Titel:
schwere Alkoholisierung, Alkoholtoleranz, Zweifel i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV, Fristverlängerung § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV, kein Ermessen § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 46 Abs. 1 S. 1
FeV Nr. 8.3 der Anlage 4 zur
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 11 Abs. 6 S. 2
Schlagworte:
schwere Alkoholisierung, Alkoholtoleranz, Zweifel i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV, Fristverlängerung § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV, kein Ermessen § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV
Fundstelle:
BeckRS 2023, 30264
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E und L, die Anordnung der Abgabe des Führerscheins sowie die Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall, dass dieser nicht fristgemäß abgegeben wird.
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2022, Az. …, informierte die Polizeiinspektion … das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) darüber, dass der Antragsteller am 21. Januar 2022 hinsichtlich Trunkenheit im Verkehr infolge Alkohol (§ 316 StGB) polizeilich in Erscheinung getreten sei. Der Behördenakte ist zu entnehmen (insb. BA, Bl. 4 ff.), dass die Personalchefin des Arbeitgebers des Antragstellers (vgl. auch schriftliche Äußerung BA, Bl. 14) an diesem Tag ca. um 11:30 Uhr telefonisch der PI mitgeteilt hat, dass der Antragsteller vermutlich in alkoholisiertem Zustand von der Firma mit seinem PKW weggefahren sei. Mehrere Mitarbeiter hätten beim Antragsteller leichten Alkoholgeruch wahrgenommen. Die Personalchefin habe daraufhin einen Transport zur Wohnadresse des Antragstellers für diesen organisiert, den er allerdings nicht wahrgenommen habe, sondern währenddessen bereits mit seinem Privat-PKW die Heimfahrt angetreten habe. Einer Streifenbesatzung mit zwei Beamten habe der Antragsteller erst nach lautem Rufen an seiner Wohnadresse geöffnet. Gemäß dem Bericht habe der Antragsteller sichtlich alkoholisiert gewirkt. Ein freiwillig durchgeführter Alkotest habe gegen 12:57 Uhr 1,12 mg/l Atemalkohol ergeben. Auf Konfrontation mit jenem Messergebnis habe der Antragsteller angegeben, vor seinem Arbeitsbeginn um 5:00 Uhr ein Bier und nach seiner Heimkehr zwischen 11:45 Uhr und 12:50 Uhr drei weitere Biere (0,5 l) getrunken zu haben. Im Haus hätten jedoch nur zwei leere und drei volle Bierflaschen (0,5 l, 4,9% Alkoholgehalt) festgestellt werden können. In der Garage habe der Privat-PKW des Antragstellers verschlossen, aber mit warmer Kühlerhaube aufgefunden werden können. Die infolgedessen angeordneten – da Nachtrunk nicht auszuschließen gewesen sei – zwei Blutentnahmen um 13:35 Uhr und 14:05 Uhr ergaben in der Blutuntersuchung beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in … in der ersten Probe einen Wert von 2,25 Promille und in der zweiten Probe einen Wert von 2,16 Promille (BA, Bl. 13). Der Antragsteller sei nach dem Bericht bisher noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten.
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Die Akte enthält des Weiteren einen Strafbefehl des Amtsgerichts … (Bl. 21 f.) ohne Datumsangabe und Unterschrift (Az. …*), wonach gegen den Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß §§ 316 Abs. 1 und 2, 69, 69a StGB eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen à 75,00 EUR verhängt wurde. Die Fahrerlaubnis wurde entzogen und der Führerschein eingezogen. Ebenfalls enthalten (Bl. 23 f.) ist das Urteil des Amtsgerichts … vom 6. Juli 2022 (Az. …*), wonach der Antragsteller aus tatsächlichen Gründen freigesprochen wurde. In einem Schreiben eines Bevollmächtigten des Antragstellers vom 2. Juni 2022 (Bl. 32) wird ausgeführt, dass der Tatnachweis für das Vorliegen einer Trunkenheitsfahrt des Antragstellers nicht erbracht sei (wird näher ausgeführt). Des Weiteren ist der Behördenakte ein Gutachten zur Tatzeit-BAK (11:30 Uhr) und zur Plausibilität der Nachtrunkbehauptung (zwei Flaschen Bier à 0,5 l mit 4,9%) des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 7. März 2022 (Bl. 28 ff.) zu entnehmen. Hiernach ergebe sich unter Außerachtlassung eines Nachtrunkverhaltens zum Tatzeitpunkt um 11:30 Uhr eine Mindest-BAK von 2,45 Promille. Ein Nachtrunk im angegebenen Umfang führe unter Abzug von 0,88 Promille zu einer Alkoholisierung von mindestens 1,57 Promille. Das nach Aktenlage zu unterstellende Gesamt-Trinkverhalten lasse sich auch unter Einbeziehung eines Nachtrunkes nicht mit dem Ergebnis der Trinkmengen-Bilanzierung vereinbaren. Ein Nachtrunk erscheine bei einem entsprechend hohen Vortrunk prinzipiell möglich.
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Mit Schreiben vom 3. Januar 2023, zugestellt am 7. Januar 2023, forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis zum 3. März 2023 ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse 3 beizubringen, welche folgende Fragestellung umfasse:
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Lässt sich die aus aktenkundigen Tatsachen begründete Annahme einer Alkoholabhängigkeit bei Herrn … aktuell bestätigen? Wenn ja, welche drei Kriterien nach ICD-10 sind im vorliegenden Einzelfall erfüllt, die die Annahme einer Alkoholabhängigkeit bestätigen? Falls Abhängigkeit festgestellt wurde: Fand eine erfolgreiche Entwöhnung statt?
