgeldes sei üblich und liege mit 500 EUR am unteren Ende der Gesamtskala von 15 EUR bis 50.000 EUR (Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG). Dennoch bestehe eine gewisse Beugewirkung, da so mittlere Einkommen deutlich belastet sein dürften. Das Zwangsgeld werde fällig, sobald die Antragsteller oder eine sonst für deren Hunde verantwortliche Person gegen eine der Anordnungen aus den Ziffern 1 bis 2 des Bescheids verstoßen würden. Es folgen Ausführungen zur Kostenentscheidung. Des Weiteren würden die folgenden Hinweise erteilt: Die Verwendung eines durchschlupfsicheren Halsbandes stehe einem Brustgeschirr mit sicherem Verschluss für die Leine gleich. Höchst vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass bei Bekanntwerden erneuter vergleichbarer Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Hundehaltung der Antragsteller die Anordnung erweiterter Maßnahmen bis zur Untersagung der weiteren Hundehaltung möglich sei. Vorsätzliche und fahrlässige Verstöße gegen die Anordnungen im Bescheid stellten gemäß Art. 18 Abs. 3 LStVG eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit Geldbuße belegt werden könne. Die Anordnung des Leinenzwangs sei ein Verwaltungsakt, der in seiner Wirkung über das Gemeindegebiet der Gemeinde Lautertal hinausgehe. Die Gemeinde werde hierbei im übertragenen Wirkungskreis tätig.
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Mit am 19. Januar 2023 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenem Schriftsatz ließen die Antragsteller durch ihre Prozessbevollmächtigte Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2022 erheben. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ließen sie beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen den Bescheid (ohne Zeichen) der Beklagten vom 19.12.2022 wiederherzustellen.
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Die Anordnungen im genannten Bescheid, insbesondere diejenige in Ziffer 1, seien rechtswidrig und verletzten die Antragsteller in ihren Rechten. Der Bescheid entspreche daneben nicht tierschutzrechtlichen Vorgaben. Jedenfalls sei er unverhältnismäßig. Zur weiteren Begründung werde sich auf die Klagebegründung mit Schreiben vom 18. Januar 2023 bezogen. Hier wird vorgetragen, die irische Wolfshündin habe ein Ton- und Vibrationshalsband. Die Hunde seien regelmäßig angeleint. Nur zu Übungszwecken oder zum Spielen mit anderen bekannten Hunden würden sie abgeleint. Wenn und solange Wild-Jungtiere, z.B. Rehkitze, in den Wiesen oder Feldern seien, blieben die Hunde dauerhaft angeleint. Bei dem Vorfall am 5. Juli 2022 sei der Antragsteller zu 1) mit seinen beiden Hunden auf dem Heimweg gewesen und hätte die Hunde, mit welchen er gerade Übungen vorgenommen habe, noch nicht wieder angeleint. Herr … sei im Rücken des Antragstellers zu 1) mit seinem Hund den Berg hochgekommen und die beiden Hunde der Antragsteller seien auf den Hund des Herrn … zugelaufen. Dieser habe sich von seinem Halter losgerissen, wobei nach Angaben desselben die Leine gerissen sei. Mit dem bei ihm verbliebenen Teil der Leine habe Herr … auf den Wolfshund eingeschlagen, gegen den Schnauzer-Mischling habe er mit beschuhtem Fuß getreten. Bei dem Vorfall am 20. September 2022 sei der Antragsteller zu 1) mit seinen Hunden unterwegs gewesen und habe wieder mit ihnen geübt, so dass die Hunde nicht angeleint gewesen seien. Als er in einiger Entfernung Herrn … mit seinem Hund gesehen habe, habe er seine Hunde anleinen wollen. In diesem Moment habe jedoch etwas die Aufmerksamkeit der Hunde der Antragsteller erregt, so dass diese in jene Richtung gelaufen seien. Beide Hunde hätten dann jedoch einen Bogen geschlagen und seien auf den anderen Hund zugelaufen. Die irische Wolfshündin habe mittels des Ton- und Vibrationshalsbandes einige Meter vor Herrn … gestoppt werden können. Der Schnauzer-Mix sei zu dem anderen Hund gelaufen, welcher sich losgerissen habe und seinen Weg zurückgelaufen sei. Nach Angaben des Herrn … habe dieser wieder den Schnauzer-Mischling getreten, der ihn dann angeblich gebissen habe. Ein gegen den Antragsteller zu 1) geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bedrohung sei von der Staatsanwaltschaft … am 25. November 2022 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden. Ein Verfahren wegen einer angeblichen Körperverletzung an Herrn … sei nicht bekannt (Anm.: vgl. Behördenakte, Bl. 12 ff). Mit anderen Hundehaltern bzw. deren Hunden gebe es bei den Antragstellern keine entsprechenden Vorfälle oder Probleme. Die Anordnungen seien bereits nicht erforderlich und begründet, jedenfalls aber völlig unverhältnismäßig. Bei beiden Vorfällen habe es keine von den Hunden der Antragsteller ausgehende Gefahr für Leben und Gesundheit des Herrn … gegeben. Auch im Rahmen des Art. 18 Abs. 2 LStVG sei dem Bewegungsbedürfnis der Hunde ausreichend Rechnung zu tragen, was bei dem gegenständlichen Bescheid nicht der Fall sei. Dass die Hunde der Antragsteller demnach außerhalb der Wohnung bzw. des umfriedeten Grundstücks der Antragsteller oder außerhalb eines Transportmittels immer mit einer – zudem nur zwei Meter langen – Leine ausgeführt werden dürften, laufe dem Tierschutz zuwider. Nachdem es Probleme nur mit Herrn … gegeben habe, könnten diese künftig ohne Weiteres dadurch vermieden werden, dass die betroffenen Hundehalter ihre Tiere an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten ausführten.
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Mit Schreiben vom 30. Januar 2023 ließ die Antragsgegnerin beantragen,
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Es werde auf die Bescheidsbegründung verwiesen. Die Anordnung sei rechtmäßig. Anlass für die Anordnung seien zwei Vorfälle gewesen, die von den Antragstellern in der polizeilichen Vernehmung auch nicht bestritten worden seien. Bei beiden Vorfällen habe der Antragsteller zu 1) angegeben, die Hunde ohne Leine nicht zurückhalten zu können. Es hätten sich gefährliche Situationen entwickelt. Es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich solche Gefahren in ähnlichen Situationen künftig wiederholen würden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag ist nur teilweise begründet.
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1. Der Antrag ist im wohlverstandenen Sinne der anwaltlich vertretenen Antragsteller dahingehend auszulegen, dass diese die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und hinsichtlich der Nr. 4 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Art. 21 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG) begehren. Die Klage gegen die Nrn. 5 und 6 des Bescheids hat aufschiebende Wirkung, so dass sich der Antrag im Eilrechtsschutz nicht hierauf bezieht.
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2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
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Bei Zugrundelegung der genannten Maßstäbe hat der Antrag nach summarischer Prüfung nur teilweise Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet, sofern sie sich auf die angeordnete Leinenpflicht außerorts in Ziffer 1 des Bescheids bezieht, sowie bezüglich Ziffer 4 des Bescheids. Insoweit überwiegt das Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Im Übrigen ist die Klage und damit auch der Antrag im Eilrechtsschutz unbegründet.*
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a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziffer 3 des Bescheids) entspricht den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfordert zwar grundsätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse, welches über das hinausgeht, was den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Allerdings kann die Behörde bei wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen, denen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzeigen und deutlich machen, dass diese Interessenlage auch nach ihrer Auffassung im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16). Dem ist die Antragsgegnerin im gegenständlichen Bescheid nachgekommen.
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b) Die Klage gegen Nr. 1 des Bescheids hat nach summarischer Prüfung teilweise Erfolg. Die Anordnung einer generellen, bayernweiten Leinenpflicht für die Hunde der Antragsteller erweist sich, soweit sie außerorts einen unbeschränkten Leinenzwang verfügt, als unverhältnismäßig.
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aa) Soweit sich die Anordnung eines Leinenzwangs für die Hunde der Antragsteller auf Bereiche innerorts bezieht, erweist sie sich als rechtmäßig.