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Nach erfolgreicher Entwöhnung: Liegt ein ausreichender nachgewiesener Abstinenzzeitraum vor? Es erfolgte der Hinweis, dass die nicht fristgerechte Vorlage des Gutachtens zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen kann, § 11 Abs. 8 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrererlaubnis-Verordnung – FeV), sowie dass die Kosten der Untersuchung vom Antragsteller zu tragen seien. Bis 17. Januar 2023 sei mitzuteilen, bei welcher Begutachtungsstelle die Untersuchung erfolgen solle. Innerhalb dieser Frist bestehe die Möglichkeit, die zu übersendenden Unterlagen einzusehen. Es liege in der Verantwortung des Antragstellers, auf eine rechtzeitige Gutachtenserstellung hinzuwirken. Der Antragsteller werde gebeten, sich auch selbst mit der Begutachtungsstelle zwecks Terminvereinbarung in Verbindung zu setzen, damit eine fristgerechte Gutachtenserstellung möglich sei. Es bestünden angesichts des aktenkundigen Vorfalls vom 21. Januar 2022 erhebliche Zweifel an der Geeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen. Nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV sei bei Alkoholabhängigkeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorhanden. Die Fahreignung sei erst wieder gegeben, wenn nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV die Abhängigkeit nicht mehr bestehe. Erhebliche Alkoholisierungen bei Werten ab 2,0 Promille deuteten auch ohne Verkehrsteilnahme auf die Bildung einer Alkoholtoleranz hin, die eines der für eine Alkoholabhängigkeit maßgebenden Kriterien nach ICD 10 F10.2 sei (unter Hinweis auf BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123). Mit dem festgestellten Wert von 2,25 Promille sei dieser Wert deutlich überschritten worden, so dass ein konkreter Anhaltspunkt gegeben sei, der für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit spreche. Auch die Tatsache, dass die erhebliche Alkoholisierung bereits zur Mittagsstunde eines Werktages vorlag und auch im Rahmen der Arbeit unbeteiligten Dritten aufgefallen sei, spreche für die Bildung einer Alkoholtoleranz. Ebenfalls sei der erreichte Promillewert nicht mit den angegebenen Trinkmengen am betroffenen Tag zu erklären. Es gelte daher zu verhindern, dass infolge massiver Alkoholaufnahme die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs sowie der Antragsteller selbst gefährdet würden. Die Tatsache, dass sich der aktenkundige Vorfall ohne nachweisliche Nutzung eines Verkehrsmittels im betrunkenen Zustand ereignet habe, sei ohne Belang, da bei Vorliegen der Diagnose Alkoholabhängigkeit oder einem Verdacht auf diese bei Fahrerlaubnisinhabern keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehe, §§ 46 Abs. 1, 11 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 8.3 Anlage 4 zur FeV. Krankheitsbedingt bestehe hier jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts.
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Mit Schreiben vom 9. März 2023, zugestellt am 11. März 2023, teilte das Landratsamt dem Antragsteller mit, dass mangels Vorlage des angeordneten Gutachtens davon ausgegangen werden müsse, dass bestehende Mängel verborgen bleiben sollten und gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden könne. Damit sei das Landratsamt gehalten, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Antragsteller erhalte Gelegenheit, sich bis zum 23. März 2023 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis zu äußern oder das angeordnete Gutachten vorzulegen. Ferner bestehe die Möglichkeit, die beiliegende Verzichtserklärung zurückzusenden oder einen formellen Entziehungsbescheid zu verlangen. Sollte bis zum genannten Termin weder eine Rückantwort noch die Verzichtserklärung mit Führerschein oder das angeordnete Gutachten beim Landratsamt vorliegen, werde davon ausgegangen, dass auf einen kostenpflichtigen Entziehungsbescheid Wert gelegt werde. Eine Fristverlängerung könne nicht gewährt werden.
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Am 13. März 2023 ging die Zustimmungserklärung des Antragstellers unter Auswahl einer Begutachtungsstelle beim Landratsamt ein. Mit E-Mail vom 14. März 2023 sendete das Landratsamt die erforderlichen Unterlagen an die ausgewählte Begutachtungsstelle. Die Akte enthält eine Aktennotiz vom 15. März 2023 des Landratsamts (BA, Bl. 69), wonach die Begutachtungsstelle mitgeteilt habe, die gesetzte Frist nicht einhalten zu können. Ein Termin sei frühestens Anfang April möglich. Einer Fristverlängerung könne vorliegend nicht zugestimmt werden, da auch die Einverständniserklärung erst im Rahmen der Anhörung zum Führerscheinentzug eingegangen sei und der Antragsteller in der Verpflichtung sei, auf eine rechtzeitige Gutachtenserstellung hinzuwirken. Das Landratsamt teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 16. März 2023 mit, einer Fristverlängerung aufgrund der Ablehnung der Begutachtungsstelle zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit hinsichtlich der beim Antragsteller weiterhin bestehenden erheblichen Zweifel an der Fahreignung nicht zustimmen zu können. Rechtfertigungsgründe, warum sich der Antragsteller erst im Rahmen der Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis gemeldet habe, seien nicht bekannt.
9
Mit Schreiben vom 23. März 2023 zeigte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers gegenüber dem Landratsamt an, nahm Bezug auf das Schreiben des Landratsamts vom 16. März 2023 und führte aus, es sei nicht bekannt, ob auch die Frist zur Abgabe der Verzichtserklärung laufe bzw. abgelaufen sei. Es werde vorsorglich um eine Fristverlängerung hinsichtlich der freiwilligen Abgabe des Führerscheins und des Verzichts auf die Fahrerlaubnisklassen bis zum 13. April 2023, hilfsweise bis zum 6. April 2023 gebeten. Ferner werde um Übersendung der Führerscheinakte, insbesondere der Schreiben vom 7. Januar und 9. März 2023 gebeten. Es sei nicht bekannt, weshalb die Fahreignung in Zweifel gezogen werde; insofern werde ebenfalls um Mitteilung gebeten. Hierauf erfolgte mit Schreiben des Landratsamts vom 27. März 2023 (mit der Anm. „Zur Post: 27.03.2023“) eine Ablehnung der beantragten Fristverlängerung; aus Gründen der Verkehrssicherheit hinsichtlich der weiterhin vorliegenden Eignungszweifel könne der Entzug der Fahrerlaubnis nicht weiter aufgeschoben werden. Mit Schreiben vom 9. März 2023 sei der Antragsteller angehört und ihm die Möglichkeit eingeräumt worden, bis spätestens 23. März 2023 freiwillig auf die Fahrerlaubnis zu verzichten oder das angeordnete Gutachten bis zum gesetzten Datum vorzulegen. Sollte der Fahrerlaubnisbehörde bis 29. März 2023 keine Verzichtserklärung vorliegen, werde ein förmlicher Entziehungsbescheid erlassen.
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Mit Bescheid vom 6. April 2023, zugestellt am 12. April 2023, wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E sowie L entzogen und angeordnet, dass er den Führerschein mit der Nr. … umgehend beim Landratsamt … abzugeben habe (Ziff. 1). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids werde angeordnet (Ziff. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheides werde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet werden, so werde die Frist bis zum Ablauf von einer Woche nach Eintritt der Bestandskraft verlängert (Ziff. 3). Es wurde festgesetzt, dass der Antragsteller die Kosten des Verfahrens – eine Gebühr in Höhe von 150,00 EUR sowie Auslagen in Höhe von 3,45 EUR – zu tragen habe (Ziff. 4).
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Die Fahrerlaubnis sei unter Hinweis auf die dargestellten Schreiben im Vorfeld zu entziehen; bis zum festgesetzten Fristende am 29. März 2023 sei keine weitere Rückmeldung beim Landratsamt eingegangen. Rechtsgrundlage für die Entziehung sei § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV. Ungeeignetheit in diesem Sinne ergebe sich insbesondere bei Vorliegen eines Mangels der Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV. Es werden die Ausführungen zur Annahme einer Alkoholabhängigkeit bei erheblichen Alkoholisierung aus der Beibringungsanordnung vom 3. Januar 2023 wiederholt. Die Fahrerlaubnisbehörde sei verpflichtet, zur Abklärung der Fahreignung die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, wenn Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründeten, § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV. Solche Tatsachen hätten hier aufgrund des Sachverhalts am 21. Januar 2022 vorgelegen. Da der dem Antragsteller obliegende Nachweis über seine Eignung als Kraftfahrzeugführer nicht erbracht worden sei, könne gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden. Die festgesetzte Frist zur Vorlage des Gutachtens sei mit zwei Monaten grundsätzlich angemessen und ausreichend gewesen. Der Entzug der Fahrerlaubnis treffe den Antragsteller nicht unvorbereitet, da er zu der beabsichtigten Entziehung mit Schreiben vom 9. März 2023 angehört worden und ihm eine angemessene Frist zur Äußerung bis 23. März 2023 gewährt worden sei. Bereits mit der am 7. Januar 2023 zugestellten Gutachtenaufforderung sei der Antragsteller darauf hingewiesen worden, dass er sich auch selbst bezüglich einer Terminvereinbarung mit der ausgewählten Begutachtungsstelle hinsichtlich einer rechtzeitigen Gutachtenserstellung in Verbindung setzen solle. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Abgabepflicht des Führerscheins sei im öffentlichen Interesse geboten, § 80 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VwGO. Die Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen verlange, dass Verkehrsteilnehmer, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sind, von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen werden, auch wenn das bisherige Fahrverhalten nicht zu Unfällen geführt habe. Die weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen könne bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung nicht zugelassen werden. Das Interesse des Antragstellers, bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung den Führerschein behalten zu dürfen, müsse eindeutig hinter dem Interesse der Allgemeinheit auf Schutz vor ungeeigneten Kraftfahrern zurücktreten. Die Androhung eines Zwangsgeldes hinsichtlich der Ablieferungspflicht stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Die festgesetzte Höhe von 500,00 EUR erreiche das wirtschaftliche Interesse, das der Antragsteller an der Nichtvorlage des Führerscheindokuments besitze. Eine Ablieferung sei ihm innerhalb von fünf Tagen zumutbar. Es folgen Ausführungen zur Kostenentscheidung.
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Der Antragsteller ließ durch seinen Bevollmächtigten mit am 3. Mai 2023 bei Gericht eingegangenem Schreiben Klage erheben und beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 03.05.2023 gegen den unter dem Aktenzeichen … (beiliegenden) Bescheid hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E und L vom 06.04.2023 wird wiederhergestellt.
13
Zur Begründung des Antrags werde im Wesentlichen auf die Klagebegründung verwiesen. Hierin wurde darauf hingewiesen, dass die Fahrerlaubnisbehörde Kenntnis von einer Trunkenheit des Antragstellers – keiner Trunkenheitsfahrt – erhalten habe, wobei ein Zusammenhang zur Straßenverkehrsteilnahme zu keinem Zeitpunkt festgestellt habe werden können. Die Anordnung der Fahreignungsbegutachtung sei mangels bestehender Anhaltspunkte für ein fehlendes Trennungsvermögen des Antragstellers zwischen Trinken und Straßenverkehrsteilnahme rechtswidrig gewesen. Das Landratsamt beziehe sich auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. März 2020 (Az. 11 CS 20.123), welcher sich insoweit vom vorliegenden Fall unterscheide, dass ein mit einer Alkoholisierung verbundener Krankenhausaufenthalt oder ähnliches beim Antragstellers nicht vorgelegen habe. Vorliegend bestünden neben einer einmaligen dokumentierten Alkoholisierung keinerlei Indizien hinsichtlich Missbrauch oder Abhängigkeit. Aus der Führerscheinakte ergebe sich nicht, dass der Kläger schon einmal in irgendeiner Form im Straßenverkehr aufgefallen wäre, was zeige, dass falls Alkohol getrunken werde, eine hinreichende Trennung zum Straßenverkehr eingehalten werde.