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(1) Gemäß Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG können die Gemeinden zum Schutz der in Absatz 1 genannten Rechtsgüter Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Notwendig hierfür ist, wie aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG erkennbar wird, das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die aufgezählten Rechtsgüter (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 19; B.v. 11.2.2015 – 10 ZB 14.2299 – juris Rn. 5 m.w.N.). Eine konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt im Hinblick auf Leben, Gesundheit oder Eigentum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss. Hierbei müssen hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt eines Schadensfalls rechtfertigen. Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, der für die Annahme einer Gefahr erforderlich ist, hängt dabei von der Größe und dem Gewicht des drohenden Schadens ab (vgl. BayVGH, U.v. 12.5.2014 – 10 B 12.2084 – juris Rn. 35; B.v. 18.10.2010 – 10 CS 10.1589 – juris Rn. 9; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG), Stand: 38. EL Oktober 2019, Art. 18 Rn. 33 m. w. N.).
19
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofs geht von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, oder vom Führen derartiger Hunde durch eine nicht befähigte Person in der Regel eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter aus. Ein großer kräftiger Hund flößt bereits aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes einem Durchschnittspassanten einen gewissen Respekt ein. Aufgrund der hohen Beißkraft, der Muskelkraft und des hohen Gewichts großer Hunde besteht grundsätzlich die Gefahr, dass allein das Auftauchen eines solchen Hundes bei ängstlichen Menschen oder Kindern zu Fehlreaktionen im Verhalten führen kann. Da es „hundegerechte“ Passanten nicht gibt und Hunde die Fehlreaktionen von Menschen nicht richtig einordnen können und erfahrungsgemäß auf die Angst von Menschen instinktiv anders als gewöhnlich reagieren, besteht die Gefahr, dass es zu unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Kettenreaktionen mit erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum von Passanten kommt. Insbesondere muss es vor dem Erlass entsprechender Anordnungen nicht zu Beißzwischenfällen gekommen sein. Art. 18 Abs. 2 LStVG eröffnet daher grundsätzlich die Möglichkeit, für solche Hunde einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 CS 20.7 – juris Rn. 6; B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 17.10.2018 – 10 CS 18.1717 – juris Rn. 18; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 5 ff.; U.v. 9.11.2010 -10 BV 06.3053 – juris Rn. 25; U.v. 20.1.2011 – 10 B 09.5966 – juris Rn. 21 m.w.N.; B.v. 13.11.2018 – 10 CS 18.1780, BeckRS 2018, 30636). Als große Hunde werden Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 cm angesehen (vgl. 18.1 Vollzug des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes).
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Die Antragsteller halten eine Wolfshündin sowie einen Schnauzer-Mix. Sowohl die Rasse Wolfshund (FCI, 3.9.1999/DE, FCI-Standard Nr. 332, Tschechoslowakischer Wolfshund, S. 6) als auch – wie die Antragsteller mit Schreiben vom 8. Februar 2023 mitteilen ließen – der Schnauzer-Mischling (Risthöhe 62 cm) sind über 50 cm groß. Es kann daher nach summarischer Prüfung davon ausgegangen werden, dass die Hunde der Antragsteller bereits die Anforderungen an einen großen Hund erfüllen. Damit ergibt sich bereits hieraus die Befugnis zur Anordnung einer Leinenpflicht innerorts; es reicht das Erscheinungsbild der unbegleitet frei herumlaufenden großen Hunde der Antragsteller, um das Vorliegen einer konkreten Gefahr in diesem Sinne anzunehmen.