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Hinsichtlich des Eilrechtsschutzes wurde noch ausgeführt, dass nicht nur die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage ausschlaggebend seien, sondern auch eine Interessenabwägung zwischen dem Vollzugsinteresse des Freistaats auf der einen und dem Interesse des Betroffenen auf der anderen Seite. Der Betroffene habe noch bis zum 12. Mai 2023 Urlaub und wohne in … Zu seiner Arbeitsstelle in … könne er aufgrund des Schichtsystems nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln gelangen und er habe keine Arbeitskollegen, die ihn mitnehmen könnten. Ihm sei von seinem Arbeitgeber mitgeteilt worden, dass er gekündigt werde, wenn er nach seinem Urlaub nicht auf der Arbeit erscheine. Sofern der Antragsteller von seiner Fahrerlaubnis bis zum Abschluss des Verfahrens keinen Gebrauch machen dürfte, werde er seinen Job verlieren, was seine Existenz bedrohe. Auch seine Hausfinanzierungsrate sei zu begleichen und sein Unterhalt sei zu verdienen. Mithin seien die nachteiligen Folgen für den Antragsteller deutlich stärker als das Vollzugsinteresse. Es werde darauf hingewiesen, dass sich der zugrundeliegende Sachverhalt am 21. Januar 2022 ereignet habe, damit also über ein Jahr und drei Monate zurückliege, wobei der Antragsteller während dieser Zeit nach wie vor völlig unauffällig am Straßenverkehr teilgenommen habe. Hinsichtlich des Vorfalls sei ein vollständiger Freispruch erfolgt. Es sei daher nicht einzusehen, weshalb nun nach über einem Jahr eine solche Dringlichkeit bestehe, dass der Antragsteller vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens von seiner Fahrerlaubnis keinen Gebrauch mehr machen dürfe.
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Das Landratsamt beantragt mit Schreiben vom 5. Mai 2023,
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 6. April 2023 sei aufgrund der Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens rechtmäßig und die Anordnung des sofortigen Vollzuges nicht zu beanstanden. Da zunächst die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht … beabsichtigt gewesen sei, hätten durch das Landratsamt nach § 3 Abs. 3 StVG keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden können. Nach Abschluss des Strafverfahrens habe es gemäß §§ 46 Abs. 3, 13 Satz 1 Nr. 1 FeV i.V.m. Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV gegolten, die durch den Sachverhalt aufgeworfenen Zweifel an der Fahrereignung durch die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung abzuklären. Es werden die Ausführungen zur erheblichen Alkoholisierung im Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit wiederholt. Entgegen der Annahme des Bevollmächtigten des Antragstellers sei zu keinem Zeitpunkt zu klären gewesen, ob der Antragsteller Trinken und Straßenverkehrsteilnahme zuverlässig trennen könne. Vielmehr habe abgeklärt werden sollen, ob sich der Verdacht des Vorliegens einer Alkoholabhängigkeit beim Antragsteller bestätigen lasse. Ob sich die aktenkundige Auffälligkeit im Straßenverkehr zugetragen habe, sei wie ausgeführt nicht relevant. Es liege in der Verantwortung des Fahrerlaubnisinhabers, auf eine rechtzeitige Gutachtenserstellung hinzuwirken; dazu gehöre auch, mit der ausgewählten Stelle abzuklären, ob eine termingerechte Untersuchung möglich sei. Diene die Vorlage des Gutachtens nicht dem Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung, sondern wie hier der Klärung der Frage, ob der Antragsteller seine Fahreignung verloren habe, sei die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstellung des Gutachtens voraussichtlich benötigt werde. Die gesetzte Frist von zwei Monaten zur Vorlage des Gutachtens sei daher ausreichend und angemessen gewesen, so dass aus Gründen der Verkehrssicherheit eine Fristverlängerung nicht gewährt werden habe können.
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Der Antragsteller ließ mit Schreiben vom 23. Mai 2023 noch ausführen, dass der Verwaltungsakt über ein Jahr nach dem festgestellten Alkoholisierungsgrad des Antragstellers erlassen worden sei und nach dieser Zeit selbst dann nicht mehr von Alkoholabhängigkeit bzw. -missbrauch auszugehen sei, wenn dies damals erwiesen gewesen wäre, was bestritten werde. Erst recht läge nach dieser Zeit kein Grund für die sofortige Vollziehbarkeit vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
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Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der vorliegende Antrag keinen Erfolg, da die Klage vom 3. Mai 2023 gegen den Bescheid des Antragsgegners bei summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Bescheid vom 6. April 2023 erweist sich als rechtmäßig.
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a. Ziffer 1 Satz 1 des Bescheides hält einer Rechtmäßigkeitskontrolle bei summarischer Prüfung stand. Dem Antragsteller wurde zu Recht die Fahrerlaubnis für sämtliche Fahrerlaubnisklassen entzogen.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
24
Die Nichteignung des Klägers ergibt sich vorliegend aus § 11 Abs. 8 FeV. Bringt ein Fahrerlaubnisbewerber demgemäß ein behördlich angeordnetes Fahreignungsgutachten nicht bzw. nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Erteilung der Fahrerlaubnis darauf schließen, dass dem Betroffenen die Fahreignung fehlt. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Falle grundloser Nichtbeibringung des Gutachtens ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist (st Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 19). Die Gutachtensanordnung muss weiter hinreichend bestimmt und aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Weiterhin ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erforderlich, dass der Betroffene nachweislich auf die Folgen der Nichteignungsvermutung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hingewiesen wurde. Die Frist muss so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Gutachtensbeibringung möglich und zumutbar ist (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 18).
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aa. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV müssen der Fahrerlaubnisbehörde Tatsachen bekannt werden, die im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Beibringungsanordnung Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers bzw. die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des Ergehens der zu überprüfenden Anordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 14; B.v. 21.5.2012 – 3 B 65.11 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 27.5.2015 – 11 CS 15.645 – juris Rn. 11). Die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens muss sich dabei auf konkrete Tatsachen stützen und darf nicht auf einen bloßen Verdacht hin „ins Blaue hinein“ verlangt werden (BayVGH, U.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13). Ob solche konkreten Tatsachen vorliegen, die Bedenken in diesem Sinne begründen, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Diese Tatsachen können sich auch aus Mitteilungen anderer Behörden ergeben.
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Das Gericht hat keinen Zweifel, dass die Forderung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens im maßgeblichen Zeitpunkt der Beibringungsaufforderung zu Recht erfolgt ist, denn es sind hinreichend gewichtige Tatsachen vorhanden, die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers in diesem Sinne belegen und die die Fahrerlaubnisbehörde veranlassen durften, eine Abklärung herbeizuführen. Mit Schreiben vom 11. Februar 2022, Az. … (BA, Bl. 1 f.), informierte die Polizeiinspektion … das Landratsamt darüber, dass der Antragsteller am 21. Januar 2022 hinsichtlich Trunkenheit im Verkehr infolge Alkohol polizeilich in Erscheinung getreten sei. Die in diesem Zuge angeordneten zwei Blutentnahmen ergaben in der Blutuntersuchung beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in … in der ersten Probe einen Wert von 2,25 Promille und in der zweiten Probe einen Wert von 2,16 Promille (BA, Bl. 13). Auch wenn der Antragsteller durch Urteil des Amtsgerichts … vom 6. Juli 2022 (Az. …*) aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf der Trunkenheit im Verkehr freigesprochen wurde, da ihm eine Teilnahme am Straßenverkehr unter Einfluss von Alkohol nicht nachgewiesen werden konnte, stehen doch die Ergebnisse der entnommenen Blutproben mit den beachtlichen Werten über 2,0 Promille fest. Insoweit handelt es sich um fahreignungsrelevante Erkenntnisse, die zu Zweifeln an der Fahreignung des Antragstellers berechtigen, da schwere Alkoholisierungen auf die Bildung einer Alkoholtoleranz hindeuten, die eines der für eine Alkoholabhängigkeit maßgebenden Kriterien nach ICD 10 F10.2 ist. Ohne Verkehrsteilnahme wird ein Bereich um 2,0 Promille als Grenzbereich für die Unterstellung einer Toleranz vertreten (vgl. Haffner/Brenner-Hartmann/Musshof in Schubert/Huetten/Reimann/Graw/Schneider/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 284; vgl. auch Kriterien Q2 und Q3 der Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP]/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Aufl. 2013, mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 27.1.2014 [VkBl 2014, 132] als aktueller Stand der Wissenschaft eingeführt, S. 123 f.). Mit den Ergebnissen der Blutproben vom 21. Januar 2022 von 2,25 Promille bzw. bei der zweiten Blutprobe 2,16 Promille hatte der Antragsteller diesen Wert erheblich überschritten. Dabei konnten jene Promillewerte zu den Mittagsstunden eines Werktags, an dem der Antragsteller an seiner Arbeitsstelle erschienen war, gemessen werden, was – wie das Landratsamt zurecht anführte – ebenfalls in diesem Rahmen zu würdigen ist. Der Annahme, dass der Antragsteller am 21. Januar 2022 erheblich alkoholisiert („hohe Alkoholisierung“, Klagebegründung S. 6, GA Bl. 7, Az. …*) war, wie auch die anwesenden Polizeibeamten („Herr *. wirkte sichtlich alkoholisiert“, BA, Bl. 4) sowie das Personal bei der Entnahme der Blutprobe (vgl. ärztlicher Bericht, BA, Bl. 11) feststellten, wurde auch nicht entgegengetreten. Auch Arbeitskollegen war die Alkoholisierung des Antragstellers an diesem Tag ausweislich der Schilderung der Personalchefin seines Arbeitgebers (BA, Bl. 15 f.) aufgefallen. Die gemessenen Werte waren mit den angegebenen Trinkmengen nicht in Einklang zu bringen (vgl. Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 7. März 2022, BA, Bl. 28 ff.). Der Umstand, dass der Antragsteller im Straßenverkehr bisher nicht mit Alkohol aufgefallen ist, entkräftet die auf eine Abhängigkeit hindeutenden Anzeichen im Hinblick auf die geringe Kontrolldichte im Straßenverkehr und die jederzeitige Gefahr eines Kontrollverlusts bei Abhängigkeitskranken nicht (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 29).
27
Das Landratsamt stellte im gegenständlichen Bescheid vorliegend zu Recht auf Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV ab. Gemäß Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV liegt bei einer Alkoholabhängigkeit keine Fahreignung vor. Eine solche ist nach Nr. 8.4 erst wieder gegeben, wenn eine erfolgreiche Entwöhnungstherapie stattgefunden hat und eine einjährige Abstinenz nachgewiesen werden kann. Übermäßiger und vor allem regelmäßiger Alkoholkonsum führt zu einer Gewöhnungswirkung und begründet die Gefahr einer nicht realitätsgerechten Einschätzung der eigenen Fahrtauglichkeit. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.10.2015 – 3 B 31.15 – DAR 2016, 216 = juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 29; B.v. 10.10.2019 – 11 CS 19.1451 – DAR 2020, 56 = juris Rn. 11 m.w.N.). Krankheitsbedingt besteht bei einer Abhängigkeit jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlustes und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (BayVGH, B.v. 30. März 2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 20).
28
Das Landratsamt stellte im gegenständlichen Bescheid hingegen nicht, wovon der Bevollmächtigte des Antragstellers nach seinen Ausführungen in der Klagebegründung vom 3. Mai 2023, welche in der Antragsbegründung vom 3. Mai 2023 in Bezug genommen werden, fälschlicherweise auszugehen scheint, auf Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ab. Hiernach liegt bei Alkoholmissbrauch, d.h. das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum kann nicht hinreichend sicher getrennt werden, keine Fahreignung vor. Mithin kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller mit der festgestellten Alkoholisierung von über 2,0 Promille am Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt hat, sondern allein auf den festgestellten Promillewert. Ein alkoholbedingter Krankenhausaufenthalt o.Ä., wie im vom Landratsamt im Bescheid zitierten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. März 2020 gegenständlich, ist insoweit nicht maßgeblich.
29
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Fahrerlaubnis dabei nicht auf der Grundlage von § 11 Abs. 7 FeV wegen feststehender Nichteignung entzogen, sondern wegen der Nichtbeibringung eines angeordneten Gutachtens und der hieran anknüpfenden gesetzlichen Vermutung des § 11 Abs. 8 FeV oder – mit anderen Worten – wegen nicht ausgeräumter Eignungszweifel. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür der Abklärung durch ein Fahreignungsgutachten bedarf. Die Anordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist nur dann erforderlich, wenn zwar Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen und daher Zweifel hinsichtlich der Fahreignung vorliegen, aber nicht mit hinreichender Gewissheit feststeht, ob der Betreffende tatsächlich alkoholabhängig ist (BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 10). So liegt der Fall hier. Zu einer Feststellung, ob eine Alkoholabhängigkeit vorliegt und ggf. aufgrund welcher Kriterien nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10), ist es wegen unzureichender Mitwirkung des Antragstellers nicht gekommen (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 21).