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(2) An der Rechtmäßigkeit der Regelung durch die Antragsgegnerin in Nr. 1 des Bescheids, wonach die Antragsteller dazu verpflichtet worden sind, ihre Hunde innerorts angeleint zu führen, bestehen auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Anordnung keine Bedenken. Die Anordnungen sind geeignet und erforderlich. Die Anordnung des Leinenzwangs erscheint – auch in dem festgelegten Umfang – erforderlich, um die von den Hunden ausgehende konkrete Gefahr wirksam zu unterbinden. Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Ohne den angeordneten Leinenzwang besteht keine ausreichende und sichere Einwirkungsmöglichkeit auf die Hunde, zumal der Antragsteller zu 1) selbst mehrfach eingeräumt hat, dass die Hunde nicht auf ihn hören, wenn er sie versucht, zurückzurufen. Im Hinblick auf das Gewicht und die Kraft insbesondere der Wolfshündin, jedoch auch des Schnauzer-Mischlings mit 62 cm Risthöhe ist eine Regelung wie in Ziffer 1 des Bescheids, wonach die Hunde außerhalb der Wohnung bzw. umfriedeter (Privat-) Grundstücke nur noch an einer maximal zwei Meter langen, reißfesten Leine mit schlupfsicherem Halsband ausgeführt werden dürfen, geboten (vgl. VG Augsburg, U.v. 16.4.2007 – Au 5 K 06.1481 – juris Rn. 30). Dabei geht das Gericht davon aus, dass beim Anwesen der Antragsteller eine Regelung ab dem Verlassen des Grundstücks beabsichtigt ist, es sich hierbei mithin um ein befriedetes Privatgrundstück i.S.d. Nr. 1 des Bescheids handelt. Insbesondere ist die Anordnung einer Leinenlänge von bis zu zwei Metern auch unter tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten unproblematisch. Vielmehr wird üblicherweise angeordnet, dass der Hund an einer reißfesten, maximal sogar 1,50 bis 2,00 Meter langen reißfesten Leine und mit einem schlupfsicheren, feingliedrigen Halsband oder fest anliegendem Brustgeschirr zu führen ist, solange er sich außerhalb ausreichend gesichertem Privatgelände in bebauten Gebieten aufhält (Schwabenbauer in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, LStVG, Stand 1.7.2022, Art. 18 Rn. 96). Die angeordnete Länge von zwei Metern liegt damit im gebotenen Rahmen.
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bb) Die Anordnung der Leinenpflicht außerorts erweist sich als rechtswidrig, da sich die Anordnung insbesondere als nicht verhältnismäßig darstellt.
23
(1) Bezüglich der angeordneten Leinenpflicht auch außerhalb bewohnter Gebiete ist zu konstatieren, dass eine konkrete Gefahr, wie sie Art. 18 Abs. 2 LStVG für bestimmte Rechtsgüter fordert, auch bei großen Hunden nicht ohne Hinzutreten weiterer gefahrenbegründender Vorfälle angenommen werden kann, da sich die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu großen Hunden auf bewohnte Gebiete beschränkt. Im Außenbereich kommt es nämlich gerade nicht zwangsläufig zu den die konkrete Gefahrenlage begründenden Kontakten mit anderen Menschen oder Hunden; die bloße entfernte oder abstrakte Möglichkeit, dass der große Hund außerhalb bewohnter Gebiete auf Menschen oder andere Hunde treffen und diese angreifen und von ihrem Halter in solchen Situationen nicht oder nicht rechtzeitig zurückgehalten werden könnte, reicht für das Erfordernis einer konkreten Gefahr im oben genannten Sinn nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 10). Ist es bereits zu einem Beißvorfall oder sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen, ist eine konkrete Gefahr zu bejahen, wenn nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist (BayVGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 40; Schwabenbauer in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 1.5.2020, Art. 18 LStVG Rn. 38 ff.)
24
Vorliegend ergeben sich aus der Akte polizeiliche Dokumentationen zu den beiden genannten Vorfällen zwischen dem Antragsteller zu 1) mit den beiden gegenständlichen Hunden und Herrn … mit dessen Hund. Nach den Angaben des Herrn … zum Vorfall am 5. Juli 2022 (Behördenakte, Bl. 16) habe der Antragsteller zu 1) mit seinen frei laufenden beiden Hunden plötzlich nach einer Biegung ca. 15 Meter vor ihm gestanden. Beide Hunde der Antragsteller seien sofort auf Herrn … und seinen Hund zugerannt. Der kleinere Hund habe ihn direkt angegriffen, indem er gebellt und versucht habe, nach seinem linken Bein zu schnappen. Der größere Hund habe sich auf seinen Hund gestürzt, habe ihn zu Boden gedrückt und an dessen Schulter gepackt. Nach der durch ihn erfolgten Abwehr der beiden Hunde der Antragsteller hätten sich diese vor ihm aufgestellt. Hierbei hätten sie sich im rechten Winkel vor ihm aufgeteilt, als wollten sie ihn umstellen. Der Antragsteller zu 1) habe nicht versucht, seine Hunde zurückzurufen. Sein Hund habe durch den Biss durch den Hund der Antragsteller (Anm.: der größere Hund, Wolfshündin) eine Schwellung an der Schulter erlitten, welche im Laufe der darauffolgenden Tage geeitert habe. Die Höhe der Tierarztkosten könnten nicht benannt werden. Nach der Darstellung des Herrn … zum Vorfall am 20. September 2022 (Behördenakte, Bl. 15) rannten die beiden Hunde der Antragsteller sofort, nachdem sie Herrn … und seinen Hund entdeckt hatten, auf diese los. Die Wolfshündin sei sehr aggressiv gewesen und direkt auf ihn los gegangen, der Schnauzer habe seinen Hund verfolgt. Im weiteren Verlauf hätten sich beide Hunde der Antragsteller vor ihm aufgebaut und ihn aggressiv angebellt. Durch den Vorfall habe er ein Hämatom des rechten Unterschenkels erlitten. Er habe, da er einen Biss befürchtet habe, mit seinem rechten Fuß gegen die Brust der Wolfshündin getreten.