30
Der Hinweis des Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 23. Mai 2023, wonach zum Erlasszeitpunkt des gegenständlichen Bescheids am 6. April 2023 seit dem zugrundeliegenden Ereignis am 21. Januar 2022 bereits über ein Jahr vergangen sei und damit nicht mehr von einer Alkoholabhängigkeit bzw. von -missbrauch auszugehen sei, geht fehl. Das bloße Verstreichen einer derartigen Zeit führt nicht zum Vorliegen der Voraussetzungen der Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV, wonach nach Abhängigkeit, d.h. nach einer Entwöhnungsbehandlung, u.U. von der Wiedererlangung der Fahreignung auszugehen ist. Im Falle einer Alkoholabhängigkeit hätte dies neben dem Nachweis einer mindestens einjährigen Abstinenz die Überwindung der Abhängigkeit (Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV) bzw. eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung und eine stabile, motivational gefestigte Verhaltensänderung (vgl. Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, S. 279; Kriterium A 1.3 N der Beurteilungskriterien) vorausgesetzt. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13). Zu diesem Zeitpunkt lagen der Behörde nach dem Kenntnisstand des Gerichts keine Nachweise in diesem Sinne vor.
31
bb. Weder die Fragestellung in der Gutachtensanforderung (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) noch die Auswahl des Gutachters ist zu beanstanden. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV bestimmt die Fahrerlaubnisbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, von wem das Fahreignungsgutachten zu erstellen ist. Das Landratsamt forderte vom Kläger die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens von einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 erfüllt, gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV. Mit den Fragen soll insbesondere geklärt werden, ob der Antragsteller trotz aktenkundiger Tatsachen zur Annahme einer Alkoholabhängigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, mithin ob das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit beim Antragsteller bestätigt werden kann bzw. ob bereits eine erfolgreiche Entwöhnung stattfand und ein ausreichend nachgewiesener Abstinenzzeitraum vorliegt.
32
Die Beibringungsaufforderung vom 3. Januar 2023 entspricht auch im Übrigen den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV. Der Antragsgegner ist den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 2 und 4 FeV ergebenden Informationspflichten korrekt nachgekommen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ausführlich die Gründe dargelegt, welche die Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers stützen. Auch Hinweise darauf, dass der Antragsteller die Kosten der Begutachtung zu tragen hat und das Recht hat, die zu übersendenden Unterlagen einzusehen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) sowie ein Hinweis über die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) sind in der Beibringungsanordnung enthalten.
33
cc. Die Fristsetzung zur Beibringung des medizinischen Gutachtens war angemessen im Sinne von § 2 Abs. 8 StVG und § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Sie war insbesondere so bemessen, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände möglich und zumutbar war, das Gutachten fristgerecht vorzulegen. Die Frist muss lediglich so bemessen sein, dass eine Gutachterstelle zur Erstellung eines Gutachtens über die aktuelle Fahreignung tatsächlich in der Lage ist (VG Würzburg, B.v. 8.5.2017 – W 6 S 17.413 – juris Rn. 29). Die Bemessung der Frist für die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens ist grundsätzlich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass hierfür die besonderen persönlichen Bedürfnisse des Fahrerlaubnisinhabers maßgeblich sind. Dient die Vorlage des Gutachtens nicht dem Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung, sondern der Klärung der Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahreignung verloren hat, ist die Beibringungsfrist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. Etwaigen Eignungszweifeln ist insoweit so zeitnah wie möglich nachzugehen, da insofern die Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer in Frage steht (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2022 – 11 CS 22.927 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 26; so auch VG Würzburg, a.a.O., juris Rn. 29).
34
Dem Antragsteller standen seit der Gutachtensbeibringungsaufforderung vom 3. Januar 2023, zugestellt am 7. Januar 2023 (Zustellnachweis, BA, Bl. 44), mit Vorlagefrist bis zum 3. März 2023 acht Wochen für die Begutachtung und die Vorlage des Gutachtens zur Verfügung. Dieser Zeitraum hätte ihm unter Berücksichtigung der vorhandenen Kommunikationswege grundsätzlich die Gelegenheit geboten, sich begutachten zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 27 bezüglich eines Zeitraums von „etwas mehr als acht Wochen“, wobei hier Feiertage und Jahreswechsel zu berücksichtigen waren). Weder aus der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2017 – 11 CS 17.1483 – juris Rn. 5, 26; B.v. 21.10.2015 – 11 C 15.2036 – juris Rn. 18; B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20: jeweils zwei Monate für ausreichend erachtet) noch aus der Verwaltungspraxis anderer Hoheitsträger lässt sich eine behördliche Verpflichtung ableiten, regelmäßig (z.B.) drei Monate zur Beibringung eines Gutachtens einzuräumen (BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 28). Dabei enthielt die Gutachtensbeibringungsaufforderung die Bitte, bis 17. Januar 2023 mitzuteilen, bei welcher Begutachtungsstelle die Untersuchung erfolgen solle (S. 3 des Schreibens), § 11 Abs. 6 Satz 3 FeV, sowie den Hinweis, dass bei einer verspäteten Rücksendung jener Erklärung eine fristgerechte Erstellung des Gutachtens eventuell nicht mehr gewährleistet werden kann. Es liege in der Verantwortung des Antragstellers, auf eine rechtzeitige Gutachtenserstellung hinzuwirken. In der Regel werde ein Termin von der Begutachtungsstelle mitgeteilt (S. 4 des Schreibens). Der