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Der Antragsteller zu 1) schilderte den Vorfall am 5. Juli 2022 (Behördenakte, Bl. 24) dahingehend, dass die beiden frei laufenden Hunde der Antragsteller auf Herrn … zugelaufen seien. Er habe versucht, sie zurückzurufen, doch sie hätten nicht reagiert. Die Wolfshündin habe den Hund von Herrn … mit der Pfote runtergedrückt. Er sei hingelaufen und habe seine Hunde angeleint, woraufhin es zum Streitgespräch gekommen sei. Am 20. September 2022 (Behördenakte Bl. 24 f.) sei er mit den Hunden spazieren gewesen; sie seien Herrn … und seinem Hund in einer Entfernung von 150 Metern begegnet. Beide Hunde seien bei ihm gewesen, er habe sie anleinen wollen, da seien sie schon losgerannt. Er habe versucht, sie zurückzurufen, sie hätten jedoch nicht gehört. Er habe sehen können, dass die Wolfshündin ca. zehn Meter vor Herrn … gestoppt habe und der Schnauzer zum Hund des Herrn … gegangen sei. Er habe nicht gesehen, dass sich der Schnauzer aggressiv gegenüber dem Hund des Herrn … verhalten habe. Er habe weiter nach seinen Hunden gerufen, welche schließlich auch gekommen seien. Bis ca. April 2022 habe er seit ungefähr vier Jahren eine Hundeschule zum Trainieren besucht.
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Die Zeugin … (Behördenakte, Bl. 28), die bei beiden Vorfällen anwesend war, gab zum Vorfall am 5. Juli 2022 an, dass ein Hund der Antragsteller – sie glaube, es sei die Wolfshündin gewesen – sofort auf Herrn … losgerannt sei, als sie diesen erblickt habe; der andere Hund sei ihr gefolgt. Beide Hunde der Antragsteller seien auf den Hund des Herrn … losgegangen. Sie würde sagen, der Antragsteller zu 1) habe versucht, seine Hunde zurückzurufen. Auch am 20. September 2022 seien die Hunde der Antragsteller wieder auf den Hund des Herrn … losgegangen, was sie nur akustisch gehört habe. Der Hund des Herrn … sei vor den großen Hunden der Antragsteller geflüchtet, welche ihm nicht gefolgt seien.
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Dem Schlussvermerk des Polizeipräsidiums … – Zentrale Einsatzdienst … – vom 15. Oktober 2022 ist zu entnehmen, dass bei einer Überprüfung der Hundehaltung im Rahmen der Vernehmung des Antragstellers zu 1) durch den Unterzeichner des Vermerks die Hunde der Antragsteller frei herumliefen und kein aggressives Verhalten festzustellen gewesen sei. Die Hunde hätten sich ihm gegenüber neutral verhalten. Laut ärztlichem Befund handle es sich bei der Verletzung des Herrn … um einen infizierten Hundebiss am rechten Unterschenkel. Herr … selbst könne sich an keine aktive Beißhandlung des Hundes erinnern; es könne sein, dass er bei seinem Tritt gegen den Hund dessen Schnauze getroffen habe. Frühere Vorkommnisse mit den Hunden der Antragsteller seien der Gemeinde und Polizei nicht bekannt.
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Mithin geht das Gericht aufgrund der Zeugendarstellungen und Eingeständnisse des Antragstellers zu 1) – hinsichtlich des Zurennens der Hunde auf den Hund des Herrn … auch in der Klagebegründung mit Schreiben vom 18. Januar 2023 – nach summarischer Prüfung davon aus, dass die Hunde der Antragsteller bei beiden Vorfällen zeitnah nach dem Entdecken des Herrn … mit seinem Hund jeweils auf diesen zurannten. Des Weiteren als wahrscheinlich wird angesehen, dass die beiden Hunde der Antragsteller den Hund des Herrn … jedenfalls angriffen. Beide Vorfälle ereigneten sich außerorts. Mithin bestehen vorliegend Anhaltspunkte dafür, dass sich eine von den Hunden der Antragsteller ausgehende Gefahr zumindest für andere Hunde außerhalb des Bebauungszusammenhangs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit realisieren wird. Dies kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben.
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(2) Jedenfalls erweist sich die Anordnung eines generellen, bayernweiten Leinenzwangs für die Hunde der Antragsteller nämlich als unverhältnismäßig. Durch die Anordnung einer unbeschränkten, ausnahmslosen bayernweiten Leinenpflicht außerorts bleibt kein Raum, dem Bewegungsbedürfnis großer Hunde gerecht zu werden.
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Der angeordnete allgemeine Leinenzwang bezweckt den Schutz vor den von den frei umherlaufenden Hunden der Antragsteller generell ausgehenden Gefahren für Leib, Leben, Eigentum und die Freiheit von Menschen, sich auch außerhalb ihrer eigenen geschützten Räumlichkeiten angstfrei und unbefangen zu bewegen. Mit dem in dem streitgegenständlichen Bescheid geforderten allgemeinen Anleinzwang soll dem unkontrollierbaren Verhalten der frei herumlaufenden Hunde und den damit verbundenen abstrakten Gefahren für die vorbezeichneten Rechtsgüter begegnet werden. Solange im Geltungsbereich einer ordnungsbehördlichen Verfügung ausreichend Flächen vorhanden sind, in deren Bereich Hunde frei laufen können, bestehen im Allgemeinen keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit des Leinenzwangs (vgl. ThürOVG, U.v. 26.4.2007 – 3 N 699/05 – juris Rn. 66 ff; OVG RhPf, B.v. 21.9.2006 – 7 C 10539/06 – juris Rn. 23). Zwar sind etwaige geringfügige Unbequemlichkeiten, die mit dem Aufsuchen der für den freien Auslauf von Hunden geeigneten Örtlichkeiten für einzelne Hundehalter verbunden sind, hinzunehmen (ThürOVG, U.v. 26.4.2007 – 3 N 699/05 – juris Rn. 72). Ein genereller bayernweiter Leinenzwang macht freien Auslauf für Hunde in geeigneten Örtlichkeiten jedoch schlechthin unmöglich.
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§ 2 Abs. 1 Nr. 1 der Tierschutz-Hundeverordnung fordert bereits, einem Hund ausreichend Auslauf im Freien außerhalb eines Zwingers zu gewähren. Dabei sind Auslauf und Sozialkontakte der Rasse, dem Alter und Gesundheitszustand des Hundes anzupassen.
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Die Antragsgegnerin trägt mit der Anordnung eines ausnahmslosen Leinenzwangs im gesamten Gebiet Bayerns dem erforderlichen Bewegungsdrang der großen Hunde der Antragsteller nicht Rechnung. Üblicherweise wird insoweit angeordnet, dass außerhalb von Ortschaften auf freiem, überschaubarem Gelände ohne öffentliche Wege der Leinenzwang entfällt, wenn sich keine fremden Personen oder andere Hunde in der Nähe befinden und auch keine anderen Gefahrensituationen erkennbar sind. Die Örtlichkeiten bzw. Situationen, in denen der Hund an die kurze Leine oder die Laufleine zu nehmen ist bzw. die Voraussetzungen, unter denen der Leinenzwang entfällt, sind ausführlich und hinreichend bestimmt darzustellen (vgl. VG Augsburg, U.v. 16.4.2007 – Au 5 K 06.1481 – juris Rn. 30).