Antragsteller werde jedoch gebeten, sich auch selbst mit der Begutachtungsstelle zwecks einer Terminvereinbarung in Verbindung zu setzen, damit eine fristgerechte Gutachtenserstellung möglich sei. Mithin erteilte die Behörde deutliche Hinweise auf die Mitwirkungspflicht des Antragstellers hinsichtlich der rechtzeitigen Gutachtenserstellung und leistete sogar eine Hilfestellung, indem sie eine Frist zur Zusendung der Erklärung zur Auswahl der Begutachtungsstelle setzte, in deren Rahmen eine Begutachtung nach Zusendung der Unterlagen durch die Behörde i.S.d. § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV aller Voraussicht nach noch möglich wäre. Der Antragsteller kam diesen Hinweisen nicht nach und legte bis zum Fristablauf am 3. März 2023 keinerlei Dokumente – weder die Auswahlerklärung noch das Gutachten selbst – vor. Das Landratsamt wendete sich mit Schreiben vom 9. März 2023, zugestellt am 11. März 2023 (Zustellnachweis BA, Bl. 49), erneut an den Antragsteller und gewährte diesem bis 23. März 2023 Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis nach Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens bzw. zur Vorlage des Gutachtens oder der beigelegten Verzichtserklärung mit Führerschein. Das Landratsamt wies hier darauf hin, dass eine Fristverlängerung nicht gewährt werden könne (S. 3 des Schreibens, BA, Bl. 47). Erst am 13. März 2023 ging die Zustimmungserklärung des Antragstellers mit Auswahl einer Begutachtungsstelle beim Landratsamt ein. Nach umgehender Aktenzusendung an diese durch das Landratsamt am nächsten Tag teilte die Begutachtungsstelle am 15. März 2023 mit, dass die Frist zum 23. März 2023 nicht zu halten sei, was dem Antragsteller mit Schreiben vom 16. März 2023 mitgeteilt wurde. Mit Schreiben vom 23. März 2023 zeigte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers gegenüber dem Landratsamt an und nahm Bezug auf das Schreiben vom 16. März 2023, wobei er angab, der Antragsteller habe die Schreiben mit Zustellung am 7. Januar 2023 bzw. vom 9. März 2023 nicht erhalten. Dem ist jedoch durch die angegebenen, vorliegenden Zustellnachweise hinsichtlich beider Schreiben entgegenzutreten. Die ebenfalls mit Schreiben vom 23. März 2023 beantragte Fristverlängerung hinsichtlich der Vorlage der Verzichtserklärung lehnte das Landratsamt mit Schreiben vom 27. März 2023 ab bzw. wies darauf hin, dass ein förmlicher Entziehungsbescheid erlassen werde, sofern der Behörde bis 29. März 2023 keine Verzichtserklärung vorliege. Ausweislich des Vermerks auf dem Schreiben wurde es am 27. März 2023 zur Post gegeben bzw. gefaxt (BA, Bl. 80 f.). Ausweislich des Bescheids (S. 3) ging bis zum 29. März 2023 keine weitere Rückmeldung seitens des Antragstellers beim Landratsamt ein, woraufhin der Bescheid vom 6. April 2023 erging. Mithin kam das Landratsamt dem Antragsteller mehrfach entgegen und gewährte sogar eine Fristverlängerung bis zum 23. März 2023. Mit Einreichung der Erklärung zur Auswahl der Begutachtungsstelle am 13. März 2023 musste dem Antragsteller angesichts der diversen Hinweise bewusst sein, dass eine fristgemäße Gutachtenserstellung nicht mehr gewährleistet war. Jedenfalls dann hätte es ihm im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht oblegen, dem Hinweis des Landratsamts entsprechend sich auch selbst um eine Terminvergabe bei der Begutachtungsstelle zu bemühen. Dies ist jedoch nicht erfolgt.
35
Angesichts dieser Ausführungen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landratsamt die beantragte weitere Fristverlängerung i.S.d. Art. 31 Abs. 7 Satz 1 BayVwVfG abgelehnt hat. Bei einer Verlängerung behördlicher Fristen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die an Stelle der nur bei gesetzlichen Fristen möglichen Wiedereinsetzung tritt. Die Voraussetzungen, unter denen eine Fristverlängerung erfolgt, dürfen daher nicht strenger sein als bei einer Wiedereinsetzung. Bei der Ausübung des Ermessens ist insbesondere zu berücksichtigen, ob es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretene Rechtsfolge bestehen zu lassen (BayVGH, B.v. 5.5.2022 – 11 CS 22.927 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 29.11.2019 – 11 CS 19.2096 – juris Rn. 23). Dies ist nicht der Fall. Der Zeitraum, der dem Antragsteller vom 7. Januar 2023 bis zum (verlängerten) Fristende am 23. März 2023 zur Verfügung stand, war bereits ausreichend. Angesichts der konkreten Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers war im Interesse der Öffentlichkeit an der Sicherheit des Verkehrs kein weiteres Zuwarten angezeigt, zumal mit Schreiben vom 9. März 2023 darauf hingewiesen wurde, dass keine weitere Fristverlängerung erfolgen werde.
36
Objektive Hinderungsgründe am Einhalten der gesetzten Frist seitens des Antragstellers wurden nicht hervorgebracht. Der Antragsteller konnte nicht nachvollziehbar darlegen, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, bei einer geeigneten Begutachtungsstelle innerhalb von knapp elf Wochen eine Begutachtung zu erwirken. Dass der Antragsteller zum Zeitpunkt des eigentlichen Fristendes noch nicht einmal die Zustimmungserklärung zur Auswahl einer Begutachtungsstelle vorgelegt hatte, spricht nicht dafür, dass der Antragsteller ernstlich bemüht war, einen entsprechenden Termin bei einem Gutachter zu vereinbaren. Sofern sich der Antragsteller zeitnah nach Zugang der Anordnung, wie darin unter Terminangabe (17. Januar 2023) nahegelegt, um eine Terminvergabe bemüht hätte, hätte aller Voraussicht nach bereits die Frist bis zum 3. März 2023 ausgereicht.
37
dd. Begründen – wie vorliegend – Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit, ist die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV verpflichtet, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen, ohne dass ihr insoweit ein Ermessensspielraum zustünde (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 20; B.v. 11.9.2018 – 11 CS 18.1708 – juris Rn. 11). Dem liegt zu Grunde, dass der Behörde zur Feststellung einer Alkoholabhängigkeit die medizinische Fachkunde fehlt (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 23).