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cc) Die Teilung der Gesamtanordnung in Ziffer 1 des Bescheids in einen Regelungsgehalt hinsichtlich der Leinenpflicht innerorts sowie einen Regelungsgehalt zu einer Leinenpflicht außerorts begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Damit kann die voraussichtlich rechtmäßige Regelung der Antragsgegnerin in Ziffer 1 des Bescheids zum Leinenzwang innerorts insoweit bestehen bleiben. Soweit die angeordnete Leinenpflicht eine solche außerorts postuliert, erweist sich die Anordnung als rechtswidrig. Eine angeordnete Leinenpflicht außerorts wäre – im Fall einer erneuten Anordnung durch die Antragsgegnerin – entsprechend hinreichend bestimmt und ausführlich zu beschränken, so dass dem Bewegungsbedürfnis großer Hunde Rechnung getragen würde.
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c) Die Anordnung in Ziffer 2 des Bescheids, wonach die Antragsteller verpflichtet werden, ihre Hunde nur von einer geeigneten, volljährigen Person führen zu lassen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach Art. 18 Abs. 2 LStVG können auch persönliche Anforderungen an die Eignung des Hundehalters oder Hundeführers gestellt werden. Derartige Maßnahmen sind gerade in Ergänzung eines verfügten Anleinzwanges sinnvoll, da diese nur wirksam sind, wenn der Hundeführer nach seiner physischen und psychischen Verfassung in der Lage ist, auf den Hund ausreichend einzuwirken. Es kann daher auf der Grundlage des Art. 18 Abs. 2 LStVG der Kreis der Personen, die den Hund ausführen dürfen, auf bestimmte Personen beschränkt werden. Soweit die Antragsgegnerin die Eignung des Hundehalters auch am Erreichen eines bestimmten Alters festmacht, ist dies daher nicht von vornherein rechtswidrig. Jedenfalls für den Zeitraum bis zum Abschluss des Klageverfahrens ist dies für die Antragsteller zumutbar, zumal sie auch nicht konkret vorgetragen haben, dass andere als volljährige Personen ihre Hunde ausführen würden (VG Augsburg, B.v. 26.4.2012 – Au 5 S 12.316 – juris Rn. 59).
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d) Die Androhung eines Zwangsgelds in Ziffer 4 des Bescheids erweist sich als rechtswidrig. Dies ergibt sich insoweit bereits aus der Feststellung der Rechtswidrigkeit hinsichtlich der in Ziffer 1 des Bescheids angeordneten unbeschränkten Leinenpflicht außerorts. Des Weiteren erweist sich die Zwangsgeldandrohung als nicht hinreichend bestimmt. Bei mehreren gebotenen selbständigen Handlungen oder Unterlassungen ist für jede eine Androhung notwendig (VG Augsburg, B.v. 28.5.2008 – Au 5 S 08.513 – juris Rn. 50). Es ist nicht erkennbar, für welchen Fall der Nichterfüllung einer Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht ein Zwangsgeld in welcher Höhe droht (VGH BW, U.v. 17.8.1995 – 5 S 71/95 – NVwZ-RR 1996, 612). Die Androhung eines einzigen einheitlichen Zwangsgelds zur Erzwingung mehrerer Handlungen oder Unterlassungen verstößt daher gegen den Grundsatz der Klarheit und Bestimmtheit von Verwaltungsakten, weil so nicht erkennbar ist, ob und in welcher Höhe das Zwangsgeld bei Nicht-Erfüllung einer der Anordnungen fällig wird (VG München, B.v. 27.3.2013 – M 18 S 13.587 – juris Rn. 101). So bleibt angesichts des Wortlauts der Bestimmung unklar, ob das Zwangsgeld fällig würde, wenn ein Verstoß gegen die Anordnungen in den Ziffern 1 oder 2 bereits durch einen oder erst durch beide Hunde kumulativ erfolgen würde.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 159 VwGO. Entsprechend dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten in Bezug auf die getroffenen Anordnungen erachtet es das Gericht als angemessen, den Antragstellern 3/4 und der Antragsgegnerin 1/4 der Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Aufhebung der Zwangsgeldandrohung im Bescheid ist nicht streitwerterhöhend (vgl. Nr. 1.7.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, NVwZ-Beilage 2013, 57), so dass dies auch bei der Kostenverteilung nicht berücksichtigt wird.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nrn. 1.5 und 35.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).