38
Wie in der Beibringungsaufforderung vom 3. Januar 2023 ausdrücklich erklärt, forderte das Landratsamt die Vorlage eine Eignungsuntersuchung bei einem Arzt einer Begutachtungsstelle für Fahreignung i.S.d. § 13 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV, nicht hingegen – wovon der Bevollmächtigte des Antragstellers nach seinen Ausführungen in der Klagebegründung vom 3. Mai 2023, welche in der Antragsbegründung vom 3. Mai 2023 in Bezug genommen werden, fälschlicherweise auszugehen scheint – ein medizinisch-psychologisches Gutachten i.S.d. § 13 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 3 FeV. Beiden Anordnungen liegen unterschiedliche Voraussetzungen zu Grunde.
39
ee. Die Aufforderung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle war auch verhältnismäßig. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich prüfen, ob der Sachverhalt zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen weiter aufgeklärt werden kann. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinischen Gutachtens gegenüber dem Antragsteller war im vorliegenden Fall insbesondere erforderlich, mithin das mildeste geeignete Mittel, um die Zweifel an der Fahreignung des Klägers auszuräumen. Lassen die der Anforderung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen, so steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dieser Anordnung in der Regel nicht entgegen. Dies wurde gerichtlich vor allem für die Fälle festgestellt, in denen die Fahrerlaubnisbehörde im Entziehungsverfahren nicht nur ein einfaches medizinisches Gutachten, sondern ein medizinisch-psychologisches Gutachten gefordert hat (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1993 – 1 BvR 689/92 – BVerfGE 89, 69 – juris Rn. 63; BayVGH, B.v. 25.4.2016 – 11 CS 16.227 – juris Rn. 11; VG Bayreuth, U.v. 29.10.2019 – B 1 K 19.219 – juris Rn. 30). Erst recht gilt dies für die Fälle der Aufforderung zur Beibringung eines einfachen medizinischen Gutachtens, das gegenüber dem medizinisch-psychologischen Gutachten im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eine geringere Eingriffsintensität aufweist.
40
ff. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch nicht wegen des Bescheiderlasses am 6. April 2023 und damit über ein Jahr nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt am 21. Januar 2022 zu beanstanden. Wie das Landratsamt zu Recht in der Antragserwiderung mit Schriftsatz vom 5. Mai 2023 ausführte, war zunächst, wie der vorliegende Strafbefehl des Amtsgerichts … (Az. …, BA, Bl. 21 f.) ausweist, die Entziehung der Fahrerlaubnis im Rahmen des anhängigen Strafverfahrens beabsichtigt, so dass die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG den Sachverhalt am 21. Januar 2022 als damaligen Gegenstand des Strafverfahrens nicht berücksichtigen durfte. Mit – laut Eingangsstempel (BA, Bl. 23) – Eingang beim Landratsamt am 28. November 2022 erhielt dieses Kenntnis vom Freispruch des Antragstellers aus tatsächlichen Gründen und erließ daraufhin bereits am 3. Januar 2023 die Begutachtungsaufforderung.
41
gg. Nachdem der Antragsteller das ordnungsgemäß geforderte Gutachten nicht innerhalb der angemessenen Frist bis 3. März 2023 beigebracht hat, war die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 8 FeV mangels entsprechender Mitwirkung des Antragstellers gehalten, aus der Nichtvorlage auf die Nichteignung zu schließen und hatte dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen. Ein Ermessen wird der Behörde bei dieser Entscheidung nicht eingeräumt. Zu dieser Mitwirkung war der Antragsteller verpflichtet.
42
b. Nachdem dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Recht und sofort vollziehbar entzogen worden ist, ist die Abgabeverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins (Ziffer 1 Satz 2) als begleitende Anordnung, die ebenfalls für sofort vollziehbar erklärt wurde, geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen. Die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins würde sich insbesondere nicht durch eine zwischenzeitlich erfolgende Abgabe an das Landratsamt erledigen, sondern stellt eine Rechtsgrundlage für das Einbehalten des Dokuments dar (BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 11 CS 17.953 – juris Rn. 9; B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris Rn. 22).
43
c. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides genügt auch den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (so z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.227 – juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – juris Rn. 4). Die Behörde kann sich bei der Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2008 – 11 CS 08.1890 – juris Rn. 18). Dem werden die Ausführungen in der Begründung des Bescheides gerecht. So stellte der Antragsgegner zu Recht auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ab.
44
Aufgrund der nicht fristgerechten Vorlage des geforderten medizinischen Gutachtens musste das Landratsamt von der Ungeeignetheit des Antragstellers ausgehen, weshalb bei seiner weiteren Teilnahme am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeuges eine nicht hinnehmbare Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer zu besorgen ist. Am Vorliegen der typischen Interessenlage, die eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Begründung des Sofortvollzuges entbehrlich macht, ändert im vorliegenden Fall auch nichts, dass der Antragsteller bisher im Straßenverkehr keinen Schaden verursacht hat, denn dieser Umstand ändert nichts an den Gefahren, die von einem ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber ausgehen. Ebensowenig ergibt sich eine andere Einschätzung durch den Zeitablauf seit dem zugrundeliegenden Ereignis am 21. Januar 2022, da das Landratsamt nach wie vor Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers hatte, die ohne das vorzulegende Gutachten nicht ausgeräumt werden konnten. Die privaten, finanziellen und beruflichen Interessen des Antragstellers müssen vor den öffentlichen Interessen an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten. Auch bei der vom Verwaltungsgericht vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der getroffenen Feststellung der Fahrerlaubnisbehörde. Dabei ist das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitende Auftrag des Staates zum Schutz der Verkehrsteilnehmer vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben zu beachten (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2015 – 11 CS 15.82 – juris Rn. 19).
45
Daneben überwiegt das öffentliche Interesse, den Rechtsschein des Besitzes einer in Deutschland gültigen Fahrerlaubnis zu beseitigen und damit zu gewährleisten, dass der Antragsteller nicht weiter am motorisierten Straßenverkehr im Bundesgebiet teilnimmt, das Interesse des Antragstellers, seinen Führerschein nicht abliefern zu müssen (VG Düsseldorf, B.v. 20.9.2021 – 6 L 1783/21 – juris Rn. 29). Dies wurde dem Antragsteller in der Begründung des Bescheids dargelegt.
46
d. Die Androhung von Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR für den Fall der Nichtabgabe des Führerscheins innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheides (Ziffer 3) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
47
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt.
48
3. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 46.3 und 46.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).